ThemenGeschichte der Christen, Kritik der Bibelkritik

Friedrich von Bodelschwingh und die „gelehrte Bibelkritik“

Der Bibelbund war nicht das einzige Werk, das Ende des 19. Jahrhunderts entstand, um sich gegen die zunehmende Bibelkritik zur Wehr zu setzen. So hat auch Friedrich von Bodelschwingh erkannt, dass Bibeltreue lebenswichtig für Christen ist, die diesen Namen auch verdienen. Durch sein Lebenswerk, das noch heute unter dem Namen „von Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel“ existiert, war er schon damals sehr bekannt geworden. So konnte er in seinen letzten Jahren sowohl eine „Theologische Woche“ als auch eine „freie theologische Schule“ gründen, die einer bibeltreuen Theologie verpflichtet waren.

Der Bibelbund wurde 1894 in einem pommerschen Pfarr­haus gegründet, um bibeltreuen Christen ein Forum für schriftgebundene christliche Lehre zu bieten. Man wollte sich besser gegen das massive Vordringen der Bibelkritik und die zunehmende Liberalisierung der Theologie zur Wehr setzen können. Denn die Bibelkritik begann sich auch schon an der Gemeindebasis bemerkbar zu machen. Deshalb erschien im Jahr 1901 die erste Zeitschrift des Bibelbundes unter dem Titel „Nach dem Gesetz und Zeugnis“, die seit 1954 den Titel „Bibel und Gemeinde“ trägt.

Der Bibelbund war aber nicht das einzige Werk, das Ende des 19. Jahrhunderts entstand, um sich gegen die zunehmende Bibelkritik zur Wehr zu setzen. So hat auch Friedrich von Bodelschwingh erkannt, dass Bibeltreue lebenswichtig für Christen ist, die diesen Namen auch verdienen. Durch sein Lebenswerk, das noch heute unter dem Namen „von Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel“ existiert, war er schon damals sehr bekannt geworden. So konnte er in seinen letzten Jahren sowohl eine „Theologische Woche“ als auch eine „freie theologische Schule“ gründen, die einer bibeltreuen Theologie verpflichtet waren.

Nachdem wir vor sechs Jahren schon einmal über Friedrich von Bodelschwinghs Kritik an der „historisch-kritischen Theologenschule“ berichtet haben1 , wollen wir nun ausführlicher aus dem Werk Gustav von Bodelschwinghs2  zitieren, um das Anliegen Friedrich von Bodelschwinghs, das auch unser Anliegen ist, noch deutlicher zu machen. Das erscheint besonders wichtig, da die kirchliche Hochschule, die auf Betreiben Bodelschwinghs entstand, sich 1980 öffentlich von dem distanzierte, was ihrem Gründer am Herzen lag.

Die Distanzierung

Im Jahrbuch der „Kirchlichen Hochschule Bethel“ schreibt deren Rektor Traugott Stählin in seinem Geleitwort3 :

1894 hat Friedrich von Bodelschwingh in seiner für die preußische Generalsynode geplanten Rede deutlich gemacht, warum er die Gründung einer „freien theologischen Hochschule“ für notwendig hielt: um Theologen heranzubilden, „die im Glauben und Bekenntnis der Kirche stehen“, und ein Bollwerk gegen die „große Diana der Epheser der heutigen Zeit, die Wissenschaft … losgelöst vom Glauben“4 zu bauen …

Die Hochschule hat sich seitdem in den Jahrzehnten ihrer Entwicklung von den Vorstellungen ihres Gründers in gewisser Hinsicht entfernt, sie könnte sonst auch ihrem Auftrag als wissenschaftliche Hochschule nicht im vollen Sinn gerecht werden. Dieser Auftrag ist durch die Verleihung der Fakultätsrechte (Promotions- und Habilitationsrecht) am 1. Januar 1980 unterstrichen worden.

Wie sehr sich diese Hochschule von „den Vorstellungen ihres Gründers“ entfernt hat, macht auch die vom Bibelbund herausgegebene Schrift: „Jesus, die Evangelien und der christliche Glaube“5 deutlich, die auf ein bibelkritisches „Spiegel-Gespräch“ eines Theologen dieser Hochschule, Andreas Lindemann, reagiert.

Friedrich von Bodelschwingh

1893 war Friedrich von Bodelschwingh das erste Mal mit dem Theologen A. Schlat­ter zusammengetroffen. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft und die Einrichtung einer „Theologischen Woche“, die im August 1898 zum ersten Mal stattfand. Schlatter wünschte, dass der theologische Kursus nicht in einer Universitätsstadt, sondern in einer Gemeinde stattfinden solle.

Denn dadurch sei von vornherein klar zum Ausdruck gebracht, dass die Besprechungen zwischen den Männern der Wissenschaft und denen der Praxis nicht den Köpfen gelten sollten, sondern den Personen, nicht dem wissenschaftlichen Betriebe, sondern im tiefsten Sinn dem wissenschaftlichen Leben. Darum ergab sich von selbst Bethel als Versammlungsort.

So kam im August 1898 die erste theologische Woche zustande. Die große Zahl der Besucher zeigte von vornherein, welch tiefem Bedürfnis der Gedanke entsprang. Cremer und Schlatter hatten die Hauptvorträge übernommen.6

Die Vorträge selbst waren öffentlich, die Besprechungen aber, die den Vorträgen folgten, wurden im geschlossenen Kreis der Theologen gehalten. Das hat sich gut bewährt, sodass diese Woche alle zwei Jahre stattfinden konnte. Es wurden auch noch andere Theologen dazu eingeladen:

So der blinde, immer wieder mit besonderer Bewegung begrüßte Professor Riggenbach von Basel, Professor Schaeder, später in Kiel und Breslau, Professor Lütgert aus Halle, Professor Bornhäuser aus Marburg. Die Führung behielten Cremer und Schlatter, die beiden, das darf wohl gesagt werden, neben Kähler, Halle, damals bedeutendsten Vertreter der deutschen Theologie, die in tiefster Gemeinschaft der Überzeugungen einander ergänzten.7

Friedrich von Bodelschwingh selbst hatte die beängstigende Unsicherheit kennengelernt, in die die Kritik hineinführt.

Darum blieb er barmherzig mit denen, die in ähnlichen Kämpfen standen. Das kam immer wieder während dieser theologischen Wochen zum Ausdruck. Aber zugleich wies er in den Besprechungen, die sich an die Vorträge der Professoren anschlossen, die Wege, die zur Gewissheit des Glaubens führen: die Demut der Buße und die selbstverleugnende Liebe. Geistliche Hoffart, das sprach er immer wieder aus, war für ihn das Haupthindernis des Glaubens.8

Es war von Bodelschwinghs feste biblische Überzeugung, dass Gott sich hochmütigen Menschen nicht offenbart.

Ohne ihr Elend würde die Welt noch viel schrecklicher aussehen, weil dann der
Hochmut ohne alle Hindernisse wachsen würde

Die Besuche, die einzelne Teilnehmer der theologischen Wochen in den Häusern des Elends in Bethel machten, blieben nicht ohne Fragen. Bodelschwingh erklärte einem von ihnen, dass er zuweilen auch unter dem Elend der Welt leide und es nicht verstehen könne. Aber dann denke er immer wieder: Wie würde es sein, wenn das Elend nicht da wäre? Es würde noch viel schrecklicher auf der Welt aussehen, weil dann der Hochmut ohne alle Hindernisse wachsen würde. Das Menschenherz ist viel zu hochmütig, als dass es Leiden entbehren könnte.

Die Liebe aber schöpfte er aus der in der Schrift geoffenbarten Liebe Gottes in Jesus Christus. Deshalb war ihm die theologische Woche und die Freundschaft mit den „Wasserschöpfern“ – so nannte er die Professoren am liebsten – eine besondere Erquickung.

Ein Professor der liberalen Theologie führte seine Studenten durch Bethel. Am Schluss machte er Vater einen Besuch. „Herr Pastor“, sagte er, „wieviel Gutes tun Sie den Kranken. Und wie gütig haben Sie uns aufgenommen. Warum sind Sie zugleich so ablehnend gegen meine theologische Arbeit?“ „Lieber Professor“, sagte er, „ohne den alten Glauben könnte ich keinen einzigen epileptischen Kranken pflegen – und du auch nicht.“9

Die freie theologische Hochschule

Bodelschwingh hatte seine tiefsten wissenschaftlichen und persönlichen Anregungen von Männern empfangen, die nicht aus staatlichen Fakultäten hervorgegangen waren, sondern aus den Kreisen freier Körperschaften.

„Die evangelische Kirche“, sagte er, „hat sich viel zu lange daran gewöhnt, sich auf den staatlichen Arm zu verlassen, und darüber ist sie eingeschlafen.“10

Warum sollte die Christenheit, wenn sie freie Anstalten der inneren und äußeren Mission schuf, nicht auch berechtigt und in der Lage sein, eine freie theologische Fakultät zu schaffen … am besten in einer lebendigen Christengemeinde inmitten gesunden christlichen Volkslebens?

Diesen Gedanken legte er in einem Aufsatz nieder, der zuerst in einer kleinen konservativen Zeitung Bielefelds erschien und dann in vielen Sonderdrucken verbreitet wurde. Er fand zunächst nur wenig Zustimmung und Bodelschwingh musste den Gedanken zurückstellen. Sein Ruf war dennoch nicht umsonst.

Es trat ein Kreis von Freunden des kirchlichen Bekenntnisses in Rheinland und Westfalen zusammen, der die Gründung eines Studienhauses an der Universität Bonn in die Hand nahm und rasch zur Durchführung brachte. Schon im Sommer 1896 stand das Haus zum Einzug fertig, und unser jüngster Bruder war unter den ersten Studenten, die darin für ihre Studien willkommene Heimat und Anleitung fanden.11

Anlässlich der theologischen Woche in Bethel im Herbst 1904 propagierte er den Gedanken an eine freie theologische Schule erneut und verfasste eine ausführliche Schrift dazu. Damals diskutierte man viel über die Gefahr durch die Jesuiten. Bodelschwingh schrieb:

Gefährlicher, grundstürzender bis ins tiefste Mark hinein, vergiftender als die weiter geöffnete Tür für die Väter der Gesellschaft Jesu, das sage ich frei heraus, ist eine andere Not, die unsere Kirche an ihrem eigenen Busen großzieht. Unaufhaltsam ergießt sich eine Flut glaubensloser und pietätloser Kritik von den theologischen Lehrstühlen unserer deutschen Hochschulen über unsere arme theologische Jugend und rüttelt an der Grundlage unseres Glaubens, nämlich an der Heiligen Schrift. Wie viele junge Theologen ziehen fröhlich im Glauben auf die Universität und kommen mit zerbrochenem Glauben zurück. Es schreien viele Vater- und Muttertränen gegen solche grausamen Seelenhirten auf evangelischen Lehrstühlen. Sie bieten sich an, Diener für die Kirche zuzubereiten, und wiewohl sie genau wissen, dass ihre Schüler über ein Kleines sich verpflichten sollen, das Amt des Wortes in ihre Gemeinden aufgrund der Heiligen Schrift und des Bekenntnisses zu führen, wissen sie doch nichts eifriger zu tun, als ihnen die Heilige Schrift verdächtig zu machen.

… es sind zum Teil recht kleine Geister, kümmerliche Gesellen, leere Herzen, Wolken ohne Wasser vom Wind der Eitelkeit umgetrieben, kahle, unfruchtbare Bäume. Ohne gründliche Gelehrsamkeit und ohne Wahrheits- und Gewissensdrang, ohne Ernst achten sie es doch für nötig, sich die Sporen des Professorentums zu verdienen, indem sie irgendeinem Buch der Heiligen Schrift zu Leibe gehen und es nach allen Seiten hin verdächtig machen.

… Und sie bleiben keineswegs bei den äußeren Schalen der Heiligen Schrift stehen, bei der Kritik des Textes usw., sondern man merkt bald die Absicht: der ganze Grund muss umgerissen werden; aus der ganzen Schrift soll schließlich nur ein feines Märchenbuch werden.

… Christi Person und Werk wird nicht nur in immer nebelhaftere Umrisse gehüllt, sondern verschwindet endlich ganz. Man bedarf sein nicht mehr.

Schlechte Theologen werden ebenso wenig wie falsche Jesuiten durch polizeiliche Maßregeln überwunden

… Schlechte Theologen werden ebenso wenig wie falsche Jesuiten durch polizeiliche Maßregeln überwunden. Ich weiß es wohl, dass es kein normaler Zustand ist, wenn der Staat solche Männer auf die theologischen Lehrstühle setzt und sie unseren jungen Theologen zu ihren ordentlichen Lehrern bestellt, und jene hernach durch eine staatliche Prüfungskommission prüfen und durchfallen lässt (ich habe dies bei einem meiner liebsten Konfirmanden erfahren), wenn sie nun von dem Geiste und dem Unglauben ihrer Lehrer durchtränkt sind und sich ehrlich zu diesem Unglauben bekennen. Aber was kann der Staat da machen? Was können wir von ihm verlangen?12

Fromme Lehrer der Kirche sind ein Gnadengeschenk Gottes und müssen von oben erbeten werden

„Fromme Lehrer der Kirche“, so pflegte mein seliger Freund Kögel zu sagen, „sind ein Gnadengeschenk Gottes, sie können nicht von Menschen gefordert, sondern müssen von oben erbeten werden.“13

Bodelschwingh wollte zuerst eine freie theologische Vorschule errichten, die aber nicht gegen die Landeskirche und die bestehenden Universitäten arbeitet, sondern junge Menschen stärkt und stählt.

Dieser Pflanzschule müsste man eine äußerlich liebliche und geistlich gesunde Stätte bereiten, in der die köstliche Saat mit Freuden und in der Hoffnung ausgestreut werden kann, dass sie nicht sofort wieder von wilden Säuen zerwühlt wird.14

Als Bodelschwingh diese Sätze schrieb, waren die nötigen Mittel für die Hörsäle und die Wohnungen der theologischen Lehrer schon vorhanden. Bodelschwingh dachte nicht an eine sofortige Anerkennung oder gar Unterstützung des Staates.

Im Herbst 1905 zogen die ersten Studenten in die junge theologische Schule ein. „Zwölf Jünger hatte der Herr; mehr als zwölf möchte ich nicht gern haben“, sagte Vater. Aber vier Wochen vor der Eröffnung hatte sich nur ein einziger gemeldet. „Ich fange auch mit dem einen an“, sagte Jäger. Da fiel ihm Vater um den Hals und sagte: „Dafür kriegst du einen Kuss.“ Aber zum Eröffnungstage waren elf junge Studenten zur Stelle.

Vater selbst trat mit in den Unterricht ein. Während Pastor Jäger die systematischen Fächer nahm, Kähler das Neue Testament und der bald hinzutretende Pastor Oesterreicher das Alte Testament, gab Vater jede Woche eine Abend­stunde praktischen Inhalts, besonders über innere und äußere Mission.

Viele hundert Studenten sind seitdem durch die theologische Schule gegangen.15 Als Dozenten sind die Pastoren Michaelis, Schrenk und Johanssen neu hinzugetreten. Die bayrische Kirche hat als erste unter den deutschen Landeskirchen die auf der theologischen Schule verbrachte Studienzeit in einzelnen Fällen angerechnet. Die badische Kirche erkennt sie grundsätzlich in allen Fällen an.16

Wo anderes geistlich zugrunde geht, schafft Gott doch immer wieder einen neuen Anfang

Leider wird ein im Glauben begonnenes Werk von den nächsten Generationen nicht immer auch im Glauben weitergeführt. So kam es leider zu der anfangs dargestellten Entwicklung. Dafür sind andere bibeltreue Ausbildungsstätten mit Hochschulniveau im deutschsprachigen Raum entstanden, wie zum Beispiel die Freie Theologische Hochschule (FTH) in Gießen und die Staatsunabhängige Theologische Hochschule in Basel (STH), die beide die Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Schrift anerkennen. Wo anderes geistlich zugrunde geht, schafft Gott doch immer wieder einen neuen Anfang.


  1. Gottfried Schröter in „Bibel und Gemeinde“ 1/2005 S. 41ff. 

  2. Gustav von Bodelschwingh berichtet darüber in seinem Buch „Friedrich von Bodelschwingh – Leben und Lebenswerk, dargestellt von seinem Sohne Gustav von Bodelschwingh“ (2. Aufl. 1923). 

  3. Kirchliche Hochschule Bethel 1905-1980. Herausgegeben von Gerhard Ruhbach 1980. Geleitwort des Rektors S. 8.4 

  4. Wort und Dienst, NF 4, 1955, S. 17. 

  5. Th. Mayer/K.-H. Vanheiden (Hrsg.): Jesus, die Evangelien und der christliche Glaube. Eine durch ein SPIEGEL-Gespräch ausgelöste Debatte. Mit Beiträgen von A. Lindemann, G. Schröter, A. D. Baum und I. Broer. ISBN 978-3-933372-10-9. 4,80 €. Bestellnummer 0305 bei der Geschäftsstelle des Bibelbund e.V., Postfach 470268, 12311 Berlin, Tel. 030/44039253. 

  6. Gustav von Bodelschwingh, a.a.O. S. 413f. 

  7. A.a.O. S. 414 

  8. A.a.O. S. 415. 

  9. A.a.O. S. 416f. Friedrich von Bodelschwingh duzte fast jedermann. 

  10. A.a.O. S. 417. 

  11. A.a.O. S. 418. Auch in neuerer Zeit ist dieser Gedanke wieder aufgegriffen worden zum Beispiel im Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen. 

  12. A.a.O. S. 420-423. Offensichtlich waren damals viele theologische Lehrer noch weiter von der Heiligen Schrift und dem Bekenntnis entfernt als die Vertreter des Staates in der Prüfungskommission. 

  13. A.a.O. S. 426. 

  14. A.a.O. S. 428. 

  15. Das war offenbar der Stand von 1922. 

  16. A.a.O. S. 429f.