ThemenPredigten und Bibelarbeiten

Die Herrlichkeitstheologie der Gegner des Paulus in Korinth

1. Einleitung

„Es gibt nichts Neues unter der Sonne“ (Pr 1,9) – vieles von dem, was heute als theologisches Unkraut im Den­ ken und Handeln von Christen zu finden ist, war auch schon ein Problem des 1.Jahrhunderts, mit dem sich auch Paulus auseinanderzusetzen hatte. Diese „theologia gloriae“, wie sie sich in beiden (uns erhaltenen) Korintherbriefen zeigt, ist aber mehr als nur ein „Problem“ oder ein umfochtener theologischer Streitpunkt, sondern knallharte Irrlehre mit katastrophalen Folgen. Für  die Gemeinde von Korinth war sie sicher ein Kernproblem, das in kausalem Zusammenhang mit den sonstigen viel­ fach unrühmlichen „korinthischen Zuständen“ stand.

Die Argumentation des Paulus läßt erkennen, daß hier letztlich zwei völlig unterschiedliche Theologien auf­ einanderprallen: Hier steht „theologia crucis“ (Kreuzestheologie) contra „theologia gloriae“ (Herrlichkeitstheologie). Und wieder einmal mehr erweist sich das „Wort vom Kreuz“ als In­ dikator und Wasserscheide für Häresie. An diesem Punkt scheiden sich die Geister!

Schon in 1Kor 1 setzt Paulus den Hebel an dieser Stelle an, als er verdeutlicht, daß Gott eben nicht „das Weise nach dem Fleisch“, das Mächtige und das Edle erwählt hat, sondern „das Unedle und das Verachtete hat Gott auserwählt, das, was nicht ist, damit er das, was ist zu­ nichte mache, daß sich kein Fleisch vor ihm rühme“ (V.28). Am deutlichsten zeigt sich dieses göttliche Prinzip in der Kreuzigung Jesu (V.18ff). Auf dieser von Christus vorgezeichneten Spur bleibt auch Paulus, wenn er in 2Kor 4,10 davon spricht, daß er „allezeit das Sterben Jesu am Leib umherträgt“.

In 1Kor 2,1ff berichtet Paulus über sein Auftreten und Wirken in Korinth: Er brachte ausschließlich die Kreuzesbotschaft nach Korinth (V.2) und trat „in Schwachheit“ (vielleicht war er krank?: 2Kor 12,7. Nach Gal 4,15 hatte er ein Augenleiden.), „mit Furcht und in vielem Zittern“ (vielleicht schlotterten ihm die Knie während seiner Predigt?) vor seine Hörer. Während seine Briefe als gewichtig galten, war seine „leibliche Gegenwart schwach und seine Rede zu verachten“ (2Kor 10,10; 11,6).

Das stand mit Sicherheit im Kontrast zum Auftreten der Gegner des Paulus in Korinth und es kontrastiert auch unsere heutigen Vorstellungen vom „Profi – Evangelisten Paulus“. (Ich glaube, daß unsere Vorstellungen von biblischen Personen oft einseitig betont sind. Die Schwachstellen von Paulus etwa werden meist ausge­ klammert, obwohl gerade diese – meiner Ansicht nach – ganz zentral mit seinem langjährigen kontinuierlichen Missionserfolg zusammenhängen. Ich möchte behaupten: Paulus konnte nicht trotz seiner Schwachheit soviel leisten, sondern weil er schwach war!)

2. Wer sind die Gegner des Paulus?

Eine genaue Definition dieser Leute wird uns nicht ge­ geben. Aber aus der Auseinandersetzung mit ihnen läßt sich einiges ableiten.

Im 1Kor bezeichnet Paulus seine Gegner öfters als „einige“ (1Kor 3,18; 4,18 u.a.m.). G.Hörster sieht in ihnen die in 1Kor 1 beschriebene Fraktion „des Christus“. Er führt dazu aus: „Aber ihre Beziehung als Christusan­ gehörige war keine Einladung an alle, zu der gemeinsa­ men Basis zurückzukehren. Sie war exklusiv gemeint und darum als Kampfruf gedacht: Nur von sich selber sagen diese Leute, daß sie dem Christus angehören; an­ deren sprechen sie das ab.“1

Sie hinterfragen Paulus an vielen Stellen: bezüglich seines Apostelamtes  (1Kor  9,2 u.a.),  bezüglich seiner Geistbegabung (1Kor 7,40), bezüglich seiner Offenba­rung (2Kor 12,1ft) und bezüglich der Frage, ob Christus durch ihn redet (2Kor 13,3).

Aber es war mehr als ein persönlicher Konflikt des Apostels mit diesen „Schwärmern“ (wie sie – meines Erachtens zurecht – G. Hörster bezeichnet),2 denn durch sie wurde eine neue Lehre und eine neue Ethik verkündigt und gelebt. Sie hatten offenbar einen verhängnis­ vollen Einfluß auf die Gemeinde. So hält man es für unproblematisch, als Christ zu den (damals sprichwörtlich bekannten) Korinther-Prostituierten zu gehen (1Kor 6), während sie offenbar in den Ehen für sexuelle Abstinenz eintreten, vielleicht sogar für Scheidung aus „geistlichen Gründen“ (1Kor 7). Vom Heiligen Geist und seinen Gaben sprechen sie viel (1Kor 12 und 14), aber die Auferstehung des Leibes leugnen sie (1Kor 15).

Paulus bezeichnet seine Gegner in 2Kor 11 (wohl iro­nisch) als „übergroße Apostel“ (V.5), die als großartige Redner auftraten (V.6) und sich für ihre Tätigkeit im Gegensatz zu Paulus bezahlen ließen (V.7).3 Aber diese Superapostel sind „falsche Apostel“ und „betrügerische Arbeiter“, die den Eindruck erwecken, echte Apostel zu sein (V.13); ja noch schlimmer: Die Verführer der korinthischen Gemeinde werden aus­ drücklich als Diener Satans hingestellt (V.15), die nach dem gleichen Muster verfahren, wie uns von der Schlange in Gen 2 berichtet wird. Dabei steht wohl das Vorspiegeln einer falschen Tatsache im Mittelpunkt. (Und diese „theologia gloriae“ ist auch eine Vorspiegelung falscher Tatsachen!)

Sie predigen auch Jesus, aber einen anderen Jesus; sie predigen auch ein Evangelium, aber ein anderes Evangelium – und die Korinther lassen sich das alles gefallen, selbst wenn ihnen ein anderer Geist gegeben wird (V.4).

Vieles spricht hier für einen gnostischen Einfluß in Korinth, wie W.Schmithals4 nachzuweisen versuchte. Jedenfalls scheint die Überbetonung der Weisheit und Er­ kenntnis und die Abwertung der Leiblichkeit in den oben beschriebenen Auswüchsen in Korinth eine nicht geringe Rolle zu spielen. Auch die Frage nach der leiblichen Auferstehung läßt an Gnosis oder griechische Philosophie denken. (Vielleicht könnte man die „Überapostel“ als „Pneumatiker“ identifizieren, die Paulus für einen „Psychiker“ oder „Hyliker“ halten, der noch „nach dem Fleisch wandelt“ (2Kor 10,2), während sie bereits eine höhere Ebene der Erkenntnis erlangt haben.)

A.Schlatter5 hingegen führt die Irrlehre in Korinth auf einen jüdisch-libertinistischen Einfluß zurück.  Andere Exegeten sind der Meinung, es handele sich um judai­stische Tendenzen (F.C. Baur), wieder andere vertreten die Ansicht, daß die schwärmerische Gruppe in der Gemeinde selbst entstanden sei.6

Wer diese Gegner auch immer sein mögen: Paulus ist entschlossen, sowohl in seinem Schreiben (1. und 2.Kor.), als auch bei seinem angekündigten Besuch in Korinth (1Kor 4,19) gegenüber diesen „gewissen Leuten“ mit aller Kühnheit aufzutreten (2Kor 10,2). Hier, wo es um zentrale Fragen der Lehre und des daraus re­ sultierenden Lebens geht, versteht er keinen Spaß mehr. Es steht letztlich alles auf dem Spiel!

3. Was charakterisiert die Theologie der Gegner des Paulus in Korinth?

In 1Kor 4 wird das Denken der korinthischen Gegner des Paulus näher beschrieben, deren „theologia gloriae“ nicht dem entspricht, was wir in der Schrift finden (V.6).

Mit einer Tabelle möchte ich den Kontrast zwischen diesen Leuten und dem Apostel darstellen.

Gegner des Paulus

Paulus und seine Mitarbeiter

„ihr seid schon satt“ (V.8)

„ihr seid schon reich geworden“

sie haben schon die „Herrschaft“ und sind quasi am Ziel (V.8) (oder glauben es zumindest)

sie litten momentan Hunger und Durst (V.11)

sie hatten keine Wohnung und (V.8) mußten sich abmühend selbst um Unterhalt sorgen (V.11), werden geschlagen, sind nackt (in Lumpen)

sie herrschen noch nicht, als Apostel hatten sie eher den Eindruck, die Letzten zu sein (V.9)

Die Frage, wann denn die Christen herrschen werden, läßt sich von der Schrift her eindeutig beantworten: Jetzt noch nicht, sondern erst im Millenium (Off 20,4)!
sie sind „klug in Christus“ (V.10)

sie sind stark (V.10)

sie sind geehrt (V.10)

sie sind Narren um Christi Willen (V.10)

sie sind schwach (V.10)

sind verachtet (V.10) und wie zum Tod in der Arena verurteilte Verbrecher (V.9)

– sie sind wie „Auskehricht der Welt“ und wie Abschaum (V.13)

Hier zeigt sich deutlich diese antizipatorische7 Theolo­gie: Das, was erst die zukünftige Herrlichkeit bei Gott mit sich bringen wird, das will man schon vorwegneh­ men. Die Prädikate reich, satt, kraftvoll, geehrt, geist­ voll, herrschend zeichnen diese Theologie aus. Krank­ heit, Leid, Schwachheit, Armut und dergleichen passen nicht in dieses Konzept, sondern gelten eher als Zeichen fehlenden Glaubens, als „Fleischlichkeit“. Wer so schwach, wie Paulus ist, der kann folglich nur ein „Christ niedrigerer Ebene“ sein!

Diese Theologie ist in unseren Tagen wieder sehr aktu­ ell. (z.B. im „Prosperity Gospel“). Wer behauptet, als „Christ mit richtigem Glauben“ wird man in jeder Krankheit wieder gesund, nimmt das in Off 21,4 ange­ kündigte vorweg, der betreibt antizipatorische Theologie. Die Erlösung unseres Leibes steht nach Rö 8,23 noch aus. Wer behauptet, wenn man Christ wird, werde man satt, reich, gesund und kraftvoll, der lügt.

A.Schlatter charakterisiert das Denken dieser Gruppe einmal so:

„Nicht glauben, sondern erkennen, nicht gehorchen und untertan sein, sondern seine Vollmacht betätigen, nicht an andere denken, für sie sorgen und ihnen dienen, sondern das eigene religiöse Erlebnis pflegen, auch wenn es für andere unverständlich bleibt, nicht sterben, sondern sich des Lebens freuen …“8

Daß sich „einer gegen den anderen aufbläht“ (lKor 4,6) ist die logische Folge. Personenkult tritt an die Stelle der Christozentrik. Diese Herrlichkeitstheologie zerstört die Gemeinde!

Das zeigt sich:

  1. im ernsten Zustand der Korinther Gemeinde und
  2. in der Beobachtung, daß in der Sendschreibengemeinde Laodizäa, die von sich sagte: „Ich bin reich und bin reich geworden und brauche ..“ (Off 3,17), schon „der Tod im Topf“ ist.

Paulus nimmt diese Gefahr sehr ernst.

4. Was setzt Paulus dieser Theologie entgegen?

Die Schwachheit der Diener Jesu spielt, wie schon an­ gedeutet, in den Korintherbriefen eine wichtige Rolle. Sie dient als „Durchgangsstadium“ zur Vollmacht. Hier liegt das Geheimnis des Erfolgs von Paulus.

Als besonders wichtige Stelle dabei erscheint mir 2Kor 4,7:

„Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, da­ mit die überragende Größe der Kraft von Gott sei und nicht aus uns.“

Christsein umfaßt also beide Komponenten:

  1. das oftmals schwache, unattraktive irdene Gefäß,
  2. den Schatz, den kostbaren

Wer den „Schatz“ vom „irdenen Gefäß“ isoliert, der kommt zur „theologia gloriae“ der korinthischen Gegner des Paulus. Aber beides gehört zusammen: Schwachheit und Vollmacht. (So wie das Kreuz Christi und seine Auferstehung zusammengehören.)

Schwäche ist also kein Zeichen fehlenden Glaubens und einer niederen geistlichen Ebene, sondern Gott benutzt gerade unseren schwachen Leib, um vollmächtig zu wirken.

Wie das bei Paulus und seinen Mitarbeitern konkret aussah, beschreibt er in den folgenden Versen: „bedrängt“, „keinen Ausweg sehend“ (nach 2Kor 1,8 war Paulus sogar „am Leben verzweifelt“!, „verfolgt“, „niedergeworfen“ (V.8-11). „Folglich wirkt der Tod in uns, das Leben aber in euch.“ (V.12)

Daß Paulus dieses schwere Leid bis hin zur Verzweiflung trug, war der Grund dafür, daß die Korinther das Leben in Christus fanden. Leiden um Christi Willen ist also nicht sinnlos. (Meines Erachtens gibt es auch sinn­ loses Leiden!)

Wenn Paulus auch erlebt, wie das „irdene Gefäß“ „Verschleißerscheinungen“ zeigt, so weiß er aber auch davon zu berichten, daß er innerlich jeden Tag neu auf­ gebaut wird (V.16). Im Blick auf die Herrlichkeit bei Gott wird ihm Schmerz und Leid erträglich, „schnell vorübergehend“ und „leicht“  (V.17+18).

Diesen Grundtenor in der Argumentation des Paulus kann man erkennen: Gott benutzt für sein vollmächtiges Wirken die Schwachheit von Menschen. Ein Leben in Schwachheit ist deshalb ein fruchtbares Leben.


  1. Hörster, Einleitung und Bibelkunde zum Neuen Testament,  Brockhaus Verlag Wuppertal und Zürich, 1993. S.102. 

  2. ebd, S.102 

  3. Wie BKB ausführt, wären berufsmäßige griechische Rhetoriker in schlechten Ruf gekommen, wenn sie kein Honorar ver­langt hätten. Kommentar zur Bibel, zur Stelle S.351, R.Brockhaus Verlag, 1992. 

  4. W.Schmithals, Die Gnosis in Korinth, Göttingen, 3/1969 

  5. Paulus der Bote Jesu, S.42-46 

  6. W.Lütgert, Freiheitspredigt und Schwarmgeister in Korinth, Gütersloh, 1908 

  7. vorwegnehmend 

  8. a.a.O. S. 28