Im letzten Urlaub lasen wir für unsere Andacht am Morgen und Abend aus verbreiteten aktuellen Andachtsbüchern. Wir machten nach wenigen Tagen die Feststellung, dass jede dieser Andachten darauf hinauslief, dass uns gesagt wurde, was wir Gutes bzw. Christliches tun sollten. Dabei war es egal, ob der einleitende Bibelvers eine Zusage oder eine Ermahnung darstellte, ein Lob Gottes oder eine Klage. Am Ende stand immer eine Aufforderung, irgend etwas Gutes zu tun. Darauf scheint es den Autoren für ein christliches Leben letztlich anzukommen. Aber stimmt das?
Um die Frage ging es auch in der Reformationszeit, als Martin Luther dafür kämpfte, dass sich die Christen wieder daran erinnerten, dass das Neue Testament klar sagt, dass der Mensch vor Gott ohne seine guten Werke gerecht wird, sondern nur durch den Glauben an die Rettung durch das Sterben und Auferstehen von Jesus Christus. Man hielt Luther vor, dass er mit der Rechtfertigung aus Glauben theologisch recht habe, aber praktisch würde das dazu führen, dass die Menschen ein zügelloses Leben gegen Gottes Gebote führten. Besser wäre es, ihnen zu sagen, dass man das mit der Rettung nicht so genau wissen könne. Jeder solle sich anstrengen und so gut wie möglich leben, damit er ewiges Leben erhalten kann. Luther hat dagegen gehalten und wurde auch wegen seiner Lehre über die guten Werke aus der römisch-katholischen Kirche verbannt. Was er in dieser Auseinandersetzung aus der Bibel herausgearbeitet hat, bleibt wegweisend.
1. Gut ist nur, was aus dem Glauben kommt
Luther hatte natürlich nichts dagegen, dass die Menschen ein gutes Leben führen. Er hat es vielfach für jede Ebene gefordert. Sowohl persönlich, als auch in der Familie, im beruflichen Verantwortungsbereich genauso wie in Kirche und Gesellschaft sollen wir tun, was Gott will. Das ist gut vor ihm, für uns und unsere Mitmenschen.
Am Anfang allen guten Handelns steht der Glaube an Jesus Christus und die Errettung durch sein Sterben.
Allerdings muss am Anfang allen guten Handelns der Glaube stehen. Als Jesus gefragt wird, welche Werke der Mensch nach Gottes Willen tun soll, antwortet er (Joh 6,29): „Das ist Gottes Werk, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat.“ Das erste gute Werk ist der Glaube und aus dem Glauben kommen dann alle weiteren guten Werke. Luthers Lieblingsvers war in diesem Zusammenhang Römer 14,23: „Was nicht aus Glauben geschieht, ist Sünde.“ Das heißt, wenn jemand Gutes tut, um damit bei anderen Menschen besser dazustehen, ist es nicht gut vor Gott. Gutes zum eigenen Vorteil zu tun, ist im strengen Sinn nicht gut. Vor Gott ist es sogar Sünde. Der Glaube muss am Anfang stehen. Er ist der Wurzelboden jeder wirklich guten Tat.
Für Gott gilt nichts als ganz und allein sein lieber Sohn Jesus Christus, der ist ganz rein und heilig vor ihm. Wo er ist, da sieht er hin und hat sein Wohlgefallen an ihm. Nun wird der Sohn nicht durch Werke, sondern allein durch den Glauben, ohne alle Werke, ergriffen und im Herzen gefasst. Dann spricht Gott: Dieses Herz ist heilig um meines Sohnes willen, der darin wohnt durch den Glauben.
Luther: Ohne Glauben ist kein Herz rein, ohne des Herzens Reinigkeit ist kein Werk recht und rein. (WA DB 7,187)
Aber der Glaube ist ein göttliches Werk in uns, das uns verwandelt und aus Gott neu gebiert (Joh 1); und er tötet den alten Adam, macht uns zu ganz anderen Menschen am Herzen, Mut, Sinn und allen Kräften und er bringt den Heiligen Geist mit sich. O, es ist ein lebendiges, geschäftiges, tätiges, mächtiges Ding um den Glauben, so dass es unmöglich ist, dass er nicht ohne Unterlass Gutes wirken sollte. (WA DB 7,11)
2. An und für sich ist noch nichts gut
Diese Betrachtungsweise hat Folgen. Eine Tat ist aus der Sicht des Glaubens nicht mehr an und für sich gut oder schlecht. Wenn zwei Menschen einem Hungernden zu essen geben, dann kann das grundverschieden sein: einmal vielleicht Selbstgerechtigkeit und das andere Mal ein Lob Gottes. Diese Betrachtungsweise, in der der Glaube zum entscheidenden Kriterium wird, hat nicht nur Luther viel Kritik eingebracht. Wie kann etwas, was gut ist und gemäß den Geboten, doch nicht gut vor Gott sein und sogar Sünde? Luther berief sich auf die Gleichnisrede von Jesus: Erst muss der Baum gut sein, dann sind auch seine Früchte gut. Aber an einem schlechten Baum, dem Menschen ohne Glauben, kann nichts Gutes wachsen.
Luther: Für Gott gilt nichts als ganz und allein sein lieber Sohn Jesus Christus, der ist ganz rein und heilig vor ihm. Wo er ist, da sieht er hin und hat sein Wohlgefallen an ihm (Lk 3). Nun wird der Sohn nicht durch Werke, sondern allein durch den Glauben, ohne alle Werke ergriffen und im Herzen gefasst. Dann spricht Gott: Dieses Herz ist heilig um meines Sohnes willen, der darin wohnt durch den Glauben. (WA B 9,407)
3. Eine veränderte Werteskala
Wenn der Glaube an Christus zum entscheidenden Kriterium wird, dann sind auch die scheinbar so hohen frommen Taten nicht mehr prinzipiell höher und besser als unser Handeln im Alltag. Wenn wir alles, was wir tun, im Namen des Herrn Jesus tun sollen (Kol 3,17), dann ist damit die Treue in der alltäglichen weltlichen Arbeit ebenso gemeint, wie das Gebet oder Bibellesen. Wir können am Kochtopf zu Hause genauso viel Gutes tun, wie als Krankenschwester bei Armen in Afrika. Der Glaubende fragt danach, an welchen Platz er berufen ist und tut dort, was ihm vor die Hände kommt. Er braucht keine gute Tat, um vor Gott, sich selbst oder anderen gut zu sein. Das hat alles Jesus Christus am Kreuz für ihn getan. Als Jesus am Spendenkasten im Tempel die großzügigen Geber beobachtet, stellt er fest, dass die kleinste Spende die größte war, weil sie aus Glauben an Gott geschah (Mk 12,41-44). Damit kann die kleine Tat, wie die mickrige Spende der Witwe, viel mehr und größer sein als etwas, worauf man stolz ist und wofür man öffentlich gelobt wird.
Luther: Natürlich gelten der Vernunft solche Werke nichts, dass da einer dem andern in Liebe dient, dass er also einen Irrenden lehrt, einen Niedergeschlagenen tröstet, einen Schwachen aufrichtet, einem Nächsten in irgendeiner Weise Hilfe bringt, eines anderen bäurische Sitten und seine Ungeschicklichkeit erträgt, in der Kirche und im öffentlichen Gemeinwesen mit Gleichmut die Unbequemlichkeiten, die Mühen, die Undankbarkeit der Menschen und ihre Verachtung hinnimmt, mit einer mürrischen Ehefrau, mit einer unleidlichen Familie etc geduldig ist. (WA 40 II 70,33-71,17)
Dagegen sollen zählen: Mit traurigem Gesicht und gesenktem Haupt einhergehen, ehelos bleiben, von Wasser und Brot leben, in der Wüste hausen, schmutzige Kleider tragen und dergleichen […]. So unbegreiflich und unendlich ist die Blindheit der menschlichen Vernunft, dass sie nicht nur in bezug auf den christlichen Glauben, sondern auch das Leben und die guten Werke betreffend, kein richtiges Urteil hat. (WA 40 II 71,22-34)
4. Glauben oder Werke fördern?
Luther hat auch gegen Widerstand unter den eigenen Mitarbeitern eine klare Reihenfolge gesetzt: Es muss das Evangelium gepredigt werden und der Glaube gefördert. Die wirklich guten Werke werden dann aus dem Glauben wachsen. Der Christ lebt von seiner Erlösung durch Christus her und arbeitet sich nicht auf die Erlösung hin. Er braucht Ermahnung und tut das Gute nicht automatisch. Aber die Ermahnung leitet ihn zum Glauben an seinen Erretter Jesus und zum Kreuz und von dort zum christlichen Handeln. Sie appelliert aber nie an seinen eigenen guten Willen. Aus Glauben allein!: Diese Botschaft bleibt offenbar eine Herausforderung.
Luther: Du sprichst: Wie geht es denn zu, dass man dennoch muss gute Werke tun, wo es doch allein am Glauben gelegen ist? Antwort: Wo der Glaube recht ist, kann er nicht ohne gute Werke sein. Genauso wie andersherum, wo Unglaube ist, da kann auch kein gutes Werk sein. Darum, wenn du glaubst, so müssen aus dem Glauben reine gute Werke folgen (WA 12,559).