Die Bewegung der Humanisten steht in der Zeit der Reformation in engem Kontakt zu den Reformatoren. Die meisten Humanisten waren selber scharfe Kritiker der römischen Kirche, ohne jedoch jemals an einen Bruch mit der Kirche zu denken. Das war einfach nicht im Horizont des Denkens und selbst für Martin Luther anfangs weder Ziel noch eine echte Option. Er wollte ebenso wie die Humanisten die Kirche reformieren, die Missstände beseitigen und dann in ihr seinen Dienst tun. Außerhalb der römisch-katholischen Kirche und ohne die Beugung unter den Papst schien keine Rettung möglich zu sein. Das lehrte die Kirche und das war tief ins Bewusstsein eingeprägt.
Martin Luther meinte anfangs selbst, dass, wenn der Papst erst die Verdrehungen in der Kirche in Deutschland kennen würde, er selbst schnellstens Änderungen einführen und für die rechte Predigt des Evangeliums sorgen würde. Es kam anders, und als immer klarer wurde, dass echte Reformation nur gegen Papst und Rom möglich sein kann, mussten sich auch die Humanisten entscheiden. Wollten sie Rom treu bleiben und an Reformen arbeiten oder wollten sie sich der Reformation anschließen, mit der Gefahr, dass sie aus der Kirche ausgestoßen und vielleicht sogar verfolgt werden?
Muth, Erasmus und der Humanismus
Der berühmteste der Humanisten war schon damals Erasmus von Rotterdam (1466/69 – 1536). Wer von ihm auch nur einen Brief erhalten hatte, fühlte sich geadelt und konnte ihn als Ausweis seiner eigenen Geistesgröße vorweisen. Aber es gab zahlreiche andere Humanisten. Unter ihnen war auch Konrad Muth, dessen Weg als typisch für die Humanisten gelten kann, die sich der Reformation nicht anschlossen1.
Konrad Muth wurde am 15. Oktober 1470 in Homberg/Efze geboren. Er stammte aus einer wohlhabenden Patrizierfamilie, verlor aber früh seine Eltern. Daraufhin schickte man ihn auf eine gute Internatsschule nach Deventer in England, wo Erasmus von Rotterdam zu seinen Mitschülern gehörte. Mit 16 Jahren kehrte er zurück nach Deutschland und begann – wie 15 Jahre später Martin Luther – in Erfurt mit dem Studium.
Jeder Student musste damals zuerst ein allgemeines Studium der klassischen Philosophie beginnen. Mit dem ersten Abschluss, dem Baccalaureus, begann er andere Studenten zu unterrichten, während er selber weiter studierte. 1492 erreichte Konrad Muth den Magistergrad. Dann wuchs in ihm der Entschluss, nach Italien zu reisen und in Ferrara, Padua, Florenz, Venedig, Bologna und Rom die berühmtesten Lehrer der damaligen Zeit zu hören. In Italien war zu dieser Zeit ein ganz eigenes Geistesleben – die Renaissance – entstanden, das die Schönheit des Menschen und seine Bildungsfähigkeit in den Mittelpunkt stellte. Nach dem Untergang Konstantinopels im Jahre 1453 waren mit den Flüchtlingen auch viele antike philosophische und theologische Schriften nach Italien gekommen, deren Studium die Kenntnis der alten Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein belebte und viele philosophische Ideen ins Gespräch brachten. Muth promovierte 1498 zum Doctor decretorum und 1501 zum Juris Doctor. Er bildete seine dem Neuplatonismus nahestehende Philosophie und pflegte einen mystischen Glauben.
1502 kehrte er nach Deutschland zurück. Kurze Zeit war er in der landgräflich-hessischen Kanzlei tätig, aber nur um die nächste Gelegenheit abzuwarten, ein Kanonikat in Gotha anzunehmen, denn seine finanziellen Mittel waren verbraucht. Als Domherr hatte er nun volle wirtschaftliche Unabhängigkeit und die Zeit, seine philosophischen Ideen zu pflegen und sich in Briefen und Gesprächen mit den damals berühmten Denkern des Humanismus auszutauschen.
1504 wurde er zwar auch Priester, war aber zugleich der Amtskirche gegenüber kritisch. Seine erste Messe schob er wie Erasmus noch jahrelang auf. In seinem gastlichen Haus aber kamen viele Humanisten zu einem Literaturkreis zusammen. Auch einer der besten Freunde Martin Luthers, Georg Spalatin, gehörte dazu. Der empfiehlt ihn auch dem Erfurter Humanistenkreis.
Konrad Muth hatte inzwischen – wie es damals Mode war – seinen Namen latinisiert. Er nannte sich Mutianus Rufus Conradus, denn in der lateinischen Sprache seien alle guten Wissenschaften enthalten. „Ohne ein gutes Latein ist man ein Barbar“. Durch die kultivierten Sprachen Latein und Griechisch würde der Mensch geformt und vom Bösen abgehalten. Muth wird zum Leiter des später nach ihm benannten Mutianschen Humanistenkreises und bleibt es, bis dieser 1516 von Eobanus Hessus, dem „König der Humanisten“, übernommen wird. Zu diesem Kreis gehörte auch der spätere Anhänger Luthers Ulrich von Hutten (1488-1523).
Konrad Muth besaß offenbar eine außerordentliche Bildung, so dass sich jeder freute, auch nur einen Brief von ihm zu erhalten2. Auch Luther war als Klostervorsteher davon beeindruckt und schrieb 1516:
Dem hochgelehrten und so gütigen Herrn Conrad Mutian, dem Domherrn zu Gotha, dem Doctor der Rechte, das heißt, dem besten Mann. Jesus. Wohlergehen in dem Herrn! Dass ich Deine Freundlichkeit, hochgelehrter und edelster Mutian, weder besucht noch zu mir eingeladen habe, hatte zwei Gründe, einmal die Eile meiner Reise und zugleich der Eifer für das Amt, das mir auferlegt wurde, zum anderen aber meine hohe Meinung von Dir und meine aufrichtige Verehrung für Dich. Denn unsere Freundschaft ist zu jung, als dass ich es gewagt hätte, Dich wahrhaft Erhabenen nicht nur in meinen Augen, sondern auch in Wirklichkeit zu erniedrigen, mich geringen Menschen aufzusuchen.
Aber jetzt muss ich dorthin, wohin ich befohlen und gefordert werde. Dennoch wollte ich Dich nicht ohne Gruß lassen, wenn auch die Scham wegen meiner Unwissenheit und (wie ich es nennen möchte) meiner geringen Beredsamkeit mich dazu bringen wollte. Indessen siegte meine Verehrung zu Dir, und so grüße ich, Martin, Dich, den großen Gelehrten, den Mann erlesenster Bildung, ich, ein Bauer wie jener Corydon3, ein Barbar, der immer gewohnt ist, unter Gänsen zu schnattern. Aber ich weiß, ich bin des gewiss und setze voraus, dass Du, Mutian, das Herz höher schätzt als Sprache und Feder. Mein Herz ist gebildet genug, da es Dir gegenüber rechte Freundschaft empfindet.
Sei besonders gegrüßt in dem Herrn Jesus und gedenke meiner. Aus unserem Kloster zu Gotha, 29. Mai 1516. Bruder Martin Luther, Distriktsvikar4
Muth war ein bedeutender Geist und wurde wahrscheinlich nur wegen seiner Zurückgezogenheit nicht so berühmt wie Erasmus von Rotterdam, der neben der Bildung auch ein öffentlichkeitswirksames Auftreten besaß. Konrad Muth hat im Gegensatz zu Erasmus auch kaum eigene Schriften veröffentlicht. Doch blieben viele seiner Briefe erhalten. Dank seines Stils, den außerordentlichen Kenntnissen der antiken Literatur und seiner philosophischen Tiefe galt er als bedeutender Geist der deutschen Hochrenaissance. Die kleine nordhessische Stadt Homberg rühmte sich noch Jahre nach seinem Tod, einen Brief von Mutian zu besitzen.
Humanisten und Reformation
Die Humanisten seiner Zeit machten sich in mancher Hinsicht um die Reformation verdient, blieben aber letztlich in der Distanz und der römischen Kirche treu. Zu ihren Verdiensten zählt vor allem, dass sie die alten Sprachen wieder zur Geltung brachten und damit auch die Sprachen der Bibel. Luther besaß ab 1519 das von Erasmus herausgegebene griechische Neue Testament und hat seine Bibelübersetzung damit angefertigt. Ebenso verwendete er wahrscheinlich die erste hebräische Grammatik, die von Johannes Reuchlin (1455-1522) verfasst worden war. Er gilt als der erste christliche Hebraist und gehörte auch zum Mutiankreis.
Auch die Kritik an der Amtskirche klang aus ihrem Mund sehr ähnlich. Sie sahen das gleiche Problem wie Luther: Der Mensch kann vor dem gerechten Gott nicht bestehen. Er muss Gott als seinen Richter fürchten, wenn er keine Hilfe aus seinen Sünden findet. Gute Werke, Bußleistungen oder Ablasskäufe, wie sie die römische Kirche anbot, können nicht helfen. Sie verführen nur zu Missbrauch und Geschäftemacherei mit der Sehnsucht des Menschen nach Vergebung. Daraus ergab sich eine Kritik an der Kirche, die sich bei Luther und den Humanisten zum Teil bis aufs Wort glich.
Erasmus schrieb schon 1509 in seinem Büchlein »Das Lob der Torheit«5 in scharfen Worten gegen Theologen, Priester und Mönche. Große Verbreitung fand das Werk mit vielen Zeichnungen von Hans Holbein ab 1515. Dort liest man zum Beispiel über die Mönche:
Kaum weniger glücklich als sie leben die Menschen, die sich fromme Brüder und Klosterleute nennen, wobei der erste Name so falsch ist wie der zweite; denn ein gut Teil von ihnen ist alles andere als fromm, und niemand trifft man so häufig auf allen Straßen und Gassen. Unsagbar kläglich wäre ihr Leben, käme nicht ich – die Torheit – ihnen hundertfach zu Hilfe. Denn während jedermann diese Gesellschaft ins Pfefferland wünscht, ja, eine zufällige Begegnung als übles Vorzeichen ansieht, haben sie selber an sich eine göttliche Freude. Zunächst gilt es ihnen als frömmster Gottesdienst, sich der Wissenschaft so tapfer zu enthalten, dass sie nicht einmal lesen können. Dann glauben sie, den Ohren der Heiligen einen gar herrlichen Schmaus zu bieten, wenn sie ihre abgezählten, aber unverstandenen Psalmverse mit ihren Eselsstimmen in den Kirchen herunterplärren. Manche wissen aus Unsauberkeit und Bettlerpose Kapital zu schlagen und heischen vor den Haustüren mit lautem Muhen ein Stück Brot … Dergestalt, unsauber, unwissend, unflätig, vermeinen diese köstlichen Leute, uns die Apostel wieder vorzuleben.
Die Humanisten aber sahen eine andere Lösung für das Problem als die Reformatoren. Sie meinten, die Furcht vor der Strafe Gottes könne, unterstützt durch die guten Anlagen im Menschen und mit der Hilfe Gottes, doch einen besseren Menschen hervorbringen, der vor Gott bestehen kann. Die Humanisten hatten die großen Leistungen entdeckt, zu denen der Mensch fähig ist. Sie meinten, die könnten – durch rechte Bildung unterstützt – auch zur Rettung bei Gott mithelfen. Die Reformatoren sahen den Menschen grundlegend anders: Er ist so verdorben und unter die Sünde verkauft, dass er sich nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen kann. Nur das Vertrauen auf Jesus Christus kann ihn retten. Nur der Glaube an das Sterben Jesu für uns ist in der Lage, den Zorn Gottes zu stillen. Das aber hat Gott aus freier Gnade selber geschenkt und ist kein Verdienst des Menschen.
Erasmus meinte, dass ein guter Christ vor allem ein guter Mensch sein müsse. Es käme vor allem auf gute Bildung und Taten der Liebe an. Den Mönchen ruft er im Lob der Torheit zu:
Die meisten von ihnen tun sich soviel zugute auf ihre Zeremonien und überlieferten Regeln, die doch nur Menschensatzungen sind, dass sie meinen, ein Himmel allein bedeute zu wenig Lohn für solche Verdienste. Daran jedoch denken sie nicht, dass Christus dereinst über all das hinweggehen und nach der Erfüllung seines eigenen Gebotes fragen wird, nach der Liebe. Da wird nun der eine auf seinen Schmerbauch weisen, das prallvolle Massengrab jeder Art Fische. Der andere schüttet hundert Scheffel Psalmen aus. Der zählt Myriaden Fasttage her …. Der häuft einen Berg von Zeremonien auf – kaum sieben Frachtschiffe könnten ihn abschleppen. Der prahlt, er habe in sechzig Jahren kein Geld angerührt, außer mit doppelten Handschuhen gewappnet. … Der bringt seine Heiserkeit mit, den Lohn ausdauernden Singens, der seine Schlafsucht, ein Geschenk der Einöde, der seine Zunge, die ihm ewiges Schweigen gelähmt hat.
Aber Christus wird dazwischen fahren – sonst nähmen die Prahlereien kein Ende – und wird sprechen: »Was habe ich zu schaffen mit diesem neuen Judengeschlecht? Ein einziges Gebot erkenne ich an als das meine, und von diesem allein höre ich kein Wort. Ich habe zu meiner Zeit vor aller Ohren und ohne die Hülle der Gleichnisse das Erbe meines Vaters versprochen nicht den Kapuzen, nicht dem Plappern, nicht dem Fasten, sondern den Taten der Liebe. Und kein Gefallen finde ich an denen, die an ihren eigenen Werken zu sehr Gefallen finden.
Die Wege trennen sich
Noch 1515 – also vor der Reformation – hatte sich Konrad Muth positiv über Luther geäußert, als er dessen Predigt hörte. Drei Jahre später distanzierte er sich von ihm und wollte mit der Reformation nichts zu tun haben. Er vertrat ein moralisierendes Christsein, konnte es aber selber nicht verwirklichen.
Die Haltung von Erasmus von Rotterdam blieb noch länger in der Schwebe. Luther hatte Georg Spalatin gebeten, auf Erasmus einzuwirken und zu sehen, ob er sich nicht für die Sache der Reformation gewinnen ließ. Luther äußert in einem Brief an Spalatin früh, dass das eigentliche Problem und der Unterschied zwischen ihm und Erasmus darin bestehe, dass der die Möglichkeiten des Menschen, fromm zu leben, zu hoch einschätze. Aber Luther wollte Erasmus und den Humanisten anfangs kein Gegner sein und sie auch nicht als Gegner haben. Er schrieb am 15. Januar 1518 an Spalatin:
Die Anschauungen der anderen Humanisten sind ebenfalls unterschiedlich. Ich möchte nicht wagen, im Blick auf meine geringe Bildung und mein armseliges Wissen von so großen Sachen unter so bedeutenden Fachleuten ein eigenes Urteil zu äußern. Schließlich erhöhe ich bei denen, das heißt allgemein, welche die gründliche Bildung entweder aus Eifer hassen oder aus Trägheit nicht kennen, den Erasmus immer mit den höchsten Lobreden und trete für ihn ein, solange ich kann. Mit allem Fleiß hüte ich mich, nicht gerade das herauszustoßen, worin ich eine abweichende Meinung habe, um die Missgunst gegen ihn nicht noch mit meiner Äußerung zu stärken. Wenn ich jedoch trotz aller Wertschätzung als Theologe und nicht als Philologe urteilen müsste, ist bei Erasmus freilich vieles anzutreffen, was mir zur Erkenntnis Christi sehr ungeeignet erscheint. … Solltest du dieses mein Urteil über Erasmus einem anderen kundtun, dann bedenke, dass du die Pflichten der Freundschaft verletztest. … Daher bleibe Dein Geheimnis, was ich gesagt habe.6
Ein gutes Jahr später schrieb Luther selber seinen ersten Brief an Erasmus. Er lobt Erasmus für seine Bildung und will sich direkt an ihn wenden, weil er durch seine Ablassthesen von 1517 auch bei ihm bekannt geworden sei und Erasmus sich dazu schriftlich (in einer Vorrede zur Wiederauflage einiger Gedichte 1518 bei Johannes Froben in Basel) positiv geäußert hatte. Luther ermutigt ihn, in Anfeindungen standhaft zu bleiben und erinnert an gemeinsame Freunde wie Karlstadt und Melanchthon. Erasmus antwortete auf diesen Brief über ein Jahr später im Mai 1519. Er beteuerte dort und auch sonst, er habe zwar von Luther gehört, aber noch keine Zeit gefunden, sich mit dessen Schriften zu beschäftigen.
Ich habe erklärt, dass Du mir weder ganz unbekannt seiest, dass ich Deine Bücher noch nicht gelesen habe und also nichts billige und nichts verwerfe (Allen 980).
Erasmus wehrte sich dagegen, als Nachfolger oder Parteigänger Luthers zu gelten. Er wollte immer in der Mitte bleiben, wohl auch weil er hoffte, einmal als Vermittler auftreten zu können. Er fürchte aber vielmehr, dass der ganze Streit und vor allem Luthers vehemente Art dabei dazu führen könnte, dass der Sache des Humanismus geschadet würde und die Bekämpfung der Reformation durch Kaiser und Papst schließlich auch zur Bekämpfung der humanistischen Bildung führen könnte. Er schrieb noch 1518:
Ich sehe, dass die Monarchie des Papstes zu Rom, so wie sie jetzt ist, die Pest des Christentums ist … aber ich weiß nicht, ob es nützlich ist, offen an dieses Geschwür zu rühren (Allen 872).
Erasmus will zugleich seinen Lieblingsverleger Froben in Basel davon abhalten, Luthers Schriften zu drucken, weil das ihm und der humanistischen Sache schaden könne. Und er wendet sich auch an den Papst und bittet um Schutz. Er hält den Streit um die Reformation vor allem für einen Zank unter Gelehrten.
Als der Papst 1520 Luther zum Ketzer erklärt, schreibt Erasmus:
Hätte Luther doch nur meinen Rat befolgt und sich seiner feindseligen und aufrührerischen Taten enthalten. … Man wird nicht eher ruhen, bevor man das Sprachstudium und die guten Wissenschaften ganz ausgerottet hat (Allen 1141).
Erasmus selber blieb schwankend, konnte sich auf keine Seite stellen, woran das ganze Dilemma vieler Humanisten gut deutlich wird. An erster Stelle stand letztlich der Mensch mit seinen Möglichkeiten, seiner Bildung, seinem Tun. Die letzte Konsequenz des von Luther wiederentdeckten Evangeliums, das dem Menschen vor Gott alle seine Möglichkeiten bestreitet und die Rettung allein aus der Gnade und dem Handeln Gottes lehrt, wollten viele nicht mitgehen.
Albrecht Dürer schrieb 1521 nach Luthers Untertauchen nach dem Wormser Reichstag in sein Tagebuch:
O Erasmus von Rotterdam, wo willst du bleiben? Höre, du Ritter Christi, reite hervor neben den Herrn Christus, beschütze die Wahrheit, erlange der Märtyrer Krone. Du bist doch sonst nur ein altes Männiken. Ich habe von dir gehört, dass du dir selbst nur noch zwei Jahre gibst, die du noch taugst, etwas zu tun. Dieselben lege wohl an, dem Evangelium und dem wahren christlichen Glauben zu gut.
Aber Erasmus blieb auch schwankend, als ihn die Papsttreuen immer wieder dazu aufriefen, gegen Luther zu schreiben und sich endlich auf ihre Seite zu stellen. Luther hatte die Hoffnung im Blick auf Erasmus da schon aufgegeben. Er schrieb im April 1524 an ihn:
Da wir sehen, dass Dir der Herr weder den Mut noch die Gesinnung verliehen hat, jene Ungeheuer [die Päpste] offen und zuversichtlich gemeinsam mit uns anzugreifen, wagen wir von Dir nicht, zu fordern, was über Dein Maß und Deine Kräfte geht. … Bleibe nun, wenn es dir beliebt, was du immer behauptetest, sein zu wollen: ein bloßer Zuschauer unserer Tragödie (Allen 1443).
Nun aber hatte sich Erasmus entschieden, doch noch gegen Luther die Feder zu spitzen. Er behandelte in seiner Schrift „Vom freien Willen“ 1524 einen Punkt des Glaubens, an dem er den entscheidenden Unterschied sah. Das war nicht das Papsttum und der Zustand der Kirche, sondern das Wesen des Glaubens. Der Glaube musste seiner Ansicht nach mit einem Menschenbild einhergehen, in dem der Mensch selbst mit eigener Entscheidung – wenn auch mit Gottes Unterstützung –, das Gute erst erwählt und es dann auch tut.
Geschätzt hatte Martin Luther bei den Humanisten anfangs, dass sie nicht die Nebensachen seiner Lehre angriffen, sondern sie „packten den Stier bei den Hörnern“. Die eigentliche Frage sei nämlich, ob der Mensch aus eigener Kraft und Antrieb etwas zu seiner Rettung beitragen könnte, was Luther nicht nur in seiner Gegenschrift „Vom unfreien Willen“ heftig bestritt. Luther sagte über Tisch:
„Ich bin mir sicher, dass man nicht automatisch ein gelehrter Christ ist, wenn man gut Griechisch und Hebräisch kann. Es kommt doch etwas ganz anderes dabei heraus, wenn man in der Frage nach dem vollkommenen Leben dem Menschen selbständige Möglichkeiten zuerkennt, oder ganz allein die Gnade betont.“
Später, als sich viele Humanisten so uneinsichtig zeigten, wollte Luther nichts Gutes mehr über Konrad Muth und Erasmus sagen. Er schimpfte sie Genossen Epikurs, die mit ihrer Philosophie Gott die Kraft, Gerechtigkeit und Weisheit rauben wollten. Gott könne es solchen Philosophen nicht recht machen. Sie selber sagten aber auch nichts Gewisses, sondern verunsicherten nur die Menschen: „Gott behüt uns vor solcher Blindheit und lass uns sein göttlich Wort“ (WA TR 3795). Erasmus bezeichnete er schließlich derb als „hohle Nuss“ oder „stinkende Wanze“.
Als die Reformation auch Erfurt und Gotha erreicht, wird es still um Konrad Muth. Viele seiner Anhänger, so z.B. Justus Jonas und Georg Spalatin und sein Nachfolger, der Dichter Eobanus Hessus, gehen zu Martin Luther über. Sie behalten Muth aber trotz der Unterschiede als guten und freundlichen Lehrer in Erinnerung.Am 30. März 1526 – ein halbes Jahr vor der Reformationssynode in seiner Geburtsstadt Homberg – stirbt Konrad Muth im Alter von 55 Jahren in Gotha.
Erasmus veröffentlichte noch 1526 in schwerfälligem Stil, aber ohne neues Argument eine Antwort auf Luthers Buch „Vom unfreien Willen“ unter dem Titel „Hyperaspistes“. Sie fand kaum Widerhall. Seine vereinzelten Bemühungen, doch noch zum Vermittler zwischen dem Papst und Evangelischen zu werden, verliefen letztlich im Sande.
Johan Huizinga fasst in seiner unübertroffenen Biografie7 gut zusammen:
Hier liegt ein Stück von der Tragik im Leben des Erasmus: Er war der Mann, der das Neue und Kommende besser sah als irgend jemand; der sich mit dem Alten überwerfen musste und doch das Neue nicht ergreifen konnte.8
Eine informative Biografie bietet Eckhard Bernstein, Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis in Gotha. Wien: Böhlau, 2014. ↩
Der Briefwechsel des Mutianus. Von Carl Krause. Kassel 1885.; Der Briefwechsel des Conradus Mutianus. Gesammelt und bearbeitet von Karl Gillert. 2 Bde. Halle 1890. ↩
ungebildeter Hirte in einem Gedicht Vergils ↩
zitiert nach Martin Luther, Briefe. übers. u. hg. von G. Wartenberg. Leipzig: Insel, 1984. ↩
zitiert nach der Übersetzung von Emil Major aus dem Gutenberg-Projekt: gutenberg. spiegel.de/buch/das-lob-der-torheit ↩
zitiert nach Luther, Briefe. a.a.O. ↩
Johan Huizinga, Erasmus: eine Biographie, Hamburg: Rowohlt, 1958. Die oben verwendeten Übersetzungen der Zitate aus den Briefen des Erasmus nach diesem Buch. ↩
a.a.O. 241. ↩