ThemenPredigten und Bibelarbeiten

Die Ölbergrede Jesu

Versuch einer heilsgeschichtlichen Einordnung von Matthäus 24 und 25

Matthäus 24 und 25 haben Bibellesern von je her Kopfzerbrechen bereitet. Man weiß oft nicht, von welcher Wiederkunft Jesu hier die Rede ist. Besonders die Gleichnisse in Kap. 25 werden häufig missverstanden, weil man sie losgelöst von ihrem Zusammenhang betrachtet. Matthäus 24 und 25 umfassen jedoch nur eine Rede Jesu. Darin beantwortet er drei Fragen der Jünger (Mt 24,3).

Der Anlass der Ölbergrede

Beeindruckt von der Größe und dem Baustil des herodianischen Tempels geriet einer der Jünger in Begeisterung und wies Jesus auf die imposante Architektur des Tempels hin (Mk 13,1), worauf dieser die Zerstörung des Tempels durch die Römer unter der Führung des Generals Titus im Jahr 70 n. Chr. voraussagte (Mt 24,2). Die Jünger stellten ihm daraufhin drei Fragen (24,3):

  1. Wann wird der Tempel zerstört werden?
  2. Was ist das Zeichen der Wiederkunft Jesu?
  3. Wann wird das Ende der Welt kommen?

Jesus beantwortet diese drei Fragen seiner Jünger in Mt 24 und 25. In Mt 24 (wie auch in Mk 13 und Lk 21,5-36) beantwortet er die ersten beiden Fragen. Dabei beschränkt er sich nicht nur auf die direkte Beantwortung der Fragen, sondern geht auch auf das Umfeld der Fragen ein. Er antwortet so, wie es die alttestamentlichen Propheten getan hätten. Er schildert ein zeitlich naheliegendes Ereignis, die Zerstörung Jerusalems durch die Römer 70 n. Chr., um auf dessen Hintergrund ein fernes Ereignis vorauszusagen. Das nahe Ereignis ist ein Vorläufer des späteren universalen Ereignisses.

Das bedeutet, dass Jesus eine Periode der historischen Entwicklung zwischen seiner Auferstehung und seinem zweiten Kommen sah (Mt 24,14; Mk 14,9). Seit dem Fall Jerusalems im Jahre 70 n. Chr. bis zum heutigen Tage sind fast 2000 Jahre vergangen und das Ende der Welt, das manche für die kalendarische Jahrtausendwende voraussagten, ist bisher nicht eingetroffen.

Die prophetischen Informationen, die diese Kapitel geben, werden immer wieder unterbrochen von Warnungen vor Verführungen und von Ermahnungen zum wachsamen Gehorsam in der Zeit zwischen diesen beiden Ereignissen. Die Zeit zwischen der Zerstörung Jerusalems und dem Ende der Welt ist eine Zeit der Mission und Evangelisation, aber auch der Verfolgung und der Rebellion (Mt 24,3-14). Das ist wohl auch der Grund für die vielen Befehle und Ermahnungen (in 2. Person Plural) in diesen Kapiteln.

Die Ölbergrede bildet die Brücke zwischen der Rede Jesu über die religiösen Führer (Mt 23,2-36) und seinen Leidensankündigungen, sowie seiner Passion. Matthäus 24 und 25 zeigt, dass das religiöse Establishment gegen Jesus eingestellt war und ihn schließlich zum Tode verdammte, selbst unter dem Gericht Gottes stand (23,34-38).

1. Die zukünftige Zerstörung des Tempels (Mt 24, 2; Mk 13, 1-2; Lk 21, 5)

Der Hinweis der Jünger auf die architektonische Pracht des Tempels rief die Aussage Jesu in Mt 24,2 hervor.

Der herodianische Tempel in Jerusalem wurde erst im Jahr 64 n. Chr. ganz fertiggestellt. Er war mit großen fast weißen Steinen gebaut worden, die poliert und teilweise mit Gold dekoriert worden waren. Der kleinste Stein der Tempelmauer wiegt ca. zwei Tonnen, der größte fast 400 Tonnen und hat die Maße: 12 x 4 x 3 m. Der Tempelberg war von einer prächtigen Säulenhalle aus Marmor umgeben. Die verschiedenen Vorhöfe waren terassenförmig angelegt. Da der Tempel auf einer Anhöhe stand, war er von weitem sichtbar. Der Tempel-Bezirk wurde von Herodes durch Aufschüttungen und Stützmauern auf ca. 142.000 qm erweitert und bedeckte somit ca. ein Sechstel des damaligen Stadtgebietes. Er galt als eines der architektonischen Wunder der damaligen Welt. Für die Juden gab es nichts größeres auf der Welt als ihren Tempel. Während Herodes darauf bedacht war, das eigentliche Tempelgebäude nach den im Alten Testament gegebenen Maßen des salomonischen Tempels zu bauen, kannte doch sein Gigantismus in Bezug auf den gesamten Tempelplatz kaum Grenzen.1

Aber Jesus sah durch diesen irdischen Glanz hindurch. Er sah ein gegen Gott rebellierendes Israel, das zu sehr auf das äußere Einhalten des Kultus bedacht war. Seine geäußerte Weissagung war eigentlich eine Fortsetzung seines Gerichtes am Tempeldienst (Mt 21,12-17).

Jesus sah hinter dem irdischen Glanz ein gegen Gott rebellierendes Israel

70 n.Chr. ging der gesamte Tempelbezirk in Flammen auf.2 Der römische General Titus befahl, die ganze Stadt dem Erdboden gleich zu machen.3

Nachdem Jesus die Zerstörung des Tempels durch die Römer vorausgesagt hatte und damit die erste Frage der Jünger beantwortete, behandelt er jetzt die zweite Frage über das Zeichen seiner Wiederkunft. In der Einleitung zu diesen Ausführungen spricht er zunächst über allgemeine Zeichen, die den Anfang des Endes einleiten (24,8).

2. Allgemeine Zeichen des Endes (Mt 24,4-14)

2.1 Aufruf zur Wachsamkeit (Mt 24,4+5)

Jesus fordert dazu auf, der Verführung nicht zu unterliegen. Denn viele falsche Christusse werden seinen Titel und in Anmaßung seine Autorität benutzen, um viele zu verführen. Deshalb ist es wichtig die Zeichen richtig zu deuten.

2.2. Warnung vor einer falschen Interpretation der Zeichen (Mt 24,6-14).

2.2.1 Warnung vor Täuschungen (Mt 24,6-8)

Manche Zeichen weisen nicht auf Heilsereignisse, sondern erscheinen immer wieder, weil Mensch und Sünde vorhanden sind

Es gibt Zeichen, die nicht auf ein spezifisches, göttliches Heilsereignis hinweisen, sondern immer wieder erscheinen werden, weil der Mensch und die Sünde vorhanden sind. Diese Zeichen, wie z. B. Krieg und Kriegsberichte, Unabhängigkeitskämpfe, Hungersnot und anderes hat es in den über 2000 Jahren seit Christi Geburt immer wieder gegeben. Aber das konkrete Ende der gegenwärtigen Heilszeit bedeuten sie noch nicht (24,8).

Wichtiger als auf die Zeichen zu achten ist es, sich der Gefahren für den persönlichen Glauben bewusst zu sein.

2.2.2 Warnung vor persönlichen Gefahren (Mt 24, 9-14)

Die Jünger werden verfolgt werden wegen ihrer Treue zu Jesus (24,9). Das ist aber nichts Außergewöhnliches, denn Trübsal ist ein Merkmal dieses Zeitalters (Mt 10,16-39; Apg 14,22). Verrat und Hass untereinander sind deshalb gegenwärtig (24,10). Viele falsche Propheten werden viele verführen (24,11). Die Gesetzlosigkeit wird zunehmen und die Liebe wird kalt werden (24,12). Nur wer bis zum Ende aushält, wird gerettet (24,13).

Die Absicht der oben genannten Trübsale ist die Reinigung derjenigen, die sich zu Christus bekennen.4

In diesen Trübsalen gilt es, Ausdauer im christlichen Glauben zu zeigen. Das griech. Wort hypomonê ist eines der Leitwörter des NT. Die Ausdauer ist das Resultat und das äußere Zeichen dafür, dass jemand gerettet ist. Es ist nicht die Basis der Erlösung.5

Trotz Verfolgung wird das Evangelium, dessen Inhalt die Königs-Herrschaft Gottes ist6, gepredigt werden (Apg 8,1.4). Erst jetzt wird das Ende der Heilszeit kommen (24,14).

Nach diesem allgemeinen Überblick greift Jesus jetzt, in typischer semitischer Eigenart, noch einmal das Thema der Trübsal auf.

3. Die kommende Krise (Mt 24,15-28)

In diesen Versen spricht Jesus von den Jahren vor dem Fall Jerusalems und von der großen Trübsal.7 Die Eroberung Jerusalems ist nicht chronologisch, sondern theologisch thematisch mit der großen Trübsal verbunden.8 Der Ausdruck Gräuel der Verwüstung bildet die Verbindung zwischen der historischen und eschatologischen Perspektive.9 Die nahe Trübsalszeit ist ein Anzeichen der fernen Trübsal.

3.1 Die Aufforderung, auf die Aussagen des AT zu achten und sie zu verstehen (Mt 24,15).

Jesus leitet seine Ausführungen über die Trübsalzeit mit einem Verweis auf die Gräuel der Verwüstung ein. Ein Ausdruck der in Dan 9, 27; 11, 31 und 12, 11 gebraucht wird. Aber was bedeutet dieser Ausdruck?

Das Wort Gräuel (hebr. schiqquz) wird häufig zur Bezeichnung einer Götterstatue oder einer Gottheit gebraucht.10 In Sach. 9,7 wird es zur Bezeichnung von Götzenopfer-Fleisch benutzt. Leider übersetzt die Lutherbibel dieses Wort so gut wie immer mit Gräuelbild.

Gräuel der Verwüstung – ein heidnischer Altaraufsatz

Das Wort „Verwüstung“ (hebr. schamem), das in einer Genitiv-Konstruktion zum ersten steht, wird häufig zur Bezeichnung von Orten gebraucht, die vernichtet worden sind und deshalb unbewohnbar gemacht.11 Micha gebraucht das Wort von der Vernichtung von Götzen (1,7). In Daniel 11,31; 12,11 scheint es aber eine andere Bedeutung zu haben. Dort wird gesagt, dass das Ganzopfer (hebr. tamid) durch die Gräuel der Verwüstung ersetzt werden wird. D. h. ein anderes Opfer wird anstelle des Ganzopfers dargebracht. In Dan 9,27 hat der hebräische Text eine schwer verständliche Lesart, die kaum Sinn zu machen scheint.12 Deshalb ist hier wohl mit der griechischen Übersetzung (LXX) zu lesen: seine Stelle, seinen Platz („… aber in der Mitte der Woche wird er Schlachtopfer und Speisopfer aufhören lassen und an ihrer Stelle ein Gräuel der Verwüstung …“)

Diese Lesart wird von der außerkanonischen Literatur unterstützt. Im 1. Makkabäerbuch lesen wir, dass der Seleukidenkönig Antiochus IV. Epiphanes die jüdischen Opfer im Heiligtum zu Jerusalem beendete, die jüdischen Feste abschaffte, das Heiligtum entweihte, andere Altäre, Tempel und Götzenbilder errichtete. Er opferte Schweine und andere unreine Tiere (1Makk 1,47ff.). Das geschah am 15. Chislev 145 v. Chr. (= Dez. 168 v. Chr.). In 1Makk 1,57 wird ausdrücklich gesagt, dass Antiochus den Gräuel der Verwüstung auf Gottes Altar gesetzt hatte, und in 1,62 wird berichtet, dass zehn Tage später, am 25. Chislev, auf dem Altar, der auf dem Altar des Herrn stand, geopfert wurde. Wahrscheinlich hat es zehn Tage gedauert, bis der heidnische Altaraufsatz fertiggestellt und installiert war. Drei Jahre später beseitigten fromme Juden das Gräuel der Verwüstung, das der König auf den Altar in Jerusalem gesetzt hatte, wieder (1Makk 6,7). Der Bericht des jüdischen Geschichtsschreibers Josephus stimmt damit überein.13 Josephus berichtet sogar, dass der König selbst auf dem heidnischen Altar Schweine opferte. D.h., dass 1Makk und Josephus unter Gräuel der Verwüstung einen heidnischen Altaraufsatz verstanden, der auf den Altar Jahwes aufgesetzt wurde. Auf ihm wurden heidnische Opfer dargebracht. Das Schwein als unreines Tier war ein Gräuel (Jes 66,17). Somit könnte man schlussfolgern, dass der Ausdruck Gräuel der Verwüstung im allgemeinen Sinn den heidnischen Gottesdienst im Tempel Jahwes bezeichnet und im speziellen Sinn einen heidnischen Altaraufsatz auf dem Altar Jahwes. Dadurch war es dem frommen Juden nicht mehr möglich, Jahwe ein Brandopfer oder irgendein anderes Opfer zu bringen.

Aber was meinte Jesus nun, wenn er vom Gräuel der Verwüstung sprach. Aus dem allgemeinen Kontext von Matthäus 24, 15-28 ist zu schließen, dass damit die Eroberung Jerusalems und die des Tempelbergs durch die Römer im Jahre 70 n. Chr. gemeint war (Lk 21, 20). Markus 13,14 gebraucht ein maskulines Partizip (griech.: hestekota) mit einem Nomen im Neutrum (griech.: bdelugma) und bringt damit das furchtbare Ereignis mit einer Person in Verbindung. Leider übersetzt die Lutherbibel hier mit:

„… das Gräuelbild der Verwüstung stehen, wo es nicht soll …“ statt: „das Gräuel der Verwüstung stehen, wo er nicht soll“.

Der römische Feldherr Titus soll damals das Allerheiligste betreten haben.14 Der Schaubrottisch und der siebenarmige Leuchter wurden von den Römern im anschließenden Triumphzug den Einwohnern Roms gezeigt und im Triumphbogen des Titus in Rom verewigt. Man kann diese Gegenstände noch heute dort abgebildet sehen.

Wenn die Jünger die Erfüllung dieser Prophetie sehen, sollen sie sich so schnell wie möglich in Sicherheit bringen.

3.2 Ermahnung an die Jünger, Jerusalem so schnell wie möglich zu verlassen, wenn sie die Erfüllung dieser Prophetie sehen (Mt 24, 16-20)

Die Ereignisse der Jahre 167 v. Chr. und 70 n.Chr. sind Vorzeichen der endgültigen Erfüllung der Worte Jesu. Die endgültige Erfüllung wird erst während der großen Trübsalzeit geschehen.

Die Person, die in der großen Trübsalzeit die Gräuel der Verwüstung hervorrufen wird, ist der Antichrist.15 Am Anfang der siebenjährigen Trübsalzeit, welche dem zweiten Kommen Christi vorausgeht, wird der Antichrist mit den Juden einen Bund schließen (Dan 9,27).

Der Tempel wird wieder aufgebaut und der Gottesdienst wird wieder aufgenommen werden

Der Tempel wird wieder aufgebaut und der Gottesdienst wird wieder aufgenommen werden (Offb 11,1). Nach dreieinhalb Jahren wird der Antichrist diesen Bund wieder brechen und sich zum Kopf der internationalen, politischen, wirtschaftlichen und religiösen Macht aufschwingen. Diejenigen Juden, die ihn nicht anerkennen, werden von ihm und seinen Anhängern gnadenlos verfolgt werden (Offb 12,6.13-17). Zahlreiche Juden und Heiden werden während dieser Zeit gerettet werden (Offb 7), viele werden jedoch den Märtyrertod erleiden (Offb 6,9-11).

3.3 Die Schilderung der großen Trübsal (Mt 24,21-28)

Dass Jesus in diesen Versen über das Jahr 70 n. Chr. hinaus auf die große Trübsal schaut, wird an Folgendem deutlich:

  1. Mt 24, 21; Mk 13, 19 sind eine Wiederspiegelung der Endzeit-Prophetie aus Dan 12,1.
  2. Der Ausdruck: „nicht gewesen ist von Anfang der Welt … und auch nicht wieder sein wird …“ (Mt 24, 21) bedeutet, dass diese Krise einmalig in der Weltgeschichte ist. Deshalb ist es unmöglich, diese große Trübsal (griech.: thlipsis megale) auf die Ereignisse 167 v. Chr. oder 70 n. Chr. oder auf eine andere kriegerische Eroberung und Zerstörung Jerusalems zu beziehen, von denen es im Laufe der Geschichte viele gegeben hatte.
  3. „Jene/ diese Tage“ in Vers 19 und 22 verbinden die nahe mit der fernen Zukunft, wie so häufig in der alttestamentlichen Prophetie.
  4. Diese Tage der großen Trübsal sind begrenzt (Mt 24, 22). Während dieser Zeit werden falsche religiöse Führer erscheinen, die die Menschen durch satanische Wunder verführen werden (2Thess 2,8-10; Offb 13,11-15).

Erst nach der geschilderten Trübsalzeit wird Jesus Christus in Macht und Herrlichkeit wiederkommen.

4. Die triumphierende Wiederkunft Jesu (Mt 24, 29-31)

4.1 Die Wiederkunft Jesu wird von kosmischen Veränderungen begleitet werden (Mt 24, 29).

Vers 29 knüpft unmittelbar an die große Trübsalzeit an, von der in den Versen 21-28 berichtet wird („… bald aber nach der Trübsal jener Zeit …“). Dieser Vers steht im offensichtlichen Kontrast zu den Zeichen der falschen religiösen Führer in Vers 24. Wenn in V. 29 die Ereignisse in und um Jerusalem im Jahr 70 n. Chr. gemeint gewesen wären, dann hätte Christus kurz danach wiederkommen müssen. Die kosmischen Veränderungen werden durch die Entfaltung und Zurschaustellung der göttlichen Macht hervorgerufen, welche die Wiederkunft Christ darstellt.16 Im Alten Testament sind diese kosmischen Veränderungen ein Zeichen des göttlichen Gerichts, Zeichen für den Tag des Herrn.17

4.2 Jesus wird persönlich und für die Menschen sichtbar wiederkommen (Mt 24, 30).

Das Zeichen des Menschensohnes ist die göttliche Herrlichkeit, mit der Jesus erscheinen wird.18

Das Zeichen des Menschensohnes ist die göttliche Herrlichkeit, mit der Jesus erscheinen wird

Obwohl die Gestirne ihren Schein verlieren, wird der Himmel hell erleuchtet sein von der brillanten Herrlichkeit Christi (Offb 19,11- 16).

Die Mehrzahl der Menschen hat während der Trübsalzeit den Antichristen verehrt, nun kommt die Stunde des Gerichts für sie. Es gibt daraus keinen Ausweg für die Menschen. Sie weinen Tränen der Verzweiflung (24,30).

Bis zur Wiederkunft Jesu gilt es wachsam zu sein.

4.3 Bei der Wiederkunft Jesu werden die Treuen von den Engeln gesammelt werden.

Alle, die während der großen Trübsalzeit dem Antichristen nicht gehorsam waren, werden von den Engeln zu dem in Triumph wiederkommenden Menschensohn gebracht (Mt 24,31). Die Nationen werden trauern, aber die Auser wählten werden sich um den wiederkommenden Herrn versammeln.

5. Ermahnungen zur Wachsamkeit (Mt 24,32-25,30)

5.1 Das Gleichnis des Feigenbaums (Mt 24,32-36)

Häufig wird behauptet, dass der Feigenbaum ein Symbol für das Volk Israel sei. Wie aber aus Lk 21,29 hervorgeht, trifft das hier nicht zu. Jesus gebraucht an dieser Stelle die Illustration des naturgemäßen Ablaufs der Vegetation, dargestellt am Feigenbaum und an anderen Bäumen (Lk 21,29), um darauf hinzuweisen, dass auch der Wiederkunft Jesu bestimmte Zeichen vorausgehen.

Schwierig ist die Deutung des Ausdrucks „dieses Geschlecht“ (V. 34).

„Dieses Geschlecht“ ist wahrscheinlich die Generation, die die Ereignisse der großen Trübsal und auch die Wiederkunft Jesu erlebt

Das griech. Wort (genea), das der deutschen Übersetzung zugrunde liegt, hat ein recht breites Bedeutungsspektrum. Es kann z. B. „Zeitgenosse“ (Mk 8,12.38; 9,19) bedeuten oder Bezug nehmen auf eine Gruppe von Menschen, die alle von einem Vorfahren abstammen (z. B. Mt 23,36). Auch das Demonstrativum „dieses“ trägt nicht zu einer eindeutigen Lösung bei, denn es kann einerseits auf Menschen hinweisen, die z. Zt. Jesu lebten und die Vernichtung Jerusalems sahen, aber auch auf Menschen, die die große Trübsal erleben werden. Diese letzte Möglichkeit scheint die wahrscheinlichste zu sein, d. h. die Generation, die die Ereignisse der großen Trübsal erlebt, wird auch die Wiederkunft Jesu erleben.

Jesu Weissagung über die Zerstörung Jerusalems, der großen Trübsal und seiner Wiederkunft sind wahr und werden sich so ereignen, wie er sie hier vorhergesagt hat (24,35).

Die allgemeine Zeit der Wiederkunft Christi kann abgelesen werden an den Zeichen der Zeit, die Jesus vorher genannt hatte, so wie allgemein die Ankunft des Sommers an den Blätterknospen der Bäume abzulesen ist. Den genauen Tag jedoch oder die genaue Stunde der Wiederkunft weiß keiner, nur der Vater im Himmel (24,36).

5.2 Die Zeit Noahs (Mt 24,37-41)

Die Zeit Noahs wurde von der damaligen Menschheit als eine heile Welt erlebt, in der alles seinen gewohnten Gang ging. Nichts deutete auf einen Untergang hin, außer der stetig fortschreitende Bau der Arche und der Inhalt der Predigten Noahs (2Petr 2,5). Sonst ging das Leben seinen gewohnten Gang: Essen, Trinken und Sex. Genauso wird es auch bei der Wiederkunft Jesu sein.

Folgende Lehre sollte aus der Zeit Noahs gezogen werden: Die persönliche Vorbereitung auf den Untergang sollte schon vor dem Ereignis getroffen werden. Es ist zu spät, Vorbereitungen dafür zu treffen, wenn das Ereignis eingetroffen ist.

Dass es in den Versen 40 und 41 nicht um die Entrückung der Gläubigen geht, wird aus dem Zusammenhang deutlich. Noah und seine Familie blieben auf der Erde. Die anderen Menschen, denen er gepredigt hatte, wurden im Gericht Gottes hinweggenommen. Bei der Entrückung werden jedoch die Gläubigen von der Erde hinweggenommen (1Thess 4,16f), weil Christus sie gerne bei sich haben möchte (Joh 14,2ff; 17,24). Die Personen, die nicht entrückt werden, bleiben als sichtbares Zeichen des Gerichtes Gottes auf dieser Erde zurück. Aber während des zweiten Kommens Jesu wird es genau umgekehrt sein – wie in den Tagen Noahs. Die Personen, die weggenommen werden, werden durch das Gericht Gottes weggenommen, wie die Tage Noahs es deutlich machen. Luthers Übersetzung in V. 40+41 mit „angenommen“ und „preisgegeben“ geht eigentlich etwas zu weit. Der griech. Text spricht hier lediglich von „weggenommen“ (paralambano) und „zurückgelassen“ (aphiemi).

5.3 Der Hausbesitzer und der Dieb (Mt 24,42-44)

In diesem Beispiel geht es nicht primär um das Wachsam-Sein, sondern um das Bereit-Sein. Sicherlich ist das Wachsam-Sein eine Vorbedingung zum Bereit-Sein. Bereit-Sein bedeutet, bestimmte Dinge unternommen zu haben, um für das anstehende Ereignis gerüstet zu sein (Mt 24,43b-44a).

5.4 Der verlässliche und der schlechte Diener (Mt 24,45-51)

Der schlechte Diener rechnet nicht mit der Rückkehr seines Herrn, weil er zu sehr mit seinem eigenen Leben beschäftigt ist

Hier begegnet uns die gleiche Lehrillustration wie im vorigen Beispiel. Der Knecht, der so lebt und handelt wie sein Herr es von ihm erwartet, braucht die Rückkehr seines Herrn nicht zu fürchten. Er ist zu jeder Zeit bereit, seinem Herrn zu begegnen.

Der schlechte Diener ist jedoch nicht bereit für das Kommen seines Herrn. Er will vor der Wiederkunft seines Herrn so leben und handeln, wie er es sich vorstellt. Eigentlich rechnet er nicht mit der Rückkehr seines Herrn, weil er zu sehr mit seinem eigenen Leben beschäftigt ist. Weil er nicht im Sinne seines Herrn gelebt und gehandelt hat, wird er bestraft.

Die Lehre ist: Handele und lebe zu jeder Zeit im Sinne des Herrn!

5.5 Die verlässlichen und die törichten Jungfrauen (Mt 25,1-13)

Dieses Gleichnis folgt unmittelbar dem vorherigen Vers (24,51), der mit dem Ausdruck „Heulen und Zähneklappern“ schließt. Diese Redefigur weist auf das Gericht hin, das auf alle wartet, die nicht in das Königreich kommen werden.19 D.h. hier beginnt nicht eine neue und andere Heilszeit, sondern es ist die gleiche von der in Kap. 24,21 die Rede war.

Es ist notwendig, Vorbereitungen für eine unerwartete Verzögerung getroffen zu haben

Der Schlüssel zum Verständnis des Gleichnisses von den zehn Jungfrauen ist Vers 13. Wenn man diesen nicht beachtet, wird man immer Schwierigkeiten haben, dieses Gleichnis richtig zu verstehen. Die verlässlichen Jungfrauen waren vorbereitet für die Verzögerung der Ankunft des Bräutigams, die dummen jedoch nicht. Durch die Verzögerung der Ankunft wird deutlich , wer von den Jungfrauen verlässlich und wer dumm war (siehe auch Mt 7,24.26).

Das Thema dieses Gleichnisses ist: Es ist notwendig, Vorbereitungen für eine unerwartete Verzögerung getroffen zu haben. Vorbereitet zu sein ist eine Sache der persönlichen Einstellung, die weder übertragen noch anteilig abgegeben werden kann. Im Grunde waren die dummen Jungfrauen nicht bereit für das Kommen des Bräutigams. Deshalb sollte man immer vorbereitet und auf der Hut sein.

5.6 Das anvertraute Geld (Mt 25, 14-30)

Drei Diener werden von ihrem Herrn kurz vor seiner Abreise mit verschiedenen Geldbeträgen betraut. Zwei von ihnen nutzen die Wartezeit bis zur Rückkehr ihres Herrn, um die ihnen anvertraute Summe zu verdoppeln. Einer von ihnen, der die Zeit der Abwesenheit seines Herrn nicht genutzt hatte, um die Geldsumme zu vergrößern, beschuldigt seinen Herrn – nicht, dass er ihm nur eine geringe Geldsumme anvertraut hatte, sondern, dass er mit dem wenigen auch noch Profit machen sollte. Das Vergraben der Summe, die ihm anvertraut worden war, könnte durchaus bedeuten, dass er das Geld für sich selbst nutzen wollte. Mit seinen eigenen Worten wird ihm seine Schuld aufgezeigt (V. 24-26)

Das gesamte Gleichnis hat als Thema: Die Wartezeit muss eine Zeit des Dienstes sein. Das, was Gott uns anvertraut hat, sollte vermehrt und entwickelt werden, auch wenn es noch so unscheinbar im Vergleich zu den Gaben anderer sein mag.

5.7 Die Schafe und die Ziegen (Mt 25,31-46)

Die Schafe und die Ziegen dienen als Illustration für das zukünftige Weltgericht.

5.7.1 Das Weltgericht richtet die Nationen (Mt 25,31-46).

Im Matthäusevangelium20 wird oft von Gericht gesprochen, deshalb nennen es manche das Evangelium des Gerichts.

Von vielen Auslegern wird angenommen, dass es nur ein allgemeines Gericht gibt, welches in diesem Abschnitt beschrieben wird. Aber es ist wohl besser, von zwei Gerichten auszugehen: dem Gericht für die Nationen und dem Gericht des großen, weißen Thrones. Die folgenden Argumente würden für diese Annahme sprechen:

  1. In Mt 25 wird keine Auferstehung erwähnt.
  2. In Offb 20,11-13 erscheinen jedoch die auferstandenen Toten vor dem großen weißen Thron.
  3. In Mt 25 werden die zur der Zeit lebenden Nationen gerichtet (V. 32; das griech. Wort ethne, Völker, wird an keiner Stelle des NT gebraucht, um Tote zu bezeichnen). In Offb 20,12 werden jedoch die Toten gerichtet.
  4. In Mt 25 werden drei Gruppen von Menschen gerichtet: „Schafe, Ziegen und meine Brüder“, während am großen weißen Thron die Ungerechten gerichtet werden. Die Gerechten sind bereits vorher auferstanden (Offb 20,4-5).
  5. In Mt 25,34 werden beim Gericht über die Nationen einige das Königreich erben, andere werden für immer bestraft werden. Für diejenigen, die am großen weißen Thron gerichtet werden, bleibt als Zukunft nur der feurige Pfuhl übrig (Offb 20, 14-15).

Somit scheint das Gericht in Mt 25,31-46 nicht das gleiche zu sein wie in Offb 20,11-15. Das Gericht über die Nationen findet nach der großen Trübsal statt (Offb 20,4), während das Gericht des großen weißen Throns dem tausendjährigen Reich folgt (Offb 20,11ff.).

5.7.2 Die Absicht des Gerichts über die Nationen (Mt 25,32-34)

  1. Scheidung der Schafe von den Ziegen
  2. Damit verbunden ist die Frage: wer kann das Königreich ererben?
  3. Das Königreich auf Erden zu errichten, war Gottes Absicht von Anbeginn der Welt (V. 34).

5.7.3 Die Schafe zu seiner Rechten (Mt 25,35-40)

Der Grund für das hier beschriebene Gericht sind die Werke der „Schafe“. Wie bereits oben ausgeführt wurde, geht es in diesem Gericht nicht um Errettung, sondern um den Eintritt in das 1000-jährige Reich. Durch Werke konnte keiner im AT noch im NT gerettet werden (Hebr 11; Eph 2,8-9; Röm 3,21-28). Durch Werke kann man sich niemals ewiges Leben erwerben, weil Werke keinen Menschen von seiner totalen Sündhaftigkeit befreien oder erlösen können. Davon zu erlösen vermag nur Christus allein. Aber Werke sind gleichwohl die Frucht und das Zeugnis unseres Glaubens an Jesus (Jak 2,26; Eph 2,10).

Die, die hier gerichtet werden, haben die große Trübsal überstanden

Die, die hier gerichtet werden, haben die große Trübsal überstanden. In dem hier beschriebenen Gerichtsverfahren wird ihre Beziehung den Juden gegenüber beurteilt (25,40.45). Wie haben sie sich während dieser schweren Zeit dem Volk Gottes gegenüber verhalten (Jer 30,7; Sach 13,8)? In dieser schweren Zeit wird an den Werken, an ihrem Verhalten gegenüber Israel, deutlich wie sie zu Jesus stehen (25,40).

5.7.4 Die Ziegen zu seiner Linken (Mt 25,41-46)

Sie werden in das ewige Feuer verbannt, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist (25,41; Offb 20,10.15). Im Gegensatz dazu steht V. 34. Die Menschen, symbolisiert durch die Ziegen, werden verdammt, weil sie keine gerechten Taten, die aus ihren Glauben kamen, taten. Wahrscheinlich werden sie den Weltdiktator unterstützen. Deshalb wartet auf sie die ewige Pein (V. 46), für die Gerechten jedoch, also die Schafe zur Rechten, wartet das ewige Leben mit Jesus.

Zusammenfassung:

In Mt 24 und 25 beantwortet Jesus drei Fragen seiner Jünger:

Wann wird der Tempel zerstört werden? Antwort: Durch die Römer im Jahr 70 n. Chr.

Was wird das Zeichen deiner Wiederkunft sein? Antwort: Es gibt allgemeine Zeichen und spezielle Zeichen, die der Wiederkunft vorauseilen. Wichtig ist, das ihr euch persönlich auf meine Wiederkunft vorbereitet.

Wann wird das Ende der Welt kommen? Antwort: Nach der großen Trübsal, nach dem 1000-jährigen Reich und nach dem Weltengericht.

Das alles hatte Jesus aber nicht gesagt, damit wir auf das letzte Zeichen vor seiner Wiederkunft warten und uns dann für sein Kommen vorbereiten. Er hatte das alles gesagt, damit wir uns jetzt, heute, auf sein Kommen vorbereiten. Die Absicht aller Zukunftsvorhersagen in der Bibel ist, uns aufzufordern auf die mit Sicherheit eintretende und vorhergesagte Zukunft sich persönlich vorzubereiten und heute schon daraus die Konsequenzen für das persönliche Leben zu ziehen (vgl. Jes 2,2-5 besonders V. 5; 1Thess 5,2-8 besonders V. 6; 2Petr 3,10-14 besonders V. 11 und 14).


  1. Siehe die Beschreibung bei Josephus, Jüdischer Krieg V,184-227 und Altertümer XV,268-296; XI,411-416 und im Mischnahtraktat Middoth. Früher hielt man diese Beschreibungen für Übertreibungen, jetzt sind sie aber zum großen Teil durch archäologische Untersuchungen bestätigt worden. 

  2. Jüdischer Krieg VI,249ff. 

  3. Jüdischer Krieg VI,392ff. 

  4. Dan 11,32.34-35; Mt 13, 20f; 2Tim 2,3; Heb 12,2f.; Jak 1,12; 5,11. 

  5. Siehe Röm 8,29f.; 1Joh 2,19; Eph 5,8-10; Phil 4,1. 

  6. Mt 9,35; Apg 8,12; 19,8; 2Thess 1,5; Jak 2,5; u. a. 

  7. Mt 24,15-16; 29-32; Lk 21,20-28. 

  8. Dan 9,26f.; Lk 21,24. 

  9. Dan 11,31; 9,27; 12,11. 

  10. Z. B. 5Mo 29,16; 1Kön 11,5.7: 2Kön 23,13; Jer 4,1; 7,30f; 32,34f.; Hes 7,20; 8,10; 20,7.30; 2Chron 15,8. 

  11. Z. B. Jos 8,28; Jes 64,9; Jer 6,8; 9,11; 32,43; 34,22; u. a. 

  12. Siehe zu der Stelle die unterschiedlichen Übersetzungen. 

  13. Josephus, Altertümer XII,251-253; Jüdischer Krieg I,32ff. 

  14. Jüdischer Krieg VI,260. 

  15. Dan 7,24f.; 9,25ff.; 2Thess 2,3-4.8-9; Offb 13,1-10.14-15. 

  16. Siehe auch Offb 6,12-14. 

  17. Jes 13,10; 34,4; Joh 2,10; 3,3f.; 4,15; Sach 14,6f. u. a. 

  18. 2Mose 19,9; Ps 97,1ff.; Dan 7,13; Mk 13,26. 

  19. Siehe auch Mt 8,12; 13,42.50; 25,30; Lk 13,28. 

  20. Siehe 3,12; 6,2.5.16; 7,24-27; 13,30.48-49; 18,23-34; 20,1-16; 21,33-41; 22,1-14; 24,45-51; 25,1-12.14-30.