Auch bei vielen Christen in Deutschland hat die Annäherung der Weltweiten Evangelischen Allianz an die Römisch-Katholische Kirche Fragen aufgeworfen. Der gegenwärtige Papst scheint den Evangelikalen gegenüber so aufgeschlossen, dass viele Lehrfragen von einigen schon zu Randfragen erklärt wurden. Papst Franziskus scheint manchen euphorischen Evangelikalen fast schon als Reformator seiner Kirche. Dass es auch innerhalb der WEA kritische Stimmen zu diesen Entwicklungen gibt, wird in Deutschland kaum wahrgenommen. Es gibt aber zahlreiche Gegenstimmen, die die Reformation und die Entstehung der Evangelischen Kirchen keineswegs für überholt halten und vor einer blauäugigen Verbrüderung warnen. Wir dokumentieren hier einige Auszüge aus einer Stellungnahme der Allianzen aus Italien, Spanien und Malta. Den gesamten Text auf Englisch finden Sie hier: http://evangelicalfocus.com/upload/2017-12-07-15:25_Open_Letter_2017(1).pdf
Seit ihrer Gründung bis heute ist die Weltweite Evangelische Allianz eine von Gott geschenkte Bewegung gewesen, die Einheit, Brüderlichkeit und Kooperation zwischen evangelischen Christen auf der ganzen Welt zum Ausdruck brachte. Wir sind dankbar und stolz, Teil dieser Allianz zu sein. Wir sehen sie als unser geistliches Zuhause und unterstützen ihre biblische Vision.
Allerdings sehen wir zunehmende Anzeichen für einen Wechsel in der Identität der Allianz und ihrer theologischen DNA, die uns Sorge bereiten. Die bisherigen Positionen hinsichtlich der biblischen Einheit (unter wiedergeborenen Christen) und biblischer Konfrontation von Fehlern (abweichende Lehren und Praxis), für die die Allianz über hundert Jahre stand, scheinen ausgehöhlt und ersetzt zu werden durch eine ökumenische Gesinnung, die eine Art „Einheit” anstrebt, die sich im Konflikt mit den historischen evangelikalen Überzeugungen befindet. (…)
Die Weltweite Evangelische Allianz ist 1846 gegründet worden, um gemeinsames Gebet und wechselseitige Unterstützung zwischen wiedergeborenen, bibelgläubigen evangelischen Christen zu fördern. Wegen ihrer theologischen Überzeugungen über die biblische und erfahrbare Natur des christlichen Glaubens war sie ein Bollwerk gegen protestantischen theologischen Liberalismus, römischen Katholizismus und östliche Orthodoxie, die als unvereinbar mit der Wahrheit des Evangeliums angesehen wurden. Diese klare Trennlinie beruhte vorrangig auf der hohen Meinung, die Evangelikale von diesem biblischen Evangelium hatten.
Seit ihrer Gründung war die Weltweite Evangelische Allianz definiert durch eine klare Oppositionshaltung gegenüber sowohl dem Römischen Katholizismus als auch dem Unglauben. Während der ersten 150 Jahre hat diese Haltung das Ethos der Allianz ausgemacht. (…)
Wir stimmen absolut darin überein, dass gegenseitiges Zuhören und auch Kooperation mit der Römischen Kirche in sozialen und moralischen Fragen möglich sein sollte, halten aber daran fest, dass unser Verständnis des Evangeliums von demjenigen der römischen Kirche abweicht.
Wir müssen daher Abstand davon nehmen, von Einheit in Evangelisation und Mission zu reden oder sie gar zu praktizieren, denn eine solche Haltung impliziert, dass wir die Römisch-katholische Kirche als Institution akzeptieren, mit ihrer hierarchischen Struktur, ihrer Dogmatik, ihren Zielen und politischen Auffassungen. (…)
In den letzten Jahren haben wir bemerkt, dass die Leitung der WEA sich von der beschriebenen Position der Allianz mehr und mehr entfernt und sich de facto dem generellen ökumenischen Trend angeschlossen hat.
Der Begriff der Einheit wird nur noch unscharf verwendet und beschreibt jetzt auch Beziehungen, die gegen die bisherigen Prinzipien der Allianz verstoßen. Unsere Leiter haben immer weniger Bedenken, von Einheit mit der Katholischen Kirche zu reden und so die historisch gewachsene Position der Allianz aufzugeben. Bei unserer Basis haben unbedarfte, verquere und emotionale Stellungnahmen zu Päpsten und ökumenischen Aktivitäten einiges an Verwirrung verursacht. (…)
Wir sehen zwei Ursachen, mit denen dieses Abdriften erklärt wird. Zum einen wird auf die 1999 verfasste gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre verwiesen, die von Vertretern des lutherischen Mainstreams und der Römischen Kirche unterzeichnet wurde.1 Von diesem Dokument wird oft behauptet, es habe die Hauptursache der Reformation aufgelöst und erfordere deshalb eine neue Phase ökumenischer Beziehungen. Tatsächlich aber enthält diese Erklärung sprachliche Zweideutigkeiten, begriffliche Unschärfen und theologische Nuancen, die es äußerst schwer machen, die Ansichten der Unterzeichner, gerade im Hinblick auf Luthers Sicht und diejenige des Tridentinums, zu verstehen. (…)
Eine zweite Ursache ist das 2011 verabschiedete Papier „Das christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt: Empfehlungen für einen Verhaltenskodex”2 , das von der Allianz, dem Weltkirchenrat und dem Vatikan verabschiedet wurde. Das Dokument spricht sich für eine ehrliche, transparente und friedliche Mission aus. Wir haben bereits unsere prinzipielle Zustimmung hierzu zum Ausdruck gebracht, auch wenn wir einige Unklarheiten kritisch bemängelt haben. (…) Dieses Dokument erfordert aber keine Änderung in der historischen Allianz zur Einheit der Christen. (…)
Diese ökumenische Agenda der Allianz soll offenbar im Jahr 2018 ihren vorläufigen Höhepunkt erreichen. (…) Es hat nun den Anschein, als wolle die Allianz zusammen mit dem Weltkirchenrat und der Römischen Kirche eine Stellungnahme unterzeichnen, bei der von Einheit, sogar von „Eins-Sein” die Rede sein soll.
Über diese Geschehnisse sind wir sehr beunruhigt. Wir sehen einen radikalen Kurswechsel, der ohne jede Diskussion, Kommunikation, Information oder eine Abstimmung der Allianz-Basis ins Werk gesetzt werden soll. (…) Wenn aber nur einige wenige Funktionsträger eine Angelegenheit von solcher Tragweite ohne ernsthafte Diskussion mit den Menschen, die sie angeblich repräsentieren, umsetzen, markiert das den Anfang vom Ende des evangelikalen Netzwerks, das sich in eine hierarchische Organisation zu verwandeln droht. Millionen von Evangelikalen sehen keinerlei biblische Begründung für eine Bewegung in Richtung „größeren Eins-Seins” mit dem Weltkirchenrat und der Römischen Kirche.
Wir bitten daher dringend darum, diesen Prozess, der 2018 zu der Unterzeichnung des genannten Papiers führen soll, zu stoppen. (…) Die Zustimmung der Allianz-Spitze zu einem solchen Dokument würde immensen Schaden an der evangelikalen Basis verursachen. Wir haben gerade das 500jährige Reformationsjubiläum gefeiert und wünschen uns eine Zeit biblischer Reformation in unseren Gemeinden, durch die die ganze Welt mit der guten Nachricht von Jesus Christus bekannt gemacht wird. Mit dieser Ambition ist die Allianz gegründet worden, und wir beten, dass sie dieses Ziel auch in der Zukunft im Blick behält.
Übersetzung: Daniel Facius