ThemenKritik der Bibelkritik

Bibelkritik biblisch begründen? Biblische Bilder als Rechtfertigung

Besonders bei Vertretern einer gemäßigten Bibelkritik sind biblische Bilder beliebt, wenn es darum geht, Bibelkritik zu rechtfertigen. Die Fehler der Bibel seien wie „Unkraut unter dem Weizen“. Die Bibel habe eine Niedrigkeitsgestalt wie Jesus Christus und das Kreuzesgeschehen lasse auf Fehler schließen. Anderen ist sie den Lumpen vergleichbar, mit denen Jeremia aus dem Brunnen gezogen wurde. Diese und weitere Vergleiche lassen sich aber nicht aufrecht erhalten, wenn man die Bedeutung der Bilder in der Bibel genauer untersucht und in Beziehung setzt zu den eindeutigen Aussagen, die die Bibel über ihre eigene Qualität macht.

Der Theologieprofessor Dr. Peter Zimmerling lobt1 Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf, er habe „Maßstäbe des Christlichen gesetzt, die bis heute nicht überboten sind“2 . Auch der Umgang Zinzendorfs mit der Bibelkritik erscheint Zimmerling richtungsweisend3 . In dem Kapitel „Die Bibel, ein Buch mit vielen Fehlern: Das Recht der Bibelkritik und ihre Grenzen“ stellt der Autor fest, dass Zinzendorf für die Unfehlbarkeit der Bibel nur im Hinblick auf ihre Heilswahrheiten plädierte und in ihr Irrtümer, Gegensätze, Fehler und schlechten Stil zu finden meinte4 .

Unkraut unter dem Weizen

Wie definiert Zinzendorf unter diesen Voraussetzungen das Wesen der Bibel? Welchem hermeneutischen Schlüssel unterwirft er sie? Er wendet das Gleichnis vom Unkraut im Weizenfeld (Mt 13,24-30.36-43) auf die Bibel an, indem er Getreide und „Stroh“ bzw. „Schutt“ unterscheidet und beides auf die Bibel bezieht!5 Damit vergleicht er also einen Teil der biblischen Aussagen mit „Schutt“ und versucht, ein solches Vorgehen als biblisch darzustellen!

Das Unkraut im Gleichnis ist jedoch vom Teufel gesät und wird im Feuer des Gerichts Gottes verbrannt! Dieses Gleich­nis stellt Rettung und Verlorenheit veranschaulichend gegen­über. Das Gleichnis ließe sich also ­– wenn überhaupt – nur partiell in dem Sinne auf die Bibel beziehen, dass der Weizen (bzw. das Getreide) das biblische Wort symbolisiert und das Unkraut (bzw. das Stroh oder der Schutt) Antibiblismus und Bibelkritik.

Die Heilige Schrift kann nicht aufgeteilt werden in „Getreide“ und „Schutt“, denn

„Die ganze Schrift ist von Gottes Geist eingegeben und nützlich zur Belehrung“ (2Tim 3,16a).

Niedrigkeit des Kreuzes

Ein weiterer hermeneutischer Schlüssel, der auf die Bibel angewendet wird, ist Zinzendorfs Kreuzestheologie:

„Die Fehler – etwa bei Zeitangaben – sind Beispiele für die Anpassung des Heiligen Geistes an das menschliche Fas­sungsvermögen … Als Geist des Gekreuzigten bringt er keine der menschlichen Irr­tums­fähigkeit entrückte Bibel hervor“6 .

Johannes Brakensiek empfiehlt den „gekreuzigten Christus“ als Schlüssel zum Bibelver­ständnis. In seiner Rezension des vom Bibelbund herausgegebenen Buches „Jesus, die Evangelien und der christliche Glaube“ sieht er „nur“ bei dem die bibelkritische Seite vertretenden Theologieprofessor Ingo Broer

„die Richtung eines gangbaren Weges, wenn er darauf hinweist, dass die Art und Weise der Offenbarung Gottes in der Schrift mit der Art der Offenbarung Got­tes in Jesus Christus als erniedrigtem und gekreuzigtem Menschen vergleichbar sein und somit auch Runzeln und Probleme enthalten muss“7 .

Die Aus­sage, dass Fehler bei Zeitan­gaben eine An­passung des Heiligen Geistes an das menschliche Fassungs­vermögen seien, erscheint mir als eine Verunehrung des Heiligen Geistes, der doch der Geist der Wahrheit ist. Darüber hinaus ist sie auch unlogisch. Denn das menschliche Fassungsvermögen ist ausreichend, um fehlerhafte Angaben zu vermeiden. Und dass die Bibel fehlerhafte Zeitangaben ent­hielte, bleibt unbewiesen. Gott ist außerdem nicht nur allwissender Herr über die biblischen Zeitangaben, sondern auch allmächtiger Herr über die Zeit.

Mit welchem Recht soll das Kreuz als ein Symbol für eine fehlerhafte Bibel gelten können? Aus Niedrigkeit lässt sich nicht mit zwingender Logik Fehlerhaftigkeit oder Irrtümlichkeit ableiten.

Mit welchem Recht soll das Kreuz als ein Symbol für eine fehlerhafte Bibel gelten können? Aus Niedrigkeit lässt sich nicht mit zwin­gender Logik Feh­lerhaftigkeit oder Irr­tüm­lichkeit ableiten. Die Vorstellung, das Kreuz sei ein Sinnbild für Irrtümer in der Bibel, ist willkürlich, findet keinen Anhalt in der Schrift selbst. Sie steht sogar im Widerspruch zu ihr. Es kann im Gegenteil mit dem Kreuz auch eine irrtumslose Bibel begründet werden! Am Kreuz hat Jesus ja in Heiligkeit und ohne Irrtum gelitten. Seine Worte am Kreuz sind wahr. Seine Leidens- und Auferstehungsankündigungen haben sich als wahr erwiesen.

So wie Jesus am Kreuz heilig und irrtumslos war, muss auch die Bibel heilig und irrtumslos sein. Eine irrtumsbehaftete Bibel aber wäre nicht heilig.

Irrtümer lassen sich durch eine ausreichende Praxis von Erkenntnistugenden wie Sorgfalt, Vorsicht, Demut, Wahr­heits­liebe usw. vermeiden. Man kann die Niederschrift von Fraglichem, Unge­wis­sem einfach unterlassen.

Jesus war am Kreuz geistlich betrachtet ein heiliges Opferlamm ohne Fehler. So spricht das Kreuz nicht für eine fehlerbehaftete, sondern für eine irrtumslose Bibel.

Außerdem spricht auch das biblische Verständnis des Opfers dagegen. Die Opfer des Alten Bundes für Gott mussten fehlerlos sein (z.B. 3Mo 1,3). Ein fehlerhaftes Opfer wäre nicht heilig. Jesus am Kreuz war geistlich betrachtet ein heiliges Opferlamm ohne Fehler. So spricht das Kreuz also gar nicht für eine fehlerhafte Bibel, sondern im Gegenteil für eine irrtumslose!

Runzeln

Ingo Broer schließt aus Jesus Christus als gekreuzigtem Menschen, die Bibel müsse „Runzeln“ enthalten. Runzeln sind aber ein Bild für Unheiligkeit, Unvollkommenheit, Fehlerhaftigkeit und entsprechen nicht dem Wesen der Bibel:

„ … wie auch der Christus die Gemeinde geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, um sie zu heiligen, sie reinigend durch das Wasserbad im Wort, damit er die Gemeinde sich selbst verherrlicht darstellte, die nicht Flecken oder Runzeln oder etwas dergleichen habe, sondern dass sie heilig und tadellos sei“ (Eph 5,25b-27).

„Tadellos“ kann auch mit „fehlerlos“ übersetzt werden. Diese Stelle zeigt einen Zusammenhang von Kreuz („hingegeben“), Heiligkeit des Wortes („reinigend durch das Wasserbad im Wort“) und Fehlerlosigkeit („tadellos“).

Genauer: Das Kreuz und das heilige Wort bewirken die Heiligkeit und Fehlerlosigkeit der erlösten Gemeinde. Darum muss das Wort selbst fehlerlos bzw. irrtumslos sein. Die Heiligkeit des Wortes bezeugt unerschütterlich seine Irrtumslosigkeit.

Der Kreuzestod Jesu war auch nur scheinbar eine Niederlage. In Wirklichkeit hat Jesus in unermesslichem Kampf Sünde und Teufel besiegt und in

„der Schmach eines ehrlosen Todes am Kreuz den Namen Gottes verherrlicht.“ Jesus „wusste um die heilsgeschichtliche Notwendigkeit, dass sich mit seinem irdischen Lebensende alles erfüllen musste, was über ihn bei Mose und den Propheten geschrieben war (Mt 16,21; Lk 24,27)“8 .

Ja, Jesus kannte die Wahrheit der biblischen (Leidens-)Pro­phe­zeiungen. Mit der Nie­drig­keit des Kreuzes lässt sich daher keine Bibelkritik begründen.

Krippe und Kreuz

Ein weiterer Aspekt kommt noch zum Tragen. Ingo Broer schreibt:

„Einen Hinweis, wie Gottes Handeln in Bezug auf die Schrift gedacht werden kann, gibt nur das Christusereignis selber“.9

Er meint damit das Jesuskind in der Krippe und den schändlichen Kreuzestod.

Vom Christusereignis wird aber so ein Großteil ausgeblendet. Es werden Krippe und Kreuz ausgewählt und als das ganze Christusereignis hingestellt, weil man wohl meint, mit Krippe und Kreuz Irrtümer in Verbindung bringen zu können. Zum Christusereignis gehören jedoch auch die Präexistenz in der Herrlichkeit, die Verklärung, der Umgang mit der Schrift, Wunder, Auferstehung, Himmelfahrt, Wiederkunft in Macht und Herrlichkeit, die Weltregierung im 1000jährigen Reich und das Weltgericht!

Das gesamte Christus­ereignis spricht gar nicht für Bibelkritik – im Gegenteil! So heißt es über die Wiederkunft Jesu Christi in Offenbarung 19,11+13b:

„Und ich sah den Himmel geöffnet, und siehe, ein weißes Pferd, und der darauf saß, heißt Treu und Wahrhaftig, und er richtet und führt Krieg in Gerechtigkeit … und sein Name heißt: Das Wort Gottes.“

Statt „Treu“ kann auch „zuverlässig, glaubwürdig, sein Wort haltend“ übersetzt werden. Statt „wahrhaftig“ kann auch „wahr, echt“ übersetzt werden. „Gerechtigkeit“, also auch das Richter- und Re­gie­rungsamt des Herrn Jesus Christus, setzt Irrtums­lo­sig­keit voraus. Diese Bibelstelle zeigt somit einen unauflöslichen Zusammenhang von Christus, Wort Gottes und Irr­tums­losigkeit.

Das gilt auch für die Schrifthaltung Jesu, die genauso unbedingt zum Christusereignis dazugehört wie sein Wirken vom Himmel her! Als das Alte Testament aufgeschrieben wurde, war Jesus ja nicht am Kreuz, sondern allwissend und irrtumslos in himmlischer Herrlichkeit. Und als das Neue Testament geschrieben wurde, war Jesus auch nicht am Kreuz, sondern in Allwissenheit, Irrtumslosigkeit und Allmacht im Himmel.

Von dort her ist die Bibel inspiriert! Jesus spricht: „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden“ (Mt 28,18), also auch die Macht, eine irrtumslose Bibel schrei­ben zu lassen!

Auch der irdische Jesus kann nicht als Symbol für Irrtümer in der Bibel verwendet werden. Jesus war auch zur Zeit seines Erdenlebens heilig und wusste Irrtümer zu vermeiden.

Aber auch der irdische Jesus kann nicht als Symbol für Irrtümer in der Bibel verwendet werden. Jesus war zur Zeit seines Erdenlebens zwar nicht allwissend, aber er war heilig, und Heiligkeit weiß Irrtümer zu vermeiden. Jesus hat nicht versagt; eine dem Irrtum verhaftete Bibel würde aber Versagen beinhalten.

Doch nicht nur Jesus Christus ist für die Frage nach dem Wesen der Bibel wichtig. Die Bibelgabe ist ein trinitarisches Geschehen! Jesus sagt in Joh 8,40b: „ … der ich euch die Wahrheit gesagt habe, die ich von Gott gehört habe“ und in Joh 14,24b.26:

„ … das Wort, das ihr hört, ist nicht mein, sondern des Vaters, der mich gesandt hat … Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“

Der irdische Jesus hat also seine Lehre von dem allwissenden und irrtumslosen Gott. Und der allwissende und irrtumslose Heilige Geist hat die neutestament­lichen Autoren gelehrt und sie an die Worte Jesu erinnert.

Aus all dem ergibt sich: Das Kreuz kann nicht als Symbol für biblische Irrtümer gelten. Es ist vielmehr umgekehrt! Denn so wie Jesus – als das Wort Gottes(!) – zu Unrecht gekreuzigt wurde, so wird auch das Wort Gottes, die Bibel, zu Unrecht kritisiert. Kreuz könnte eher als Symbol für Bibelkritik, Antibiblismus, Schmähung und Diskriminierung bibelgläubiger Christen mit dem Kampfwort „Fundamentalismus“ stehen.

Lumpen

Eine weitere biblische Geschichte wird für manche zum „hermeneutischen Schlüssel“:

„Johann Georg Hamann vergleicht die Bibel mit den Lumpen, an denen Jeremia aus der Zisterne gezogen wurde – und deren Beschaffenheit zweitrangig ist. Ebenso ist Gottes rettendes Reden und Handeln durch sein Wort wichtig, nicht dessen vermeintliche Irrtumslosigkeit“.10

Dieser Schlüssel scheint Schule zu machen. Auch David Keller und Udo Zansinger11 haben ihn übernommen.

„Der dreieinige Gott hat sich in der Geschichte offenbart und seine Offenbarung nicht unbezeugt gelassen. Auch wenn das geschichtliche Zeugnis in Form der Bibel manchmal den Lumpen Ebed-Melechs gleicht, mit denen er Jeremia aus der Zisterne rettete (Jer 38,11-13), will es doch als Geschichte verstanden werden“.12

Auch von Helge Dirks wird Johann Georg Hamanns (1730-1788) Bibelverständnis als vorbildlich bewertet:

„Weder überlastet es die Bibel mit einem unangemessenen Wahr­heits­ver­ständ­nis, noch spricht es einem ihrer Teile ab, Gottes Botschaft zu sein“.13

In der Bibel sind schmutzige Kleider ein Symbol für Schuld.

Doch ist Hamanns Ver­gleich wirklich vorbildlich? In der Bibel können Lumpen auch Folge von Sünde sein: „ … ein Säufer und ein Schlemmer verarmen, und der Schlummer kleidet in Lumpen“ (Spr 23,21). Schmutzige Kleider sind ein Symbol für Schuld:

„Nehmt ihm die schmutzigen Kleider ab! Und zu ihm sprach er: Siehe, ich habe deine Schuld von dir weggenommen und bekleide dich mit Feierkleidern“ (Sach 3,4b).

Nur mit Hochzeitskleid darf man in den Himmel (Mt 22,12).

Der Braut des Lammes „wurde gegeben, dass sie sich kleide in feine Leinwand, glänzend rein; denn die feine Leinwand sind die gerechten Taten der Heiligen“ (Offb. 19,8; vgl. auch V. 14).

Lumpen sind als vergehende und verdorbene Kleidung weder ewigkeits- noch himmelstauglich. Damit sind die ja verfallenden, vergänglichen und schmutzigen Lumpen kein passendes Symbol für das ewige und reine Wort Gottes. Darüber redet die Schrift so:

„Auf ewig, o Herr, steht dein Wort fest im Himmel“ (Ps 119,89).

„Das Wort unseres Gottes besteht in Ewigkeit“ (Jes 40,8b).

„Die Worte des Herrn sind reine Worte“ (Ps 12, 7a).

Der Ver­gleich, dass Gott durch die Bibel rette wie Jeremia durch Lumpen hochgezogen wurde, wird zu einem raffinierten Wolf-im-Schafspelz-System. Der Schafspelz eines Rettungshandelns soll den Wolf der Ermöglichung von Bibelkritik bedecken.

Die Rettung Jeremias durch alte Lum­pen war eine diesseitige, körperliche Angelegenheit, während die Rettung durch die Bibel eine geistliche Angelegenheit ist. Deshalb muss die Bibel rein, ewig und himmelstauglich sein. Entsprechend gilt: „Das Gesetz des Herrn ist vollkommen“ (Ps 19,8a). Daher ist die Behauptung, die Beschaffenheit der Bibel sei zweitrangig, ein Irrtum.

Knechtsgestalt

Schließlich findet als hermeneutischer Schlüssel auch die Rede von der „Niedrigkeit“ und der „Knechtsgestalt“ der Bibel Verwen­dung. Nun heißt es in Philipper 2 von Jesus Christus, dass er in der Gestalt Gottes war, doch Knechtsgestalt annahm und sich selbst erniedrigte und schließlich von Gott erhoben wurde.

Es gibt tatsächlich eine Parallele von Jesus und der Bibel. So wie Jesus aus dem Himmel kam, erniedrigt und erhöht wurde, so ist die Bibel von Gott inspiriert, von Menschen geschrieben und wird am Ende ihre Wahrheit erweisen.

In welcher Hinsicht aber ist die Bibel „niedrig“? Helge Dirks schreibt zu Recht: Gott gibt „seine Botschaft in menschliche Sprache hinein und lässt diese ganz und gar seine Worte sein.“ Doch dann heißt es:

„Diese Worte bleiben ganz menschliche Sprache und Schrift, daher enthalten sie auch viele Ungereimtheiten und Rätsel, viele begrenzte und anstößige Inhalte.“

„Ungereimt­hei­ten“? Versteht hier nicht eher ein die Bibel unter­schätzendes, irrendes Denken sich Reimendes zu unrecht als Un­ge­reimtheiten?

Nicht das ewige, unausschöpfliche Wort Gottes hat begrenzte Inhalte, sondern begrenzt ist unsere Erkenntnis!

„Begrenzte Inhalte“? Nicht das ewige, unausschöpfliche Wort Gottes hat begrenzte Inhalte, sondern begrenzt ist unsere Erkenntnis!

„Anstößige Inhalte“? Wenn damit gemeint ist, dass Gottes Handeln oder sein Wille teilweise anstößig sei, dann gilt: Das heilige Wort Gottes hat für denjenigen anstößige Inhalte, der von gottwidrigen Positionen her denkt oder der sich in ethischer Hinsicht irrt.

H. Dirks schreibt weiter:

„Genau so, in dieser Gestalt sind sie Gottes zuverlässige und hoheitsvolle Heilsbotschaft und bedürfen keiner weiteren Auslese, Bereinigung und Korrektur“.14

Die Formulierung „bedürfen keiner weiteren … Bereinigung und Korrektur“ setzt voraus, dass die Bibel begrenzt korrigiert werden muss.

Sollte es doch anders gemeint sein, scheinen sich die Sätze zu widersprechen: Ungereimtheiten sollen keiner Korrektur bedürfen?

Ist die Deklarierung von Inhalten als anstößig und begrenzt nicht schon Auslese? Dabei ist die Bibel nicht nur ho­heits­volle Heilsbotschaft, auch ihre Aussagen zu Unheil, Natur und Geschichte sind hoheitsvoll!

Recht verstandene Niedrigkeit

Aber die Frage, in welcher Hinsicht die Bibel „niedrig“ sei, soll nun beantwortet werden. Ihre „Niedrigkeit“ besteht nicht darin, dass sie Irrtümer enthielte, sondern darin,

  • dass sie nicht aus übernatürlicher, unzerstörbarer Himmelsmaterie, sondern aus zerstörbaren irdischen Materialien besteht;
  • dass sie von Menschen mit unterschiedlichem Schreib­stil zu unterschiedlichen Zeiten geschrieben ist;
  • dass Gott ihren Inhalt so gestaltet hat, dass er keinen Erkenntniszwang ausübt, die Göttlichkeit und Wahrheit der Bibel gänzlich anzuerkennen;
  • dass die Bibel nicht immer Be­gründungen gibt, wenn ihre Aussagen den Vorstellungen vieler Menschen widersprechen;
  • dass eine vollständige Beweisbarkeit der Wahrheit der Bibel uns nicht gegeben ist;
  • dass Gott nicht mit sofortigem Gericht antwortet, wenn die Bibel missachtet, kritisiert, umgedeutet, verboten oder verbrannt wird.

Die Niedrigkeit der Bibel besteht nicht darin, dass sie Irrtümer enthält, sondern z.B. darin, dass sie keinen Zwang ausübt, ihre Göttlichkeit anzuerkennen.

Warum beinhaltet die „Niedrigkeit“ der Bibel keine Irrtümer? Weil die Bibel zugleich immer auch hoheitlich ist. Über Gott heißt es: „Der Fels: vollkommen ist sein Tun“ (5Mo 32,4a). Das schließt das Geschenk der Bibel an uns ein. „Das Gesetz des HERRN ist vollkommen und erquickt die Seele; das Zeugnis des HERRN ist zuverlässig und macht den Einfältigen weise“ (Ps 19,8).

„Denn alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch Gottes vollkommen sei …“ (2Tim 3,16.17a).

Ein Mensch kann durch die Heilige Schrift nicht zur Vollkommenheit geführt werden, wenn sie nicht selbst vollkommen ist.

Gott spricht: „ … auf den will ich blicken, der zerschlagenen Geistes ist und der da zittert vor meinem Wort“ (Jes 66,2b; vgl. auch V. 5).

Zerschlagenen Geistes sein und Zittern sind also notwendige Voraus­setzungen, der Bibel sachgerecht zu begegnen. Wer zerschlagenen Geistes ist und zittert vor dem Wort Gottes, wird die Idee, die Bibel enthalte Ungereimtheiten, begrenzte und anstößige Inhalte, verwerfen.

Der zuletzt genannte Schlüssel ­– „Niedrigkeit“ der Bibel – wird, wenn nicht sachgerecht verstanden, leicht zu Ungunsten der Bibel missverstanden. Vielleicht wäre es besser, von Verhüllung zu reden. Gottes Offenbarungshandeln ist keine Totaloffenbarung, sondern beinhaltet Verhül­lungsstrukturen. So wie das Gottsein Jesu Christi durch sein Menschsein teilweise verhüllt wurde, so wird die Göttlichkeit der Bibel teilweise verhüllt durch ihr Menschenwortsein.

Gott wollte Christus- und Bibel­­glaube. Eine Totaloffenbarung würde Glaube verunmöglichen und zur Aner­ken­nung des Gött­lichen zwingen. Wenn dennoch die „Niedrigkeit“ der Bibel ausgesagt wird, ist es dringlich, ihre gleichzeitige und vollständige Hoheit zu verdeutlichen.

Fazit

Zusammenfassend: Die hermeneutischen Schlüssel, die das Handeln Gottes im Hinblick auf die Bibel zur Darstellung bringen sollen, haben im Hintergrund – ausgesprochen oder nicht – meist Bibelkritik oder die Ermöglichung von Bibelkritik.

Obwohl die hermeneutischen Schlüssel alle der Bibel selbst entnommen sind, können sie „gemäßigte“ Bibelkritik pseudobiblisch plausibilisieren und führen zu einer niedrigen Bibelsicht.

Diese Schlüssel sind alle der Bibel selbst entnommen, werden aber oft nicht bibeltreu interpretiert, sondern im Wider­spruch zur Lehre der Bibel über sich selbst. So können sie „gemäßigte“ Bibelkritik pseudobiblisch plausibilisieren und führen zu einer niedrigen Bibelsicht.

Solcher Missbrauch von Bibelstellen, verbunden mit der Aus­blendung anderer relevanter Bibel­stel­len, ist eine raffinierte Strategie, die Ermöglichung von Bibelkritik fromm zu verschleiern. Und will der Hinweis auf Zinzendorf nicht die Auffassung stärken, man könne Bibelkritiker sein und trotzdem ein vorbildlicher Christ?

Statt zwischen den Mühlsteinen der („gemäßigten“) Bibelkritik zerrieben zu werden, wäre es besser, auch hinsichtlich des Bibelverständnisses ganz in die Nachfolge Jesu Christi einzutreten.


  1. Peter Zimmerling: „Disponiert zum Fröhlichsein“, in : ichthys 26/1, 2010, S. 52f 

  2. a.a.O., S. 63. 

  3. a.a.O., S. 55. 

  4. a.a.O., 52-55. 

  5. vgl. Zinzendorf: 21 Diskurse über die Augsburger Konfession, 21748, S. 205f, abgedruckt in: ders., Hauptschriften Bd. 6, zit. nach Zimmerling: a.a.O., S. 54. 

  6. Zimmerling, a.a.O., S. 54. 

  7. Johannes Brakensiek, „Rezension von ‚Jesus, die Evangelien und der christliche Glaube‘ in: ichthys 27/2, 2011, S. 271. 

  8. Peter Beyerhaus u. a.: Die Goslar-Botschaft der IKBG: Das Kreuz Christi — Mitte des Heils, DIAKRISIS 2012, Sonderausgabe, S. 8. 

  9. Ingo Broer: „Das Schriftverständnis bei christlichen Fundamentalisten“, in: Thomas Mayer u. Karl-Heinz Vanheiden (Hg.): a.a.O., S. 101. Bibeltreue Christen als „Fundamentalisten“ zu bezeichnen, halte ich für diffamierend und diskriminierend. 

  10. „seite eins“, ichthys 28/1, 2012: S. 1. 

  11. Udo Zansinger, „Warum offenbart sich Gott schriftlich?“, in: ichthys 30/2, 2014, S. 25. 

  12. David Keller: Ein Plädoyer für die historisch-kritische Exegese, in: ichthys 29/2, 2013, S. 182. Augenscheinlich wird die Bibel hier nicht als Offenbarung verstanden, sondern nur als Zeugnis der geschichtlichen Offenbarung. 

  13. Helge Dirks, „Hamann zwischen Ortho­doxie und Aufklärung. Die Bibel in Johann Georg Hamanns Leben und Denken“ Teil 2, in: ichthys 28/2, 2012, S. 147. Die Bibel als ewige Wahrheit ist allerdings nicht schwach! Sie wird nie durch irgendwelche Wahrheitskonzeptionen überlastet. Sie wird sich am Ende gegenüber aller Infragestellung durchsetzen.
    Viele der ichthys-Leser sind Theo­logie­­studentinnen und -studenten, die in ein Pfarramt innerhalb der EKD streben. In der EKD wird aber völlige Bibelgläubigkeit und Bibeltreue scharf abgelehnt. Mit den hermeneutischen Schlüsseln meint mancher vielleicht, einen biblischen Weg gefunden zu haben, die Irrtumslosigkeit der Bibel nicht bekennen zu müssen und so in der Landeskirche geduldet zu werden. Welche Tragik! Und die pietistischen Stu­dien­häuser scheinen mir auch keine ausreichende Hilfe gegen die Bibelkritik zu bieten. Das Sein in der Landeskirche wird geistlich und geistig nicht bewältigt. 

  14. Dirks, a.a.O. S. 165.