1. Christliches Bekennen in einer erzwungenen Debatte
Schon die forcierte Diskussion um gleichgeschlechtliche Beziehungen selbst ist ein Faktum, das zunächst eindeutig zugunsten der Befürworter dieser Beziehungen ausschlägt. Das äußert sich etwa darin, dass psychologisch gesehen ein „Normalisierungseffekt“ eintritt – die Homosexualität, bislang von der theologischen Ethik eher in Umschreibungen wie „Sodomie“, „widernatürliches Laster“ usw. als in direkten Benennungen angesprochen, von der philosophischen Ethik gemeinhin als sitten-, naturrechts- und vernunftwidrig eingestuft, wird zu etwas mehr oder weniger „Vertrautem“, zu etwas, das schließlich die Massenmedien in die Häuser transportieren und von dem es dann am Ende nicht mehr überrascht, wenn auch der Pfarrer seine segnenden Hände darüber breitet.
Parallel dazu ist ein „Umkehrungseffekt“ bezüglich der Beweislast zu beobachten: Diejenigen, welche die christlichen Maßstäbe aufrechterhalten wollen, werden zu Anwälten des bloß Überkommenen, das der „gesellschaftliche Fortschritt“ gerade abarbeiten will, und scheinen sich dafür rechtfertigen zu müssen.
Von beiden Aspekten her ist es durchaus verständlich, wenn sich Christen manchmal scheuen, in diese Diskussion einzusteigen – besonders dann, wenn sie keine konkreten Seelsorgefälle vor Augen haben. Und man muss in der Tat abwägen, ob man den Effekten der „Normalisierung“ und der „Beweislastverschiebung“ wirklich noch seinerseits Vorschub geben soll.
Aber spätestens dann, wenn kirchenleitende Gremien durch Übernahme der Positionen der Homosexuellenlobby Gewissen in die Irre führen, hört das Abwägen auf. Wenn nach Maßgabe eines missdeuteten Liebesgebots Orientierungsuchende auf den falschen Weg gebracht und Ungefestigte schwankend gemacht werden, wenn unter christlicher Verbrämung das ewige Heil von Menschen aufs Spiel gesetzt wird und wenn von denen, die zu Wächtern über Gottes Gebote bestellt sein sollten, „Böses gut“ und „Gutes böse“ genannt wird (Jes 5, 20) – spätestens dann haben wir keinerlei Wahl mehr, ob wir uns als Christen nun äußern wollen oder nicht.
Nur soll auch gleich gesagt werden, dass wir hier keinen „Diskussionsbeitrag“ im landläufigen Sinn leisten. Was wir beizutragen haben, hat die Würde und die Kraft des Bekenntnisses. So kommt eine mehr als nur zeitliche Dimension, ein Ausblick auf Gottes Ewigkeit ins Spiel. Unser Bekenntnis stimmt von daher mit dem vorgegebenen Diskussionsrahmen nicht ohne weiteres überein. Die bisherigen Diskussionen haben gezeigt, dass sich die Geister radikal scheiden, wenn die Frage nach dem ewigen Heil, dem Bestehen des Menschen vor dem Angesicht Gottes, aufgeworfen wird. Das heißt nicht, dass das von uns auf die rechte Weise ins Spiel gebrachte Wort Gottes nicht in den Herzen weiterwirkte, nicht sich steigernde Verstockung oder doch auch die Umkehr bewirkte. Wir gelangen aber an den Punkt eines Entweder-Oder, einer Entscheidung, an dem die Frage nicht mehr auf die Argumentierkunst, sondern auf Nachfolge oder Verwerfung geht1 Der christliche Glaube kann sich zwar zu jedem Denken in ein begrifflich bestimmtes Verhältnis setzen. Aber das heißt nicht, dass er nicht immer auch eine metanoia , eine Umkehr des Denkens und seiner Bezugssysteme forderte.
Für den Apostel Paulus schließt praktizierte Homosexualität eindeutig von der Teilhabe am Reich Gottes aus
Kirchenleitungen versuchen bisweilen, die Nachfolgefrage in Beziehung auf das Thema Homosexualität auszuschalten, indem sie – wie etwa der verstorbene rheinische Präses Peter Beier2 – erklären, dass ethische Fragen nicht ohne weiteres Bekenntnisqualität hätten und deshalb auch entgegengesetzte Positionen zu ihnen möglich seien. Das widerspricht jedoch gerade im Falle der Homosexualität direkt dem biblischen Befund: Für den Apostel Paulus schließt nach 1Kor 6,9ff. praktizierte Homosexualität eindeutig von der Teilhabe am Reich Gottes aus, und es ist bemerkenswert, dass Paulus den entsprechenden Abschnitt mit der Ermahnung beginnt: „Lasset euch nicht irreführen!“ (V. 9b) – so, als wolle er unterstreichen, dass an dieser Stelle nun gerade mit Irreführung zu rechnen ist.
Aber zurück zu der erzwungenen Diskussion: Es geht in ihr, soweit sie den kirchlichen Raum betrifft, um die Revision des biblischen Urteils über die Homosexualität. Wenn wir uns hier mit diesem „Revisionismus“ befassen, so liegt darin die Chance, dass man aufmerksam wird auf die Mechanismen und Suggestivargumente, die hier ins Spiel kommen und denen manche Christen mehr oder weniger hilflos gegenüber stehen. Die Macht dieser Mechanismen und Scheinargumente kann gerade dadurch gebrochen werden, dass man sich etwas genauer vor Augen führt, was in ihnen eigentlich geschieht.
a. Allgemeine Einbettung der kirchlichen Befürwortung von Homosexualität: Kinseys Lustprinzip und homosexuelle „Bürgerrechtsbewegung“
Die innerkirchliche Diskussion um die Homosexualität ist nicht vom Himmel gefallen und verdankt sich in keiner Hinsicht irgendwelchen neuen theologischen Erkenntnissen. Tatsächlich sind die sogenannten diesbezüglichen Erkenntnisse in der Regel nur Zweitauflagen bestimmter Argumente, die im kirchlichen Umfeld seit den fünfziger Jahren, jenseits dieses Umfeldes aber im Umkreis bestimmter „emanzipatorischer“ Theoriebildungen entstanden sind3 So wird z.B. mit einer Isolierung des Lustprinzipis operiert, das aus den gesamtpersonalen Bezügen herausgelöst wird. Diese These ist in unserem Jahrhundert am nachhaltigsten von der Sexualtheorie des amerikanischn Zoologen Alfred Ch. Kinsey (1894-1956) ausgesprochen und propagiert worden. Sie besagt nichts anderes, als dass der „Sinn“ der Geschlechtlichkeit des Menschen in individuellem Lustgewinn bestehe und insbesondere von dem Aspekt der Zeugung von Nachkommenschaft abzulösen sei. In welcher Form dieser Lustgewinn erzielt wird, ist dabei gleichgültig. Den Niederschlag dieser auf Kinsey fußenden Theorien finden wir inzwischen sehr handgreiflich in kirchenamtlichen Verlautbarungen.
Rheinische Landessynode: Die Ehe ist keine Schöpfungsordnung. Sexualität ist Begehren und Lust.
Die 1996 von der rheinischen Landessynode publizierte Handreichung „Sexualität und Lebensformen“ sowie „Trauung und Segnung“4 enthält beispielsweise ein eigenes Kapitel unter der Überschrift „Von Gott geschaffene Lust“. Sexualität ist nach diesem Papier „Begehren und Lust, die Gott mit seinem Schöpfungsakt erzeugt hat“, während zugleich bestritten wird, dass auch die Ehe mit dem göttlichen Schaffen intendiert sei: „Dass die Ehe, gar wie wir sie kennen, eine ‚Schöpfungsordnung‘ sei, ist eine dogmatische Konstruktion, aber keine Aussage der Bibel“5 Nach Meinung der Verfasser geht es vielmehr in der Sexualität primär darum, dass „Menschen Lust aneinander finden“, dass ihr „Leben“ durch eine „von Gott geschenkte Lebenslust“ „reicher, voller, schöner“ werde, ja es wird sogar erklärt, „in den guten Erfahrungen von sexueller Befriedigung und Vereinigung“ könne „der Vorgeschmack auf das Reich Gottes fragmentarisch gespürt werden“6
Nach dem Orgasmusprinzip ist gleichgültig, wer das Lustobjekt wird
Für diese in der Kirche nunmehr offen nachgeholte „sexuelle Revolution“ ist es dann, ähnlich wie bei Kinsey, ganz gleichgültig, wer das „Lustobjekt“ wird:
„Die von einer Frau ausgehende sexuelle Faszination, die in der Schöpfungsgeschichte als die Erfahrung des Mannes erzählt wird, ist“ – so weiß es zumindest der rheinische theologische Ausschuss – „genauso auch die Erfahrung lesbischer Frauen“7
Damit ist, abgeleitet aus dem Lust- oder Orgasmusprinzip, die Tür für die „theologische“ Neubewertung der Homosexualität aufgestoßen. Bemerkenswert ist auch, dass in dem rheinischen Papier ununterbrochen von Sexualität die Rede ist und das Wort „Liebe“ nur an vereinzelten Stellen auftaucht. Schon dies ist die gerade Umkehrung des biblischen Befundes: Denn in der Bibel gibt es keine verselbständigte „Sexualität“, noch nicht einmal ein eigenes Wort für sie, wohl aber weiß die Bibel wie kein anderes Buch um die Liebe, für die sie Maß nimmt an der Liebe Christi, der sein Leben hingab für die Seinen.
Die Grundthese Kinseys läuft auf eine Verselbständigung der Sexualität hinaus8 von der dann empirisch beobachtbare, dem Wert nach gleichberechtigte „Unterarten“ aufgelistet werden. Neben die sogenannte „Heterosexualität“ tritt die „Homo-“ oder „Bisexualität“ bis hin zur Pädophilie, für die gleichfalls seit mehreren Jahren evangelische Theologen Partei ergreifen9
Wo diese Voraussetzung unbefragt geteilt und jede normative Bewertung unterlassen wird, ist der nächste Schritt rasch getan: Die „Vertreter“ der jeweiligen Spielarten „identifizieren“ sich mit „ihrer“ Sexualität und formulieren eine jeweilige „sexuelle Identität“, für die sie Anerkennung fordern.
In den USA haben entsprechende Initiativen inzwischen weitgehende Erfolge erzielt10 In Europa war Dänemark das erste Land, das die staatliche Homosexuellenehe eingeführt hat (1989), es folgten Norwegen, Schweden und Holland, wobei es in den Niederlanden seit Beginn des Jahres 1998 auch ein Adoptionsrecht für homosexuelle Paare gibt11 Das Parteiprogramm der „Grünen“ zur Bundestagswahl 1998 enthält die Forderung nach unbeschränkter Gleichstellung von homosexuellen Verbindungen mit der Ehe, das Adoptionsrecht eingeschlossen; außerdem wird ein Antidiskriminierungsgesetz zugunsten der Homosexuellen angekündigt und soll ein Bundesbeauftragter für Homosexuelle eingesetzt werden.12 Auch die SPD hat im März 1998 einen Gesetzesentwurf eingebracht, der sich als „Gesetz zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgebotes“ versteht und mit der Begründung, „die Verweigerung eines familienrechtlich verfassten Instituts“ stelle „eine diskriminierende Ungleichbehandlung von gleichgeschlechtlichen Paaren dar“, die Schaffung eines Instituts der homosexuellen Lebenspartnerschaft“ verlangt, das „in jeder Hinsicht der Ehe nachgebildet“ sein soll.13
Die Grünen: Antidiskriminierungsgesetz zugunsten der Homosexuellen angekündigt, ein Bundesbeauftragter für Homosexuelle soll eingesetzt werden
Das Erschreckende ist wiederum, dass auch diese Tendenz durch Kräfte der evangelischen Kirchen vorangetrieben wird. Im Deutschen Bundestag sind in den vergangenen Jahren eine Reihe von synodalen Stellungnahmen eingegangen, die die rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen mit Ehepaaren oder auch ein spezielles Asylrecht für homosexuelle Ausländer gefordert haben14 Auch die sogenannte „Orientierungshilfe“ der EKD „Mit Spannungen leben“ aus dem Jahr 1996 hat sich hier eingereiht15 Schließlich hat der rheinische theologische Ausschuss vor der Landessynode 1999 formuliert:
„Was 1948 ‚besonderer Schutz‘ für ‚Ehe und Familie‘ hieß, muss in unsere heutige Situation übersetzt werden.“
Das heißt konkret:
„Bestehende Privilegien (z.B. Steuervorteile) für die Lebensform ‚Ehe‘ als solche sollten kritisch überprüft werden“.
Die kirchliche Diskussion um Homosexualität ist ein Indiz dafür, dass die Kirche längst Welt geworden ist und nur noch nach Selbstbestätigung in dieser sucht
Zugleich soll der Begriff „Familie“ von dem der Ehe gelöst werden: „Familie“ soll jede „auf Dauer angelegte Lebensform“ sein, „in der Menschen generationenübergreifend füreinander Verantwortung übernehmen“ – womit dann auch ein homosexuelles Paar gemeint sein kann, das Kinder adoptiert.16 Insofern mündet die kirchliche Diskussion um Homosexualität in genau jene gesellschaftspolitischen Zielsetzungen ein, die auch von den „bürgerbewegten“ Homosexuellen verfolgt und reklamiert werden. Diese Konformität ist gewiss nicht zufällig. Theologisch gesehen ist sie ein Indiz dafür, dass die Kirche längst Welt geworden ist und nur noch nach Selbstbestätigung in dieser sucht17
b. Methoden der Propagierung homosexueller Zielsetzungen (Umpolung, Queering und das Homophobie-Argument)
Diese Methoden sind zunächst aus den Erfahrungen der „klassischen“ Bürgerrechtsbewegungen gewonnen. Dazu gehören große öffentliche Aufmärsche, andere spektakuläre Aktionen wie z.B. die Standesamtaktion in Deutschland, Unterschriftensammlungen bei Intellektuellen, das Sponsoring bestimmter Forschungen, von denen man sich erwünschte Resultate verspricht, das Führen von Musterprozessen usw. Es gibt aber auch subtilere Methoden, zum Beispiel den Versuch der „Umpolung“ autoritativer Bezugsinstanzen. Im kirchlichen Bereich ist das vor allem die Bibel, die bestimmten Zweck-Exegesen unterworfen wird. Solche Versuche reichen 1. von vorsichtigen Aspektverschiebungen über 2. E-silentio-Argumente bis zu 3. groben Verdrehungen der biblischen Aussagen.
1. Die „Theologische Ethik“ Helmut Thielickes18 als Beispiel für die, „behutsame“ Variante
Thielicke, der sich in den 80er Jahren19 offen zugunsten der kirchlichen Homosexuellensegnung ausgesprochen hat,20 argumentiert in seiner Ethik im Blick auf Röm 1, 26f wie folgt: Homosexualität dient für Paulus nur zur Illustration einer bestimmten übergeordneten Aussage, sie ist „Aussage-Mittel und nicht selbstzwecklicher Gegenstand der Aussage-Intention“, woraus sich „eine gewisse Freiheit zu einer Neubesinnung“ ergebe.21 Mit diesem Argument: „Paulus redet zwar von der Homosexualität, meint aber im letzten etwas anderes“, hat Thielicke den Prototyp einer argumentativen Struktur benutzt, die sich wie ein roter Faden durch alle neueren Bemühungen zur Aufwertung der homosexuellen Lebensform durch „Umpolung“ der biblischen Autorität zieht.
Aus der biblischen Verwerfung „schließt“ man, dass es einen „gottgefälligen“ Gebrauch der Homosexualität geben könne
Der Kehrreim, auf den diese Bemühungen inhaltlich immer führen, lautet: Wenn in der Bibel Homosexualität verworfen wird, dann ist im Grunde nicht sie selbst, sondern ein bestimmter Missbrauch der Homosexualität gemeint – woraus dann geschlossen werden soll, dass es durchaus so etwas wie einen „guten“ und „gottgefälligen“ Gebrauch der Homosexualität geben soll. Was der Maßstab des „guten Gebrauchs“ sein soll, kann im nächsten Schritt aus einem beliebigen ethischen Bezugssystem abgeleitet werden, wobei heute zumeist von einer „partnerschaftlichen“ Gestaltung, bei Thielicke von einer „geschlechtliche[n] Selbstverwirklichung“ nach „ähnliche[n] Normen … wie im normalen Verhältnis der Geschlechter“22 die Rede ist.
Doch die Bibel verurteilt nicht den Missbrauch der Homosexualität in irgendwelchen heidnischen Kulten oder in Vergewaltigungen,23 sondern uneingeschränkt sie selbst. Die theologische Tradition hat u.a. betont, dass alle homosexuelle Betätigung eine Ungerechtigkeit enthält und dass sie immer das Gegenteil von Liebe ist, denn die Liebe im christlichen Sinn ist durch die Gegenwart des Heiligen Geistes qualifiziert, der nicht das Übertreten des göttlichen Gebotes wollen kann.
2. „E-silentio-Argumente“
Das sind „Beweise“ aus dem Nichtvorliegen einer Aussage, die logisch gesehen nur sehr eingeschränkt schlusskräftig sind. Schlüssig ergibt sich aus einem Schweigen jeweils nur eine eingeschränkt-negative Aussage, jedoch nur indirekt oder gar nicht eine bestimmte Position. So kann man aus der Tatsache, dass in der Bibel zwischen homosexueller „Anlage“ und ebensolcher „Praxis“ an keiner Stelle unterschieden wird, zwar schließen, dass diese Unterscheidung für die Bewertung der Homosexualität in der Bibel offenbar keine Rolle spielt. Man kann jedoch nicht daraus schließen, dass eine entsprechende Unterscheidung z.B. Paulus nicht bekannt war; sie ist übrigens in der Antike nachweisbar24 Man kann weiterhin aus der Tatsache, dass im Schöpfungsbericht die Homosexualität nicht erwähnt wird, schließen, dass nach diesem Bericht Homosexualität jedenfalls kein Zielgegenstand der Schöpfung war, aber man kann nicht daraus schließen, dass sie dennoch irgendwie mitgewollt sei. Man kann auch aus der Tatsache, dass Jesus selbst zum Thema Homosexualität schweigt, nicht entnehmen, dass er sie bejahe. Dem widerspricht nicht nur die Aussage Jesu, dass er nicht gekommen sei, das Gesetz aufzuheben, sondern es zu erfüllen (Mt 5,17), worin die Bestimmungen aus dem Heiligkeitsgesetz zur Homosexualität natürlich mitbegriffen sind. Das Schweigen kann hier gerade auch die Bestätigung einer „Tabuisierung“ sein, die für den jüdischen Wirkungskreis Jesu durchaus zu unterstellen ist;25 erst Paulus, der mit der Welt des Hellenismus in Berührung kam, musste ausdrückliche Grenzen ziehen.
Die Argumente aus dem Schweigen eines Textes dienen den Befürwortern eher dazu, bestimmte überkommene Urteile zu erschüttern
Alle Argumente aus dem wirklichen oder vermeintlichen Schweigen eines Textes haben nur eine sehr beschränkte Reichweite. Sie dienen den Befürwortern der Homosexualität in bezug auf die Bibel auch mehr dazu, bestimmte Urteile zu erschüttern und in einem zweiten Schritt „neue“ Urteile einzuführen. Als Beispiel noch einmal eine rheinische These: In Röm 1,26 soll nicht von Lesbianismus, sondern von anderen Perversionen die Rede sein; daraus ergebe sich, dass die Bibel den Lesbianismus an keiner Stelle ablehne, was angeblich den Weg zu seiner Bejahung freimache. Diese Exegese ist schon von daher halsbrecherisch, als die von Paulus ausdrücklich konstatierte Übereinstimmung zwischen weiblichem und männlichem Fehlverhalten ( homoios te kai = gleich wie auch“, V. 27) so unter den Tisch fiele und auch nicht ganz nachzuvollziehen wäre, worin sonst Paulus die aktive Verkehrung des „natürlichen Verhältnisses“ durch die Frau als gerade im Lesbianismus sehen könnte.
3. Die grobe Verdrehung biblischer Aussagen
Ich zitiere noch einmal die rheinische Handreichung von 1996:
„Werden die sieben Bibeltexte, die männliche Homosexualität verurteilen, … differenziert verstanden, dann folgt daraus kein grundsätzliches Verbot jeder homosexuellen Praxis. Und werden die Aussagen der Schöpfungsgeschichten über Sexualität als ‚offene Aussagen‘ verstanden, die auch auf gleichgeschlechtliche Liebe bezogen werden können, obwohl sie dazu schweigen [hier wird zugegeben, dass e silentio argumentiert wird!], dann kann homosexuelle Liebe bejaht werden. Unter diesen Voraussetzungen gibt es dann kein theologisches Argument, den Wunsch eines gleichgeschlechtlichen Paars nach einer Segenshandlung im öffentlichen Gottesdienst abzulehnen“26
Man wird es geradezu als ein Zeichen befreiender, wiewohl iregeleiteter Ehrlichkeit empfinden, wenn ein amerikanischer Wortführer der kirchlichen Homosexuellen-Bewegung offen proklamiert: „Verzichten wir auf die Versuche, in die Bibel etwas hineinzulegen, was sie nicht hergibt! … Verzichten wir auf die Bibel und die christliche Tradition überhaupt!“27
Weitere unlautere Methoden zur Durchsetzung der homosexuellen Ziele.
Es wird versucht, herausragende Persönlichkeiten als Homosexuelle hinzustellen
Queering ist die Methode gezielter „Verschwulung“ anerkannter Autoritäten, geistiger Größen und herausragender Persönlichkeiten. Das englische Adjektiv „queer“ und das gleichlautende Verbum gehören einer slangartigen bis vulgären Ausdrucksweise an und beziehen sich auf etwas „Krummes“, „Falsches“, „Kaputtes“ oder eben auch „Schwules“. In den USA, aber auch andernorts gibt es nun pseudowissenschaftliche Projekte, die z.B. „Queering Goethe and his Age“, „Queering Shakespeare“28 usw. heißen. Es wird dabei versucht, Goethe oder Shakespeare als Homosexuelle hinzustellen, um dadurch einerseits die Homosexualität selbst aufzuwerten und andererseits die bestehende kulturelle Gesamtorientierung zu destabilisieren. Aus dem letztgenannten Grund wählt man auch gezielt den vulgären Ausdruck, um dadurch zum Ausdruck zu bringen, dass nicht weniger als das gesamte ethisch-kulturelle Wertesystem angetastet werden soll, um den eigenen Zweck zu erreichen. Wenn inzwischen in Frankreich ein ganzes Lexikon von herausragenden Persönlichkeiten zusammengestellt worden ist, die angeblich homosexuell gewesen sein sollen – manchmal auch ohne, dass sie sich dessen wirklich bewusst geworden wären, oder auch ohne, dass sie ihre Neigung ausgelebt hätten –, dann ist das Prinzip dabei die Methode des Verdachts: Wir sollen nicht mehr rein frei Beethoven hören können, weil er seinen Neffen vielleicht doch nur aus irregeleiteter Begierde adoptieren wollte …
Die Methode des „Queering“ bereitet den Boden für die ethische Desorientierung
Das gleiche „Queering“-Verfahren findet dann auch Anwendung auf die Heilige Schrift: Ich kenne „Predigten“ über David und Jonathan, in denen diese als mustergültiges homosexuelles Paar hingestellt werden; es ist bekannt, dass man versucht hat, Paulus zu einem Homosexuellen zu stempeln,29 um von noch übleren Anwendungen der Methode zu schweigen. Diese Methode muss deshalb ernst genommen werden, weil sie, auch wenn sie in ihren konkreten Anwendungen auf wüsten Willkürdeutungen beruht (so sehr die Bibel weiß, dass auch die besonderen Werkzeuge des Handelns Gottes in der Geschichte wie David oder Paulus Sünder sind, so gibt es doch keine einzige heilsgeschichtliche Gestalt, von der die Bibel eine Gefangenschaft gerade unter dem widernatürlichen Laster berichtet), doch eine „subkutane“ Wirkung entfaltet, die den Boden für die ethische Desorientierung bereitet. Um dieser Wirkung zu widerstehen, bedarf es bisweilen neben dem klaren Verstand echter geistlicher Vollmacht, die jederzeit erkennt, wo ein Lügengeist am Werke ist, der mit der Heiligkeit des Wortes Gottes soviel gemein hat wie die Finsternis mit dem Licht. Ihm gilt es zu widerstehen, und zwar nicht in jedem Fall mit der ausdrücklichen Widerlegung, sondern bisweilen auch so, wie Jesus selbst den Disput mit dem Versucher beendete:
„Hebe dich weg von mir, Satan! Denn es steht geschrieben: Du sollst anbeten Gott, deinen Herrn, und ihm allein dienen“ (Mt 4,10).
Mit dem Argument der Homophobie sollen strategische Diskussionsvorteile erzielt werden. Es handelt sich hier um ein Befangenheitsargument, das auf einer Umkehrung der tatsächlichen psychologischen Verhältnisse beruht: An die Stelle der Anerkennung der Tatsache, dass die verqueren Exegesen der Homosexuellenlobby gerade auf einer Befangenheit in bestimmten, hartnäckig verteidigten Voraussetzungen beruhen, tritt die Unterstellung, es seien gerade die anderen Befangene, Bornierte, unter „Ängsten“ Leidende.
Am 16.1.1997 strahlte das ZDF in Auftrag und Verantwortung der EKD-Rundfunkarbeit einen „Gottesdienst“ im Sinne der Homosexuellenlobby aus. Der „Prediger“, das rheinische Kirchenleitungsmitglied Dr. Rainer Stuhlmann, der zugleich der wichtigste Verfasser des Papiers von 1996 ist, stellte hier u.a. die Suggestivfrage:
„Ist vielleicht unsere Angst die geheime Brille, mit der wir ein Verbot gleichgeschlechtlicher Liebe in die Bibel hineinlesen?“30
Das ist das klassische „Homophobieargument“, das im Zusammenhang auch emotional vorbereitet wird, wenn Stuhlmann eine Art negativer „Bekehrungsgeschichte“ erzählt: Er selbst sei „beschämt“ worden, als er aus dem „Wortlaut der Bibel“ begriffen habe, dass diese nichts gegen homosexuelle Beziehungen habe. Dann habe er sich gefragt: „Wie kommt es, dass Menschen gegen den Wortlaut der Bibel diese Verbote in sie hineinlesen?“ Es folgt das Homophobieargument, das die Antwort suggeriert – und die Regieanweisung für den Kameramann: „Die aufgeschlagene Bibel zeigen“.
Es ist sicherlich richtig, dass wir unsererseits unsere Argumentation nicht durch irgendwelche Affekte bestimmen lassen sollen und Homosexuellen als Personen auch nicht mit affektiver Abwehr begegnen dürfen. Aber jenseits dieses eher vordergründigen Sachverhalts ist das Homophobieargument Unfug und eine Verkehrung der wahren Verhältnisse. Denn wenn wir sagen, dass die Bibel Homosexualität verurteilt, stellen wir nicht sehr viel mehr fest, als dass zwei mal zwei vier ist, wie jeder seriöse Exeget weiß.
Das in homosexuellen Bindungen befangene Bewusstsein hat „Angst vor dem Guten“
Kierkegaard hat in seiner Studie über den Begriff Angst darauf hingewiesen, dass es ein sehr grundsätzlicher Unterschied ist, ob jemand „Angst vor dem Bösen“ oder aber – wie im Falle des in homosexuellen Bindungen befangenen Bewusstseins, das Kierkegaard in diesem Zusammenhang ausdrücklich erwähnt – „Angst vor dem Guten“ hat.31 Das damit Angesprochene wird für die Überlegungen zur seelsorgerlichen Dimension seine Rolle spielen.
2. Unaufgebbare ethische Positionen
Zu den Grundprinzipien schriftgemäßer Theologie gehört es, dass sie es einerseits nicht gestattet, den sogenannten „Geist“ der Bibel gegen ihren Buchstaben auszuspielen, denn so wie Gott in Christus Fleisch wurde, so ist auch sein Wort nicht nur „Zeichen“, das auf die Offenbarung „hinweist“, sondern selbst die Offenbarung. Andererseits aber ist sie auch darauf verpflichtet, die Gegenwart des einen Gesamtsinnes der Offenbarung im einzelnen zu entfalten. Von daher ist der Bezugsrahmen der theologischen Bewertung der Homosexualität auch der gesamte Heilsplan Gottes von der Schöpfung bis zur Vollendung seines Reiches. Es ist wichtig genug, dass die biblische Verwerfung der Homosexualität in inneren Bezügen zur Schöpfungslehre (Röm 1,18ff.) und zur Eschatologie (1Kor 6,9ff.), zum Sinaibund (3Mose 18,22; 20,13) wie zur apostolischen Lebensordnung des neuen Bundes (1Tim 1,9f.) steht. Denn wie nach Röm 1,18ff die „Vertauschung“ der Geschlechter in homosexuellen Beziehungen auf die Vertauschung des wahren Schöpfergottes gegen geschöpfliche Bilder folgt, so kommt 1Kor 6,10 das zukünftige Reich Gottes ins Spiel, von dem Homosexualität gerade ausschließt. 1Tim. 1,9f. zeigt, dass die Homosexualität mit den anderen hier genannten Vergehungen unter dem Gesetz, nicht unter der Heilsordnung des Evangeliums steht und daher auch nicht „Liebe aus reinem Herzen und gutem Gewissen und aus ungefärbtem Glauben“ sein kann (V. 5).
Die Bibel sagt uns schonungslos, dass in allen Zwecken, die sich der natürliche Mensch setzt, die Sünde wohnt und der uns gesetzte Zweck verfehlt wird. Das Trachten des menschlichen Herzens geht nicht auf das Reich Gottes, sondern es ist böse von Jugend auf und verfehlt seine innere Bestimmung. Von daher prüft die biblische Ethik Handlungen ihrem Inhalt nach und beschränkt sich nicht auf formale Verfahrensregeln für ein Handeln überhaupt. Sie führt entsprechend zum Gericht Gottes über Personen, nicht nur über in der Form verfehlte Taten. Das gilt für uns alle, und für uns alle gibt es nur den einen Retter aus dem göttlichen Gericht, Jesus Christus.
Verballhornung der Rechtfertigungslehre: Gott nehme uns an, wie wir sind, und deshalb sollten auch wir uns annehmen, wie wir sind
Aus dem zuletzt Gesagten folgt bereits, dass es vor Gott eines nicht geben kann: das Pochen auf meine „sexuelle Identität“. Es ist gerade die Verballhornung der Rechtfertigungslehre, wenn man heute immer wieder hört, Gott nehme uns an, wie wir sind, und deshalb sollten auch wir uns annehmen, wie wir sind. Wir empfangen unsere „Identität“ vielmehr gerade von Gott her, sei es im Gericht, sei es in der Rechtfertigung, deren Zielbestimmung ja gerade die neue Kreatur ist, als die Gott den Glaubenden in Christus aus Gnaden ansieht.
Die Frage nach der biblischen Bewertung der Homosexualität hat nun unmittelbar mit der Frage des Beharrens auf der endlichen Identität zu tun, die der Zielbestimmung Gottes für unser Leben widerspricht. Gott erschuf den Menschen als Mann und Frau, d. h. in einer Identität, die auf den bestimmten anderen Menschen bezogen ist. Der Schöpfungsbericht macht auch klar, dass der Mensch sich in seiner Gottebenbildlichkeit von dem real Anderen, von dem Nächsten des anderen Geschlechts her definiert. Denn erst darin liegt die von Gott gesegnete Fruchtbarkeit (1Mose 1,28), d. h. die kreatürliche Teilhabe an der fortgesetzten Schöpfung. In der Homosexualität liegt dagegen eine Verweigerung dieser Bestimmung gegenüber, die nach Paulus schon selbst der „Lohn der Verirrung“ ist. Die Tatsache, dass männliche Homosexualität höchste Promiskuitätsraten aufweist und die von den Kirchen bisweilen angepriesenen „monogamen“ homosexuellen Verbindungen praktisch nicht vorkommen,32 sind gleichsam die empirische Bestätigung der paulinischen Diagnose, dass das Verlassen des natürlichen Umgangs sich an sich selbst bestraft.
Die Ratschläge der EKD sind in hohem Maße unbarmherzig, weil sie den Weg zur Buße und zur Erneuerung abschneiden
Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass die Bibel zwischen homosexueller Anlage und homosexueller Betätigung, wie bereits erwähnt, nicht unterscheidet. Man wendet heute oft ein, gerade deshalb käme die Bibel für eine Bewertung der Homosexualität nicht in Betracht, weil wir heute wüßten, dass es homosexuelle „Anlagen“ gäbe, die vielfach auch nicht reversibel wären. Dagegen ist zu halten, dass ethisch betrachtet das Begehren nicht weniger verfehlt ist als seine Realisierung – freilich mit dem Unterschied, dass in der Praxis noch eine weitere Person involviert wird, sich insofern die Sünde „fortpflanzt“ und größere Kreise zieht. Die Bibel deckt die Sünde immer an ihrer Wurzel auf, und sie lässt unserer Selbstverliebtheit keinen Raum. Sie kann dies auch nicht, weil sie sonst den Sünder auf seine Sünde festlegte und ihn sich nur immer tiefer in sie eingraben ließe. Die Ratschläge der EKD, Homosexualität „partnerschaftlich“ zu gestalten, sind in hohem Maße unbarmherzig, weil sie den Weg zur Buße und zur Erneuerung abschneiden.
3. Seelsorge als Hilfe zur Überwindung der Feindschaft gegen Gott
Die Revision des Urteils über gleichgeschlechtliche Beziehungen ist im kirchlichen Umfeld immer wieder mit „seelsorgerlichen Erwägungen“ motiviert worden. Auch im evangelikalen (!) Raum wird manchmal argumentiert, dass die etwa 4% Homosexuellen, von denen in der Gesamtbevölkerung auszugehen sei, doch ungefähr so viele Menschen wären wie sonntags den evangelischen Gottesdienst besuchen. Oder man beginnt einen Vortrag mit der Bemerkung, dass statistisch gesehen unter den Teilnehmern soundso viele Homosexuelle anwesend seien. Gewollt oder ungewollt wird auf diese Weise ein emotionaler „Betroffenheitsdruck“ erzeugt, der einer theologisch unbestechlichen Urteilsbildung in der Sachfrage eher abträglich als förderlich ist. Am Ende hört man dann das Argument, das jüngst ein Bischof aus dem Bereich der EKD gegenüber einem evangelikalen Leiter verwendete: „Wenn Ihr Sohn homosexuell wäre, wären Sie auch nicht dagegen!“
Ich weiß nicht, ob es Eltern gibt, die bereit wären, eine Mathematikreform zu fordern, nur weil ihr Kind Rechenschwierigkeiten hat. Etwas ganz anderes ist es, nach geeigneten didaktischen Methoden oder einem guten Nachhilfelehrer Ausschau zu halten, durch die dem Kind geholfen werden kann. Das kann erst recht bei einer Frage, die das ewige Heil, eine spezielle Sündenerkenntnis und ebenso spezielle Früchte der Buße betrifft, nicht anders sein. Das zwingt uns dazu, die seelsorgerliche Dimension nach ihrem Wesen und Auftrag sehr grundsätzlich zu bedenken.
Echte Seelsorge ist mehr als „Lebenshilfe“, und „Krisenmanagement“, sie führt zu Buße und Umkehr
Gegen ihren biblischen Sinn versteht man Seelsorge heute oftmals als „Lebenshilfe“, als „Krisenmanagement“ und so von vornherein als innerweltliche Aufgabe unter dem Aspekt des jeweils „Machbaren“. Pastoralsoziologie, Psychologie und Gruppendynamik stellen dann das „Know-how“ bereit, auf das der erfolgsorientierte Seelsorger zurückgreift.
Dagegen muss entschieden festgehalten werden, dass bei aller anzuerkennenden Nützlichkeit einer weitgefassten empirischen Menschenkenntnis der Sinn der Seelsorge zentral ein anderer ist. Seelsorge fragt nicht nur danach, wie einer in dieser oder jener Situation „über die Runden kommt“. Echte Seelsorge ist von der Unterweisung in der christlichen Lehre, vom Gebrauch der Sakramente und speziell von Beichte und Buße her definiert. Der Fluchtpunkt aller akuten Seelsorge kann dabei nur die Umkehr des Sünders, die Buße, aber auch die Bußfreude samt ihren Früchten sein. Von daher ist es gerade im Interesse der Seelsorge geboten, dass in ihr Gottes Urteil offen ausgesprochen und an diesem Punkt, an dem es um Sündenerkenntnis geht, gerade nicht herummanipuliert wird. Eine Retterliebe, die gegen die Wahrheit Einspruch einlegt, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Und es ist zugleich so, dass jeder Sünder in seinem Innersten um das Recht des Wortes Gottes weiß, seine Sünde aufzudecken.
Wer heute wagt , sich offen zum biblischen Zeugnis über die Homosexualität zu stellen, muss besonders in der Öffentlichkeit (weniger im Einzelgespräch) mit Abwehr, Hass und anderen Reaktionen rechnen, die alles andere als „rational“ sind. Nach Kierkegaards Diagnose handelt es sich, wie wir gesehen haben, bei homosexuellen Besetzungen des Bewusstseins um eine „Angst vor dem Guten“, die er auch „dämonisch“ nennt. Das wird von daher bestätigt, dass es gerade in der „offenen“ Homosexuellenszene auch satanistische Tendenzen gibt, die durchaus als massive Festlegungen anzusehen sind.33 Wie in anderen Bereichen auch, erweist sich hier das scheinbar so aufgeklärte moderne Bewusstsein als jenes gekehrte und geschmückte Haus, in das nach dem Wort Jesu erst recht die bösen Geister einziehen (Lk 11,24-26). Von daher ist auch dringend davor zu warnen, die Akutseelsorge an Homosexuellen als eine Aufgabe anzusehen, die jeder Christ guten Willens sozusagen mit der linken Hand erledigen kann. Ich möchte mit diesem Hinweis darauf aufmerksam machen, dass es hier in besonderer Weise gefestigter, erfahrener und harte Gebetsarbeit leistender Menschen bedarf – was immer darüber hinaus das Wort Gottes in eigener Kraft zu bewirken vermag.
Kein Sünder muss auf seine „Identität“ festgelegt bleiben
Eine reale Chance wird von der Bibel angesprochen, denn in ihr kommt die Frage nach der Seelsorge an Homosexuellen ausdrücklich insofern vor, als 1Kor 6,11 eine „Vollzugsmeldung“ enthält:
„Einige von euch sind solche gewesen. Aber ihr seid abgewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes“.
Kein Sünder muss auf seine „Identität“ festgelegt bleiben, auch der aktive oder passive Homosexuelle nicht, von denen 1Kor 6,9 gesprochen hatte34 Streng genommen brauchen wir als Christen keine weitere Theorie über Entstehung oder Wesen der Homosexualität, obwohl es hier sicher einige beachtenswerte Erfahrungswerte (z. B. dass in der Kindheit missbrauchte Frauen eher zum Lesbianismus neigen als andere) und andere pragmatische Regeln gibt. Aber wir dürfen dankbar sein für all jene klarstehenden christlichen Initiativen, die sich bemühen, vollmächtige Geburtshelfer einer neuen Schöpfung gerade an Homosexuellen zu sein. Nicht zuletzt dank ihrer Arbeit gibt es auch heute – kirchlich meist nicht wahrgenommene – Zeugnisse freigewordener Menschen, die von der verändernden Kraft des Wortes Gottes künden. Gott ist größer als unser Herz – und auch mächtiger als alle menschlichen Anläufe gegen seine Ordnungen und seinen Erlösungswillen. Diese Perspektive sollte uns in der uns gegenwärtig aufgezwungenen Diskussion niemals verloren gehen.
Vgl. dazu Reinhard Slenczka, Kirchliche Entscheidung in theologischer Verantwortung. Grundlagen, Kriterien, Grenzen, Göttingen 1991, bes. S. 141-143, 225-227. ↩
Vgl. etwa das Interview „Warum heute evangelisch?“ mit Beier in idea-Spektrum 28/1996, S. 19: „Im übrigen sehe ich ein Problem bei denen, die zu schnell alles zu einer Prinzipien- und Bekenntnisfrage machen“. ↩
Einen guten Überblick gibt Jürgen- Burkhard Klautke, Gegen die Schöpfung. Homosexualität im Licht der Heiligen Schrift, Neuhofen 1998, S. 30ff. ↩
Diskussionspapier „Sexualität und Lebensformen“ sowie „Trauung und Segnung“, hg. von der Kirchenleitung der Ev. Kirche im Rheinland, Düsseldorf 1996. ↩
A.a.O., S. 34. ↩
A.a.O., S. 40. ↩
A.a.O., S. 35. ↩
Vgl. zu diesem Zusammenhang ausführlich „Verpflichtende Erkenntnis“ in: M. Aust/H.-Chr. Gensichen, Christlicher Glaube und Homosexualität. Argumente aus Bibel, Theologie und Seelsorge, Neuhausen/ Stuttgart 1994, S. 113ff. ↩
Vgl. nur für den deutschen Sprachraum Hans van der Geest, Verschwiegene und abgelehnte Formen der Sexualität, Zürich 1990, S. 135ff. ↩
Drastische Situationsschilderungen z.B. aus Neuseeland oder den USA enthalten verschiedene Beiträge in dem Sammelband Die andere Seite. Homosexualität und christliche Seelsorge, hg. von H.-Kl. Hofmann, U. Parzany, Chr. Vonholdt und R. Werner, Reichelsheim 1994. ↩
Rückenwind haben derartige Bestrebungen durch einen Beschluss des Europaparlaments vom 8.2.1994 erhalten, das sich mit 159 gegen 96 Stimmen für die rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare mit Ehepaaren, das Adoptionsrecht usw. ausgesprochen hat (vgl. idea-Spektrum 7/94, S. 4). ↩
Programmzur Bundestagswahl 1998, Bonn 1998, 97, S. 123f. Die „Grünen“ berufen sich dabei u.a. auf die Entscheidung des Europaparlaments. ↩
Zit. nach der Drucksache 13/10081 des Deutschen Bundestages vom 9.3.1998, Art. 8; Zitate aus der Begründung S. 15. ↩
So z.B. der Beschluss der westfälischen Kreissynode Dortmund- Nordost vom 24.6.1996, der mit Schreiben vom 3.7.1996 durch den Superintendenten R. Schunke an die Bundestagsfraktionen geleitet wurde. ↩
Zur kritischen Analyse des EKD-Textes vgl. Heinzpeter Hempelmann, Ohne Spannungen leben! in: Theologische Beiträge 28 (1997), 296-304. Vgl. auch Missverstandene Liebe, innere Widersprüche, ethische Verantwortungslosigkeit (gemeinsame Stellungnahme von 21 Gruppen, hg. von der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, dem Ev. Aufbruch Mittelrhein sowie dem Gemeindehilfsbund), Walsrode 1996. ↩
Publiziert als Reader III zum rheinischen Diskussionspapier ‚Sexualität und Lebensformen‘ sowie ‚Trauung und Segnung‘, Düsseldorf 1998, dort S. 14. ↩
Hier gilt das Urteil, das R. Slenczka aus Anlass des Entwurfs der „Leitlinien kirchlichen Lebens in der Vereinigten Ev.-Lutherischen Kirche Deutschlands“ (1997) formuliert hat („Wie sollen Christen heute leben?“, idea-Dokumentation 7/98, bes. S. 11: „Das Gericht der öffentlichen Meinung, aus dem es keine Rettung als durch Unterwerfung und Anpassung gibt, tritt an die Stelle des Gerichtes Gottes, dessen Maßstab die unveränderlichen Gebote Gottes sind …“). ↩
H. Thielicke, Theologische Ethik. Dritter Band, 3. Teil: Ethik der Gesellschaft, des Rechtes, der Sexualität und der Kunst, Tübingen 1964, S. 788ff. ↩
Wie zu Beginn der 60er der für ihn nicht unmaßgebliche Eheberater Theodor Bovet, vgl. u. a. Th. Bovet, Sinnerfülltes Anderssein, Bern 1962. ↩
Vgl. H. Thielicke, Auf der Suche nach dem verlorenen Wort. Gedanken zur Zukunft des Christentums, Hamburg 1986, S. 167f. ↩
Theologische Ethik, a.a.O., S. 800. ↩
Thielicke, a.a.O., S. 803f. ↩
Von den Befürwortern der Homosexualität wird z.B. die Sünde der Sodomiter in 1. Mose 19, 1-11 formalethisch auf eine Gastrechtsverletzung beschränkt. Es ist deshalb wichtig, daran zu erinnern, dass es sich nach Judas 7 ausdrücklich um eine Unzuchtssünde mit „fremdem Fleisch“ gehandelt hat. ↩
So seit der aristotelischen Schrift Problemata physica, IV, 26. ↩
Zur Ablehnung der Homosexualität im Judentum der Spätantike vgl. Verplichtende Erkennntis, a.a.O., S. 101f. ↩
‚Sexualität und Lebensformen‘ sowie ‚Trauung und Segnung‘, S. 94. ↩
Vgl. Gary D. Comstock, Gay Theology without Apology, Cleveland, Ohio 1993. ↩
In Deutschland stammt ein 1997 publizierter (absurder) Versuch, aus Goethe einen Homosexuellen zu machen, aus der Feder eines Verfassers, der sich zuvor mit praktischen Verfahren zur Demontage von Personen beschäftigt und seine Ergebnisse publiziert hat. ↩
Ein entsprechender Hinweis findet sich schon bei W. Lange-Eichbaum/W. Kurt (Hgg.), Genie, Irsinn und Ruhm, München/Basel 19676, S. 496. ↩
Ich zitiere nach dem ZDF-Drehbuch (Produktions-Nr. 554/00141 vom 19.1.1997), S. 16. ↩
Sören Kierkegaard, Der Begriff Angst, hg. von E. Hirsch (Gesammelte Werke 11. und 12. Abteilung), Düsseldorf 1965, S. 122ff., bes. S. 141-143 mit Anmerkung 232. Die nähere Kategorie, unter der Kierkegaard hier auf homosexuelle Bindungen als Ausdruck einer Angst vor dem Guten zu sprechen kommt, heißt: „Der somatisch-psychische Verlust der Freiheit“. ↩
Vgl. dazu die Angaben in Walter J. Chantry/Marlin Maddoux, Homosexualität: Mythos und Wahrheit. Zwei Vorträge (Schriften des Bibelbundes 0077), Hammerbrücke 1995, S. 42f. ↩
Darauf habe ich bereits in meinem Beitrag Eine Perspektive in der babylonischen Gefangenschaft der Kirche. Der Ev. Aufbruch Mittelrhein und die Initiative der Gruppen der Bonner in Erklärung, in: DIAKRISIS 17/2 (1996), dort Anm. 11, hingewiesen. ↩
Der Ausdruck arsenokoitai für aktive Homosexuelle, der 1Kor 6,9 und 1Tim 1,10 verwendet wird, wurde von Luther, da kein anderes deutsches Wort vorlag, mit „Knabenschänder“ übersetzt. Die Beschränkung auf die Pädophilie ist jedoch unzutreffend; das Wort bezieht sich allgemein auf Männer, die mit Männern Geschlechtsverkehr haben. ↩