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Krieg und Gewalt im japanischen Buddhismus

Auch wenn der Bhuddismus allgemein als Religion gilt, in deren Namen nie Krieg geführt wurde, so zeigt insbesondere der Blick auf den japanischen Bhuddismus ein anderes Bild. Es ist angebracht, ein differenziertes Bild auch vom Bhuddismus zu gewinnen, der in der westlichen Welt meist nur in Versatzstücken und Idealisierungen bekannt ist.

Gemeinhin gilt der Buddhismus im Gegen­satz zum Christentum als Religion des Friedens. Bei genauerem Hinsehen ist das Verhältnis von Buddhisten zu Krieg und Gewalt jedoch weitaus vielfältiger. So unterstützten beispielsweise im Pazifikkrieg (1937-1945) japanische Buddhisten massiv die aggressive Kriegsführung ihrer Regierung und stellten die Eroberung Koreas (1894/1905) oder der Mandschurei (1931) als „gerechten Krieg“ dar. Dabei handelte es sich keinesfalls um Einzelfälle. Weltbekannte Buddhisten wie D. T. Suzuki bemühten sich, japanische Eroberungen in Asien mit dem Buddhismus in Einklang zu bringen. Dabei lehrte Buddha eine unbedingte Liebe zu allen Lebewesen.

1. Buddha und die Gewalt

Als religiöser Lehrer strebte Buddha danach, die Menschen durch spirituelle Übungen vom Leiden zu erlösen. In ihrer Lebensführung sollten sie sich hüten anderen Menschen Schaden zuzufügen oder ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf von Waffen zu verdienen. Buddha verbot die Tötung von Mensch und Tier kategorisch. Die Idee universeller Liebe und universellen Mitgefühls allen lebenden Wesen gegenüber findet sich in frühen buddhistischen Schriften. Welche Frieden-fordernden Aussagen allerdings wirklich auf Buddha zurückgehen, kann heute nicht mehr zweifelsfrei festgestellt werden. Aus realen politischen Konfliktsituationen hielt sich Buddha vermutlich zeitlebens heraus, selbst wenn in seiner direkten Umgebung tausende von Menschen ermordet wurden, wie im Krieg König Vidudabhas von Kosala. Durchaus waren die frühen Buddhisten bereit, sich von asiatischen Herrschern beschenken zu lassen, auch wenn diese ihren Reichtum durch Gewalt erlangt hatten. Oftmals erwarteten und bekamen großzügige Könige und Fürsten für ihre Geschenke eine geistliche Gegenleistung: Gebete für den Sieg, ein langes Leben oder gutes Karma für die nächste Wiedergeburt (Reinkarnation).1

Streit unter den verschiedenen buddhistischen Schulen konnte der Überlieferung zufolge durchaus auch mit Gewalt ausgetragen werden.2 Dabei ging es nicht allein um die richtige Interpretation der Lehren Buddhas, sonder ganz handfest um Macht, politischen Einfluss und Geld. Häufig erhielten buddhistische Klöster großzügige finanzielle Zuwendungen von den Herrschenden und suchten deshalb auch ihre Nähe.3 Historische Beispiele für Gewaltanwendung von buddhistischen Würdenträgern und im Namen des Buddhismus sind zahlreich.4 Im Folgenden soll gezeigt werden, wie japanische Buddhisten vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg zur Anwendung von Gewalt äußerten.

Japanische Buddhisten um 1900

1868 begann der junge Kaiser Meiji die Privilegien der Buddhisten zu beschneiden. Zuschüsse wurden gestrichen, Tempel wurden geschlossen. Buddhistische Klöster gründeten daraufhin die „Allianz der Vereinigten buddhistischen Gemeinschaften für ethische Standards“. In einer Stellungnahme erklärten sie, den Kaiser unterstützen und Christen bekämpfen zu wollen. Sofort begannen sie mit einer antichristlichen Kampagne unter dem Motto: „Dem bösen Christentum entgegentreten und der Rechtschaffenheit Geltung verhelfen“. Daraufhin erhielten die Buddhisten den offiziellen Auftrag in staatlichen Lehrakademien die Verehrung der nationalen Götter und des Kaisers zu fördern.5

Während des chinesisch-japanischen Krieges (1894-95) bemühten sich zahlreiche führende Buddhisten die Gewalt ethisch zu rechtfertigen. Der Leitartikel der Zeitung Nonin Shimpo vom 8.8.1894 trug den Titel „Buddhisten in der Zeit des Krieges“. Darin wurden die Leser aufgefordert, das angeblich pessimistische Wesen des Buddhismus zu überwinden und für Asiens Fortschritt zu kämpfen. Der buddhistische Priester Shaku Unsho veröffentlichte 1895 einen Artikel mit dem Titel „Eine Diskussion über das mitfühlende buddhistische Verbot zu töten“. Darin unterscheidet er zwischen gerechten und gesetzlosen Kriegen. „Gerechte Kriege“, wie der gegenwärtige, seinen für einen verantwortungsbewussten Buddhisten sogar geboten.6

Kurz nach seiner Erleuchtungs­erfah­rung veröffentlichte D. T. Suzuki „Eine Ab­handlung über die neue Bedeutung der Religion“ (1896). Ein ganzes Kapitel widmet er dem Verhält­nis von Staat und Religion. Darin schreibt er:

„Religion und Staat müssen einander zwangs­läufig unterstützen, um zur Ganzheit zu gelangen.“7 Der buddhistische Staat brauche eine starke Armee, um „die Existenz des eigenen Landes zu erhalten und zu verhindern, dass es von aufsässigen Heiden gefährdet wird. … Wenn ein gesetzloses Land versucht unseren Handel zu behindern, oder wenn es unsere Rechte missachtet, wird dadurch letztendlich die Weiterentwicklung der gesamten Menschheit behindert, und das könnte unser Land im Namen der Religion niemals zulassen. Wir hätten in einem solchen Fall gar keine andere Wahl, als die Waffen zu ergreifen … auf das die Gerechtigkeit siegreich bleibt.“8

Demnach sei Krieg für Buddhisten durchaus legitim, vor allem gegen „nichtbuddhistische Heiden“. Die Verletzung wirtschaftlicher Interessen genügt Suzuki als Anlass, weil nationale Interessen mit dem Fortschritt der ganzen Menschheit identifiziert werden.

Der Zen-Meister, Shaku Soen, schrieb nach Beginn des russisch-japanischen Krieges 1904:

„Außerdem wollte ich, soweit dies mir möglich war, unsere tapferen Soldaten durch die erhebenden Gedanken des Buddha inspirieren, auf dass sie auf dem Schlachtfeld in der Zuversicht sterben können, dass die Aufgabe, um derentwillen sie sich aufgeopfert haben, groß und edel ist. Ich wollte sie davon überzeugen, dass der Krieg kein bloßes Gemetzel war, sondern dass sie gegen das Böse kämpfen.“9

Bei dem russisch-japanischen Krieg „verfolgt die [japanische] Nation keine egoistischen Ziele, sondern es geht ihr um die Unterwerfung böser, feindseliger Kräfte, die Zivilisation, Frieden und Erleuchtung bedrohen.“10 Ganz zu schweigen von der religiösen Zwiespältigkeit solcher Aussagen beurteilen Historiker diesen Krieg eher als imperialistische Expansion.11 Auf die Bitte des pazifistisch engagierten Leo Tolstoi, sich für den Frieden zwischen Russland und Japan einzusetzen, erhielt dieser von Soen folgende Antwort: „Zwar hat Buddha verboten zu töten, doch hat er auch gelehrt, dass niemals Frieden herrschen wird, so lange nicht alle mitfühlenden Wesen durch das Über unendlichen Mitgefühls miteinander vereint sind. Deshalb ist es statthaft zu töten und Krieg zu führen.“12

Der bekannte buddhistische Priester Osuga Shudo berichtete in seinem Buch „Allgemeiner Leitfaden zur Missionierung in Kriegszeiten“ (1905):

„Wer den Namen von Amida Buddha13 rezitiert, ist in der Lage, in dem festen Glauben auf das Schlachtfeld zu marschieren, dass dem Tod die Wiedergeburt im Paradies folgen wird. Wenn man zu sterben bereit ist, kann man sich mit aller Kraft dem Kampf widmen in dem Bewusstsein, dass es sich um einen gerechten Kampf handelt … Könnte es fürwahr ein höheres Glück geben, als zu wissen, dass wir im Fall unseres Todes im Reinen Land von Amida Buddha willkommen geheißen werden?“14

In seinen Erinnerungen schrieb Sawaki Kodo (1880-1965), einer der bekanntesten Meister des Zen-Buddhismus:

„Meine Kameraden und ich konnten gar nicht genug davon bekommen, Menschen zu töten. In der Schlacht am Baolis-Tempel jagte ich unsere Feinde in ein Loch, wodurch ich sie sehr gut nacheinander erledigen konnte.“15

Meine Kameraden und ich konnten gar nicht genug davon bekommen, Menschen zu töten

Später argumentierte er in dem buddhistischen Magazin Daihorin (1942), Töten geschehe geradezu schicksalhaft, ohne individuelle Entscheidung und Verantwortung:

„Ob man tötet oder nicht tötet, die Regel, die das Töten verbietet wird erfüllt. Die Regel, die das Töten verbietet, ist es, die das Schwert führt. Es ist die Regel, die die Bomben wirft. Studiert also diese Regeln, und setzt sie in die Tat um.“16

Buddhistische Stellungnahmen dieser Zeit wirken häufig wie eine verwirrende Neudefinition altbekannter Begriffe. So schrieb Arai Sekizen (1864-1927), buddhistischer Abt des Klosters von Sojiji:

„Der Buddhismus ist nicht absolut gegen Krieg. … Frieden ist das natürliche Ideal des Menschen, sein höchstes Ideal. Da auch Japan den Frieden liebt, handelt es sich, wenn unser Land in den Krieg zieht, stets um einen Krieg für den Frieden.“17

Die buddhistischen Institutionen Japans beschränkten sich im russisch-japanischen Krieg nicht nur auf ideologische Unter­stützung, sondern hiel­ten in den Tempeln regelmäßig Sutra-Rezita­tionen18 für den Sieg ab. Zur Un­ter­stützung der Armee sammelten sie Spenden und gründeten hunderte von buddhistischen Missions­stationen in den neu eroberten Gebieten.19 Die Absicht dieser Missionen erläuterte Shimizu Ryuzan (1870-1943), Präsident der buddhistischen Rissho-Universität:

„Das Grundprinzip des japanischen Geistes ist die Erleuchtung der Welt durch die Wahrheit … wir müssen auch alle anderen Nationen der Welt in die Rechtschaffenheit geleiten und so den Himmel auf Erden schaffen.“20

Parallel zur buddhistischen Rechtfertigung japanischer Expansionskriege setzten sich die Angriffe auf christliche Japaner fort. In einem 1912 veröffentlichten Aufsatz von Ouchi Seiran heißt es beispielsweise:

„Der Christentum ignoriert nicht nur die rechte buddhistische Lehre über Ursache und Wirkung, sondern ist eine Häresie, die … die Grundlage unseres Landes zerstört. … Wir müssen uns deshalb alle zusammentun, um zu verhindern, dass diese Häresie sich in unserem Lande weiter ausbreitet.“21

Buddhistische Mönche im Pazifikkrieg

In den 30-er Jahren des 20. Jahrhunderts entstand in Japan der „Buddhismus des Kaiserlichen Weges“. Der Großteil der buddhistischen Mönche und Gelehrten setzten sich damals für die göttliche Verehrung des Kaisers ein und förderten den japanischen Nationalismus.22

So schrieb Saeki Join (1867-1952), Abt des renommierten buddhistischen Tempels von Horyuji: „Der Kaiser, der heilig und göttlich ist, ist unverletzlich. … Die Erlasse des heiligen und göttlichen Kaisers dürfen in keinem Fall missachtet … und sie müssen stets verehrt werden.“23 Zahlreiche große buddhistische Organisationen Japans schlossen sich im Laufe der 30-er Jahre dieser Sichtweise an.24 Die Shin-Schule behauptete sogar, dass jeder, der sich gegen den Kaiser stelle, durch Buddha selbst von der Erlösung ausgeschlossen würde.

1937 veröffentlichten die Führer wichtiger buddhistischer Organisationen eine Erklärung zur Unterstützung japanischer Kriegsaktivitäten. Darin war unter anderem zu lesen:

„Um in Ostasien ewigen Frieden zu stiften, sind wir in der Anwendung der unermesslichen Güte und des allumfassenden Mitgefühls des Buddhismus manchmal nachgiebig und in anderen Fällen sehr bestimmt. In der augenblicklichen Situation bleibt uns nichts anderes übrig, als die gütige Bestimmtheit der Maxime einen töten, auf das viele leben werden anzuwenden. Dem kann der Mahayana-Buddhismus nur mit größter Entschiedenheit zustimmen. … Um zum wahren Glück einer friedlichen Menschheit zu gelangen und eine neue Zivilisation zu schaffen, muss die Weltgeschichte vom falschen wieder auf den richtigen Weg zurückgeführt werden.“25

Krieg und Gewalt werden hier nicht generell abgelehnt, sondern nach ihren vorgeblichen Zielen beurteilt:

„Der Buddhismus bezeichnet den Krieg weder als gut noch als schlecht, weil für ihn nicht das Phänomen Krieg selbst, sondern die Frage nach dem Zweck des Krieges entscheidend ist. Deshalb bezeichnet der einen Krieg, wenn er einem guten Zweck dient, als gut, und einen Krieg, der einem üblen Zweck dient, als schlecht.“26 Buddhisten schützen demnach nicht das menschliche Leben an sich. „Geschützt werde es lediglich als ein Aspekt des Mitgefühls. Der Buddhismus lehne die massenhafte Tötung von Menschen in einem Krieg nicht ab, weil er einen solchen Krieg als unvermeidlichen Bestandteil des Bemühens um ein immer stärkeres und erhabeneres Mitgefühl ansehe.“27

Zwar zerstöre der Krieg das Leben einzelner Menschen. Auf der anderen Seite bringe er aber auch Positives hervor.

Japans Krieg in China diene letztlich der Ausbreitung wahrer Zivilisation und wahrem Glauben, wodurch schließlich dauerhafter Friede gewährleistet sei. Japanische Buddhisten betrachteten sich als die weitest entwickelten Buddhisten Asiens oder sogar als die einzig wahren Buddhisten überhaupt.28 Ihr „mitfühlender Krieg“ ermögliche es den anderen Nationen vom japanischen Buddhismus zu profitieren. Schließlich würde dieser Krieg dazu beitragen zukünftig weitere Kriege zu vermeiden.29

Der buddhistische Buchautor Furu­kawa Taigo meinte, dass es Japan als göttlicher Nation möglich sei, „die Welt in ein Buddha-Land zu verwandeln, wie es im Buddhismus genannt wird.“30 Das verstand er auch nicht nur theoretisch: „Aus der Perspektive eines buddhistischen Gläubigen betrachtet, kann der Krieg in der Mandschurei als gerechter Krieg gebilligt werden.“31

Hata Esho (1862-1944), Zen Meister und Abt des Klosters von Eiheiji, rechtfertigte Japans Krieg gegen China mit dem Hinweis darauf, dass auch Buddha sich in einem früheren Leben an gerechten Kriegen beteiligt habe. Darüber hinaus sieht er sich durch den bisherigen Kriegsverlauf bestätigt:

„Ich glaube, dass der Grund für die bisher erzielten brillanten Siege Japans die Kraft des religiösen Glaubens unseres Volkes an den Buddhismus ist.“32

In seinem Buch „Der Zen Budd­hismus und sein Einfluß auf die Japanische Kultur“ (1938) schrieb D.T. Suzuki wenige Wochen nach den Massakern und Vergewaltigungen japanischer Soldaten in Nanjing:

„Zen … ist … eine Religion des Willens, und Willenskraft … ist eben das, was der Krieger so nötig braucht.“33

Insgesamt soll der Zen-Buddhismus den Soldaten zu einem besseren Kämpfer machen.34 Der Kampf des buddhistischen Soldaten ist für Suzuki geradezu eine religiöse Übung.

„Das Schwert wird normalerweise mit dem Töten in Verbindung gebracht, weshalb sich die meisten von uns fragen werden, was es mit Zen zu tun hat, einer Schule des Buddhismus, der das Evangelium der Liebe und des Mitgefühls lehrt. Tatsache ist, dass die Schwertkunst zwischen dem Schwert das tötet, und dem Schwert das Leben schenkt, unterscheidet.“

Der Buddhist töte nicht aus reinem Vergnügen, sondern weil er sich dazu genötigt sähe.

„In einem solchen Fall tötet nicht der Betreffende, sondern das Schwert selbst tut dies. Er hatte nicht vor, irgendjemandem zu schaden, doch der Feind taucht auf und macht sich selbst zum Opfer. Es ist, als würde das Schwert automatisch seine natürliche Aufgabe … erfüllen. … der Schwertkünstler wird dann zu einem Künstler ersten Ranges, der sein Leben dem Bestreben widmet, ein Werk von echter Ursprünglichkeit zu schaffen.“35

Rudolf Hess ließ sich von Suzukis Gedanken begeistern

Demnach sah Suzuki im mordenden buddhistischen Soldaten einen Künstler, der für die Folgen seiner Taten nicht verantwortlich gemacht werden könne. Der ermordete Feind sei letztlich verantwortlich für seinen eigenen Tod. Der Soldat werde lediglich zu einem Werkzeug des universalen Fortschritts. In der deutschen Übersetzung von Suzukis Buch (1941) wird von den Herausgebern darauf hingewiesen, dass seine Schriften den militärischen Geist des Nationalsozialismus positiv beeinflusst hätten. Insbesondere Ru­dolf Hess ließ sich von Suzukis Gedanken begeistern. Auch der italienische Faschismus nahm diese Interpretation des Zen-Buddhismus dankbar auf.36

Der 1937 in Nordchina gefallene Oberst­leutnant Sugimoto Goro wurde nach seinem Tod aufgrund seiner Loyalität dem Kaiser gegenüber und aufgrund seiner buddhistischen Gesinnung als Vorbild stilisiert. Seine persönlichen Erinnerungen wurden gedruckt und zu hunderttausenden Exemplaren verbreitet.37 In seinen Schriften bekannte sich Sugimoto zu einer absoluten, buddhistisch begründeten Treue dem japanischen Kaiser gegenüber. In den japanischen Soldaten sah er die wahren Nachfolger Buddhas.38 Japans Kriege stehen für Sugimoto im Einklang mit dem buddhistischen Gebot des Mitgefühls:

„Die Kriege des Kaiserreichs sind heilige Kriege. Sie sind die buddhistische Übung des großen Mitgefühls. Deshalb muss die kaiserliche Streitmacht aus heiligen Offizieren und heiligen Soldaten bestehen.“39

Zen buddhistische Übungen sollten für den Soldaten dazu beitragen sich von seinem Selbst zu distanzieren um leichter für die Sache des Buddhismus und die Sache des Kaisers zu sterben. Für diese selbstlose Hingabe könne der buddhistische Soldat im Jenseits mit Belohnung rechnen:

„Krieger, die ihr Leben für den Kaiser aufopfern, werden nicht sterben. Sie werden ewig leben. Sie sollen fürwahr Götter und Buddhas genannt werden, für die es weder Leben noch Tod gibt.“40

Die enge Verbindung zwischen Zen-Buddhismus und Militarismus wurde benutzt, um Jugendliche in die berüchtigten Spezialeinheiten der Kamikaze Piloten zu treiben. Den Jungen wurde die Erleuchtung in Aussicht gestellt, wenn sie breit wären in diesem „heiligen Krieg“ zu kämpfen.41

Während des Krieges wurden in Tausenden buddhistischer Tempel regelmäßige Gebete gesprochen und Sutras rezitiert um den Sieg in der Schlacht herbeizuführen. Durch Andachten, Gebete oder auch das Abschreiben des Prajna­paramita-Sutra sollte eine spirituelle Kraft erzeugt und auf die kämpfenden Soldaten gelenkt werden.42

So wurden beispielsweise 1944 im buddhistischen Kloster Sojiji zehn Millionen Abschriften des Herz-Sutras angefertigt, einige sogar mit Blut geschrieben, um den Sieg der eigenen Armee zu beschwören.43 Regelmäßige religiöse Übungen, die das Ziel verfolgten England und Amerika zu vernichten, wurden von Imai Fukuzan mit einem Hinweis auf die buddhistische Vergangenheit gerechtfertigt:

„In unserer Gemeinschaft werden seit über 600 Jahren religiöse Andachten durchgeführt, um die Macht der Streit­kräfte zu stärken.“44

Im Koa-Kannon-Tempel wurde ein besonderer Kriegs-Buddha verehrt. Darüber hinaus führten buddhistische Organisationen Spendensammlungen durch um zusätzliche Flugzeuge und anderes Kriegsmaterial anschaffen zu können.45 Klöster boten zusätzliche Medi­ta­tions­­kurse an, um Soldaten und Mitarbeiter der Kriegs­industrie mental aufzubauen. Gegen Ende des Krieges meldeten sich mehrere zehntausend buddhistische Priester zur freiwilligen Arbeit in japanischen Rüstungsfabriken, um den „Heiligen Krieg“ zu unterstützen.

Kurebayashi Kodo (1893-1988), Zen-­Meister und späterer Präsident der Komazawa-Universität, interpretiert alle japanischen Kriege als „gerechte Kriege“ im Sinne des Buddhismus:

„Der Grund dafür, dass Japans Kriege gerecht sind, ist … der Einfluss des buddhistischen Geistes. Der Geist Japans, vom Buddhismus genährt, strebt unablässig … ewigen Frieden in dieser Region an. Ohne den Einfluss des Buddhismus wäre ein tiefgreifender, internationaler Geist der Brüderlichkeit unmöglich.“46

Den brutalen von zahlreichen Men­schen­rechtsverletzungen, Massakern und Foltern begleiteten Krieg Japans betrachte er als „Übung buddhistischen Mitgefühls“:

„Wo auch immer das kaiserliche Militär auftaucht, verbreitet es nur Güte und Liebe. … Unter den Offizieren und Soldaten der kaiserlichen Streitkräfte, die im Geist des Buddhismus geschult worden sind, gibt es keine Brutalität mehr.“47 Den Buddhismus hält er für die einzig wünschbare Weltreligion: „Ohne den Glauben an den Buddhismus kann diese Nation nicht gedeihen und die Menschheit kein Glück finden.“48

Allein bei der Eroberung Nankings (1937) gab sich das japanische Militär „einer Orgie der Vergewaltigungen und Morde hin. In zwei Tagen wurden auf diese Weise … 12 000 chinesische Zivilisten getötet.“49 Nach der Eroberung Singapurs (1942) werden von japanischen Soldaten 70.000 Chinesen gefangen genommen und tausende hingerichtet. „Massenhaft wurden Chinesen aneinandergefesselt, auf Boote geladen, ausgeschifft und auf dem Meer von Bord gestoßen“, notiert ein japanischer Soldat.50 Nach der japanischen Eroberung der Philippinen (1942) werden 76.000 Soldaten gefangen genommen von denen bei Gewaltmärschen in ein 120 km entferntes Lager 6.600 an Erschöpfung sterben. Weitere 24.500 sterben in den nächsten eineinhalb Monaten an Hunger und mangelnden hygienischen Einrichtungen. Eine schwangere Frau, die den Gefangenen Essen anbieten will wird von einem japanischen Soldaten mit seinem Bajonett aufgeschlitzt.51

Buddhistische Reaktionen auf die Kriegsgräuel

Einige buddhistische Leiter vollzogen nach der japanischen Niederlage am Ende des Zweiten Weltkriegs eine totale ideologische Wende. Schuld für Militarismus und Krieg sahen buddhistische Priester nun insbesondere bei den Shintoisten. In ihren eigenen politischen Äußerungen sprachen sich nun viele für Weltfrieden und Demokratie aus, ohne allerdings auf die eigene Beteiligung am Krieg einzugehen. D.T. Suzuki, einer der im Westen bekanntesten japanischen Buddhisten, sprach 1946 von „allgemeinen Fehlern in der Beurteilung des Krieges“. Diese Fehleinschätzungen aber sollten vor allem auf das Konto ungebildeter buddhistischer Priester gehen. Auf Suzukis eigene Befürwortung religiöser Gewalt hingegen geht er nicht ein. In seinem 1947 veröffentlichten Buch „Die spirituelle Erweckung Japans“ macht er den Shintoismus für die militärische Vergangenheit Japans verantwortlich. Nach Suzuki ist der Shintoismus eine „primitive Religion“, der es „an Spiritualität fehlt“, die man deshalb beseitigen müsse52

Sein allgemeines Eingeständnis, auch Buddhisten hätten sich für die kriegerischen Expansionsbemühungen Japans begeistert, schwächt er durch die Feststellung ab, alle Japaner hätten damals den aggressiven Imperialismus befürwortet. So könnte man auch von den Buddhisten nichts anderes erwarten. Außerdem hätte der Krieg auch positive Auswirkungen gehabt:

„Das große Opfer des japanischen Volkes und der japanischen Nation hat es den verschiedenen Völkern und Ländern des Ostens ermöglicht, sowohl ökonomisch als auch politisch aufzuwachen. … die dann ihren Beitrag zur Weiterentwicklung der Weltkultur leisten werden.“53

Nirgends in Suzukis Schriften findet sich auch nur eine Spur von Reue

Wieder wird der Krieg als buddhistisches Opfer interpretiert, durch das der selbstlose Bodhisattva54 anderen Völkern bei ihrer spirituellen Entwicklung hilft. Nirgends in Suzukis Schriften findet sich auch nur eine Spur von Reue oder gar eine Entschuldigung für Japans kolonialistische Kriege in China, Korea oder Taiwan. Dabei hatte Suzuki den Krieg massiv religiös unterstützt:

„Obgleich er Groß-Ostasien-Krieg genannt wird, handelt es sich im Prinzip um einen ideologischen Kampf für die Kultur Ostasiens. Buddhisten müssen an diesem Kampf teilnehmen und ihre essentielle Mission erfüllen.“55

Suzuki kritisiert lediglich, dass die japanischen Militärs das industrielle Potential der USA sträflich unterschätzt hätten und somit für die japanische Niederlage mitverantwortlich seien. Den Krieg selbst und die Einbeziehung des Buddhismus in denselben aber sah er nicht als Fehler.

Vierzig Jahre nach Ende des Krieges hatten lediglich vier buddhistische Organi­sationen in Japan Erklärungen oder Entschuldigungen zu ihrer Verstrickung in den Pazifik-Krieg veröffentlicht. Vertreter des Higashi-Honganji-Zweiges bekannten 1987:

„Wenn wir und an die Kriegsjahre erinnern, so müssen wir uns eingestehen, dass unsere Gesellschaft den Krieg als heiligen Krieg bezeichnet hat. … Jenen Krieg als heilig zu bezeichnen war in doppelter Hinsicht eine Lüge. Diejenigen, die am Krieg teilnahmen, sind gleichzeitig Opfer und Täter. Wir können die große Sünde, die wir begangen haben, nicht abtun, als sei sie nichts weiter als ein geringfügiger Fehler …“56

In der „Ge­schichte der Ver­brei­tung der Lehren in Übersee und der missionarischen Arbeit der Soto-Schule“ feierte die buddhistische Gemeinschaft noch 1980 ihre Missions-Erfolge durch die Eroberungszüge japanischer Militärs im Pazifik Krieg. Erst 13 Jahre später (1993) zog man das Buch zurück und benannte klar die eigenen Fehler:

„Wir, die Soto-Schule, haben seit der Meiji-Zeit und bis zum Ende des Pazifik-Krieges den guten Namen und Ruf unserer Aktivitäten zur Verbreitung der Lehren in Übersee benutzt, um Menschenrechte der Völker Asiens und insbesondere derjenigen Ostasiens zu verletzen. … Dies alles haben wir aus unserem Glauben an die Überlegenheit des japanischen Buddhismus und der nationalen Politik heraus getan … Wir haben die Aggression Japans in Übersee gutgeheißen und sogar versucht sie zu rechtfertigen. … Unsere Gemeinschaft hat … einen Angriffskrieg gegen andere Völker Asiens unterstützt, sich eifrig bemüht, mit den Kriegsführenden zu kooperieren, und dieses unglückselige Geschehen auch noch als heiligen Krieg bezeichnet. … Japan hat durch die Annexion Koreas ein ganzes Volk und seine Nation vernichtet. Bei allem hat unsere Schule eine Vorreiterrolle übernommen … Die Soto-Schule hat sich … schuldig gemacht, indem sie diese barbarischen Handlungen im Namen der Religion rechtfertigte.“57

Diese ausführliche Stellung­nahme führt vor Augen welche Tragweite die buddhistische Rechtfertigung von Krieg und Gewalt in den vergangenen 150 Jahren hatte. Leider jedoch sind die erwähnten vier Schuldbekenntnisse Aus­nahmen. Die meisten buddhistischen Gemeinschaften Japans verdrängen ihre Beteiligung an Gewalt und Unterdrückung bis heute und treten in der westlichen Öffentlichkeit sogar als Garanten eines umfassenden Friedens auf.

Der buddhistische Professor und Priester Yanagida Seizan brachte seine Enttäuschung die mangelnde Korrektur­bereitschaft zahlreicher geistlicher Leiter in „Zen aus der Zukunft“ (1990) zum Ausdruck:

„Zu jener Zeit dämmerte mir erstmals, dass ich geglaubt hatte, sich um der Staatsziele willen selbst zu töten, entspreche den Lehren des Buddhismus. Was für eine fanatische Vorstellung. Alle buddhistischen Gemeinschaften Japans – die sich nicht nur für den Krieg engagiert sondern darüber hinaus wie ein Herz und eine Seele verbal den Krieg befürwortet hatten – wechselten ihre Position nun so schnell, wie man eine Hand umdreht … Die Führer der buddhistischen Gemeinschaften Japans hatten uns zuvor angestachelt, indem sie mit großen Worten über die Rechtmäßigkeit des Krieges schwadroniert hatten. Nun jedoch scheuten eben diese Führer nicht vor der Schamlosigkeit zurück, so zu tun, als wäre dies nie geschehen.“58

Aufgrund seiner tiefen Enttäuschung über das Verhalten der buddhistischen Führer trat Seizan 1955 aus seinem Kloster-Verband aus.

Buddhistische Lehren begünstigen Kriege

In seinem Buch „Verantwortung der Buddhisten für den Krieg“ nennt Ichikawa Hakugen zwölf Lehren des Buddhismus, die Gewalt und Krieg begünstigen können:

1. Geprägt von einigen indischen Mahay­ana-Sutras hat sich der Budd­hismus zum „Beschützer des Staates“ entwickelt. Im Gegensatz zu christlichen Kirchen unterwirft sich der Buddhismus gewöhnlich dem Staat. Der Buddhismus steht deshalb in der Gefahr zu einer formalen Staatsreligion zu werden, die den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft konserviert.

2. Einerseits betont der Buddhismus die Gleichheit aller Menschen. Alle Wesen sind im Besitz der Buddha-Natur und können die Buddhaschaft erlangen. Andererseits betrachtet die buddhistische Karma-Lehre alles was einem Menschen geschieht als Folge seines früheren Lebens. Leiden und Erfolg sind auf gute und schlechte Taten in früheren Existenzen zurückzuführen. Dadurch werden gesellschaftliche Ungleichheit, Krankheit und Tod schnell als Folge individuellen Versagens, und Glück, Gesundheit und Reichtum als Folge eines guten früheren Lebens interpretiert. Gesellschaftliche Ungleichheit oder persönliches Leiden sollten demnach nicht geändert werden, weil sie sonst doch nur in einem späteren Leben „abgelitten“ werden müssen. Das Leiden oder der Tod eines Menschen können als Strafe oder Kompensation für Vergehen aus früheren Leben angesehen werden, die im Karma festgehalten sind.

3. Zur buddhistischen Ethik gehört es, sich dem Staat zu unterwerfen, der Gutes bestärkt und Böses bestraft. Dem vom Himmel eingesetzten Herrscher muss absolut gehorcht werden.

4. Der Buddhismus interpretiert die Welt als ein Prozess ständigen Werdens und Vergehens. Da der Mensch sich in einer endlosen Entwicklungslinie befindet, kann er über keine dauerhafte Wesensnatur verfügen. Demnach gibt es auch kein wirkliches Selbst des Menschen, sondern nur einen flüchtigen, ungreifbaren Entwicklungszustand. In dem daraus resultierenden „Konzept der Ichlosigkeit“ oder des „Nicht-selbst“ bleibt kein Raum für die Unabhängigkeit des Einzelnen. Unveränderliche Naturgesetzte lassen sich mit einer solchen Wirklichkeitssicht ebenso schwer verbinden wie Menschen­rechte, die auf der Annahme unveräußerlicher Eigenschaften jedes Men­schen basieren.

5. Da im Buddhismus kein transzendenter, persönlicher Gott gedacht wird, gibt es auch keine verpflichtende Dogmatik, die verteidigt werden muss und nach der Leben und Lehre beurteilt werden. Das führt zu einer Vernachlässigung des diskursiven Denkens und der logischen Theorie. Stattdessen konzentriert sich der Buddhismus auf die Innenwelt des Menschen, auf subjektive Empfindungen und kurzzeitige Eindrücke. Diese können schneller als fest definierte Lehren von anderen Religionen und Ideologien beeinflusst und verändert werden.

6. Entsprechend dem Konzept des on fordert die Ethik des Mahayana-Buddhismus Dankbarkeit gegenüber Eltern, Herr­schern, allen Lebewesen und dem Himmel. Diese Perspektive erschwert mögliche Kritik am Kaiser, der gleichzeitig als eine Art Übervater fungiert.

7. Die grundlegende buddhistische These von der „Abhängigkeit aller Dinge voneinander“ führt dazu, sich vorschnell mit dem Staat, dem Arbeitgeber oder dem Militär zu identifizieren. Durch die Betonung der Verbundenheit tritt die Notwendigkeit berechtigter Kritik deutlich zurück. Was vorgeblich dem Wohl des Staates dient, soll sich demnach auch für den organisch mit dem Herrscher verbundenen Buddhisten auszahlen.

8. Die buddhistische Lehre vom Ideal des „Mittleren Weges“ führt dazu, gesellschaftlicher Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Das hat gewöhnlich nicht einen pragmatischen Kompromiss zur Folge, sondern eine endlose Suche nach diesem Kompromiss, dessen wichtigstes Ziel die Vermeidung jeglichen Konflikts ist. Notwendige Reformen oder gesellschaftliche Selbstkorrektur bleiben dabei zumeist auf der Strecke.

9. Durch die Tradition der Ahnenverehrung wurde das Bewusstsein der Verbundenheit mit dem ganzen Volk, insbesondere mit den eigenen Vorfahren gestärkt. Kriege, die vorgeblich dem ganzen Volk dienen sollten, konnten so leichter gerechtfertigt werden, auch wenn einzelne Privatpersonen ihn ablehnten. Da man nach dem individuellen Tod weiterhin mit der Sippe zusammenlebt, wurde die Bereitschaft zur Selbstaufopferung im Krieg gefördert.

10. Die prinzipiell positive Wertung des Alten und Reifen führte zu einer Konservierung überkommener hierarchischer Strukturen, traditioneller Gesetzte und Regeln. Kritik am Herrscher oder an historischen Wertungen wurden dadurch erschwert.

11. Nach buddhistischer Philosophie sucht der Mensch nicht nach umfassender Gerechtigkeit, sondern nach innerem Frieden. Im Buddhismus existiert kein individueller Gott der auch auf der Erde Prinzipien seiner himmlischen Gerechtigkeit durchsetzen will. Buddhisten überlassen in der Folge die Welt eher ihrem eigenen Schicksal und suchen ihr Heil im inneren Frieden des Einzelnen. Das mindert die Motivation gesellschaftliche Ungerechtigkeit zu bekämpfen und selbst irdische Hilfe zu bieten.

12. Das buddhistische Konzept des „soku“ idealisiert das Sosein, die Nicht-Dualität. Ziel des Buddhisten ist eine subjektive Harmonie, eine Akzeptanz des Seienden. Eine Auflehnung gegen das was ist wird als unsinnig und spirituell schädlich angesehen. Gesellschaftliche Veränderungen oder das Hören auf das eigene Gewissen werden dadurch erschwert.59

Im Buddhismus ist es möglich, Böses als gut darzustellen

Hakamaya Noriaki sieht in der buddhistischen Subjektivierung und Individu­alisierung der Wahrheit eine Ursache für die weitgehende Unfähigkeit, Böses als böse und Gutes als gut zu benennen. Die fehlende buddhistische Dogmatik ermöglicht es unterschiedliche ideologische Ziele mit dem Buddhismus zu verbinden und Böses als gut darzustellen („Kritischer Buddhismus“ / 1990). Hakamaya übt auch Kritik an der buddhistischen Lehre vom „Tathagata-garbha“ („Buddhia im Samen“). Damit gemeint ist die Vorstellung, dass Buddha in embryonaler Form in jedem fühlenden Wesen vorhanden sei, während die Welt der Phänomene letztlich nicht real ist, keine unveränderliche Eigennatur besitzt. Folglich kann alles erleuchtet werden auch wenn es äußerlich wie ein Bach oder ein Baum, bzw. als gut oder böse erscheint. Wenn aber „eine einzige, unveränderliche Realität allen Phänomenen zugrunde liegt, so wird dadurch in der Welt der Phänomene alles seinem Wesen nach gleich. Natürlich schließt dies auch moralische Unterscheidungen wie richtig und falsch, gut und schlecht sowie gesellschaftliche Unterscheidungen … ein, weshalb keine Notwendigkeit oder kein Grund mehr besteht, gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen oder Unrecht wieder­gutzumachen.“60 In letzter Konsequenz wird auch das Böse oder die gesellschaftliche Ungerechtigkeit als Buddha-gemäß betrachtet. Aufre­gungen über Ungerechtigkeit beruhten, nach dem Konzept des „Tathagata-garbha“, lediglich auf mangelnder spiritueller Einsicht. Krieg und Gewalt können nicht prinzipiell angelehnt werden, weil sie auf höherer, geistlicher Ebene auch Buddha-gemäß sind. Außerdem hält Hakayama die buddhistische Abwertung des Intellekts, der Worte und Dogmen für äußerst problematisch. Die Forderung, den Verstand zurückzustellen und sich statt dessen der Intuition, dem „Nicht-Denken“ zu widmen, führt zu Manipulierbarkeit und mangelnder Kritikfähigkeit.

Häu­fig wird dieses Prinzip von Buddhisten benutzt, um Meinungs­verschieden­heiten zu unterdrücken und Abhängigkeiten zu erzeugen, gegen die sich der Schüler nicht wehren kann, weil er ja sein Denken zurückstellen soll.61

Im Gegensatz zum christlichen Glauben fehlen dem Buddhismus eine allgemeine Wahrheit, ein absoluter Maßstab, der es ermöglicht, zeitgenössische Gedanken und Ideologien zu überprüfen und zu beurteilen. Wer vor allem zu Harmonie, Anpassung und umfassender Toleranz aufgefordert wird, dem fällt esschwer, Kritik zu üben und zum jeweils herrschenden Zeitgeist auf Distanz zu gehen.


  1. Brian Victoria: Zen, Nationalismus und Krieg. Eine unheimliche Allianz, Theseus Verlag, Berlin 1999, S. 272ff 

  2. Vgl. Gabriele Mandel Khan: Buddha. Der Erleuchtete, Berlin, Parthas Verlag 2002, S.43f 

  3. Vgl. Gerhard Schweizer: Ungläubig sind immer die anderen. Weltreligionen zwischen Toleranz und Fanatismus, Stuttgart, Klett-Cotta 1990, S. 406, 418f 

  4. Vgl. Michael Kotsch: Gewalt im Buddhismus, Zeitjournal 1/2011, S. 23ff 

  5. Vgl. Victoria: Zen, Nationalismus und Krieg, S. 24f 

  6. Vgl. Victoria: Zen, Nationalismus und Krieg, S. 42 

  7. D.T. Suzuki: Shin Shukyo Ron, in: Suzuki: Daisetsu Zenshu, Bd. 23, S. 136f 

  8. D.T. Suzuki: Shin Shukyo Ron, in: Suzuki: Daisetsu Zenshu, Bd. 23, S. 139f 

  9. Shaku: Sermons of a Buddhist Abbot, S. 203 

  10. Shaku: Sermons of a Buddhist Abbot, S. 199-203 

  11. Vgl. Beasley: The modern History of Japan, S. 172f 

  12. Zitiert in Heimin Shimbun (Nr. 39) vom 7. August 1904 

  13. Amida Buddha ist der Buddha des grenzenlosen Mitgefühls. Dieser Buddha kann um Hilfe bei der Erleuchtung gebeten werden. Der Buddhist hofft dann in einer friedlichen, paradiesischen Welt wiedergeboren zu werden, dem „Reinen Land“. 

  14. Zitiert nach Daito Satoshi: Otera no Kane wa Naranakatta, S. 131f 

  15. Sawaki: Sawaki Kodo Kikigaki, S.6 

  16. Sawaki: Zenkai Hongi o Kata (Über die wahre Bedeutung der zehn Regeln), Teil 9, in: Daihorin, Januar 1942, S. 107 

  17. Arai: A Buddhist View of World Peace, in: Japan Evangelist, Dezember 1925, S. 395-400 

  18. Das Sanskrit-Wort Sutra (= Faden, Kette) bezeichnet einen kurzen buddhistischen Lehrtext in Versform. Sutras werden rezitiert um sich die Lehren Buddhas einzuprägen und um meditieren dem Alleinen gegenüber zu öffnen. 

  19. Vgl. Victoria: Zen, Nationalismus und Krieg, S. 100f 

  20. Shimizu: Rissho Ankoku no Taigi to Nippon Seishin, S. 46 

  21. Akiyama: Sonno Aikoku-ron, S. 49-52 

  22. Vgl. Victoria: Zen, Nationalismus und Krieg, S. 121ff 

  23. Zitiert nach: Okura Seishin Bunka Kenkyu: Gokoku Bukkyo, S. 158 

  24. Vgl. Victoria: Zen, Nationalismus und Krieg, S. 128ff 

  25. Hayashiya / Shimakage: Bukkyo no Senso-kann, S. 4 

  26. Hayashiya / Shimakage: Bukkyo no Senso-kann, S. 18f 

  27. Victoria: Zen, Nationalismus und Krieg, S. 134 

  28. Vgl. Furukawa: Yakushin-Nihon to Shin Daijo Bukkyo, S. 2 

  29. Vgl. Hayashiya / Shimakage: Bukkyo no Senso-kann, S. 105 

  30. Furukawa: Yakushin-Nihon to Shin Daijo Bukkyo, S. 51 

  31. Furukawa: Yakushin-Nihon to Shin Daijo Bukkyo, S. 110f 

  32. Hata: Kokumin Seishin Sodoin to Bukkyo (Die allemeine spirituelle Mobilisierung des Volkes und des Buddhismus), in: Daihorin, Juli 1938, S. 16-18 

  33. D.T. Suzuki: Zen und die Kultur Japans, S. 251 

  34. Vgl. D.T. Suzuki: Zen und die Kultur Japans, S. 249 

  35. D.T. Suzuki: Zen und die Kultur Japans, S. 335f 

  36. Vgl. In: Donald S. Lopez Hrsg.: Curators of the Buddha – The Study of Buddhism under Colonialism, S. 161-196 

  37. Vgl. Victoria: Zen, Nationalismus und Krieg, S. 169ff 

  38. Vgl. Sugimoto: Taigi, S. 62 

  39. Sugimoto: Taigi, S. 139 

  40. Sugimoto: Taigi, S. 153f 

  41. Vgl. Victoria: Zen, Nationalismus und Krieg, S. 184f 

  42. Vgl. Victoria: Zen, Nationalismus und Krieg, S. 198f 

  43. Vgl. Zitiert nach Soto Shuho (Nr. 122) vom November/ Dezember 1944, S. 1 

  44. Imai: Waga-shu Kodai no Gunji-kankei no Kito to Ekobun, in: Zenshu, Januar 1938 (Nr. 513), S. 17 

  45. Vgl. Victoria: Zen, Nationalismus und Krieg, S. 202f 

  46. Kurebayashi: Jihen to Bukkyo (Der China Zwischenfall und der Buddhismus), in: Sansho, Oktober 1937 (Nr. 121), S. 375 

  47. Kurebayashi: Jihen to Bukkyo, S. 377 

  48. Kurebayashi: Jihen to Bukkyo, S. 378 

  49. John Whitney Hall: Das japanische Kaiserreich, Fischer Weltgeschichte Bd. 20, Frankfurt a.M., Fischer Verlag 1968, S. 331 

  50. Vgl. Dirk Liesemer: Angriff in den Tropen, in: Geo Epoche. Der Zweite Weltkrieg. Teil 1, 2010, S. 156 

  51. Vgl. Liesemer: Angriff in den Tropen, S. 157f 

  52. Vgl. D.T. Suzuki: Nihon no Reiseika, S. 1 

  53. D.T. Suzuki: Nihon no Reiseika, S. 7 

  54. Bodhisattva ist eine Person, die die buddhistische Erleuchtung erreicht hat aber auf den Eingang ins Nirwana verzichtet, um anderen Wesen bei ihrer Suche nach der Erleuchtung zu unterstützen. 

  55. D.T. Suzuki: Daijo Bukkyo no Sekaiteki Shimei – Wakaki Hitobito ni Yosu (Die Weltmission des Mahayana-Buddhismus – eine Schrift für junge Menschen), in: Suzuki: Daisetsu Zenshu, Bd. 28, S. 343 

  56. Zitiert nach: Nihon Shukyo-sha Heiwa Kyogikai: Shukyo-sha no Senso Sekinin; Kokuhaku, Shiryo-shu, S. 34 

  57. Soto Shuho, 18.Januar 1993, S. 28-31 

  58. Yanagida Seizan: Mirai kara no Zen, S. 56f 

  59. Vgl. Ichikawa Hakugen: Bukkyosha no Senso-sekinin (Die Verantwortung der Buddhisten für den Krieg), S. 150-154 

  60. Vgl. Victoria: Zen, Nationalismus und Krieg, S. 247 

  61. Vgl. T.D. Suzuki: Zen und die Kultur Japans, S. 318