Es ist schon erstaunlich, dass neben Adam Krafft auch Martin Bucer (ursprünglich „Butzer“) zu den Reformatoren Hessens gezählt werden muss. Adam Krafft war ein Mann Hessens, 1493 in Fulda geboren und seit dem 15. August 1525 Hofprediger des Landgrafen Philipp des Großmütigen. Martin Bucer aber stammte aus Schlettstedt im Elsaß, wo er am 11. November 1491 geboren wurde, und war die meiste Zeit in Straßburg tätig. Adam Krafft hat seine Kraft bis zu seinem Tod 1558 in Marburg in der Neuorganisation der Kirche Hessens im evangelischen Sinn eingesetzt. Dagegen ist das Auftreten Martin Bucers in Hessen nur vereinzelt und kurzzeitig, aber doch von bleibender Wirkung gewesen, was vor allem auf seine Gespräche mit den so genannten Täufern zurückgeht und die daraufhin verfasste „Ziegenhainer Zuchtordnung“.
Bucer findet zum Glauben
Schon mit 16 Jahren war Martin Bucer 1507 ins Dominikanerkloster eingetreten.1 Das hatte vor allem finanzielle Gründe, denn sein Vater konnte sich als Küfer keine Schulausbildung für den klugen Sohn leisten. „Die Verzweiflung macht einen Mönch“, sagt Bucer später darüber. Ab 1517 kommt er in das Dominikanerkloster nach Heidelberg. Er liest zu dieser Zeit schon die kirchenkritischen und teilweise spöttischen Schriften von Erasmus von Rotterdam. Aber die entscheidende Wende seines Lebens erfährt er, als ein Jahr später Martin Luther seine Lehre bei der Heidelberger Disputation darlegt.
Eigentlich hatte die römische Kirche mit dieser vom Augustinerkloster veranstalteten Diskussion gehofft, die Kritik Luthers am Ablasshandel kanalisieren zu können. Aber Luther sprach nur nebenbei über den Ablasshandel. Er war schon weiter und so handelten seine Diskussionsthesen von der Sünde, den Werken des Menschen, der freien Gnade Gottes und der Hoffnung auf das Evangelium von Jesus Christus.
These XVI. Ein Mensch, der glaubt, er wolle dadurch zur Gnade gelangen, dass er tut, was in seinen Kräften steht, tut zu seiner alten Sünde neue hinzu und wird dadurch doppelt schuldig.
These XVIII. Es steht fest, dass ein Mensch alle Hoffnung auf sich selbst aufgeben muss, um geeignet zu sein, die Gnade Christi zu erlangen.
These XXV. Nicht, wer viel Werke tut, ist gerecht, sondern wer ohne Werk viel an Christus glaubt2 .
Martin Bucer wird ganz für die Gedanken von Luther eingenommen und findet zum Glauben an Christus. Als er bald selber anfängt, von der Rettung allein aus Gnade aufgrund des Glaubens an Christus zu predigen, wird er als Ketzer angeklagt. Er flieht aus dem Kloster nach Speyer und beantragt mit Hilfe eines Freundes in Rom, die Erlaubnis zum Austritt aus dem Kloster zu erhalten und als „Weltpriester“ anerkannt zu werden. Das wird ihm schließlich auch gewährt.
Als Martin Bucer anfängt, von der Rettung allein aus Gnade aufgrund des Glaubens an Jesus Christus zu predigen, wird er als Ketzer angeklagt.
Er wird zwischenzeitlich Sekretär des Ritters Franz von Sickingen und geht Ende 1522 als Prediger nach Weißenburg im Elsaß. Er heiratet als einer der ersten ehemaligen Mönche die frühere Nonne Elisabeth Silbereisen. Weil seine Aussagen inzwischen kompromisslos reformatorisch sind, wird er hier von Mönchen angeklagt und vom Bischof zu Speyer aus der römischen Kirche exkommuniziert.
Ende April 1523 flieht er mit seiner schwangeren Frau nach Straßburg, wo er fortan fast seines ganzes Leben wohnen wird. Die dortigen reformatorisch Denkenden nehmen ihn gern auf. Knapp ein Jahr später erhält er das Bürgerrecht und die Bürgerschaft wählt ihn zu ihrem Pfarrer. Er bleibt bis zu seiner Flucht 1549 nach England Pfarrer, Superintendent und Dekan in Straßburg. Sein Freund Wolfgang Capito sagt 1534 über ihn: „Bucer ist der Bischof unserer Kirche“3 .
Bucer wird zum gefragten Vermittler
Martin Bucer hat nun sowohl in Straßburg als auch von dort aus in vielen deutschen Städten gewirkt, zahlreiche Kirchenordnungen verfasst und sich besonders als geschickter Vermittler hervorgetan, ohne dabei die evangelischen Positionen zu verleugnen. Er war 1529 Teilnehmer beim Marburger Religionsgespräch und bemühte sich nach dem Scheitern noch lange Zeit weiter um eine Verständigung in der Abendmahlsfrage. Mit seiner Losung „Auf dass sie alle eins seien“ mühte er sich für die Einheit der Reformation und gegen die Spaltung in Reformierte und Lutheraner. Er suchte aber auch die Einheit mit anderen Gruppen, wenn er sie nur als Brüder erkennen konnte.
So wirkte Bucer an der Reformation in Ulm, Memmingen, Biberach und Augsburg mit. Später versuchte er zusammen mit Philipp Melanchthon die Reformation in Köln zu unterstützen. Der dortige Kurfürst hatte um seine Hilfe gebeten, bis Kaiser Karl V. alle Reformationsbemühungen unterband. Für Hessen wird sein Wirken entscheidend, als Landgraf Philipp ihn 1538 bittet, bei der Lösung der Täuferfrage mitzuwirken. Einen Briefwechsel und Beratungen durch Bucer hatte es seit 1529 regelmäßig gegeben.
Die Täufer der Reformationszeit
Die Täufer der Reformationszeit waren keine einheitliche Gruppe, auch wenn Martin Luther sie immer so behandelte. Unter ihnen waren zwar auch schwärmerische Sekten, die mit der Reformation den Anbruch eines 1000jährigen Friedensreichs Jesu auf Erden erwarteten. Zu einer solch schwärmerischen Bewegung hatte sich die Reformation in Münster entwickelt. Nach dem erfolglosen militärischen Eingreifen des katholischen Bischofs übernahmen die Täufer von 1533 bis 1535 die Macht in Münster und erklärten die Stadt zum neuen Jerusalem unter der Herrschaft des Königs Jan van Leiden. Bei der Belagerung und Aushungerung der Stadt waren katholische Truppen ebenso beteiligt wie Soldaten des hessischen Landgrafen Philipp.
Offenbar kehrte er aber von dort mit der Einsicht zurück, dass nicht alle Anliegen der Täuferbewegung falsch waren und eine gewaltsame Bekämpfung nicht dem neuen Glauben entsprach. Er schrieb 1536:
„Nun achten wir, dass wir nicht recht daran täten, wenn wir jemand des Glaubens halber töteten, also dass wir ihn wollen zwingen, dass er dieses oder jenes Glaubens sein sollte“.
Die meisten Täufer hatten mit der Reformation die Hoffnung verbunden, dass eine Kirche der Glaubenden entstehen würde, in der wiedergeborene Christen versuchten, nach urchristlichen biblischen Maßstäben zu leben. Dabei lehnten sie auch die Taufe von Säuglingen ab; einige, weil sie diese Praxis für unbiblisch hielten und eine Taufe ohne vorhergehenden Glauben als ungültig ansahen, andere mehr, weil damit aus ihrer Sicht eine Volkskirche begründet wurde, die ohne Zucht und Glauben lebte. Sie wurden deswegen hart verfolgt und auch von den Reformatoren als Schwärmer bekämpft.
Philipp der Großmütige will die Täufer anhören
Luther empfahl dem Landgrafen Philipp von Hessen dringend, die Täufer einfach auszuweisen. Er solle sich keine Gedanken darüber machen, dass sie dann an anderen Orten ihre Lehren verbreiteten. Philipp der Großmütige hielt diese Maßnahme nicht für angemessen, es sei denn, die täuferischen Ideen wären mit Aufruhr verbunden.
Er sah aber, dass weder mit Gewalt noch mit Ausweisung das Problem gelöst werden konnte. Sein Kanzler Johann Feige klagte dem Landgrafen: „So ist es schrecklich, irer [der Täufer] meret sich täglich“. Daran hatte auch eine von Adam Krafft verfasste „Ordnung, die Wiedertäufer betreffend“ nichts ändern können. Nach ihr konnten die Täufer, zu denen sich nach Schätzungen in Hessen fast die Hälfte der Evangelischen zählte, nach Befragung und Umkehr ohne Bestrafung in die Kirche zurückkehren. Viele versuchten ihre Überzeugung wegen der Drohungen heimlich weiter zu leben. Erst bei mehrfachem Rückfall und fehlender Bereitschaft zur Umkehr war die Ausweisung aus dem Land die Folge. Im übrigen Reichsgebiet gab es deutlich härtere Strafen bis zum Tod.
Was die Täufer eigentlich wollten und lehrten, verfassten fünf hessische Führer in eigenen Programmen, die zusammen mit zahlreichen Verhörprotokollen erhalten geblieben sind4 .
Die meisten Täufer hatten mit der Reformation die Hoffung verbunden, dass eine Kirche der Glaubenden entstehen würde.
Eines zieht sich durch alle Aufzeichnungen: die Täufer sind mit der Reformation bis dahin nicht zufrieden. Sie wollen eine Gemeinde der Glaubenden und keine Staatskirche. Nur wer sich zum Glauben an Jesus Christus bekennt, soll auch zur Kirche gehören, am Abendmahl teilnehmen und mitentscheiden können. Dass daraus auch die Ablehnung der Taufe von Kindern folgt, ist naheliegend, war aber für manche nicht zwingend. Da die römisch-katholische Kirche gar nicht als Kirche anerkannt wird, hält man auch ihre Taufe für nichtig.
Verdächtigen wurde ein Fragekatalog vorgelegt, der deutlich macht, dass Kirche und Staat auch den Aufruhr fürchteten. Bis 1535 gehörte die Frage „Ist der Aufstand der Bauern göttlich oder ungöttlich gewesen?“ dazu. Danach wurde auch nach dem „Königreich in Münster“ gefragt und nach der Haltung dazu. Aber auch „Wer sind die Mordbrenner im Land?“ Auch wollte man wissen, ob jemand seine eigene Glaubensüberzeugung lebte oder eine eventuell aufrührerische Gruppe dahinter stand.
Wenn nach den Glaubensüberzeugungen gefragt wurde, waren die Antworten durchaus nicht immer biblisch oder dem Evangelium gemäß, das durch die evangelischen Prediger verbreitet wurde.
Frage: Worin werden wir selig?
Antwort: Im Leiden und Tun, wie Christus getan!
Frage: Wie ist es mit der Stellvertretung Christi?
Anwort: Das Leiden Christi ist für uns weder nützlich noch dienlich gewesen. Christus hat den Tod für sich und nicht für uns gelitten5 .
Ein Pfarrer wird abgesetzt
Von 1535 bis 1538 wirkte in Homberg/Efze ein Pfarrer namens Wendelinus Engel, der deswegen verdächtigt wurde, er habe vielleicht einen „Wiedertäufer im Herzen“, weil er ein eifriger Prediger war, der die Homberger zur Umkehr rief. Er nahm kein Blatt vor den Mund und rief von der Kanzel:
Kaiser, Könige und Fürsten lügen und betrügen, feiern Feste und Turniere anstatt ihre Untertanen anzuhören. Sie nehmen mehr an Steuern und Abgaben. Sie sind des Teufels, Bösewichter und Strauchdiebe. Der Schultheiß, d.h. der Finanzbeamte und Amtsrichter der Stadt, und die Stadträte sind keine wahren Christen. Es gibt nur ein Häuflein von Gläubigen.
Pfarrer, die zu deutlich zur Umkehr und einem christlichen Lebenswandel riefen, mussten die Absetzung und Ausweisung fürchten.
Als er angeklagt wird und insgesamt 29 Zeugen auftreten, bestätigt sich nicht nur sein tadelloser Lebenswandel. Er hat auch niemals zum Aufruhr aufgerufen, sondern nur ein Christentum gepredigt, wie es wohl von Anfang der Christenheit gefordert war. Trotzdem wird Pfarrer Engel abgesetzt. Und ähnlich erging es auch anderen Pfarrern in der Umgebung, wenn sie zu deutlich zu Umkehr und christlichem Lebenswandel ermahnten.
In dieser Zeit um 1537 wird nur ein Täufer in Homberg angeklagt. Andere ließen sich von der eifrigen Predigt des Pfarrer Engel überzeugen. Auch Hen Spitz sagte nach einem Verhör ab. Nur dass er drei Monate später erneut absagen muss. Was dem Täufer Hen Spitz zur Last gelegt wurde, lässt sich aus den Verhörakten ersehen. Er habe die Kindertaufe verachtet, aufrührerische Wiedertäufer beherbergt. Entweder sei er nicht zum Gottesdienst gegangen oder er habe die Predigt gestört, indem er öffentlich Bedenken gegen die vorgetragene Auslegung vorgebracht habe. Außerdem stand in Zweifel, ob er sich am Kriegsdienst beteiligen werde6 .
Martin Bucer als Vermittler in Hessen
Martin Bucer kam auf Bitte des Landgrafen Philipp 1538 nach Marburg und besuchte einige Führer der Täufer, die dort im Gefängnis saßen. Unter ihnen war Jörg Schnabel, der sich zu den Melchioriten zählte. Da auch die Münsteraner Täufer dieser Gruppe zuzurechnen waren, sah man eine gewisse Gefahr. Melchior Hoffman hatte anfangs auch der lutherischen Reformation nahegestanden, war dann aber seinen eigenen Weg gegangen, in dessen Mittelpunkt die Ankündigung des baldigen Kommens Christi stand, auf das man sich durch persönliche Reinigung und Glaubenstaufe vorbereiten müsse. Er saß zu dieser Zeit in Straßburg im Gefängnis, aber hatte viele Anhänger, zu denen eben auch Jörg Schnabel aus Hessen gehörte. Das Gespräch mit ihm wurde von einem Sekretär mit Namen Valentin Breul in Verhörprotokollen festgehalten („Was der Bucerus mit den Wiedertäufern in Marburg disputiert hat“)7 .
Bucers brüderliches Gespräch mit den Täufern
Jörg Schnabel, als Führer der Täufer, wird zum Sprecher mehrerer Gefangener. Er war, nachdem er sich von der katholischen Lehre abgewandt hatte, eine Zeit lang Mitarbeiter in einer Gemeinde, störte sich dann aber daran, dass der Kirchenbann nicht ausgeführt wurde und man mit Luthers Spruch: „Eine rechte christliche Kirche ist mir nicht möglich aufzurichten, weil mir die Personen mangeln.“ zu viele Kompromisse einging, so dass er bezweifelte, dass man bei den jetzt entstandenen evangelischen Gemeinden überhaupt von Kirche sprechen sollte.
Bucer sah die Täufer als Brüder an und wollte von ihnen lernen. Martin Luther misstraute seinen Einigungsbemühungen, nannte ihn ein „Plappermaul“ und einen „Schlingel“.
Martin Bucer behandelte die Täufer als Brüder im Glauben und betonte in allen Gesprächen das Brüderliche. Er wollte eine echte Diskussion und die Argumente hören und kein Verhör machen. Er wehrte sich auch dagegen, dass man ihm vorhielt, die Täufer seien Gefangene der Kirche. Sie seien vielmehr Gefangene der Obrigkeit, weil diese Aufruhr befürchten müsse.
Jörg Schnabel begert zu wissen, ob zu Aldendorf8) die Kirch sei, davon Mt 18 geschrieben stehet.
Bucer: Wo man christlich leret, ist eine kirche, hier zu Marpurgk, zu Aldendorf und im ganzen Lande zu Hessen erpeut man sich desselben. Ist aber unkraut darunder, das muss man gedulden bis zur ernde, es sei dan, das es also herfurbreche, das mans mit nutze und one nachteil des weizens konde usrotten, wilchs aber alwegen nach der vilgemelten Christi ordenung gescheen soll.
Jörg Schnabel fragt, wan nun das Wort da ist und nit die kraft, ob er nu noch die Kirche zu Aldendorf vor solche kirche halte? Er wolle sie bezeugen, das sie wider das Wort gehandelt und getan haben.
Bucer: Das wollen wir horen, und zeigt den mangel an.
Es stellte sich schnell heraus, dass viele Täufer in Hessen sich besonders an der fehlenden Kirchenzucht stießen und den Finger auf die Wunde eines zügellosen Lebens unter dem Deckmantel des evangelischen Glaubens legten. Martin Bucer war allerdings der Überzeugung, dass das niemanden dazu berechtigt, die Kirche einfach zu verlassen. Solange die Kirche, welche Fehler sie auch hat, noch als Kirche Christi angesehen werden muss, gibt es für einen Christen kein Recht, sich von ihr zu trennen. Für ihn war Häresie nicht allein diese oder jene falsche Lehre, sondern auch die Meinung, ein besserer Christ sein zu wollen und zu können, indem man sich von den anderen absondert.
Häresie ist gar nit die oder jene fantasy oder meinung, sondern eyn sucht des fleisches, auß deren sich eins yn scheyn an ler oder leben etwas bessers dann der gemeynen kirchen gottlicher brauch ist furzunemen anmasset und deshalb von der kirchen söndert und yn eyn besondere rott oder sect begibet.
Er belehrt auch die Täufer:
Die christliche lere, die wir vor dem keiser bekent, wissen wir in gotlichem Wort gegrundet; und alle Kinder gottes sind schuldig, mit uns solche lere gemeinschaft zu haben unangesehen ob gleich etliche erfunden werden, die ubel leben.
Dann fordert er sie auf, sich an der Kirchenzucht zu beteiligen, die für Bucer ein wichtiges Kennzeichen der Kirche ist:
Es seind zweierlei leute, gut und bose, und mussen sich alwege die guten in der Gemeinschaft des herren zusamen tun und den bosen auch mit teglicher leer und zucht bessern.
Die Kirche soll von den Forderungen der Täufer lernen
Bucer hält einige Forderungen der Täufer heilsam für die ganze Kirche. Er kommt ihnen soweit entgegen, dass er verspricht, alle Kritikpunkte, die mit der Heiligen Schrift übereinstimmen, konsequent anzugehen. In diesem Sinn schrieb Bucer am 2. November 1538 nach viertägigen Gesprächen auch an den Landgrafen:
Die ansichtigste einrede dieser leut ist alle daher, das wir leider so ubel haushalten, und mit diesem argument verfuren sie vil leut. Der Herr wölle uns helfen, das wir einmal diss argument den teufern und paepstleren wol uflosten, ja unserm eignen gewissen und dem herren.
Martin Bucer verfasst daraufhin die Ziegenhainer9 Zuchtordnung10 , die am 25. November 1538 beschlossen und Anfang 1539 in Kraft gesetzt wird. Mitunterzeichner waren Adam Krafft, Tilemann Schnabel als Superintendent in Alsfeld, Johannes Kimeus, der inzwischen Superintendent von Homberg geworden war, und andere.
Die Ziegenhainer Zuchtordnung
Die Ordnung bestimmte, dass zusammen mit den Predigern Älteste die Gemeinde leiten sollen. Es sollen „aus jeder Gemeinde, welche die verständigsten, bescheidensten und eifrigsten im Herrn und auch bei der Gemeinde die bestvertrautesten und wohlangesehensten sind“ zu Ältesten eingesetzt werden. Sie tragen Verantwortung für die Lehre und Seelsorge der Gemeinde.
Die als Kinder Getauften sollen erst unterrichtet werden und sich dann öffentlich zu ihrem Glauben erklären. Nur so werden sie vollwertige Mitglieder der Gemeinde. Auch hier nimmt Bucer eine Kritik der Täufer auf, die mehrheitlich die Taufe von Kindern ablehnten, weil sie eben die Predigt nicht so verstehen könnten, dass sie selber Buße tun. Ohne Buße aber sollte es auch keine Taufe geben.
Schließlich wird nach der Ordnung von Matthäus 18 ein Verfahren eingeführt, mit dem bei Verbreitung falscher Lehre, Gotteslästerung, Unversöhnlichkeit in Gemeinde oder Familie, Unzucht, Betrug oder Verbrechen der Einzelne ermahnt wird. Und wenn er sich nicht bessert, vom Abendmahl und schließlich aus der Gemeinde ausgeschlossen wird. Allen aber, die bereit sind, Hilfe anzunehmen, soll durch Seelsorge geholfen werden.
Die Rückkehr der Täufer in ihre Gemeinden
Einige der Täufer kehrten daraufhin in ihre Gemeinden zurück. Bis zum 11. Dezember 1538 entschlossen sich mindestens 9 der gefangenen Täufer zu diesem Schritt und wurden mit großer Freude in ihren Heimatstädten aufgenommen.
Da sie auch ein Bekenntnis verfasst haben, kann man davon ausgehen, dass sie nicht allein aus Druck oder Angst um ihre Familien zurückkehrten.
Die Mitte ihrer Widerrufe liegt in der Feststellung des gemeinsamen Glaubens an Christus. Dann aber versprachen sie auch Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, solange sie nicht gegen Gottes Willen und ihr Gewissen handeln müssten.
„Gott weiß, dass wir dieses Bekenntnis in Einfalt des Herzens, ohne Arglist und ohne Ränke und ohne falsche Auslegung in aller Niedrigkeit und Gottesfurcht geschrieben haben, trachtend nach gemeinem Frieden und vieler Menschen Besserung, zu ihrem und unserem ewigen Heil“11 .
Das tiefere Anliegen der Täufer, eine Gemeindekirche ins Leben zu rufen, in der die Glaubenden Gemeinschaft lebten, blieb unerfüllt.
Die Ordnung wurde aber nur sehr vorsichtig eingeführt. Das Ältestenamt im Sinne einer gemeinsamen Gemeindeleitung durch reife Christen und die Konfirmation setzten sich durch, die Kirchenzucht aber kaum oder nur in Form der „Abendmahlsvermahnung“, was dazu führte, dass man in Hessen nur noch einmal jährlich getrennt nach jung und alt an einer Abendmahlsfeier teilnahm. Die Vermahnung fand noch lange am Samstagabend vor dem Abendmahlsgottesdienst in Form eines Bußgottesdienstes statt12 . Das tiefere Anliegen der Täufer, mit dem Martin Bucer weitgehend und Martin Luther zum Teil übereingestimmt hatten, dass es nämlich zu einer Gemeindekirche kommt, wie sie später in vielen Freikirchen verwirklicht wurde, blieb allerdings unerfüllt.
Bucer sucht weiter die Einheit
Martin Bucer bemühte sich auch weiterhin um die Einheit der Christen und ist zum Beispiel federführend in den Gesprächen und Verhandlungen in Hagenau, Worms und Regensburg. Nach Verlust des so genannten Schmalkaldischen Krieges 1546/47 unterzeichnete 1548 nicht nur Landgraf Philipp das „Augsburger Interim“, das die Fürsten zur weitgehenden Rückführung der evangelischen Reformation verpflichtete, sondern ebenso auch der Rat der Stadt Straßburg. Martin Bucer wurde jetzt zum Führer der Widerstandspartei gegen diese Maßnahmen. Er konnte und wollte sich auf die Kompromisse nicht einlassen, die einer Verleugnung des evangelischen Glaubens gleichkamen. Darum wird er am 1.3.1549 schließlich vom Magistrat beurlaubt, „bis Gottes Gnade gebe, dass es besser würde“. Bucer wurde daraufhin von Melanchthon nach Wittenberg und von Calvin nach Genf gerufen, aber er entschied sich, einen Ruf des Erzbischofs Thomas Cranmer nach Cambridge anzunehmen. Er konnte dort bis zu seinem Tod am 28.2.1551 nur noch wenig für die Reformation Englands wirken. Trotzdem stand er in hohem Ansehen, weil es ihm gelang, in einer Stimmung von bitterer Polemik mit Gelehrsamkeit und verbindenden Bemühungen zu wirken.
Als einer, der zugleich den Ausgleich und die Einheit der Christen suchte, aber trotzdem keine Abstriche am biblischen Glauben machte, trafen seinen Leichnam die Maßnahmen der Königin Maria I. Tudor (auch genannt Bloody Mary) gegen die Evangelischen. Seine Knochen wurden 1557 ausgegraben, auf einem Scheiterhausfen verbrannt und die Asche in die Themse gestreut.
Zum Leben Bucers siehe die Biografie von Martin Greschat, Martin Bucer: ein Reformator und seine Zeit, Münster: Aschendorf, 2009. Siehe auch Anwalt der Liebe – Martin Bucer als Theologe und Seelsorger, hg. Thomas Schirrmacher, Jahrbuch des Martin-Bucer-Seminars 1, Bonn, VKW, 2001. ↩
WA 1,355-365. Zitiert nach Martin Luther, Gesammelte Werke Bd.1. ↩
Greschat, Bucer, S. 144. ↩
Viele hier vorgetragene Details entstammen der gründlichen Forschung von Hans Götz an den Quellen. Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte, Bd. IV: Wiedertäuferakten 1527-1626. Siehe Hans Götz, „Die Reform der Reformation: Beiträge zur Geschichte des Täufertums im nördlichen Hessen“, in Die Homberger Synode von 1526: die Reformation in Hessen, Homberg 2001: S. 86-112. ↩
Götz, a.a.O. 89. ↩
Götz, a.a.O. 92-93. ↩
Das vollständige Protokoll kann aus dem Internet heruntergeladen werden. http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/pdf/deu/Doc.50-GER-MartinBucer_ge.pdf ↩
Heimatort von Jörg Schnabel – das heutige Allendorf (Lumda ↩
Ziegenhain war eine kleine Stadt mit einer Garnison an der Straßenkreuzung zwischen Alsfeld, Marburg und Homberg. ↩
Der dokumentierte Text dieser Kirchenordnung kann aus dem Internet geladen werden: http://www.ekkw.de/ziegenhain/media_ziegenhain/Ziegenhainer_Kirchenzuchtordnung.pdf ↩
zitiert nach Götz, Reform der Reformation S.109. ↩
vgl. Artikel „Agende“ TRE Bd.1, 26ff. ↩