ThemenFrage & Antwort

Welche biblischen Bezeichnungen für Fremde?

Frage: In einer Predigt hörte ich, dass es im Alten Testament verschiedene Wörter für Fremde oder Ausländer gibt, und dass 2Mo 23,9 und 3Mo 19,33+34 mit dem hebräischen Wort „ger“ eigentlich nur für einen „vollintegrierten“ Ausländer gelte. Andere Fremde würden mit einem anderen Wort „zar“ bezeichnet und vor ihnen eher gewarnt. Kann man das in der Bibel so unterscheiden?

Antwort:

Tatsächlich finden sich im AT eine Reihe von Begriffen für den Fremden. Es lassen sich aus den verschiedenen Schriftstellen auch Anweisungen für den Umgang herauslesen, den das Volk Israel mit Menschen anderer Völker haben sollte, mit denen sie auf der Wüstenwanderung und dann in Israel zusammenlebten.

Inwieweit das auf das Miteinander von Menschen verschiedener Völker heute übertragen werden kann, muss m.E. ebenso geklärt werden wie die Frage, ob die Unterscheidung im AT so klar ist, wie in der Fragestellung angedeutet. Dass eine Sprache so komplexe Sachverhalte wie das Zusammenleben von Menschen und den Umgang miteinander in einer Gesellschaft in einer eindeutigen Begriffsunterscheidung erfasst, ist eher nicht zu erwarten. Wir merken schon in unserer Sprache, dass zwar die verschiedenen Wörter wie Asylant, Asylbewerber, Ausländer, Flüchtling usw. verschiedene Anklänge haben können, aber doch die vielfältigen Zusammenhänge damit noch nicht erfasst sind.

Die im AT am häufigsten verwendeten Wörter sind גיר ger (rund 100 mal und die Verbform gur „als Fremdling leben“ mit mehr als 50 Stellen) und זר zar (rund 80 mal). Daneben ist mindestens noch נכר nekar/nokri mit rund 80 Vorkommen erwähnenswert. Ger wird in den oben genannten Schriftstellen verwendet und meist mit „Fremder“ oder „Fremdling“ übersetzt. Abraham war ein Fremder im Land Kanaan (1Mo 23,4) und die Israeliten waren Fremde oder Ausländer in Ägypten. Aber hier zeigt sich schon, dass wir die ganz anderen Gegebenheiten beachten müssen.

Das Abraham von Gott versprochene Land Kanaan war zu dieser Zeit kein Nationalstaat, in dem Abraham ein Ausländer mit „fremdem Pass“ gewesen wäre. Er hat es dort mit verschiedenen Sippen und Stadtkönigtümern zu tun, die mehr oder weniger miteinander verbündet waren. Die „Nationalität“ Abrahams — falls man davon überhaupt sprechen kann — scheint auch nicht von großem Interesse zu sein.

Wir dürfen unsere Vorstellung von Nationalität nicht ohne weiteres in die Bibel übertragen. Es geht bei der Rede vom „Fremden“ meistens darum, ob jemand bestimmte Rechte besitzt oder nicht.

Es geht bei der Bezeichnung „Fremder“ eher um eine Frage des Rechtstitels. Abraham hatte keinen Landbesitz und gehörte zu keiner Sippe mit Landrecht. Das machte ihn zum Fremden. Die anderen hatten Rechte, die auch vererbt wurden, er konnte keine beanspruchen. Sie konnten ihm nur von Berechtigten zugestanden werden. Dass er nicht nur ein durchreisender Ausländer war, stellt in 1Mo 23,4 wahrscheinlich noch das Wort toschaw klar, das meist mit „Beisasse“ übersetzt wird, was für uns heute unverständlich ist, aber soviel ausdrückt wie ein dauerhaft geduldeter (d.h. nicht mit Gewalt bekämpfter und damit akzeptierter) Aufenthalt ohne Bürgerrecht (d.h. vor allem ohne Landrecht, aber auch ohne Schutzrecht).

Die Israeliten lebten über 400 Jahre in Ägypten. Dass eine Sippe von etwas über 70 Personen sich in so langer Zeit nicht völlig in dem Gastland assimiliert, sondern ein Bewusstsein als Volk entwickelt und darin immer weiter auch über Generationen wächst, dürfte wenig Parallelen haben. Das ist auch deswegen erstaunlich, weil doch Josef mit einer ägyptischen Frau verheiratet war (1Mo 41,50) und offenbar – modern gesprochen – völlig integriert. Auch andere Israeliten heirateten Ägypter (3Mo 24,10). Mose nennt sich ger in Ägypten und seinen Sohn deswegen Gerschom (2Mo 2,22; 18,3).

Offenbar ist auch in Ägypten der wesentliche Unterschied, dass eine Reihe von Rechten nur bestimmten Gruppen und Einzelpersonen gewährt wurden. Das erklärt auch die willkürliche Unterdrückung der Israeliten in Ägypten. Es scheint ähnlich wie mit dem römischen Bürgerrecht gewesen zu sein, wie es Paulus besaß und sich darauf berufen konnte, das aber andere, die genauso im römischen Reich lebten, arbeiteten und integriert waren, nicht hatten (Apg 22,25-29 u.ö.).

Auf dieser Grundlage ist es eine besondere Beobachtung, dass es für den Nichtjuden offenbar die Möglichkeit gab, an der Rechtsordnung Israels teilzuhaben. Er musste auch als Fremdling kein Rechtloser sein, sondern ihm wurden die Rechte und damit natürlich auch die Pflichten des Gesetzes genauso zugestanden.

Das wird an den Weisungen zur Feier des ersten Passafestes deutlich (2Mo 12,43-51):
Mit dem Verbot: „Kein Fremder (nokri) darf davon essen“ werden die Gebote eröffnet und im Folgenden wird klar, dass damit nicht eine Nationalität oder völkische Identität gemeint ist, sondern das fehlende Eintreten unter die Rechtsordnung, die Gott für sein Volk gesetzt hat. Ist der fremde Sklave beschnitten, darf er mitfeiern, sonst nicht. Will ein Fremder, der schon mit den Israeliten zusammenlebte (ger) und auch mit ihnen ausziehen wollte, mitfeiern, ist die Beschneidung die Voraussetzung (48). Hat er sich aber beschneiden lassen, gelten für den Einheimischen und den Fremden die gleichen Rechte und Pflichten (49).

Die Benutzung des Wortes „Einheimischer“ ist hier auch interessant, weil die Israeliten zu dieser Zeit zwar alle in Ägypten geboren, aber dort eben Fremde waren. Einheimisch kann hier also nur meinen, dass jemand – geboren oder eingeheiratet – zu einer Familie der Israeliten gehörte.

Nachdem ein Mann mit ägyptischem Vater und israelitischer Mutter Gott im Zeltlager der wandernden Israeliten gelästert hatte, scheint die Frage aufgekommen zu sein, welche Strafe dafür verhängt werden sollte. Gott bestätigt dem Mose, dass er getötet werden sollte, und unterstrich in diesem Zusammenhang das gleiche Recht für Sippenangehörige und Fremde in diesem und anderen Fällen (2Mo 24,10-23). Wobei der Mann allerdings zu den Einheimischen zählte.

In mehreren Zusammenhängen wird dann das Prinzip „gleiches Recht für alle“ wiederholt: Der Sabbat gilt für alle, da soll man nicht seine nichtjüdischen Diener arbeiten lassen (2Mo 23,12 u.ö.). Dass es einzelne Ausnahmen geben konnte, insbesondere für solche Ausländer, die nicht innerhalb der Volksgemeinschaft der Israeliten lebten, wird vielleicht an der Erlaubnis klar, dass man ihnen Fleisch von verendeten Tieren verkaufen durfte (5Mo 14,21 mit ger und nokri). Im Allgemeinen mussten sich aber auch die Fremdlinge an die Reinheitsgesetze halten (3Mo 17,8-13). Auch das Zinsverbot gilt nicht für den Ausländer (nokri), der nicht innerhalb der Rechtsgemeinschaft Israels lebte (5Mo 23,21).  So bezeichnet sich Ruth als nokriya, obwohl sie Witwe eines Israeliten ist und sogar gewisse Rechte der Leviratsehe für sie galten (Ruth 2,10). Das ist offenbar ein Ausdruck der Demut, denn sie weiß, dass sie als Moabitern keine Rechte in Israel erwarten durfte (5Mo 23,4).

Die Gerichtsprophetie einer Herrschaft Fremder über Israel kann nicht auf unsere heutigen Verhältnisse übertragen werden. Nur für Israel gilt die Erwählung als Nation und die Verheißung eines bestimmten Landes.

Zar wird auch für den Nicht-Israeliten verwendet, aber erst zur Zeit der Propheten. In der Tora (5 Bücher Mose) steht es meist für die unberufene oder unbefugte Person, die zum Beispiel nicht in den Priester- oder Levitendienst eingreifen durfte. 2Mo 29,33 wird dem Fremden das Essen von Sühneopferfleisch verboten. 30,33 darf er nicht mit heiligem Salböl gesalbt werden. 3Mo 22,10 ist das Essen von Heiligem, d.h. des nur für Priester und Leviten bestimmten Anteil an einem Opfer, für den Fremden und Beisassen verboten. 4Mo 3,10 gebietet, jeden Fremden, der in den Priesterdienst eingreifen will, zu töten. Das hat mit Ausländern nicht in erster Linie zu tun. Denn fremd sind in dieser Hinsicht alle Unberufenen, also auch Israeliten, wenn sie nicht Priester oder Leviten waren.

Bei den Propheten taucht dann der Fremde (zar) vor allem im Zusammenhang der Gerichtsprophetie auf, nach der das Volk Israel von fremden Völkern geknechtet wird und ihnen dienen muss (Jes 1,7; 29,5; Jer 5,19 u.ö. Mit ger findet sich der Fluch auch schon 5Mo 28,43.44). Umgekehrt wird auch das Ende solcher Unterdrückung vorhergesagt (Jes 25,2.5; 61,5; Jer 20,8 u.ö.). Wenn sich Gott über Israel erbarmt, dann sollen auch Fremde (ger) bei den Israeliten sein, als Mitbewohner aber auch als Diener (Jes 14,1-2 u.ö.). Diese Prophetien stehen aber im Zusammenhang mit der besonderen Landverheißung und der Stellung Israels als auserwähltem Volk. Für die feindlichen Fremden steht meistens das Wort zar. Wo bei den Propheten ger vorkommt, sind es Ermahnungen, den Fremden in der Mitte Israels nicht zu unterdrücken (Jer 7,6; 22,3; Hes 22,7 u.ö.).

Man kann sagen, die Propheten deuten für das Volk Israel die Bedrohung durch die fremden Völker als Gericht Gottes und ermahnen zugleich, die Nicht-Israeliten, die im Land Heimat haben, gut zu behandeln.

Die fremde Frau im Sprüchebuch, die in den meisten Sprüchen die Frau ist, zu der man kein Recht hat, wird sowohl mit dem Wort zar (2,16; 5,3; 7,5; 22,14) gekennzeichnet als auch mit nokri (Spr 2,16; 5,20; 6,24; 23,27). Es könnte hier aber auch eine Bezeichnung für die Ehebrecherin sein. In Sprüche 27,2 bezeichnet nokri und zar auch allgemein den Anderen bzw. den Fremden. Die fremden Götter werden meistens mit nekar bestimmt, wobei gelegentlich anklingt, dass sie auch aus fremden Ländern stammen.

Obwohl die angefragte Formulierung Richtiges enthält, ist sie offenbar eine Verkürzung, die in eine falsche Richtung führen kann. Die Wörter sind nicht ganz so eindeutig. Wichtig ist auch, dass man unterscheiden muss, wo es um einen völkische Sichtweise und wo um eine rechtliche geht. Das Bild in der Bibel ist also sprachlich und inhaltlich deutlich vielgestaltiger als es die Frage andeutet. Hinzu kommt, dass nur Israel das erwählte Volk ist und alle anderen prinzipiell zu den Heidenvölkern zählen. Heilsgeschichtlich steht aber schon von Abraham her, die Segenslinie fest: von den Juden her soll die Erlösung und der Segen für alle Völker kommen.

So bedeutet Integration dann auch vor allem Teilhabe an Rechten und Pflichten. Aus der Sicht des Neuen Testaments tritt für die Christen der völkisch-kulturelle Aspekt des Fremden hinter den rechtlichen zurücktritt. Was schon beim Volk Israel eine wichtige Rolle spielte, ist für Christen noch viel wichtiger: Unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Nation ist die Zugehörigkeit zu Christus und die Kindschaft Gottes an die erste Stelle zu setzen, wenn es um das Verhältnis zueinander geht. Darüber hinaus gilt das Gebot der Liebe zum Nächsten besonders für den Schwachen, was den Fremden ausdrücklich einschließt, insbesondere wenn er als Ausländer rechtlos wäre.

Die Situation in Deutschland ist allerdings so, dass jeder Flüchtling mit dem Betreten des Landes auch die meisten Rechte von Einheimischen erhält. So bekommt er das Recht auf eine Versorgung in Höhe des Existenzminimums und ärztliche Notversorgung. Er kann vor Gerichten seine Rechte einklagen. Er kann aber nicht an Wahlen teilnehmen und die Aufnahme einer Arbeit ist beschränkt. Außerdem kann er nicht Soldat werden. Allerdings gelten für ihn auch alle gesetzlichen Pflichten, so dass er nicht sagen kann, dass irgendein Gesetz für ihn nicht gilt, weil das in seinem Heimatland oder seiner Kultur und Religion abgelehnt wird. Das ist vielen nicht bewusst, auch weil es weltweit keineswegs selbstverständlich ist.

Die Gerichtsprophetien für Israel können wir m.E. nicht einfach auf unsere Situation übertragen. Die Flüchtlingswelle ist also kein biblisches Gericht über den Ungehorsam der westlichen Gesellschaften gegen Gottes Gebote. Allerdings gilt weiter, dass Gott die Wege der Völker lenkt (Apg 17,26). Und so kann es ein Weckruf aus unserer sehr konsumorientierten Lebenshaltung sein. Auf jeden Fall gilt die bleibende Warnung vor den fremden Göttern und der Verführung zum Ungehorsam gegen den wahren Gott.

Christen sollen ein Bewusstsein dafür entwickeln, auf dieser Erde Fremdling, Ausländer und Durchreisender zu sein.

Die Haltung dem Fremden gegenüber ist schon im Alten Testament von der Aufforderung beeinflusst, selber ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, auf dieser Erde immer ein Fremdling, Ausländer oder Durchreisender zu sein. Dieser Aspekt kommt zum Klingen als sich Jakob, 130jährig, dem Pharao in Ägypten vorstellt. Seine Lebenszeit ist Zeit des Fremdlingseins, ebenso wie es bei seinen Vätern Abraham und Isaak war (1Mo 47,9). Gott ermahnt sein Volk im Blick auf den Landbesitz: „Das Land darf nicht für immer verkauft werden, denn das Land gehört mir, und ihr seid Fremde (ger) und Beisassen bei mir“ (3Mo 25,23). So betont es auch David in Ps 39,13 und in seinem Dankgebet 1Chronik 29,15. Unsere Zeit auf dieser Erde ist immer nur kurz und so lebten die Väter im Bewusstsein, immer nur Fremde zu sein (Heb 11,13). Das Ziel des Glaubens aber ist die ewige Heimat im Himmel, wo wir die Erfüllung aller Verheißungen Gottes sehen werden (1Pet 2,11; Heb 13,14).