ThemenWort- und Themenstudien

Der Eigenname Gottes in Bibelübersetzungen

Gottes Name ist heilig. Im Judentum wird er daher nicht ausgesprochen. Auch viele deutsche Bibelübersetzungen haben den Gottesnamen eher umschreiben als übersetzt. Wie ist damit umzugehen?

Einen Eigennamen in einer deutschen Übersetzung wiederzugeben ist im Grundsatz kein Problem. Man wird die vorgefundene Form einfach übernehmen. Das geht so lange gut, wie das Wort in lateinischen Buchstaben geschrieben ist und die Lautwerte dieser Buchstaben denen im Deutschen gleichen. Schwierigkeiten treten dann auf, wenn die Grapheme1 einem anderen System angehören (wie z.B. dem kyrillischen, griechischen oder hebräischen) und nicht einfach ins Deutsche umgeschrieben2 werden können. Zusätzlich kann es sein, dass der Lautwert der Grapheme, die man für die Transliteration benutzt hat, nicht mit dem der Ausgangssprache übereinstimmt. Manchmal reicht die einfache Wiedergabe der Buchstaben auch nicht, denn es kann sein, dass mehrere Buchstaben nur einen Laut wiedergeben, wie im Deutschen z. B. „sch“. Das Ideal wäre, wenn man dem deutschen Leser oder Hörer den fremdsprachlichen Eigennamen in einer Form darbieten könnte, dass er weiß, wie man ihn ursprünglich aussprach. Seit 1886 nun gibt es durch die „Association Phonétique Internationale“ (API) die Möglichkeit, die Laute3 einer Sprache so zu transskribieren, dass international die Einheitlichkeit der Aussprache garantiert ist.4

1. JWH im Alten Testament

1.1 Die Lautwerte der Konsonanten

Der Eigenname Gottes im AT wurde im Hebräischen mit den 4 Konsonanten JHWH5 wiedergegeben.6 Ungefähr können wir deren Lautwerte bestimmen.

„y“ wird bei Goodrick7 mit „y“ transliteriert und in der Aussprache angegeben: „as in yet“. Bei Schneider8 heißt es: „Umschrift j“. Nach der API wäre das / j /.

„H“: Goodrick transliteriert es als „h“, gesprochen wie in „hat“; Schneider sagt: „Umschrift h“. Nach der API wäre das /h/. Allerdings scheint diese Aussprache nicht gesichert zu sein, denn Goodrick9 gibt an:

„Vielleicht fällt dir noch etwas ein, dann kannst du ja deine Mandeln etwas ankratzen.“10

Demnach wäre die Aussprache /x/ wie in „ach“ oder eine der vielen Varianten dieses Gutturallautes in den semitischen Sprachen. Am Ende eines Wortes steht der Buchstabe H für langes a,e,ä oder o.11 Die genauere Qualität dieser Laute definiert er nicht.

„w“: Bei Goodrick heißt es w oder v, gesprochen wie in „very“.12 Schneider bietet die Umschrift „w“.

Diese Überlegungen führen dazu, das Tetragramm mit den Lautwerten /jhw/ wiederzugeben. Die Transkription JHWH ist für die Aussprache nur eine ungefähre Angabe.

1.2 Vokalwerte mit „Adonai“

Die Vokalzeichen von JHWH zu analysieren, wie sie hier erscheinen, ist sinnlos, denn sie gehören im Grunde nicht zu diesem Wort. Wie der Name Gottes ursprünglich gesprochen wurde, weiß heute niemand mehr. Nach dem Exil (ab ca. 450 v.Chr.), vielleicht schon früher, wurde der Name durch ein ganz anderes Wort ersetzt, das immer dafür zu lesen war, nämlich durch: Adonai, d.h. „Herr“. Die genaue Funktion des Morphems „y“ ist umstritten. Es kann sich um eine Pluralform, ein Suffix für die 1. Person Singular oder um eine Bezeichnung des Herrschens handeln, also „Herren“, „mein Herr“ oder „herrschender Herr“13

Die Juden hatten Angst, den Namen Gottes vielleicht unbedacht auszusprechen

Die Juden haben JHWH durch „Herr“ ersetzt, weil sie den Eigennamen Gottes für so heilig hielten, dass sie Angst hatten, sich zu versündigen, wenn sie den Namen vielleicht unbedacht aussprachen. Denn wer den Namen lästerte, der mußte getötet werden (3Mo 24,16). Da ein wesentliches Attribut Gottes seine Herrscherfunktion ist und sich seine Anhänger als Knechte oder Sklaven verstanden, ersetzten sie den Eigennamen Gottes durch das Gattungswort „Herr“. Manchmal stehen Herr und JHWH nebeneinander, wie z.B. Jes 61,1, was dann die Übersetzer zu freien Kombinationen wie „Gott, der HERR“ oder „der Herr, HERR“ geführt hat. Im vorderen Orient wurde das Wort „Herr“ auch als höfliche Anrede bei Göttern und bei Menschen gebraucht.14

1.3 Die Bedeutung von JHWH

Der Eigenname Gottes hatte einen verhüllenden Charakter, weil sich Gott in seinem alles umfassenden Wesen dem menschlichen Zugriff entzieht. Seinen Namen hält er manchmal verborgen15 Das Tetragramm wird in 2Mose 6,3 erläutert: „Ich bin, der ich bin“. Die Verbform von „sein“ steht in enger Beziehung zu dem Eigennamen JHWH.16 Die Voraussetzungslosigkeit der Existenz Gottes, seine Beständigkeit und seine Unveränderlichkeit wird darin betont, aber auch sein dynamisches Handeln und seine Weltherrschaft. Der Name weist im futurischen Sinn auf den sich offenbarenden, lebendigen Gott hin: „Ich werde sein, der ich sein werde“.17

Der Eigenname JHWH steht neben dem Gattungsbegriff „Gott“, mit dem auch jeder Gott des vorderen Orients bezeichnet werden konnte. Deswegen meinten die Juden später, dass ein Eigenname für Gott Polytheismus voraussetze, denn wenn man individualisiert, vergleicht man auch. Doch nur der Gott Israels ist wahrer Gott, und er hat eine unverwechselbare Identität durch seinen Namen, durch den er aus der Abstraktion heraustritt und sich als personhaftes Wesen zu erkennen gibt. Israel war stolz auf seine Zugehörigkeit zu JHWH. Der Name bedeutete für das Volk seine persönliche Anwesenheit, wenn er auch nicht Gott in seiner Vollkommenheit erfasste (1Kön 8,27). Natürlich war mit dem Eigennamen auch eine Abgrenzung zu anderen Göttern gegeben, aber es mußte der Anschein vermieden werden, dass man diesen Namen parallel zu anderen Götternamen stellte oder ihn auf der gleichen Stufe mit ihnen sah. Man mußte daher Gattungsnamen wie „Gott“ oder „Herr“ durch Appositionen oder Attribute einschränken, wie z. B. „der Gott Israels“, „unser Gott“, „der Herr der Heerscharen“.

Der Name Gottes sollte nicht ausgesprochen werden, um Missverständnisse zu vermeiden

Mit der Nennung eines Eigennamens war im Orient auch die Verfügbarkeit über die Person angedeutet, man hatte damit den anderen quasi im Griff. Das jedoch kann für den Gott Israels überhaupt nicht zutreffen. Wenn also der Eigenname Gottes nicht ausgesprochen wurde, so vermied man diese möglichen Missverständnisse. Allerdings sah man kein Problem darin, Gottes Eigennamen in Kurzformen wie „Jah“ (z. B. Ps 89,9) oder in „Halleluja“ auszusprechen. Auch Personennamen wie Josua enthalten Hinweise auf ihn. Wesentlich schien jedoch zu sein, dass der komplette Name nicht zu sprechen war, sondern „Herr“ gesagt wurde. Es gab (nach außerbiblischer Tradition) nur eine Ausnahme. Der Hohepriester, der einmal im Jahr, am großen Versöhnungstag, in das Allerheiligste eintrat, redete Gott dort mit seinem Eigennamen an.

2. Die Septuaginta (LXX) (2.-3. Jh. v. Chr.)

Die alte hebräische Sprache verschwand nach dem Exil aus dem täglichen Leben und wurde ersetzt durch das Aramäische und das Griechische. Deswegen sahen die Juden im 3. und 2. vorchristlichen Jahrhundert die Notwendigkeit, einen Text des Alten Testaments zu haben, den die Menschen auch verstehen konnten. Der Ausgangspunkt für diese Überlegungen war die westliche Diaspora mit dem kulturellen Zentrum in Ägypten (Alexandria), für die das Griechische die allgemeine Kultursprache war. Nach einer Legende18 haben 70 Übersetzer in 70 Tagen die Übersetzung ins Griechische geschafft, wodurch sie ihren Namen „Septuaginta“, d.h. 70, bekam. Die LXX gab konsequenterweise den Eigennamen Gottes meist mit kyrios „Herr“ wieder. Der Papyrologe C. P. Thiede19 weist auf die Varianten des Gottesnamens in der LXX hin: manchmal why, d. h. hebräische Buchstaben im griechischen Text, neben kyrios. Manchmal auch steht die Transliteration von JHWH mit griechischen Buchstaben. Jedenfalls wurde auch in der LXX das Tetragramm nicht gesprochen. So hatten die Juden in Alexandria eine Bibel, aus der sie in ihren Gottesdiensten lasen und die sie verstanden.

2.1 kyrios

kyrios wird im Neue Testament manchmal als Eigenname für Gott gebraucht

Die ersten Christen lasen die LXX als ihre Bibel, was man schon daran sieht, dass die Zitate im Neuen Testament aus dem Alte Testament meist in der Fassung der LXX erscheinen. Hinzu kommt, dass gerade auch Jesus Christus, der Auferstandene, mit „Herr“ bezeichnet wurde, was das alttestamentliche „HERR“ besonders nah erscheinen ließ. Manchmal war dann nicht mehr zu unterscheiden, welcher Herr gemeint war, wodurch die Göttlichkeit Christi betont wurde. kyrios wird in Mt 1,20.22; 27,10; Mk 13,20; Lk 1,58; Apg 7,49 als Eigenname für Gott benutzt, d. h. ohne Artikel, aber in 2Pt 2,9 bleibt offen, ob Gott oder Christus gemeint ist. „Christus ist Herr“, war ein Bekenntnis, das den Gegensatz zu den herrschenden Autoritäten betonte, vor allem zu dem aufkommenden Kaiserkult20. Hinzu treten die direkten Anwendungen alttestamentlicher Verse auf Christus: Ps 34,9 zu 1Petr 2,3; Jes 8,13 zu 1Petr 3,14. Die gleichen sprachlichen Mittel wie im Alten Testament werden angewandt, um diesen Herrn in seiner Einmaligkeit zu bezeichenen, wobei „unser“ Herr eine der wichtigen Bezeichnungen war, wie z. B. „maranatha“ in 1Kor 16,22.

„Die den Namen des Herrn anrufen“ wurde zu einer Definition für Christen.21 JHWH, der Gott Israels, offenbarte sich in Christus, dem Herrn, weit umfassender, so dass JHWH der Vergangenheit Israels zugeordnet und in gewisser Weise durch Christus, den Herrn, ersetzt wurde (Röm 10,13). Durch die sich weiter offenbarende Trinität bekam der Gott des Alten Testaments einen häufigen, wenn auch damals schon angelegten Zusatz, nämlich „Vater“22. Damit wurde er unterschieden von dem Herrn, dem Sohn.

3. Die Vulgata (ca. 390 n. Chr.)

Die Übertragung des Alten Testaments in die lateinische Sprache wurde immer notwendiger, je mehr das Lateinische das Griechische verdrängte. Die wichtigste Übersetzung wurde die von Hieronymus, dessen Text in der katholischen Kirche bis in unsere Zeit hinein als verbindlich galt.23 Hieronymus nun hat die Tradition des Gottesnamen wieder aufgenommen und grundsätzlich „Dominus“, „Herr“, geschrieben. Nur an einer Stelle, an der von Gottes Namen die Rede ist (2Mose 6,3), setzt er das Wort „Adonai“. Das Tetragramm war also hier verschwunden.

4. Die Masoreten (ca. 6.-9. Jh. n. Chr.)

JHWH, der Gott Israels, offenbarte sich in Christus viel umfassender als im AT

Neben den weit verbreiteten griechischen und lateinischen Übersetzungen stand immer noch das hebräische AT. Es gab weiterhin die jüdische Tradition der Schriftgelehrten, die den heiligen Text pflegten. Nachdem nun die hebräische Sprache, wie sie im Alten Testament stand, nicht mehr im Bewusstsein der Juden vorhanden war, musste die theologische Tradition für die richtige Aussprache des ehrwürdigen Textes sorgen. Die Masoreten24 versuchten also, den überlieferten Vokalbestand zu dokumentieren. Sie taten dies nicht, indem sie die Konsonanten des Textes änderten, sondern indem sie eine Punktierung darunter setzten. Da man den Eigennamen Gottes nicht aussprach und „Herr“ las, wurden die Vokale von „Adonai“ unter das Tetragramm gesetzt: JaHoWaH.

5. Jehova (12.-14. Jh.)

Niemand las das Wort so. Aber im Mittelalter (um 1200) kam man auf den Gedanken, das Wort tatsächlich Jehova zu schreiben. Das „w“ war also zu „v“ geworden, und die Deutschen haben es dann später häufig wie /f/ gesprochen. Dadurch dass die erste Silbe unbetont war, schwächte sich das a auf /:/ ab.25 Die Aussprache müsste dann etwa /j:ho´va/ gewesen sein. Von einem Franziskaner Galatin wissen wir, dass auch er Jehova schrieb (ca. 1500), aber er war wohl nicht der erste. Gegen dieses Kunstwort hat schon Johannes Drusius (1550-1616) protestiert.

6. Neuzeit (16. – 17. Jh)

6.1 Luther (1534)

Als Luther seine Übersetzung fertigte, fand er eine lange Tradition vor, die den Namen Gottes mit „Herr“ wiedergab und die er fortsetzte.

6.2 Olivétan (1537)

Erst im Mittelalter kam man auf den Gedanken, tatsächlich „Jehova“ zu schreiben

Obwohl es sich nur um eine Psalmenrevision handelt, ist diese Ausgabe von besonderer Bedeutung, weil sie zum ersten Mal die Bezeichnung „l’Eternel“ (d.h. der Ewige) für den Gottesnamen benutzte. Es war also der Rückgriff auf die Bedeutung des „Ich bin, der ich bin“ in 2Mose 6,3. Mit dieser Entscheidung wurden die meisten französischen Übersetzungen festgelegt, vor allem auch deswegen, weil Calvin in seiner Revision von Olivétan 1546 bei „l’Eternel“ blieb. Damit wurde ein neuer Strang der Übersetzung des Eigennamens Gottes begründet, der aber in seinem Ansehen und in der Länge seiner Tradition nicht an „Herr“ heranreichen sollte.

6.3 The Authorized Version (1611)

Ungefähr 70 Jahre später (1611) erscheint in England die „Authorized Version“, in Amerika „King James Version“ genannt. Auch sie bleibt bei „Herr“, also: „Lord“. Inzwischen wird mit der Schreibung in Großbuchstaben „LORD“ darauf aufmerksam gemacht, dass der Name Gottes von dem Gattungssubstantiv „Lord“ zu unterscheiden ist. An vier Stellen jedoch erscheint „Jehovah“, und zwar zweimal in Zusammenhang mit dem Namen Jehovahs26 und die beiden anderen Male in der Kombination „Jah“ + Jehovah27, wobei „Jah“ mit „Herr“ wiedergegeben ist und dann Jehovah folgt. Damit ist die Kunstform durch eine renommierte Übersetzung weiter sanktioniert.

7. /jawe/ wird wiederentdeckt (ca. 1830)

Wie der Eigenname Gottes ursprünglich ausgesprochen wurde, erfahren wir durch zwei Hinweise aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert von Transskriptionen ins Griechische. Clemens von Alexandrien (2. Jh. n. Chr.) bietet iaoue und Theodoret von Kyrrhos (ca. 393 v. Chr. bis 457 n. Chr.) berichtet von einer samaritischen Aussprache, die er mit iabe wiedergibt. Die Zuordnung von Graphem und Phonem war in der griechischen Sprache nicht zu allen Zeiten gleich, so dass man ein /jawe/ annimmt.

Zwei Kirchenväter überliefern die aussprache „Jahwe“

Eine Rückbesinnung auf den ursprünglichen Lautbestand wurde von Heinrich Ewald (1803-1875) und Ernst Wilhelm Hengstenberg (1802-1869) eingeleitet. Der Name /jawe/ (Gesenius schreibt „Jahve“) galt nach dieser Neuentdeckung mehr als Konjektur, die nur in wissenschaftlichen Kreisen Beachtung fand. Kautzsch28 sagt dann später zu 2Mose 3,14: „jahwè“ und in der Einleitung (S. 2a): „jahwè: Dies ist die richtige Aussprache des Gottes Israels.“ Damit scheint die Diskussion schon abgeschlossen zu sein. Allerdings muss das Evangelische Kirchenlexikon29 noch betonen: „Die richtige Aussprache des Tetragramms ist jahweh.“ Schneider30 stellt kategorisch fest:

„In allen Fällen wird von uns das Tetragramm ‚jahwä‘ gelesen.“

Es bleibt jedoch eine gewisse Unsicherheit, die Goodrick31 sieht:

„Ich glaube, wir werden nie genau wissen, wie es ursprünglich klang … Die klügste Vermutung in dieser späten Zeit dass es ungefähr wie ‚Yawe‘ lautete.“

Oder Bromley32 meint:

„… Yahweh kommt wahrscheinlich der ursprünglichen Aussprache am nächsten“.

Einen formalen Konsens gibt es nicht, obwohl in neuerer Zeit nur eine Transliteration von /jawe/ erscheint. Daneben werden zwar Jehovi, Yehveh, Jahoh, Yaho, Yahou, Jahwo genannt, aber keine Form wird so begründet oder so wahrscheinlich gemacht wie /jawe/.

Die einfachen Christen in den Gemeinden haben „Jahwe“ lange kaum zur Kenntnis genommen und schon gar nicht gebraucht. Für sie stand „Jehova“ fest. Gunkel sagt in seinem Artikel „Jahve“ über „Jehova“:

„eine Form, die sich im erbaulichen Sprachgebrauch festgesetzt hat, aber jetzt hoffentlich bald daraus wieder verschwinden wird.“33

9. Übersetzungen bis 1928

Die Übersetzungen des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geben den Eigennamen Gottes meist mit „Herr“ wieder. Dafür braucht man keine weiteren Begründungen. Es reicht der Hinweis auf die Tradition.34 Wenn durchgehend Jehova gebraucht wird, geschieht es aber schon in Kenntnis der Zweifelhaftigkeit dieses Namens. Gelegentlich werden Gründe angegeben, warum man bei Jehova bleiben will. Obwohl Darby (1882) zu 1Mose 1,1 auf weitere Formen von Jehovah, nämlich Yahveh und Yehveh hinweist, benützt er diesen Kunstnamen. Allerdings möchte er sich nur von der Authorized Version absetzen, der er vorwirft, nicht immer systematisch zwischen Gott, Herr und Jah unterschieden zu haben. Eine weitere Diskussion findet nicht statt. Die Elberfelder Übersetzung sagt etwas mehr zu dem Problem in der Vorrede zur 2. Auflage 1891:

„Wir haben diesen Namen des Bundesgottes beibehalten, weil der Leser seit Jahren an denselben gewöhnt ist … Von den neueren Gelehrten wird fast einstimmig angenommen, dass anstatt Jehova oder Jehovi ‚Jahwe‘ (d. i. der ewig Seiende, der Unwandelbare) … zu lesen sei.“

Damit wird lediglich die Tradition, also die Gewohnheit der Leser, als Begründung herangezogen. In anderen Übersetzungen erscheint der Name Jehova meist nicht durchgehend, sondern im Zusammenhang mit Stellen wie 1Mose 4,26 oder 2Mose 6,3.35 Immer mehr wird berücksichtigt und kaum noch in Zweifel gezogen, dass Jehova ein Kunstwort ist, und die Übersetzer gehen darauf ein, wie z. B. Menge in seinem Vorwort 1928:

„Der hebräische Gottesname Jahwe (unrichtig Jehova) wurde mit HErr wiedergegeben.“

Es ergibt sich kaum die Notwendigkeit, die Entscheidung zu begründen.

„Jehova“ hatte sich im erbaulichen Sprachschatz festgesetzt

Zu dem freien Gebrauch von Jehova in der Gemeinde ist zu sagen, dass der Name in festen, meist schriftlichen Zusammenhängen benutzt wurde, wie z. B. in dem Kirchenlied „Dir, dir, Jehova, will ich singen“. In freien Gebeten wurde Gott nie so angeredet. Es gab dann Formulierungen, die im Zusammenhang stehen mit Wendungen des Neuen Testaments wie „unser Gott“, „unser Gott und Vater“, „lieber himmlischer Vater“ usw. Jehova hat sich also im freien mündlichen Gebrauch, d. h. außerhalb von Liedern, Gedichten und in der Literatur nicht durchgesetzt

10. Jahwe setzt sich nach 1945 weiter durch

Wenn man die Neuerscheinungen nach 1945 chronologisch ordnet, stellt man fest, dass es keineswegs eine geradlinige Entwicklung zu /jawe/ gibt. Mit der Mitte des 20. Jahrhunderts tritt diese Form zwar langsam in das allgemeine Bewusstsein. Denn Übersetzungen und Revisionen rücken von Jehova ab, bleiben aber meist bei „Herr“ oder „HErr“ oder „HERR“. Allerdings wird zunehmend begründet, warum man nicht Jahwe gesetzt hat. Nur in seltenen Fällen wird Jahwe durchgehend gewählt. Die Form hat das Odium des sterilen, gelehrten, erschlossenen, jedoch nicht belegten Wortes verlassen.

Der Einbruch geschieht mit der Jerusalemer Bibel

Die Revised Standard Version (1952) hat noch durchgehend LORD ohne Diskussion. Der eigentliche Einbruch geschieht mit der Bible de Jérusalem (1955), die wie selbstverständlich immer „Yahvé“ setzt. Demgegenüber bleibt die Revision der spanischen Bibel von Cipriano de Valera (1960) bei Jehová, allerdings mit einer Erläuterung im Glossar:

„Die Hebraisten sind zu der allgemeinen Übereinstimmung gelangt, dass die ursprüngliche Aussprache Yahveh gewesen sein muss“.

Die New American Standard Bible (1963) hat am ausführlichsten erläutert36, warum sie den neuen Gottesnamen nicht will: Ihr reicht die Wahrscheinlichkeit, die bis jetzt in der Forschung erreicht ist, nicht aus, und, was noch wichtiger ist, der Gläubige verbindet mit dem Namen Jahwe nichts Göttliches:

„Es ist bekannt, dass YHWH schon seit vielen Jahren mit Yahweh wiedergegeben wird. Es gibt allerdings keine vollständige Sicherheit bei dieser Aussprache. Viele, die in engem Kontakt zu den einfachen Gliedern unserer Kirchen stehen, meinen, dass dieser Name keine religiösen oder geistlichen Gefühle wecke. Er ist fremd, unüblich und ohne den notwendigen religiösen und erbaulichen Hintergrund. Die Gelehrten können noch so viel darüber diskutieren, aber sie werden diesen Nachteil nicht ausräumen können. Deswegen wurde entschieden, den Gebrauch dieses Namens in der eigentlichen Übersetzung zu vermeiden.“

Indem sie HERR mit großen Buchstaben schreiben, wollen sie der Erhabenheit des Namens Ausdruck verleihen

Das größte Bibelereignis im England der 60iger Jahre war die Herausgabe der New English Bible (vollständig 1970). Sie braucht „Lord“, aber in 2Mo 6,3 steht noch Jehovah, allerdings mit dem Zusatz: „probably pronounced Yahweh, but traditionally read ‚Jehovah‘“. Einer der Mitübersetzer, G. Hunt37 nennt Yahweh „uncouth“, was etwa „unfein, ungehobelt“ bedeutet, und möchte deshalb eine andere Lösung. Er diskutiert dann eine Alternative, bei der er sich auf J.Moffatt (1870-1944) beruft, der 1924 die Übersetzung des AT herausbrachte und „the Eternal“ einsetzte mit Bezug auf 2Mo 6,3: „Ich bin, der ich bin.“ Hunt kommentiert dann aber:

„Die meisten Gelehrten meinen, dass dieser Gedanke dem Hebräischen fremd ist. Und natürlich ist die dauernde Wiederholung von ‚der Ewige‘ in einer Übersetzung schwerfällig, weil man ja einen Namen erwartet.“

Also bleibt es bei ‚Lord‘.

Schlachter (Revision 1975) lehnt sich an die Zürcher Bibel an und setzt „Herr“. Im Vorwort des Übersetzers heißt es aber:

„Eigentlich sollte man allerdings, wie die gelehrten Forschungen ergeben, ‚Jahwe‘ und nicht ‚Jehova‘ schreiben, aber die herkömmliche Aussprache ist zu sehr eingebürgert, als dass wir es wagen dürften, in einer für das Volk bestimmten Bibel diese Änderung zu treffen“.

Auf diese Auffassung weisen die Herausgeber von 1975 ausdrücklich hin und fügen hinzu: „Indem sie HERR mit großen Buchstaben schreiben, wollen sie der Erhabenheit des Namens Ausdruck verleihen“. In der TOB (französische ökumenische Bibel, 1977) steht immer ohne Diskussion „Seigneur“, d. h. „Herr“, genau wie 1978 in der heute sehr verbreiteten New International Version „LORD“, wo es nur lapidar heißt : „the device used in most English versions“. Im gleichen Jahr (1978) beschäftigt sich die „Bible à la Colombe“, das ist eine Neufassung der Second-Ausgabe, mit dem Problem. Im „glossaire“ S. 9 heißt es:

„Die Aussprache Yahvé, die in den neuen Bibelübersetzungen vorgeschlagen wird, beruht auf einigen alten Zeugen, die nicht entscheidend sind. Man könnte genau so gut die Aussprache Yaho oder Yahou erschließen“.

Das letztere soll mit Hilfe der Eigennamen geschehen, in denen JHWH in verkürzter Form erscheint. Heute ist die Aussage sicher ungerechtfertigt.

Mit der Einheitsübersetzung wird in Deutschland eine weitere wichtige Bibel vorgestellt (1980).

„Die Übersetzer folgen der Tradition der Juden und Christen, den Eigennamen Jahwe … mit ‚Herr‘ zu umschreiben.“

Eine Ausnahme, in der Jahwe dennoch erscheint, ist Ex 3, 15. Eine ungewöhnliche Kombination bietet die französische Darby-Bibel in der Revision von 1981: Grundsätzlich heißt es „l’Eternel“, aber in 2Mo 6,2.3: Eternel (Jéhovah). Eine Anmerkung zu 1Mo 2,4 zu Jéhovah heißt: „selon d´autres (nach anderen): Jahweh ou Jahoh.“ La Bible en français courant (1982) hält sich an den allgemeinen Brauch und sagt „Seigneur“ unter Hinweis auf die jüdisch-christliche Tradition.

Als Beispiel für das veränderte Bewusstsein mit Bezug auf den Namen „Jahwe“ mag folgender Vorgang gelten. Als um 1980 in den „Brüdergemeinden“ bekannt wurde, dass der Eigenname Gottes in der revidierten Elberfelder Übersetzung, die 1985 erschien, mit „HERR“ wiedergegeben werden sollte, gab es eine Reihe von Protesten und schriftlichen Bitten, doch „Jahwe“ zu setzen. Diese Revision hat sich im Grundsatz für „HERR“ entschieden, wenn auch an mehreren Stellen, nämlich dort, wo es um den Namen Gottes direkt geht und in Kombinationen mit „der Gott eurer Väter“ oder „der Heerscharen“ „Jahwe“ erscheint (18 mal). Im Vorwort gehen die Bearbeiter ausführlich auf das Problem ein. Sie weisen darauf hin, dass die Form „Jahwe“ nur wahrscheinlich, aber nicht sicher ist, dass andere auch „Jahwo“ vermuten“. Dann wird hinzugefügt:

„Eine nur indirekt erschlossene Namensform, mag auch sonst vieles für sie sprechen, reicht aber zur Wiedergabe des Namens Gottes nicht aus.“

Es folgt ein Hinweis auf die LXX und auf die Wiedergabe von JHWH im NT.

Die letzte Neuerscheinung, die „Gute Nachricht Bibel“ (1997) spricht nur von der „alten
Tradition“, wenn sie sich für „Herr“ entschließt, und dass der Name „wahrscheinlich Jahwe“ geheißen habe.

Die meisten Übersetzungen bleiben also bei „Herr“. Die wesentliche Begründung dafür ist die Tradition. Die Form „Jahwe“ hat sich somit noch nicht durchgesetzt, obwohl die Wahrscheinlichkeit für „Jahwe“ als den ursprünglichen Namen Gottes inzwischen so hoch ist, dass ernsthafte Gegenvorstellungen nicht mehr erscheinen. Heute kann man sicher die Prognose wagen, dass in späteren Ausgaben mehr und mehr „Jahwe“ eingesetzt wird, wenn sich die emotionalen Sperren von Seiten des Bibellesers im Laufe der Zeit aufgelöst haben. Die Schreibformen bieten zwar noch eine weite Bandbreite (Jahve, Jahwe, Jahweh, Yawe, Yahvé, Yahveh), doch im Deutschen wird sich wahrscheinlich Jahwe, im Französischen Yahvé durchsetzen.


  1. D. h. grob: die Buchstaben. 

  2. D. h. „transskribiert“ oder „transliteriert“. 

  3. Gemeint sind hier die Phoneme. 

  4. Wenn man von individuellen Varianten, den Allophonen, einmal absieht. 

  5. Das sogenannte Tetragramm (Vier-Buchstaben-Wort). 

  6. Später j:wäh (seit der 3. Auflage der Biblia Hebraica von Kittel, 1929). 

  7. E.W. Goodrick, Primer Hebrew, Grand Rapids, 1980, S. 14:2. 

  8. W. Schneider, Grammatik des biblischen Hebräisch, München, 1974, S. 4. 

  9. Goodrick, a.a.O., S. 14:4. 

  10. Fremdsprachliche Zitate erscheinen generell als Übersetzungen des Verfassers. 

  11. Schneider, a.a.O., S. 15. 

  12. Das passt eigentlich nicht zusammen, denn wenn wie „very“ gesprochen werden soll, dann kann es nur /v/ sein, weil /w/ wie „water“ ist. 

  13. Vgl. Davidson, Analytical Hebrew and Chaldee Lexicon. 

  14. Z. B. 2Sam 1,10; vgl. ausführlich dazu A. Deissmann, Licht im Osten, Tübingen 4. 1923. 

  15. Vgl. 1Mose 32,30; Ri 13,18. 

  16. Die genauen linguistischen Zusammenhänge werden unterschiedlich angegeben. Grundsätzlich jedoch ist davon auszugehen, dass nicht die Etymologie die Bedeutung eines Wortes bestimmt, sondern der Gebrauch und das Verständnis der Sprecher. 

  17. Über diese Deutungen hinaus gibt es weitere Versuche, die aber nicht zum Konsens geführt haben, z. B. „Blitzschleuderer“. 

  18. Vgl. den Aretasbrief. 

  19. C. P. Thiede, Ein Fisch für den römischen Kaiser, München, 1998 S. 207. 

  20. Röm 10,9; Phil 2,11, Jud 4, vgl. Deissmann S. 298. 

  21. Apg 9,14.21; 22,16; 1Kor 1,2; 2Tim 2,22. 

  22. Vgl. Röm 8,15; Ga 4,6. 

  23. Erst das 2. Vaticanum öffnete den Rückgriff auf die Ursprungssprachen weiter und es erschien eine aktualisierte Vulgata (Nova Vulgata 1979). 

  24. Masoretenschule von Tiberias seit dem 8. Jahrhundert n. Chr. 

  25. Vgl. Schneider p. 37: „Der lange Vokal in der Vortonsilbe wird bei weiterrückendem Ton verflüchtigt“. 

  26. 2Mose 6,3 und Ps 83,18. 

  27. Jes 12,2; 6,4. 

  28. E. Kautzsch, Die Heilige Schrift des Alten Testaments, Tübingen, 3. Auflage, 1909. 

  29. 1962, 2. Aufl. 

  30. W. Schneider, Grammatik des biblischen Hebräisch, München, 1974. S. 29. 

  31. E. W. Goodrick, Primer Hebrew, Grand Rapids, 1980, S. 14:3f. 

  32. G. W. Bromiley, The International Standard Bible Encyclopedia, Grand Rapids, 1987. Stichwort „God“. 

  33. RGG 2, 1929. 

  34. Vgl. Revised Version 1884: to follow the usage of the Authorized Version (Preface p. VI). 

  35. Z. B. 1862 die Young Literary Translation sowie 1901 die American Standard Version, vorher schon die Zürcher Bibel. 

  36. New York, Holman, 1973, S. IX. 

  37. About the New English Bible, Oxford, 1970, S. 49.