ThemenEhe und Familie, Zeitgeist und Bibel

Echte Freiheit in wahrer Bindung – Betrifft: Ehe und Scheidung

Ehe und damit auch die Familie werden durch die gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskussionen und Entwicklungen erheblich angegriffen. Staat und Gesellschaft ist aber offenbar nicht bewusst, was sie mit der Zerstörung des Eheverständnisses anrichten. Es geht nicht nur um eine „Reform“, weil offenbar nicht klar ist, was eigentlich reformiert werden soll. Wer aber das Wesen von Ehe und Familie verkennt, der wird nur Schaden anrichten. Sich auf die Ehe als Gottes Schöpfung zu besinnen, ist für Christen angesichts dessen sehr ermutigend und wegweisend.

Es steht uns gut an, in Zeiten von freier Wahl des Geschlechts und Aushöhlung der Ehe, einige Argumente von anno dazumal vor Augen gehalten zu bekommen.

Vor langer Zeit lebte einst ein drei Zentner schwerer Literat, der sich vorzüglich auf schweres Essen und guten Wein verstand. Er konnte nicht nur gut zeichnen, er besaß auch eine seltene Gabe zum Disputieren, eine schnelle Feder für Essays und verfasste darüber hinaus Dutzende von Büchern in verschiedenen Stilrichtungen. Dieser Mann verehrte seine Frau Frances abgöttisch (anscheinend derart, dass bei einem Hotelbesuch die Sittenpolizei benachrichtigt wurde – eine solche Aufmerksamkeit könne nur einer Geliebten zukommen). Er wandte sich ebenso entschieden gegen die Auswüchse des Sozialismus wie die des Kapitalismus. Er vertrat die nationalökonomische Position des Distribu­tio­nis­mus, die vor allem eine zentrale Überlegung ent­hielt: Nicht der Staat, sondern die Bürger sollten die Produktionsmittel besitzen. Erst wer an seiner Scholle klebe und wessen Patriotismus richtig entflamme, der sei ein rechter Bürger und dieses Staatswesen könne als gefestigt gelten.

Mit 44 Jahren publizierte dieser Mann 1918 eine Artikelserie, zwei Jahre später ein Pamphlet1 zur Scheidung unter dem Titel The Superstition of Divorce.

Es mag uns wohl an­stehen, in Zeiten der freien Wahl sexueller Identität uns einige Argumente von anno dazumal vor Augen zu halten. Übrigens ging der Autor nicht in erster Linie von seiner katholischen Position aus, sondern zog naturrechtliche Überlegungen heran. Das bedeutet, dass er Prinzipien, die allen Menschen und Zeiten geläufig waren, für die Beantwortung der Familien- und Sexualethik herbeizog.

Diese Rückführung auf das Einende ist besonders wichtig in einer Zeit, in der die Unterschiedlichkeit bis zur Absurdität überbetont wird. Es geht also weder um soziokulturelle Unterschiede noch um unterschiedliche Rasse, Hautfarbe, Charakter oder Zeitalter. Es geht darum, dass zwei Menschen sich zu einer Einheit verbinden und aus dieser Einheit Kinder hervorgehen. Natürlich mag gleich jemand einwenden: Das ist doch heute auch dank Reagenzglas und Leihmutter auf alternativem Weg möglich. Das Experimentieren mit dem Fortbestehen der menschlichen Spezies ist jedoch von älterem Datum. Damals stand die Eugenik – Steuerung von Gesundheits- und Bevölkerungspolitik durch Auswahl positiv bewerteter Erbanlagen – schon auf der Agenda der Reformer und einige Jahre später im Politbuch der an die Macht gelangten Nationalsozialisten.

Keine Reform ohne Referenz auf die Form

Zunächst einmal: „Es ist vergeblich von Reformen zu sprechen, ohne auf die dahinterliegende Form Bezug zu nehmen.” So beginnt das Pamphlet. Dieser Bezug ist eminent wichtig, denn mit der Formulierung „das ist heute Benchmark” (= Normalzustand) wird so manche ethische Frage gleich vom Tisch gewischt. Aus dem Ist-Zustand wird das Soll abgeleitet. Das heißt nichts anderes als: Was ist, widerspiegelt den neusten Stand der Entwicklung. Die weltanschauliche Maxime dahinter besagt, dass der frühere Entwicklungs­stand als prinzipiell minderwertiger anzusehen ist. Fortschritt an sich kann nicht ohne diese Bewertung in den Raum gestellt werden.

Heute wird ein früherer Standpunkt oft als prinzipiell minderwertig und überholt angesehen. Das „Fortschrittliche“ soll immer das Beste sein.

Wenn aber die Frage gestellt wird: Was ist der Ausgangspunkt? Was sind die Indikatoren für die Verbesserung? Wohin geht die Reise? fällt die plumpe Behauptung, dass das Heute das Beste, weil Fortschritt­lichste sei, unmittelbar dahin. So ähnlich könne man sich ein Haus vorstellen, das nur aus Fenstern, aber nicht mehr aus den (stützenden) Wänden besteht. Nur dank einem dahinter stehenden Gerüst lassen sich überhaupt Fenster einsetzen. Es ist aber aus der Mode gekommen, über dieses Gerüst zu sprechen. Ob das eine Folge des „wissenschaftlichen“ Jahrhunderts ist? Man hat sich angewöhnt, naturalistische Denkmuster auf ethische Fragestellungen anzuwenden, ohne sich der nicht hinterfragbaren Überlegungen – dem Gerüst eben – bewusst zu werden.

Woher kommt die Idee der Ehe?

Woher die Ehe stammt? Unnötige Frage? „Natürlich war das eine Zwischenstufe der menschlichen Entwicklung. Sie hat sich durch eine bestimmte bürgerliche Machtkonstellation gefestigt und ausgeprägt.“ So könnte man beispielsweise argumentieren und so wird es auch oft (mit herzlichem Gruß von Marx).

Gilbert Keith Chesterton (1874-1936), so heißt unser Autor, antwortet schlicht: „Sie ist eine mystische Idee.“ Mit „mystisch“ ist nun nicht die Verzückung eines Menschen gemeint, dem in einem Augenblick eine Idee durch den Kopf geistert, die sich dann verbreitet und in einem Kulturraum festsetzt. Nein, sie entstammt den Gedanken und dem Plan eines Schöpfers, dessen Größe in jeder Hinsicht den menschlichen Verstand übersteigt. Man mag hier an die Dreieinigkeit denken, die Ursprung jeder Form von Gemeinschaft ist und in der Ehe von Mann, Frau und Kind ein irdisches Abbild erhält. Diese Idee gründet sich nicht auf ein Konzept, das von menschlicher Beobachtung alleine abgeleitet ist und sozusagen als erste Hypothese gilt. Vielmehr ist sie direkt auf göttliche Offenbarung zurückzuführen.

Hat man sich einmal auf diese Voraus­setzung geeinigt, kann man gelassen und getrost in alle Zeitalter, Kulturen, Rassen blicken und feststellen: Schon die Ägypter und Babylonier kannten dieses „Modell“. Es bewährt sich bis heute. Und es wird die normative Vorgabe der Menschen bleiben.

Wer sich von Gottes normativem Modell von Ehe und Familie lossagt, den treffen im Hier und Jetzt die negativen Konsequenzen.

Hier bringe ich wieder Chesterton ins Spiel: Er meinte, dass die Moderne es sich zum Sport gemacht habe, das Normative zur Ausnahme zu erklären und die Ausnahme zur Normalität zu küren. Diese Umkehr hat anarchistische Tendenzen. Hier wiederum können wir nach knapp einem Jahrhundert getrost viele Studien hinzuziehen: Außerhalb des Rahmens von Ehe und Familie, so wie es in der Bibel vorgesehen ist, sinkt die menschliche Lebensqualität in jeder Hinsicht. Man kann Krankheiten, Bildungsstand, finanzielle Konsequenzen nehmen – es bleibt bei der Metabotschaft: Wer sich von Gottes normativem Modell lossagt, den treffen im Hier und Jetzt Konsequenzen. Also kein Fortschritt, sondern Niedergang.

Wahre Freiheit schließt die Freiheit zur wahren Bindung ein

Wir fürchten uns in der heutigen Zeit vor Bindungen. Wir bevorzugen kurzfristige Abmachungen und flüchten uns in befristete Verträge. Dies meine ich nicht nur auf Konsum oder Arbeit bezogen. Dieselbe Mentalität hat sich längst innerhalb mensch­licher Beziehungen ausgebreitet. Manche Gesprächspartner schrecken vor verbindlichen Zusagen zurück. Wer weiß, wenn die Laune wieder wechselt? „Wir haben uns getrennt, weil wir nicht mehr verliebt waren.“ „Wir haben uns auseinander gelebt.“ Dies würde Chesterton als falsche Romantik bezeichnen. Wahre Romantik stellt sich aber der Realität und erblüht erst darin.

In einem Zeitalter der Verträge kann man die Bindungsdauer und bisweilen auch die Kosten bestimmen (z. B. erkennbar an solch banalen Formulierungen wie „Wir führen beide getrennte Kassen.“). Die emotionalen Vorteile werden gegen die Nachteile abgewogen. Überwiegen letztere, ist man zur Auflösung bzw. Beendigung des Vertrages berechtigt.

Der ursprüngliche Sinn der Ehe wurde entleert und durch emotionale Rituale ersetzt, die keine Bindungskraft besitzen.

Hier fragt Chesterton, ob die Schei­dungs­reformer seiner Zeit denn überhaupt gewusst hätten, was sie auflösten. Mit anderen Worten: Ob sie sich überhaupt bewusst gewesen waren, was überhaupt eine Ehe sei. Er argumentiert aus einer gesellschaftlichen und nicht theologischen Optik (deren Kurzform lauten würde: Eine Ehe wird vor Gott geschlossen und widerspiegelt die Verbindung zwischen Christus und seiner Gemeinde). Wie stark die ursprüngliche Absicht bzw. die wahre Natur der Ehe in den Hintergrund verdrängt worden ist, zeigt sich am Pomp des dazu gehörenden Rituals. Um einen emotionalen Payback zu erzielen, wird tüchtig in die Tasche gegriffen: Heirat ganz in Weiß (klassisch), Helikopterflug, Fall­­­schirm­sprung, Gebirgs­ma­ra­thon sind schon fast zu normal. Das heißt, die Zere­monie wird verfeinert, während das dahinter stehende Prinzip verblasst.

Zusammengefasst bedeutet dies: Bin­dung entsteht durch Lust plus gegenseitiger Zustimmung. Diese hält so lange, wie die Lust anhält oder das Bewusstsein von Folgekosten droht. Die Bindung tritt rituell dann in eine nächste Stufe, wenn eine Heirat anberaumt wird. Man könnte ebenso technisch von „eingetragener Partnerschaft“ sprechen. Die eingegangene Verpflichtung besteht keinesfalls auf Lebzeiten (Darum verzichten manche gerne auf die Formel „bis dass der Tod uns scheidet“). Es handelt sich vielmehr um eine Vertrags­ver­längerung. Im Hinterkopf wird jedoch die Möglichkeit des Absprungs einkalkuliert. Gehen wir zurück zu Chesterton: Er sagt dazu, dass ein solches Verständnis gar nie zur Erkenntnis von Kern und Wesen wirklicher Bindung durchgedrungen ist. In diesem Verständnis sei kaum ein fahler Nachgeschmack davon übrig geblieben.

Der äußere Druck auf die Institution Ehe

Als Gesellschaftskritiker wies Chesterton immer wieder auf die dramatischen Folgen der Industrialisierung im damaligen England für die ärmeren Be­völ­kerungsschichten hin. Die Versklavung durch die Arbeit, die Höhe der Lebens­hal­tungs­kosten und die eingeschränkten Möglichkeiten der Bildung verstärkte den Druck auf diese Gruppen. Während die Idee von einer begrenzten vertraglichen Bindung als Ehe zuerst eher von den wohlhabenderen Kreisen gelebt wurde, wollte man sie demokratisieren. Das einzige Schlupfloch, durch das man einen knapp bemittelten Bürger schlüpfen ließ, war das Schlupfloch noch größerer Not.

Tatsächlich zeigen heutige Studien, dass die Folgekosten einer Scheidung oft hoch sind, emotional wie finanziell gesehen, insbesondere auch für die nächste Generation. Zwar wollen uns einzelne Forscher – wie Remo Largo mit „Glückliche Scheidungskinder“ – weismachen, dass das Glück der nächsten Generation nicht abspenstig werde. Doch fragt sich, ob hier die Ausnahme nicht wiederum zur Regel erhoben wird.

Was verstärkt heute den Druck auf die Institution Ehe? Von der romantischen Überhöhung fern von Realität habe ich bereits gesprochen. Ich glaube sogar, dass er in den Gesellschaften des Wohlstands eine Zuspitzung erfährt. Psychologen werden hier von „Perfektionismus“ sprechen. Wenn der Begriff „Sünde“ in Ehe und Familie abgeschafft wird, bleibt ein Erklärungs- bzw. Verortungsbedarf. Man braucht eine Erklärung für das Scheitern.

Christliche Paartherapeuten mögen von „Gebrochenheit“ reden. Doch was dieser Begriff semantisch beinhaltet – nämlich den unübersehbaren Schaden durch den Ehe-Bruch–, wird inhaltlich anders gedeutet. Gott sei ein Gott der nächsten Chance. Also auf zum nächsten Vertrag? Ja, wird nicht sogar die Gottesbeziehung als eine Art vertragliche Vereinbarung auf (Wohlfühl-)Zeit verstanden? Falls sich diese verflüchtigen sollte, darf man sich auf den Weg zu besseren Ufern machen. Schuldzuweisungen sind so alt wie die Menschheit selbst. Schon Adam schob Eva die Schuld zu. Und diese gab sie flott weiter.

Ich beschränke mich hier auf diesen begrifflichen Aspekt und versteige mich nicht in eine familienpolitische Standpauke. Dass Familien und gerade größere Familien keinen bevorzugten Status genießen, ist ohnehin klar.

Kein Staat und keine Wirtschaft ohne Familie

Etwas wird viel zu wenig bedacht, bleibt aber wohl wahr: Die Familie ist nicht dem Staat zu verdanken (der versucht zwar seit Jahrzehnten in die durch Wegschmelzen der ethischen Basis und Zerbrechen der Familien entstehenden Lücken zu springen), sondern Staat und Wirtschaft werden durch die Familie erhalten. Die wohlhabenderen Länder haben diese Lücke statistisch schon längst erkannt. Wir sind sterbende Nationen (so wie theologisch-liberale Kirchen eine aussterbende Spezies darstellen). Wir gleichen dies durch Zuzug von ausländischen Arbeitskräften aus.

Staat und Wirtschaft werden durch Familien erhalten. Das weiß eigentlich jeder trotz aktueller Gehirnwäsche.

Dieser Text soll jedoch nicht zum Jammerort werden – im Gegenteil. Eine Familie ist etwas Geniales. Sie basiert auf der göttlichen Idee. Zwar ist ihre Existenz durch die Sünde akut gefährdet. Gottes Ge­gen­­spieler agiert bevor­zugt gegen die Ein­heit von Mann und Frau und die Loyalität der Ge­ne­rationen. Er weiß, wie er auf lange Frist den größten Scha­den anrichten kann. Dem zum Trotz wollen heute fast alle Heranwachsenden heiraten und Kinder haben! Der marxistischen Gehirnwäsche zum Trotz hält sich das erste Modell. Glück und Geborgenheit, ja eine Prise Anarchie (nach Chesterton) bleiben der Familie vorbehalten. Nur wer sich bindet, kann also wahrhaft Freiheit erleben. Die Familie ist die Voraussetzung für das Fortbestehen jedes Dorfes und jeder Stadt. Selbst wer sie abschaffen will, hat doch einen Vater und eine Mutter, auch wenn er diese nicht einmal kennen mag. Dieses Abgeschnittensein hat übrigens ernstliche emotionale Konsequenzen, darüber ist man sich heute einig.

Was würde Chesterton einem jungen Menschen raten?

Entdecke die Romantik der Realität. Gehe eine Bindung auf Lebzeiten ein. Ich füge hinzu: Warte nicht zu lange damit. Was muss ein Mensch noch alles erlebt haben, bevor er diese Bindung eingehen kann? Die Vervielfachung der Optionen hat kein größeres Glück zur Folge, ebenso wenig die Anwendung des Vertrags­ge­dan­kens auf die engste menschliche Bindung über­haupt! Als fünffacher Vater freue ich mich auf den Moment, an dem ich den ersten Enkel in den Arm nehmen kann. Diese Freude ist trans-generational, trans-kulturell und trans-national. Ich lasse sie mir von keinem Gehilfen neumodischer Ideologien rauben, selbst wenn dieser im christlichen Gewand auftritt.


  1. Das Wort hatte nicht immer einen so negativen Klang wie heute. Es bedeutete im Englischen lange einfach ein kleines Buch oder Heft, das sich kritisch mit einem Thema beschäftigt. Auch war Polemik früher eine geachtete Art der kritischen Auseinandersetzung.