ThemenGemeindeleben, Zeitgeist und Bibel

Tiere im Gottesdienst

Gottesdienste mit Tieren sind im Bereich der evangelischen Kirchen ein relativ junges Phänomen. Von den einen werden sie mit großem Ernst betrieben, von den anderen als Kuriosität belächelt, und von wieder anderen als Mißbrauch christlichen Gottesdienstes angesehen.

In der katholischen Kirche haben Tiersegnungen eine längere Tradition. So liefert das Benediktionale der katholischen Kirche einen Entwurf für einen Tiersegnungsgottesdienst. Es handelt sich um einen Wortgottesdienst mit einer Schriftlesung z. B. aus Gen 2, 19-20a oder Gen 8,15-19, Gebet, Ansprache und einer Weihe, bei welcher der Zelebrant die Tiere mit Weihwasser besprengt.1

1. Das Phänomen der Tiergottesdienste

1988 began nun die evang. St.-Andreas-Kirche in Verden damit, Kinder- bzw. Familiengottesdienste mit Tieren durchzuführen. Am 10. Juli 1988 wurde zum ersten Mal ein solcher Tiergottesdienst im ZDF übertragen.2 Kurz vorher war das sog. Glauberger Schuldbekenntnis von ca. 40 Theologen
unterzeichnet worden, in dem es heißt:

„Wir haben als Christen versagt, weil wir in unserem Glauben die Tiere vergessen haben. Wir haben den diakonischen Auftrag Jesu verraten und unseren geringsten Brüdern, den Tieren, nicht gedient. Wir hatten
als Pfarrer Angst, Tieren in unseren Kirchen und Gemeinden Raum zu geben. Wir waren als Kirche taub für das Seufzen der mißhandelten und ausgebeuteten Kreatur.“

Am 15. Mai 1989 fand mit mehr als tausend Besuchern in dem ehemaligen Kloster Schiffenberg bei Gießen der erste ökumenische Tiergottesdienst statt. Initiator des Gottesdienstes war die damals neugegründete Initiative „Aktion Tiere und Kirche – AKUT“. In diesem Gottesdienst wurde eine Tiersegnung mit folgenden Worten vorgenommen:

„Unser Herr Jesus Christus, der gute Hirte, das Lamm Gottes, segne Dich und alles, was lebt.“3

Pfarrer Matthias Pöhland aus Greiz bei Plauen ging bei anderer Gelegenheit sogar soweit, zwei Katzen zu taufen, wobei er darauf hinwies, „daß Menschen und Tiere in der Schöpfung Gottes Geschwister seien. Lange Zeit habe man gemeint, nur der Mensch sei ein Ebenbild Gottes. Inzwischen reife jedoch die Erkenntnis, daß auch Tiere und Pflanzen Kinder Gottes seien.“4 Dies muß jedoch als Einzelfall gewertet werden. Der Pfarrer sollte daraufhin von seiner Kirche diziplinarrechtlich gemaßregelt werden.

Am 15. September 1996 wurde nun erneut ein Tiergottesdienst im ZDF übertragen wobei etwa 710.000 Menschen zusahen. Bei dieser Gelegenheit wertete der beteiligte katholische Diakon Guido Knörzer die Gottesdienste als
„Anfang einer Theologie der Befreiung für Tiere“5. Der Hauptinitiator der Aktion und Vorsitzende des AKUT e.V., Pfarrer Blanke aus Glauberg, wandte sich gegen die „Massentierhaltung mit Zwangsernährung und Dunkelhaft“ der Hühner, weswegen er auch zwei Hühner „aus dem Hühner – KZ“6 freigekauft habe. Es gab erstaunlich viele negative Zuschauerreaktionen auf diese Übertragung, was zeigt, wie umstritten das Thema ist. Eine feste Einrichtung sind Gottesdienste mit Tieren auf dem Kirchentag geworden, so gab es auch 1997 in Leipzig einen ‚Arche-Noah-Gottesdienst‘7. Vor rund 1000 Besuchern wurde dazu ermuntert, auch die Haustiere in das Abendgebet einzuschließen.

Im Folgenden soll versucht werden, die Hintergründe und die Theologie der Tiergottesdienste aufzuzeigen und biblisch zu bewerten.

2. Der geistesgeschichtliche Hintergrund

2.1 Nivellierung des Unterschiedes zwischen Mensch und Tier durch Akzeptanz
eines materialistisch – evolutionistischen Weltbildes

Réne Descartes betrachtete das Tier als reine Maschine. Er unterschied
den Menschen vom Tier anhand der Gaben der Vernunft und der Sprache8. So trennte er die menschliche Leiblichkeit, die, analog zum Tier, wie eine „Maschine“ funktionierte, von seinem Geist, den er als unsterbliche Seele ansah. Damit prägte er das neuzeitliche Bild vom Tier als einer Sache. Die Evolutionstheorie Charles Darwins eröffnete die Möglichkeit, den Menschen als weiterentwickeltes Tier zu erklären, so daß in der Folgezeit der Unterschied zwischen Mensch und Tier nivelliert werden konnte. Die Erforschung von Mensch und Tier geschah fortan unter diesem Vorzeichen. Für Konrad Lorenz auf der Seite der Verhaltensforschung bei Tieren stand fest:

„Selbst die wahrhaft epochemachenden Erkenntnisse, die wir Galileo Galilei und Giordano Bruno verdanken, haben keinen so tiefen Einfluß auf unsere Weltanschauung ausgeübt, wie die an sich naheliegende Entdeckung, daß der Mensch mit den anderen Lebewesen eines Stammes sei.“

Der Mensch ist für Lorenz nur „ein Zweig am großen Stammbaum des Lebendigen“ und „(sprießt gar) aus demselben Aste wie die häßlichen Affen“9. Sigmund Freud versucht unter derselben Voraussetzung die Seele des Menschen für die Wissenschaft bloßzulegen:

„Zwei große Kränkungen ihrer naiven Eigenliebe hat die Menschheit im Laufe der Zeiten von der Wissenschaft erdulden müssen. Die erste, daß sie erfuhr, daß unsere Erde nicht der Mittelpunkt des Weltalls ist (…) Die zweite dann, als die biologische Forschung das angebliche Schöpfungsvorrecht des Menschen zunichte machte, ihn auf die Abstammung aus dem Tierreich und die Unvertilgbarkeit seiner animalischen Natur verwies.10

Hier stehen Mensch und Tier als Zufallsprodukte der Evolution auf einer Stufe.

Am radikalsten wird die Gleichberechtigung von Mensch und Tier wohl von Peter Singer vertreten, dem ein moralischer Unterschied zwischen beiden nicht ersichtlich ist und der es als „Speziezismus“ bezeichnet, wenn man einen Schimpansen in „schreckliche Primaten-Forschungszentren“ einsperrt, aber gleichzeitig das Leben von gehirngeschädigten Säuglingen für schützenswert hält. Dieser Speziezismus sei „genausowenig zu entschuldigen wie der fanatische Rassismus“11.

2.2 Verzauberung des evolutionistischen Weltbildes durch New Age, Öko-Bewegung und Konziliaren Prozeß

In der Philosophie des New Age wird ein organisierender Geist, eine Spiritualität angenommen, die hinter der Evolution steht. So teilt z. B. Fritjof Capra ein evolutionistisches Weltbild, in dem sich Mensch und Tier nur graduell und nicht prinzipiell unterscheiden. Gleichzeitig kann er aber von Gott reden als „Selbstorganisationsdynamik des gesamten Kosmos“12. Der Mensch wie das Tier sind Teil dieses kosmischen Ganzen, in dem alle Gegensätze aufgehoben werden sollen. Die Natur wird bei Capra als Ganzheit „gleichsam personifiziert, ja zum göttlichen Wesen erhoben.“13

Im Raum der Kirche finden sich ähnliche Gedanken bei Carl Friedrich v. Weizsäcker und dem vom ihm maßgeblich gestalteten Konziliaren Prozeß für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Die Evolution ist hier kein atheistisches, sondern ein religiöses Denkprinzip14. Für Weizsäcker ist der Mensch ursprünglich ein „Kind der Natur“15. Nach Weizsäcker ist „in der Geschichtstheologie des Buches Genesis der Übergang in das, was wir höhere Kultur nennen, der Sündenfall“16 – d.h. der Mensch hat sich durch die Ausbildung von Hochkulturen selbst entfremdet, und muß wieder zurückgeführt werden in den Einklang mit der Natur. Die Evolution wird hier vergeistigt gesehen und ihr Fortschreiten als der Weg zur Erlösung.

Denkt man konsequent im Rahmen dieses spiritualisierten, evolutionistischen Weltbildes, so sind Mensch und Tier gleichermaßen Teil der Schöpfung und nicht qualitativ voneinander unterschieden. Beide stehen damit als Geschöpfe Gottes letztlich auf einer Stufe. Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, wenn man Tiere als „unsere geringsten Brüder“ bezeichnet. Diese Kombination von Schöpfungsgedanken und evolutionistischem Weltbild kommt in der Neufassung des „Vater unser“ von Pfr. Blanke zum Ausdruck, das er in dem zuletzt vom ZDF übertragenen Gottesdienst betete: „und vergib uns unsere Schuld an unseren älteren Geschwistern, den Tieren“17. Wenn Pfarrer Blancke also von Schöpfung und Schöpfungstheologie spricht, dann ist geschieht dies in dem Paradigma einer vergeistigten Evolutionslehre.

Mag man es vielleicht auch als Kuriosität ansehen, Tiere an einem Gottesdienst teilnehmen zu lassen, so gibt es vor diesem gedanklichen Hintergrund eigentlich keine Legitimation, sie von der Gemeinschaft mit Gott und seinem Segen auszuschließen.

Hier läßt sich nun ein qualitativer Unterschied zwischen den modernen Tiergottesdiensten und dem herkömmlichen, katholischen Segnungsgottesdienst für Tiere feststellen. Bei der katholischen Tiersegnung wird das Tier gesegnet um des Menschen willen. So wie auch unbelebte Dinge wie Waffen oder Feuerwehrspritzen von katholischen Priestern gesegnet werden können, so wurde hier das Vieh als notwendiger Nahrungslieferant gesegnet. Jeder gläubige Bauer wird Gottes Segen für Hof und Vieh erbitten. Die Anfrage wäre hier an die Vorstellung vom Segen und die Bedeutung der Segnungshandlung zu stellen, aber Mensch bleibt Mensch und Tier bleibt Tier.

3. Mensch und Tier in schöpfungstheologischem Horizont:

3.1 Schöpfungstheologische Grundlage in Gen 1+2

Gen 1 zeigt, daß nicht nur die Tier-, sondern auch die Pflanzenwelt und sogar die unbelebte Materie von Gott erschaffen sind. Pflanzen und Steine sind also ebenso „Mitgeschöpfe“ wie die Tiere, weshalb diese Kategorie für die Bestimmung des Verhältnisses Tier – Mensch – Gott unbrauchbar ist.

Gen 2 hebt jedoch deutlich hervor, daß die Tiere Gott auf andere Weise zugeordnet sind als die unbelebte Materie und die Pflanzenwelt: Zunächst schon durch die Tatsache, daß Pflanzen gegessen werden durften während die Tiere wohl unsterblich waren. Zudem werden sie mit derselben Formel gesegnet wie der Mensch: Gott segnet sie und gebietet ihnen, sich zu mehren und die Erde zu füllen – die Verse 22 und 28a sind parallel formuliert.

Der Auftrag, über die Schöpfung zu herrschen, erhebt die Menschen über die Tiere. Nur den Menschen wird in V. 28b gesagt:

„… und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht“.

Nur der Mensch ist „nach dem Bilde Gottes geschaffen“, und das heißt, daß er Gott auf der Erde repräsentiert – so wie im Alten Orient an der Grenze eines Landes ein Bildnis des jeweiligen Herrschers aufgestellt war, das dessen Gegenwart symbolisierte. Der Mensch soll auf der Erde die Herrschaft über die Schöpfung ausüben.

Der Mensch repräsentiert Gott auf der Erde

Dies geschieht zunächst, indem er den Tieren Namen gibt und sie sich selbst und seiner Erfahrungswelt zuordnet. Hier ist sicherlich C. F. v. Weizsäcker zuzustimmen, wenn er meint, der Text impliziere die Mahnung, sich um das Wohl der anvertrauten Geschöpfe zu sorgen.18 Gott ist um den Erhalt und die Pflege seiner Schöpfung besorgt. Hieraus folgt ein schöpfungstheologisches Mandat für den Tierschutz, deutet aber gleichzeitig einen qualitativen Unterschied zwischen Mensch und Tier an, der im weiteren Verlauf des Buches Genesis und der Bibel deutlich zutage tritt.

3.2 Der qualitative Unterschied zwischen Mensch und Tier

3.2.1 Das Tieropfer und der Brudermord in Gen 4

Auch in Gen 4 wird deutlich, daß der Mensch sich qualitativ vom Tier unterscheidet. Kain und Abel bringen beide Opfer: Kain opfert von seinem Ernteertrag, Abel schlachtet ein Schaf. Wenn Tier und Mensch nicht qualitativ voneinander unterschieden wären, wäre das, was Abel tat, ein Mord am „geringsten Bruder“ gewesen, und Kains Opfer hätte Gott gefallen müssen. Das Gegenteil ist der Fall. Als daraufhin Kain seinen Bruder Abel erschlägt, wird er von Gott verflucht und bestraft. Das Leben des Menschen steht unter Gottes besonderem Schutz. Ein Mensch darf nicht getötet werden, während das Töten eines Tieres sogar Gottes ausdrückliches Gefallen findet.

3.2.2 Das Tier als Eigentum des Menschen

An zahlreichen Stellen werden Tiere als Eigentum des Menschen angesehen: Gen 26,14; 30,29; 31,18; 34,23; 45,10 u.v.a. – Wenn jemand z. B. fahrlässig das Rind eines anderen tötet, muß er Ersatz leisten (Ex 22,10f.) – das Nutztier ist Gegenstand des Zivilrechts, und damit rechtlich schon damals eine „Sache“. Der qualitative Unterschied zwischen Mensch und Tier wird besonders in Lev 24,21 deutlich:

„wer ein Vieh erschlägt, der soll’s bezahlen; wer aber einen Menschen erschlägt, der soll sterben“.

Die Tiere dienen dem Menschen als Arbeitstier (Spr 14,4 u.v.a.) und zur Nahrung – letzteres wird nach der Sintflut ausdrücklich von Gott erlaubt: „Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut habe ich’s euch alles gegeben“ (Gen 9, 2). Das beinhaltet zunächst die Jagd (Gen 10,9). Die Patriarchen begegnen uns dann als Viehzüchter, die von ihren Herden leben (Gen 13 u.v.a.). Nicht mit einer Silbe werden die Patriarchen ermahnt, sie würden „ihre geringsten Brüder“ aufessen – im Gegenteil: Reichtum an Vieh ist der Inbegriff eines gesegneten Lebens (z. B. Gen 24,35). Allerdings wird der Mensch auch aufgefordert, mit diesem ihm anvertrauten Besitz sorgsam umzugehen. So soll er dem dreschenden Ochsen nicht das Maul verbinden (Dtn 25,4) und seine Nutztiere gut behandeln: „Der Gerechte erbarmt sich des Viehs, aber das Herz des Gottlosen ist unbarmherzig“ (Spr 16,10). Im mosaischen Gesetz findet sich kein explizites Verbot von Tierquälerei, vermutlich deshalb nicht, weil es nicht nötig war: Die Nutztiere waren das Kapital der Menschen, so daß es im eigenen Interesse lag, sich um das Wohl der Herden zu sorgen.

Das Tier erscheint jedoch hauptsächlich als überlebenswichtiges Nutzobjekt des Menschen, nie aber als „geringster Bruder“.

4. Mögliche Einwände gegen die qualitative Unterscheidung von Mensch und Tier

4.1 Gottes Sorge um die Tiere

An zahlreichen Bibelstellen wird hervorgehoben, daß Gott sich um die Tiere sorgt und sie nährt (Mt 6,26; Hiob 38,41; Ps 104,27; Ps 136,25; Ps 147,9). Gott hilft Menschen und Tieren (Ps 36,7). In Jona 4,11 wird neben Gottes Sorge um die Menschen in Ninive an zweiter Stelle auch das Vieh erwähnt, weshalb Gott die Stadt nicht vernichten möchte. Hieraus kann allerdings nicht abgeleitet werden, daß die Tiere mit Gott in irgendeiner Weise in Kommunikation treten könnten oder mit dem Menschen als Brüder in einer Reihe stünden.

4.2 Das Tier als unschuldiges Opfer

Die ganze Opfergesetzgebung des sinaitischen Bundes beruht auf dem Gedanken, daß für Sünde unschuldiges Blut vergossen werden muß – weshalb der Israelit Gott Tiere opfern soll für seine Sünden (Lev 1-7 u.v.a.). Hier scheint das Tier eine theologische Würdigung zu erfahren. Richtig ist, daß das Tier, obwohl es unschuldig ist, doch unter dem Gericht Gottes an den Menschen mit zu leiden hat. Dies wird auch bei den Propheten immer wieder deutlich, wenn sie angekündige, daß um der Sünde des Menschen willen Mensch und Tier ausgerottet werden (Jer 32,43; Hes 14,13; Zeph 1,3; Hag 1,11 u.a.).

Da das Tier vor Gott nicht schuldig ist, bedarf es auch keines stellvertretenden Opfers und keiner Erlösung.

Der Hebräerbrief macht deutlich,daß die Unschuld des Tieres letztlich nicht in theologischer Dimension zu sehen ist, denn sonst hätte ja das unschuldig vergossene Blut unserer „geringsten Geschwister“ Schuld sühnen können, was es jedoch nicht kann (Heb 10,4). Heb 9 zeigt, daß die Tieropfer keine Gültigkeit in sich haben, sie sind Abbilder der Wirklichkeit, und somit Heilszeichen oder Sakramente. Wenn nun Gott abertausende von Tieren schlachten läßt, um damit den Menschen ein Zeichen zu geben, schließt das gerade die eigentliche Teilhabe der Tiere an der Gottesbeziehung aus. Tiere werden weder in den Kategorien von gut und böse, noch von Gerechtigkeit und Schuld, noch von Sünde und Vergebung gesehen. Sie leiden passiv mit an der Gefallenheit der Schöpfung, die der Mensch zu verantworten hat.

4.3 „Der Mensch hat nichts voraus vor dem Tier“ (Pred 3, 16-21)

Diese Stelle legte Pfr. Blanke seiner Predigt vom 15.10.1996 zugrunde19, und sie scheint in der Tat eine Gleichstellung von Mensch und Tier zu belegen. Hier darf man nun allerdings nicht den literarischen Kontext ausblenden, der deutlich macht, daß der Autor der Predigerbuches hier lediglich seine vergangene Suche nach Sinn beschreibt, indem er über das Thema der Vergänglichkeit des Menschen reflektiert. Der Mensch hat also nichts dem Tier voraus in dem Sinne, daß er wie dieses sterben muß – doch auch das ist ja für Christen lediglich eine vorläufige Realität und keineswegs das Letzte.

4.4 Mk 16, 15: „Predigt das Evangelium aller Kreatur“

Aus dieser Aufforderung liest Blanke ein Mandat zur Predigt vor Tieren heraus. Außerdem habe Jesus 40 Tage lang bei den wilden Tieren gelebt. Aus der Tatsache, daß Markus als einziger Evangelist wilde Tiere erwähnt, bei denen Jesus während der 40 Tage seines Fastens in der Wüste gewohnt habe, kann nun aber nicht geschlossen werden, daß er ihnen gepredigt hat. Die Textintention ist eine deutlich andere: Jesus hat die Einsamkeit gesucht, um zu fasten und wollte gerade allen Predigtdiensten entfliehen – er wird vermutlich den Tieren das Evangelium vorenthalten haben. Im Missionsbefehl bei Markus wird nun ktisis, Schöpfung, als Synekdoche totum pro parte20 für „alle Menschen“, denen das Evangelium gepredigt werden soll, verwendet. Dies wird deutlich, wenn man den parallelen Bericht des Matthäus anschaut, der an gleicher Stelle von „alle Völke“ spricht, was im damaligen Sprachgebrauch die Tierwelt wohl ausschließt.

Gen 2,18-20 hebt hervor, daß kein Tier dem Menschen als Gegenüber entspricht. Kein Tier ist offensichtlich zur Kommunikation sowohl mit Gott als auch mit dem Menschen geeignet. Die Schlange in Gen 3 kann hier nicht als Beispiel angeführt werden, da offensichtlich ist, daß der Teufel durch sie spricht, sie also ähnlich wie Bileams Esel nur Medium ist (Num 22,23).

4.5 Exkurs: Der Umgang Pfarrer Blanckes mit der Schrift

Betrachtet man die Art und Weise, wie Pfarrer Blanke die Bibel auslegt, dann zeigt sich doch insgesamt ein oft gedankenloser und willkürlicher Ge- bzw. Mißbrauch der Heiligen Schrift. Ein besonders deutliches und der Diskussion nicht mehr würdiges Beispiel ist der Verweis Blankes auf Mose und den brennenden Dornbusch: „So wie Mose dem Schöpfer gegenübertrat, so wollen wir den Tieren – Gottes Geschöpfen – gegenüber freundlich und sanft auftreten.“ – Dies fand seinen symbolischen Ausdruck darin, daß alle Teilnehmer des Gottesdienstes am 10. Juli 1988 in Glauberg einen Schuh auszogen und hochhielten.21 Hier werden Aussagen der Heiligen Schrift für eigene Zwecke ihres eigentlichen Sinnes entkleidet und willkürlich verwendet, während der Versuch, das Gesamtzeugnis der Schrift zum Thema systematisch herauszuarbeiten, nicht unternommen wird.

5. Schlußfolgerungen

Aus Gen 2 geht deutlich das schöpfungstheologische Mandat hervor, Gottes Schöpfung zu pflegen und zu verwalten. Das beinhaltet dann auch den verantwortungsvollen Umgang mit der Tierwelt. Die Gemeinde Jesu muß es als ihr Versäumnis einsehen, diesen Auftrag vernachlässigt und das Eintreten hierfür anderen überlassen zu haben. Wollte man daher ein Schuldbekenntnis formulieren, dann hätte man zu bekennen, daß man an einer gesellschaftlich zentralen Stelle die Möglichkeit zum Zeugnis in der Welt versäumt und das Eintreten für eine an sich richtige Sache Gruppen überlassen hat, die es dann für ihre Zwecke instrumentalisiert haben.

Die Bibel zeigt allerdings deutlich auf, daß es einen qualitativen Unterschied gibt zwischen Mensch und Tier. Nur der Mensch wird in der Kategorie von Verantwortung und damit Schuld gegenüber Gott gesehen.

Gottesdienst für Tiere setzt evolutionistisches Weltbild voraus

Auf Gemeinschaft mit Gott hin ist nur der Mensch angelegt, das Tier ist dem Menschen als Umwelt gegeben, die er nutzen darf – z.B. zur Nahrung.

Die Protagonisten der Tiergottesdienste setzen, wenn sie von Schöpfung sprechen, ein spiritualisiertes, evolutionistisches Weltbild voraus, das diesen von Gott gegebenen Unterschied nivelliert und damit das Erlösungswerk Christi verdunkelt, ja eigentlich überflüssig werden läßt.

Dies führt dazu, daß das Tier in unbiblischer Weise in religiöser Dimension und damit als dem Menschen gleichgestellt gesehen wird. Dies bringt folgende gefährliche Konsequenzen mit sich:

Die Unantastbarkeit menschlichen Lebens wird durch die Gleichstellung von Mensch und Tier diskutabel, wie das Beispiel von Peter Singer zeigt.

  • Wenn von einer „Theologie der Befreiung für Tiere“ gesprochen wird, dann scheint die Kirche zum Agitationsforum radikalpazifistischer Tierschützer gemacht zu werden. Geschieht dies, dann wird die Verkündigung mit sachfremden Äußererungen überfrachtet und das Evangelium wird nicht mehr gepredigt.
  • Mit der heiligen Schrift wird leichtfertig und bedenkenlos umgangen. Durch diese Instrumentalisierung wird sie letztlich diskreditiert.

  1. „Die Verantwortung für Mensch und Tier“, Arbeitshilfen, Positionen – Überlegungen – Anregungen, Bd. 113, Hg. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Bonn: 4. Okt. 1993), S. 67-72. 

  2. „Sind Tiere die geringsten Brüder?“, idea Spektrum, Nachrichten und Meinungen aus der evangelischen Welt, Nr. 22/88 (Wetzlar: idea, 18. Mai 1988), S. 12. 

  3. Zitiert bei: Jens Motschmann, So nicht, Herr Pfarrer! Was wird aus der evangelischen Kirche? (Berlin, Frankfurt a. M.: Ullstein, 1991), S. 145-147. 

  4. Jens Motschmann, So nicht, Herr Pfarrer! Was wird aus der evangelischen Kirche?, S. 146. 

  5. Rainer Straub, „Bruder Pferd und Schwester Wespe“, in: idea Spektrum, Nachrichten und Meinungen aus der evangelischen Welt, Nr. 38/96 (Wetzlar: idea, 18. 09. 1996), S. 16f. 

  6. Ebd. 

  7. Vgl. idea-Spektrum Nr. 26/27 (Wetzlar: idea, 25.06. 1997), S. 12. 

  8. „Sind Tiere die geringsten Brüder?“, in: idea Spektrum, Nachrichten und Meinungen aus der evangelischen Welt, Nr. 22/88 (Wetzlar: idea, 18. Mai 1988), S. 12. 

  9. Konrad Lorenz, Darwin hat recht gesehen (Pfullingen: Neske Verlag, 1965), S. 55. 

  10. Sigmund Freud, „Vorlesungen zur Einführug in die Psychoanalyse (1916-1917)“, allgemeine Neurosenlehre, III. Teil, Freud Studienausgabe ( Frankfurt a. M.: Fischer, 1989), S. 283f. 

  11. Peter Singer, „Prolog“, Verteidigt die Tiere, Hg. Peter Singer (Frankfurt/M; Berlin: Ullstein 1988), S. 19-20. 

  12. Fritjof Capra, Wendezeit, Bausteine für ein neues Weltbild,übers. v. E. Schuhmacher, überarb. u. erw. Aufl. (München, Bern, Wien: Scherz Verlag, 1985), S. 324. 

  13. Thomas Broch, Piere Teilhard de Chardin – Wegbereiter des New Age? (Stuttgart: Quell Verlag, 1989), S. 5. 

  14. Harm Bernick, „Die konziliare Vision Carl Friedrich v. Weizsäckers“, Der konziliare Prozess – Utopie oder Realität, Hg. P. Beyerhaus, L.v. Padberg (Asslar: Schulte& Gerth, 1990), S. 163. 

  15. Carl Friedrich v. Weizsäcker, Die Zeit drängt, Eine Weltversammlung der Christen für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung, 5. Aufl. (München, Wien: Carl Hanser Verlag: 1986), S. 60. 

  16. Ebd., S. 91. 

  17. Rainer Straub, „Bruder Pferd und Schwester Wespe“, in: idea Spektrum, Nr. 38/96, S. 16f. 

  18. Carl Friedrich v. Weizsäcker, Die Zeit drängt, Eine Weltversammlung der Christen für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung, S. 91. 

  19. Rainer Straub, „Bruder Pferd und Schwester Wespe“, in: idea Spektrum, Nr. 38/96, S. 16f. 

  20. D. h., es handelt sich um eine Stilfigur, bei der das Generelle für das Besondere gesetzt wird. 

  21. „Sind Tiere die geringsten Brüder?“, in: idea Spektrum, Nr. 22/88, S. 12. idea, 13. Juli 1988.