ThemenBibelverständnis

Bibelkritisch und fromm

Einem, der die Bibel als das Wort Gottes liebt und sein Leben daran ausrichtet, kommt das zunächst recht komisch vor. Wie kann jemand fromm sein und zugleich die Bibel kritisieren? Wie kann jemand behaupten, die Bibel enthalte viele Fehler und Widersprüche, aber im selben Atemzug versichern, er sei ein guter Christ?

Nun, wenn dieser Jemand in gewissen Freikirchen Pastor werden will, muss er wohl betonen, dass er fromm ist, sonst bekommt er vielleicht die Stelle nicht. Anderer­seits: Warum sollte er nicht wirklich aufrichtig fromm sein können?

In dem (katholischen) Franz von Sales Lexikon fand ich die schöne Definition: „Frömmigkeit ist die Tugend, die den Glauben mit dem Leben verbindet.“

Die Frage ist nur, welchen Glauben ich meine. Wenn ich mich nämlich zum Richter über die Bibel aufwerfe, dann entscheidet mein Intellekt (oder der von anderen Menschen) darüber, was ich zu glauben und was ich abzulehnen habe. Entsprechend wird auch meine Frömmigkeit aussehen. Wenn so vieles in der Bibel nicht wirklich zu glauben ist, dann wird meine Frömmigkeit Lücken bekommen. Und irgendwann werden diese Lücken als Risse in meinem Leben sichtbar sein. Dann hat sich mein Gewissen schon meiner Bibelkritik angepasst.

Nach den Worten des Paulus wäre das aber eine selbstgewählte Gottesverehrung, eine eigenwillige Frömmigkeit, die in Wirklich­keit keinen Wert haben, sondern nur zur Befriedigung der menschlichen Natur dienen (Kol 2,23).

Es gibt noch einen anderen Begriff für Frömmigkeit, den Paulus vor allem in den beiden Briefen an Timotheus verwendet. Dieses Wort kann auch mit Gottesfurcht, bzw. Ehrfurcht vor Gott, übersetzt werden. Die Älteren kennen diesen Respekt vor Gott noch aus ihrer Kindheit. Doch die Zeiten haben sich auch im evangelikalen Lager geändert. Bald hieß es nämlich: „Gott ist dein Freund, Jesus ist dein Bruder. Vor ihm brauchst du keine Angst zu haben.“ Daran ist ja auch etwas Richtiges. Aber Jesus wurde nur allzu bald zum Kumpel und irgendwann ließ man sich auch nicht mehr viel von ihm sagen. Man hatte inzwischen seine eigenen Vorstellungen von ihm. Er degenerierte zu eine Art Versicherung für den Notfall.

Wieder wurde etwas aus der Bibel entfernt. Diesmal traf es sogar Jesus, den Herrn. Als Helfer und Lobpreisadressat durfte er bleiben. Als Herrn oder gar als Richter mochte man ihn nicht mehr.

Aber in der Bibel ist und bleibt er der Herr, ja der Herr aller Herren. Er ist die höchste Autorität, der man nur mit größter Ehrfurcht und bereitwilligem Gehorsam, aber auch mit hingebungsvoller Liebe und kindlichem Vertrauen begegnen kann. Und das gilt für alle Christen.

Ja, man kann fromm sein und gleichzeitig bibelkritisch, aber man sollte sich in diesem Fall wenigstens klar machen, dass dies eine selbstgewählte Frömmigkeit ist, bei der man nicht sicher sein kann, ob sie vor Gott Bestand hat.