ThemenFrage & Antwort

Von wem kaufte Abraham ein Grab?

Frage: Von wem kaufte Abraham das Grab für Sara, vom Hetiter Efron wie 1Mo 23 sagt oder von den Söhnen Hamors wie es in Apg 7,16 heißt?

Im Text Apostelgeschichte 7,16 heißt es, dass Jakob und die Erzväter Israels in dem Grab beerdigt wurden, das Abraham in Sichem von den Söhnen Hamors gekauft hatte. Beweist nicht dieser eindeutige Irrtum, dass die Bibel doch mindestens einen Fehler enthält?

Die Ungereimtheit oder den Wider­spruch entdeckt man im Bibelvers nur, wenn man die alttestamentlichen Abschnitte kennt und vergleicht. Dann aber ist die Sache sehr deutlich und die Frage ist berechtigt, ob sich der Vers nicht am besten damit erklären lässt, dass Lukas ein Gedächtnisfehler unterlaufen ist oder er etwas verwechselt hat. Bei genauer Betrachtung aber zeigt sich, dass die Erklärung mit dem Gedächtnisfehler oder einem Irrtum des Lukas auch nicht gut funktioniert und so kann der Vers wirklich Kopfzerbrechen bereiten. Darum einmal der Reihe nach.

Abraham kaufte eine Begräbnishöhle für seine Frau Sara bei Mamre in der Nähe von Hebron. Der Besitzer des Ackers, auf dem sich die Höhle befand, hieß Efron und wird als Hetiter bezeichnet (1Mo 23). Das Ganze wurde mit einem Vertrag öffentlich bestätigt. Damit besaß Abraham ein erstes vererbbares Stückchen Land in dem Land, das Gott seinem Nachkommen versprochen hatte und das einmal das Land Israel sein sollte. In dieser Höhle von Machpela östlich von Mamre beerdigte Abraham zuerst seine Frau Sara, und später wurde er selber von seinen Söhnen Isaak und Ismael dort bestattet (1Mo 25,9+10).

Auch Jakob kaufte ungefähr 120 Jahre später, wie sein Großvater, nach seiner Versöhnung mit seinem Bruder Esau ein Stück Land, das er den Söhnen von Hamor für 100 Kesita (eine alte Währung) abkaufte. Zu diesen Söhnen gehörte namentlich auch Sichem, der Dina, die Tochter Jakobs, erst vergewaltigte und dann heiraten wollte. Darum töteten Simeon und Levi neben Hamor und Sichem die männlichen Einwohner der Stadt, die nach Sichem benannt war (1Mo 33).

Bei Sichem hatte Abraham, als er zum ersten Mal ins Land Kanaan gezogen war, auch einen Altar gebaut, nachdem ihm Gott erschienen war (1Mo 12,6+7). Wie mit dem Bau des Altars hatte Abraham auch mit dem Kauf der vererbbaren Begräbnisstätte zum Ausdruck gebracht, dass er der Zusage Jahwes glaubte, der werde das Land seinen Nachkommen geben.

Als Isaak starb, wurde er von Jakob und Esau in der Grabhöhle bei Mamre bestattet (1Mo 35,27-29). Auch als Jakob in Ägypten starb, wollte er nicht in Ägypten, sondern im von Gott versprochenen Land beerdigt werden und zwar ausdrücklich in der Höhle, die Abraham gekauft hatte (1Mo 47,29-31). Josef ließ ihn nach seinen Tod aufwendig einbalsamieren, damit er zur Höhle gebracht werden konnte, die Abraham als Begräbnisstätte bei Mamre gekauft hatte (1Mo 50,13). Das geschah dann auch nach einigen Wochen der Trauer. Als schließlich auch Josef starb, hatte er Anweisung gegeben, auch einbalsamiert zu werden. Und eines Tages, wenn Gott sein Volk ins versprochene Land Kanaan bringen würde, dann sollte man seine Mumie bzw. seine Knochen mitnehmen und erst in Kanaan endgültig bestatten. Da sein Vater Jakob ihm das Landstück bei Sichem vererbt hatte, wollte er wohl dort und nicht auch in Machpela bestattet sein (1Mo 48,22; Joh 4,5). Das tat dann Mose auch, denn nach knapp 400 Jahren war die Bitte Josefs noch wach (2Mo 13,19). Den Sarg Josefs führten die Israeliten über 40 Jahre auf ihrer Wüstenwanderung mit sich und bestatteten seine Überreste nach dem Einzug ins versprochene Land Kanaan auf dem Feld bei der Stadt Sichem, das Jakob von den Söhnen Hamors gekauft hatte (Jos 24,32). Das Landstück gehörte jetzt zum Stammesgebiet von Manasse, einem der Söhne Josefs.

Wo und wie die anderen Erzväter beerdigt wurden, darüber sagt das AT nichts. Lukas klingt aber so, als ob sie es alle dem Vorbild von Jakob nachgemacht hätten und auch in Kanaan beerdigt werden wollten. Der Schriftsteller Josephus, der nur wenig später als Lukas schrieb, merkt in einer Notiz an, dass die anderen Erzväter in Hebron beerdigt wurden:

„Auch seine Brüder starben, nachdem sie glücklich gelebt hatten in Ägypten. Deren Leichname brachten nach einiger Zeit ihre Nachkommen und deren Kinder zum Begräbnis nach Hebron; Josephs Gebeine hingegen brachten die Hebräer später, als sie aus Ägypten auswanderten, nach Kanaan: So hatte Joseph es sie schwören lassen“ (Jüdische Altertümer 2,199-200).

Das klingt so, also ob die anderen Erzväter nicht für so lange wie Joseph einbalsamiert waren, sondern wie Jakob in der frühen Zeit des Ägyptenaufenthalts auf dem von Abraham gekauften Gelände beerdigt wurden. Der Überlieferung nach sind aber mit Josef seine Söhne bei Sichem beerdigt.

In den Versen Apostelgeschichte 7,15-16 sind diese Ereignisse so zusammengefasst, dass der Satz unseren modernen Ohren fehlerhaft vorkommen muss. Die Zusammenfassung hat aber den Sinn, eine bestimmte Aussage zu betonen. Betrachten wir die Elberfelder Übersetzung:

„Jakob zog nun nach Ägypten hinab und starb, er und unsere Väter; und sie wurden nach Sichem hinübergebracht und in die Grabstätte gelegt, die Abraham für eine Summe Geld von den Söhnen Hamors in Sichem gekauft hatte“.

Wenn man einen Gedächtnisfehler bei Lukas annehmen wollte, dann müsste man gleich eine ganze Reihe von Fehlern vermuten und zwar solche Fehler, die jedem jüdischen Hörer, der doch die Grabstätten der Väter aus eigener Anschauung kannte, in den Ohren geklingelt haben müssen. Das Grab der Erzväter hatte bereits Herodes groß ausbauen lassen und es war eine Pilgerstätte, deren bauliche Wurzeln noch heute zu erkennen sind. Aber auch jeder Kenner der alttestamentlichen Stellen wird Lukas hier keine „naheliegende Verwechslung“ der Orte Machpela/Hebron und Sichem unterstellen, wie es manche Ausleger tun. Auch eine einfache Verschreibung der Namen kann man kaum annehmen. Es würde eben nichts bringen, den Namen „Abraham“ gegen „Jakob“ auszutauschen. Man hätte ein Problem scheinbar gelöst, aber ein neues geschaffen, denn Jakob und die meisten der Erzväter wurden doch in der Höhle bestattet, die Abraham gekauft hatte, aber Josef und seine Söhne eben in Sichem. Außerdem ist doch die ganze Stephanus­predigt so voller Details aus dem AT, dass man nicht sagen kann, hier habe jemand mit ungenauer Kenntnis der Schriften nur ungefähr die Geschichte zusammengeschrieben.

Dass der Vers in der Textüberlieferung kaum Probleme gemacht hat, deutet darauf hin, dass die meisten Abschreiber kein Problem erkannt haben. Ansonsten könnte man erwarten, dass ein Abschreiber „Verbesserungen“ versucht hätte. Darum meine ich auch, dass man in folgender Richtung denken muss, um eine Lösung für das Problem zu formulieren.

Der Vers, der für uns missverständlich und widersprüchlich klingt, sollte als absichtsvolle starke Zusammenfassung eines vielgestaltigen Prozesses, der sich ja über hunderte Jahre hinzog, verstanden werden.

Es hilft, wenn man den Vers als absichtsvolle starke Zusammenfassung eines vielgestaltigen Prozesses, der sich ja über hunderte Jahre hinzog, liest. Damit haben wir die Aufgabe, sowohl die Art der Zusammenfassung nachzuvollziehen als auch die Absicht in der Predigt von Stephanus zu erkennen, die zu dieser Verkürzung geführt hat. Leider ist das in den meisten Übersetzungen des Verses nicht mehr zu erkennen.

Zuerst einmal würde ich darum nicht, wie es in den meisten Übersetzungen gemacht wird, die beiden ersten Satzteile von Vers 16 als Folge übersetzen, sondern als parallele Glieder:

„Und sie wurden nach Sichem gebracht und sie wurden in das Grab gebracht, das Abraham gekauft hatte“.

Das „und … und“ kann man auch mit „sowohl … als auch“ übersetzen. Das hieße dann:

„Sie [die Väter und von diesen Josef und seine Söhne Manasse und Ephraim] wurden sowohl nach Sichem gebracht als auch wurden sie [nämlich Jakob und die anderen Erzväter] in das Grab gebracht, das Abraham gekauft hatte.“

Wegen der starken Zusammenfassung der Vorgänge finde ich es berechtigt, mit dem letzten Satzteil erst nach einem Punkt wieder zu beginnen. Im griechischen Original gibt es ja keine Satzzeichen, teilweise waren nicht einmal die Wörter durch Leerzeichen getrennt.

„Für den Gegenwert in Geld [wurde gekauft] von den Söhnen Hamors in Sichem.“

Die beiden 120 Jahre auseinanderliegenden Kaufvorgänge sind dann in dem einen von Sichem zusammengefasst. Das hat seinen Grund vielleicht darin, dass Abraham in Sichem auch schon mit dem Altarbau zum Ausdruck gebracht hatte, dass er den Zusagen Gottes auf das versprochene Land vertraut, obwohl er ursprünglich, wie Stephanus betont, „nicht einen Fußbreit“ des Landes besaß (7,5). Dass Stephanus in seiner Predigt aber die Grabstätte bei Sichem betont, liegt vor allem daran, dass das zur seiner Zeit im Gebiet der Samaritaner lag, mit denen die Juden nicht einmal sprechen wollten, um sich mit diesen Götzendienern, die auf dem Berg Garizim einen Ersatztempel gebaut hatten, nicht zu verunreinigen (Joh 4,9; Das Grab Sichem liegt nicht weit von dem Jakobsbrunnen). Stephanus will ihnen aber in seiner Predigt zeigen, dass ihr Tempeldienst in Jerusalem selber Götzendienst ist (7,43+48), weil sie dem wahren Gott nicht gehorchen.

Wenn man also den Vers einmal liest, wie ihn die bibelkundigen ersten Hörer gehört haben, dann geht das so. Dabei halte ich mich erstens nah am griechischen Wortlaut und der Wortfolge und ergänze, was mitklingt, in eckigen Klammern.

„Jakob zog nicht nur hinab nach Ägypten, er beschloss dort auch [sein Leben]. Er selbst genauso wie unsere Stammväter. [Nach ihrem Sterben, das nach und nach über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren geschah] wurden sie [nämlich Josef und seine Söhne] sowohl gebracht nach Sichem als auch gebracht [nämlich Jakob und die anderen Erzväter] in die Grabstätte, die Abraham gekauft hatte. [Diese Gräbstätten wurden gekauft] für den Gegenwert von Geld von den Nachkommen Hamors in Sichem [und von Efron, dem Hetiter, in Hebron].“

Wenn man den Sachverhalt so nachvollzieht, kann man meiner Ansicht nach gut verstehen, dass weder Lukas bei der Niederschrift der Stephanusrede einen Widerspruch sah noch die frühen Leser. Für uns aber ist es mit Mühe verbunden, aber nicht unmöglich, uns in die Gedanken zu vertiefen und den Sinn nachzuvollziehen.