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Traurig und trotzdem allezeit freudig

Es gehört zur Grundstimmung des christlichen Lebens, dass einerseits die traurige Realität dieser Welt und des eigenen Lebens nicht ausgeblendet wird und andererseits der Blick auf die Schönheit göttlicher Gaben und der Erlösung bestimmend bleibt. Der Christ kann so freudig betrübt sein, mit den Fröhlichen lachen und mit den Weinenden weinen.

Was ich den wahren „christlichen Hedonismus1 nenne, ist eine Lebensweise, die in der Überzeugung wurzelt, dass Gott am meisten in uns verherrlicht wird, wenn wir in Ihm ganz zufrieden sind. Die Auswirkungen dieser Überzeugung sind umfassend und aufregend, einschließlich der erstaunlichen Wahrheit, dass alle wahren Tugenden und alle wirkliche Anbetung notwendig das Streben nach Freude in Gott einschließen.

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Der Grund dafür liegt darin, dass jede wahre Tugend und jede echte Anbetung die Absicht einschließt, Gott zu ehren. Denn wir sind dazu geschaffen, Gott zu ehren (Jes 43,7), und Paulus sagt (1Kor 10,31b): „Alles, was ihr tut, tut alles zur Ehre Gottes“. Es wäre also Sünde, irgendeine gute Tat tun zu wollen oder irgendeinen Akt von Anbetung auszuführen, ohne dabei die Absicht zu haben, Gott zu ehren.

Aber Gott wird nicht geehrt, wenn Er uns weniger erfreut als irgendwelche andere Dinge. Er wird dabei herabgesetzt. Mit diesem Wissen kann es uns nicht mehr gleichgültig sein, ob wir uns bei irgendeinem Tun an Gott erfreuen oder nicht. Bei jedem Tun, wenn wir damit wirklich Gott ehren wollten, muss es uns darum gehen, uns mehr an Ihm zu erfreuen als an irgend etwas anderem.

» Gott würde herabgesetzt, wenn wir uns an IHM weniger freuen, als an irgend etwas anderem in unserem Leben.

Wenn Jesus sagt (Apg 20,35): „Auf dem Geben liegt mehr Segen als auf dem Nehmen.“, kann er nicht meinen, dass wir diese Tatsache beim Geben missachten dürfen. Tatsächlich sagt Paulus im Zusammenhang mit diesem Zitat von Jesus, dass wir „an die Worte denken“ sollen, wenn wir geben. Der Wunsch im Geben gesegnet zu werden, wäre nur selbstsüchtig und berechnend, wenn der Segen, den wir uns wünschen, nicht Gott selbst wäre und wir nicht die Absicht hätten, andere mit in diese Freude zu ziehen durch unser Geben.

Ein geliebter Satz

Aber all das kommt noch nicht an die Ethik – das Gefühl, den Geist, die Stimmung, den Klang – eines christlichen Hedonismus heran. Der biblische Satz, den ich mehr als jeden anderen benutze, um diesen Klang zu erfassen, ist aus 2Kor 6,10: „… als Traurige, die sich doch allezeit freuen“. Allerdings habe ich ihn selten kommentiert oder erklärt. Ich will das hier kurz tun.

In 2Kor 6,3-10 will Paulus zeigen, dass er niemandem Stolpersteine in den Weg legt durch seine Lebensweise. Vielmehr zeigt er sich selbst so wahrhaftig wie er kann, indem er 30 Arten von Erfahrungen benennt.

Unter diesen 30 ist auch „traurig, aber allezeit freudig“. Es taucht unter mehreren ähnlichen Paaren auf (2Kor 6,8b-10): „… als Verführer verdächtigt und doch wahrhaftig, als Verkannte und Anerkannte, als Sterbende, die doch leben, als misshandelt und nicht getötet, als Traurige, die sich doch allezeit freuen, als Arme, die viele reich machen, als solche, die nichts haben und doch alles besitzen.“

Was stimmt für Paulus?

Ich wurde einmal gefragt, warum ich das „traurig“ in der Liste für wahr in bezug auf Paulus halte, während in dieser Liste doch auch Ausdrücke stehen, die nicht für ihn gelten und dann richtig gestellt werden, z.B. „als Verführer verdächtigt und doch wahrhaftig“. Kann es sein, dass Paulus nur traurig aussah, aber es in Wirklichkeit gar nicht war? Tatsächlich wäre er immer freudig gewesen.

» Freude ist die ernsthafte Beschäftigung des Himmels.

Der Grund dafür, dass ich nicht denke, dass es das ist, was Paulus meint, liegt darin, dass Paulus in seiner Liste von Paaren von falsch und wahr (z.B. als Verführer und doch wahrhaftig) zu Paaren schwenkt, bei denen beides wahr ist (z.B. als Arme, die viele reich machen). In der Art wie Paulus denkt, sind diese Bezeichnungen im Hinblick auf ihn wahr: Unbekannt, sterbend, misshandelt, traurig, arm, nichts habend. Am Anfang von Vers 9 schwenkt er von falschen Behauptungen, die durch wahre korrigiert werden, zu einer Liste von Paaren, in denen beide wahr sind, aber eine Art Paradox bilden: unbekannt/bekannt, sterbend/lebend, misshandelt/nicht getötet, traurig/freudig, arm/bereichernd. Ja, Paulus meint wirklich, dass er traurig ist. Im Hinblick auf Röm 9,2-3 ist das auch keine Überraschung: „Mein Herz ist von tiefer Traurigkeit erfüllt und es quält mich unablässig, wenn ich an die Angehörigen meines Volkes denke“: Unablässige Traurigkeit und Kummer; wirklich erstaunlich!

Wenn das für den großen Apostel der Freude gilt, wie viel mehr ist es für uns wahr?! Auch unser Leben ist gekennzeichnet von andauernder Traurigkeit und Freude. Wenn das nicht der Fall ist, dann lieben wir wohl verlorene Menschen nicht so, wie es Paulus tat.

Ernste Freude

Die Ethik eines christlichen Hedonismus ist also keine Freude oder ein Glücklichsein, das locker flockig, oberflächlich, witzig, spöttisch, belanglos, dümmlich oder komisch ist. Christlicher Hedonismus kann von Lachen überwältig sein, aber das hat wenig mit dieser beherrschenden Leichtsinnigkeit zu tun, die keinen Platz für ernste Freude hat.

C.S.Lewis schreibt in seinen Letters to Malcolm (dt. Du fragst mich wie ich bete, Johannes-Verlag 1978):

„Freude ist die ernsthafte Beschäftigung des Himmels“.

Ja, Amen. Und er schrieb in seinen Christian Reflections (dt. Gedankengänge, Brunnen 1986):

„Wir müssen spielen. Aber unsere Heiterkeit muss von der Art sein (und das ist auch die heiterste Art), die zwischen Menschen besteht, die einander von Anfang an ernst nehmen – ohne Abschätzigkeit, ohne Überheblichkeit, ohne Unterstellungen.“

Man kann ein liebevolles Herz haben, das sich mit den Fröhlichen freut und mit den Weinenden weint – und das beides zugleich. Mal wird das eine sichtbar und mal das andere. Aber immer gibt das eine dem anderen den Geschmack. Du kannst diesen besonderen Geschmack solcher Freude und solcher Traurigkeit schmecken.

Übersetzung und Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Ligonier Ministries


  1. Hedonismus bezeichnet eigentlich eine griechische Philosophie, in der die Freude und die Vermeidung von Leid zum Maßstab dafür wird, was richtig oder falsch ist und wertvoll ist. Sie geht auf den Philosophen Aristippos zurück, der von 435 bis ca. 355 v.Chr. lebte. Hedonismus ist vom griechischen Wort für Freude (hedone) abgeleitet, das auch im NT verwendet wird.