ThemenGeschichte der Christen

Das göttliche Wort und der menschliche Lobgesang des Jochen Klepper

Als Jochen Klepper im Dezember 1942 zusammen mit seiner Frau Johanna und deren Tochter Renate freiwillig in den Tod geht, da tut er es nicht aus Verzweiflung. Es ist vielmehr die bittere Erkenntnis, dass es keine Rettung für seine jüdische Frau und ihre Tochter aus erster Ehe in Deutschland mehr geben kann. Nach einer persönlichen Vorsprache bei Adolf Eichmann ist Klepper überzeugt, dass eine zwangsweise Scheidung der nach den nationalsozialistischen Rassegesetzen illegitimen Ehe und die sofortige Deportation direkt bevor steht. Diesen Weg will er seine Frau nicht alleine gehen lassen. So entscheiden sie sich für den gemeinsamen Selbstmord durch Tabletten und Gas, den vor ihnen viele tausend Juden vollzogen haben, die keine Möglichkeit zur Flucht mehr hatten, aber nicht in einem der Vernichtungslager sterben wollten.

Jochen Klepper wurde am 22. März 1903 in der kleinen Oderstadt Beuthen als Sohn eines evangelischen Pfarrers geboren. Der Glaube an Christus prägte sein Denken und Leben, wenn er auch erst im Laufe der Jahre an Tiefe gewann. Auslöser dafür waren Krankheitszeiten mit starken Kopfschmerzen, die mit Medikamenten behandelt wurden, die psychische Probleme hervorriefen. Sein Theologiestudium musste Klepper 1926 abbrechen, fand aber so zu seiner Berufung als christlicher Schriftsteller. Zuerst veröffentlichte er nur kleinere Artikel in Zeitungen. Er bekommt eine feste Anstellung beim Evangelischen Presseverband für Schlesien.

Als Jochen Klepper im April 1928 die dreizehn Jahre ältere jüdische Witwe Johanna Stein kennen und lieben lernt, verlobt er sich bald. Es kommt zum Zerwürfnis mit seinen Eltern, die eine Ehe mit einer Jüdin ablehnen. Die Eheschließung 1931 gibt Klepper aber einen neuen inneren Halt, wenn er auch fortan hofft und betet, dass seine Frau zum Glauben an Jesus findet und sich taufen lässt. Allerdings wird die Ehe mit der gebildeten jüdischen Frau wegen der äußeren Anfeindungen zu einem Problem, dass Klepper bis zum Schluss begleitet. Wegen des starken Antisemitismus seiner Eltern und Geschwister bricht Klepper 1933 schließlich den Kontakt zu ihnen ab.

Mit der Macht­ergrei­fung Hitlers wird auch das Leben Kleppers als Schriftsteller von Jahr zu Jahr schwieriger. Er lebt jetzt mit seiner Frau in Berlin, wird aber wegen seiner Ehe beim Berliner Rundfunk entlassen. Durch Fürsprache wird er zwar 1934 doch noch in die „Reichsschrift­tumskammer“ aufge­nom­men, ohne die niemand veröffentlichen durfte, 1937 jedoch wieder ausgeschlossen, was einem Berufsverbot gleichkam. Großes Ansehen gewinnt Klepper noch einmal durch den Roman Der Vater über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. Das bringt ihm eine Zeit lang den Schutz von Minister Frick. Er verlegt sich darauf, christliche Lieder zu schreiben und veröffentlicht im September 1938 den Gedichtband Kyrie. Inzwischen wird ihm immer wie­der nahegelegt, sich doch von seiner Frau scheiden zu lassen, damit er ohne Probleme arbeiten kann. Er weiß, dass das den Tod seiner Frau bedeuten würde.

Seit der Reichsprogromnacht 1938 beobachten die Kleppers die zunehmenden Übergriffe aufmerksam und bemühen sich um eine Ausreise für die Töchter, was aber nur für eine gelingt. Durch die freiwillige Meldung zum Heer (1940) erhofft sich Klepper Schutz für die Familie, wird aber wegen seiner Ehe nach wenigen Monaten entlassen. Inzwischen haben Johanna und Renate zum Glauben gefunden und sich taufen lassen, was ihnen aber nicht einmal in der damaligen evangelischen Kirche Anerkennung brachte. Sie besuchen in Berlin eine Kirche, die sich mit Nazisymbolen schmückt. Johanna Klepper muss auch in der Kirche sichtbar den Judenstern tragen. Im Laufe des Jahres 1942 scheint keine Rettung mehr möglich, nachdem die zugesagte Ausreise von Renate verweigert wird.

Jochen Klepper hat sich über sein Leben, Denken und seine Arbeit als Schriftsteller gründlich Rechenschaft gegeben. Davon zeugt nicht nur sein Tagebuch, sondern auch der hier abgedruckte Aufsatz, der zuerst 1939 in einem Aufsatzband erschien1 . Er mahnt zu einem respektvollem Umgang mit dem Wort Gottes, der damals wie heute oft zu kurz kommt. Jochen Klepper zitiert ausführlich aus seiner Lutherbibel 1912. Man merkt seine genaue Kenntnis der Bibeltexte, die einen Ausdruck davon bilden, dass er mit und in der Bibel lebte.

„Das Hören auf das göttliche Wort geschieht für Klepper im genauen und aufmerksamen Lesen der Lutherbibel“. Klepper „zieht nicht die Bibel in die Gegenwart […]; er staunt vielmehr darüber, ‚die Gegenwart in der Bibel leben zu dürfen […] jener unfassliche Vorgang, der alle Tage aus den Angeln hebt‘“ (S.43).

So beschreibt Oswald Bayer treffend die Haltung Jochen Kleppers. Bayer zeichnet eindrücklich nach, wie aus dem „mondänen“ Klepper der „protestantische Dichter“ wurde2 .

Jochen Klepper nennt im Original seiner Schriften meist keine Bibelstellen. Oswald Bayer deutet die Tatsache, dass Klepper Bibelzitate meist allgemein mit „die Schrift“ oder „die Bibel“ einleitet, treffend so:

„Diese – zumal für einen Autor, der Theologie studiert hat – ungewöhnliche Art, statt jeweils genauer Stellenangaben allgemein ‚Die Bibel‘ zu setzen […], dürfte wohl, im Protest gegen eine historisch-kritische Zerfaserung der Texte, deren – oftmals auch dissonanten – Zusammenhang als das eine Wort Gottes, ein unzerteilter Rock (vgl. Joh 19,23f), betonen.“3

Dass er dabei auch aus den apokryphen Büchern Jesus Sirach und Weisheit Salomos zitiert, bedeutet nicht, dass er nicht Luthers Haltung zu den Apo­kryphen teilt, die wahrscheinlich sogar in seiner Bibelausgabe abgedruckt war: „Apocrypha: Das sind Bücher, so der Heiligen Schrift nicht gleich gehalten und doch nützlich und gut zu lesen sind“.


  1. Das Buch der Christenheit: Betrachtungen zur Bibel, hg. Kurt Ihlenfeld, Berlin: Eckart-Verlag, 1939: 128-162. 

  2. siehe das Kapitel „Leidend loben – Das Wortamt des Dichters“ in Oswald Bayer, Gott als Autor: zu einer poietologischen Theologie, Tübingen: Mohr, 1999: S. 41-50. 

  3. a.a.O. S. 56.