Da drängelt sich jemand durch einen vollbesetzten Bus und tritt mit Absicht den anderen Fahrgästen kräftig auf die Füße. Bevor er durch die hintere Tür aussteigt, ruft er: „Sollte sich jemand von mir verletzt fühlen, bitte ich ihn um Entschuldigung.“ Wenn ich solche und ähnliche Entschuldigungen höre, will ich als guter Christ gern vergeben. Aber zugleich denke ich: Ist das wirklich eine christliche Vergebungsbitte?
Bei der verbreiteten Bitte um Vergebung fallen seltsame Formen auf: Da ist die Vergebungsbitte, die sich mit guten Absichten rechtfertigt: „Ich wollte nicht betrügen, ich wollte immer nur das Beste.“ Der Bittende kommt sich weniger schuldig vor, weil er doch Gutes wollte. „Ich hatte nie die Absicht, die biblische Wahrheit zu relativieren, ich wollte barmherzig sein.“ Tatsächlich aber wurde die Wahrheit relativiert. Und durch eine Vergebungsbitte wird oft die notwendige Klärung unterdrückt, wie sich Wahrheit und Liebe im konkreten Fall zueinander verhalten.
Dazu gehört die Vergebungsbitte, die vernebeln will, worum es eigentlich ging. Hier eignen sich Pauschalbitten: „Wen immer ich durch mein Verhalten in der letzten Zeit enttäuscht habe, bitte ich um Verzeihung.“ Die Bitte soll davon ablenken, dass das eigentliche Problem gar nicht beim Namen genannt wurde. Was genau soll denn vergeben werden? Jeder kann es sich selber denken. Nachdem allerdings um Verzeihung gebeten wurde, soll bitte darüber geschwiegen werden.
Die Vergebungsbitte, die dem anderen die Schuld gibt: „Wenn Du Dich durch mein Verhalten verletzt fühlst, dann vergib mir bitte!“ Die Bitte transportiert, dass der Verletzte das Problem hat. Was er selbst gesagt oder getan hat, erscheint dem Bittenden weiterhin richtig. Er entschuldigt sich nur, dass er die Empfindlichkeit des anderen nicht ausreichend berücksichtigt hatte.
Darauf folgt oft die Vergebungsbitte, die den anderen beschwichtigen will: „Wenn Dich meine Aussagen verunsichert oder verärgert haben, dann tut es mir leid.“ Dem Bittenden tun nicht etwa seine Taten leid, ihn schmerzen die Folgen. Die lieben Leute, die sich jetzt aufregen oder sogar die Freundschaft aufkündigen, die will er nicht verlieren. Er ändert sich aber auch nicht, sondern sagt: „Ich will in Zukunft mit größerer Behutsamkeit vorgehen“.
Es erscheint mir aus biblischer Sicht überflüssig, sich zu entschuldigen, wenn man seine Überzeugung und sein Handeln weiterhin für richtig hält. Paulus fand es um der Wahrheit des Evangeliums willen richtig, die Korinther traurig zu machen (2Kor 7,8-11). Die richtige Traurigkeit würde nämlich zur richtigen Umkehr führen. Wenn aber gar keine Umkehr stattfindet, dann sind Vergebungsbitten irreführend. Stattdessen sollte es im Angesicht Gottes und vor seinem Wort, ein ehrliches Ringen um die rechte Erkenntnis geben. Und dann soll der, der im Irrtum war, sagen: „Ich habe falsch gedacht, geredet, gehandelt. Das bereue ich und bitte um Vergebung.“