Mit seinem Videoaufruf zum Gebet hat Papst Franziskus im Januar 2016 einen neuen youtube-Kanal eröffnet. Er bot mit dem ersten Beitrag nicht nur einen technisch ausgezeichneten Videoclip mit guter Dramaturgie und klarer Botschaft in eineinhalb Minuten1. Er vereinigte gewissermaßen auch gleich Judentum, Islam, Buddhismus und Christentum zu einer Religion der Gotteskinder, die an die Liebe glauben.
Das Video war so beeindruckend, dass der katholische Theologe und charismatische Leiter eines Gebetshauses in Augsburg, Dr. Johannes Hartl, sich zu einem englischsprachigen Kommentar auf kath.net2 genötigt sah. Er wolle die Verwirrung beseitigen, die es auslösen müsste. Das Video brauche einen Kommentar, sonst könne man es so verstehen, als ob der Papst sagen wollte: »Zwar sehen alle Religionen bestimmte Dinge unterschiedlich, aber über das hinaus ist jeder Mensch ein Kind Gottes, das Gott auf unterschiedlichen Wegen findet, solange er mit dem wichtigsten Satz übereinstimmt, dass alle an die Liebe glauben«. Mit einer »wohlmeinenden Hermeneutik« will Johannes Hartl, der zunehmend auch bei Evangelikalen hohes Ansehen genießt3, den Papst verteidigen und dessen wirkliche Absichten erklären. Gleichzeitig verdächtigt er ungenannte Personen der Entstellung der päpstlichen Absichten und fragt, wie ein derart missverständliches Video zustande gekommen sein kann.
» Gibt es eine Verschwörung gegen den Papst oder ist sein Video nur ein großes Missverständnis?
Ist das Video nun wirklich schwer verständlich? Oder kann man es, weil es nicht recht gelungen ist, leicht anders verstehen, als es eigentlich gemeint ist? Ist vielleicht in einer Art Verschwörung gegen den Papst von Mitgliedern der Kurie dieses »missverständliche« Video produziert worden, wo doch Franziskus eigentlich selber das Evangelium von der Rettung allein durch Jesus Christus verbreiten wollte? Schauen wir uns an, was der Papst im Video sagt und tut. Dann werfen wir einen Blick auf die Verstehenshilfe von Johannes Hartl, der das Video mit seiner Hermeneutik richtig und unmissverständlich erklären will, dabei aber über viele Aussagen des Papstes einfach hinwegsieht.
Das Video vom Papst
Die Stimme des Papstes aus dem Hintergrund erklärt, dass ein Dialog der Religionen deswegen gefordert sei, weil sich der größte Teil der Erdbevölkerung als gläubig bezeichne. Eingeblendet sieht man abwechselnd vier Vertreter von Weltreligionen. Es sind keine »normalen« Gläubigen, sondern sollen von Auftreten und Erscheinung her offenbar »Geistliche« sein. Eine grauhaarig westliche Frau steht in einem roten Ornat für den Buddhismus, ebenso grauhaarige Männer stehen für den Islam, das Christentum und das Judentum. Der Papst selber ist nicht unter ihnen, sondern sitzt, seine Erklärung verlesend, an einem Schreibtisch. Mit ruhiger, tiefer Stimme hört man ihn auf italienisch: »Wir dürfen nicht aufhören, dafür zu beten und mit denen zusammenzuarbeiten, die anders denken.«
Mit einem kurzen Glaubensbekenntnis werden die Religionsvertreter vorgestellt:
- Die Lama Rinchen Kandro sagt: Ich setze mein Vertrauen in Buddha.
- Der Rabbiner Daniel Goldman: Ich glaube an Gott.
- Guillermo Marcó, der katholische Priester: Ich glaube an Jesus Christus.
- Der als islamische Führungsperson vorgestellte Omar Abboud meint: Ich glaube an Gott, Allah.
Der Papst erklärt dann, was es mit den unterschiedlichen Glaubensbekenntnissen auf sich haben soll: Weil Menschen unterschiedlich fühlen und denken, »suchen und finden sie Gott auf unterschiedliche Weise«. Aber es gebe in der Vielfalt der Religionen doch »eine einzige Gewissheit, an der wir für alle festhalten: Wir sind alle Kinder Gottes«.4
Diese Erklärung wird mit Aufnahmen bebildert, die Papst Franziskus mit verschiedenen »geistlichen« Würdenträgern zeigt: Von einer Delegation buddhistischer Mönche erhält er offenbar im Vatikan eine Buddhastatue. Dann küsst er den griechisch-orthodoxen Patriarchen Bartholomaios I. und mit ihm die Platte in der Grabeskirche. Vor der Klagemauer in Jerusalem umarmt er Rabbi Abraham Skorka, einen alten Freund aus Buenos Aires, und den bereits genannten muslimischen Imam Omar Abboud. Die Süddeutsche Zeitung hatte das Bild im Mai 2014 mit dem Satz kommentiert: »Die drei Religionen vereint an dieser Stätte, an der einst der Jerusalemer Tempel stand«.5
» Nach einem freundlichen Gespräch sind sich die Religionsvertreter einig: Jeder glaubt an die Liebe.
Im Video sieht man die vier Religionsvertreter anschließend in einem freundlichen Gespräch. Als Ergebnis dieses Gesprächs setzen sie zu einer Erweiterung ihres Glaubensbekenntnisses an und behaupten nacheinander gleichlautend: »Ich glaube an die Liebe«.
Wenn der Papst anschließend erklärt, was er von uns allen erwartet, dann tut er das während die vier Religionsvertreter jeweils Symbole ihres Glaubens ins Bild halten. Die Lama hält eine Buddhafigur in ihren Händen, der Rabbiner einen siebenarmigen Leuchter, der katholische Priester eine Krippenfigur, die Jesus als Säugling darstellen soll. Der Imam zeigt dem Zuschauer eine islamische Gebetskette, eine Misbaha mit 33 Perlen. Die Erwartung des Papstes ist, dass der Dialog der Religionen »Früchte des Friedens und der Gerechtigkeit hervorbringe«. Er vertraue darauf, dass alle seine Zuschauer beten.
Unterstrichen wird das zum Schluss, indem nun die vier Religionsvertreter gemeinsam ihre Symbole zueinander in die Mitte des Bildes halten.
Johannes Hartl und wessen Missverständnisse?
Johannes Hartl nun schreibt am Anfang seines Kommentars, dass dieses Video eine Erklärung benötige. Da er offenbar nicht auf eine Aufklärung durch den Papst selber hofft, muss er sie geben. Zuerst äußert er seine Hoffnung, dass Franziskus nicht meint, was man offenbar hört und sieht, und bekennt seine Sorge, dass von dem Video falsche Signale ausgehen könnten, wenn man es nicht wohlmeinend erklärt. Das aber will Hartl als guter Katholik übernehmen.
Die Absicht des Videos und des Papstes sei »völlig klar und absolut zu unterstützen«. Er wolle zum Gebet auffordern, dass der Dialog der Religionen gute Früchte trage. Hartl muss allerdings bekennen, dass dieses »sehr wichtige Gebetsanliegen« so problematisch vorgetragen wird, dass es der einfache Zuschauer gar nicht richtig erkennt. Er könnte vielmehr hören, dass der Papst erklärt habe, dass die verschiedenen Religionen nur verschiedene Wege zu Gott seien.
Sowohl der einfache als auch der »reflektierte« Zuschauer wird gar nicht anders können, als genau das zu hören. Weil der Papst es sagt, während er sich bei dem Anliegen so unklar ausdrückt, dass man nicht genau weiß, ob der Papst will, dass alle Glaubenden aller Religionen zusammen beten oder ob er sich nur an seine »Schäfchen«, die Katholiken, wendet und sie bittet zu beten, dass der Dialog der Religionen Gerechtigkeit fördere.
Mit seiner eigenen Erklärung stellt sich Hartl in gewisser Weise gegen seinen Papst und will ihn gleichzeitig gegen »falsche« Verdächtigungen in Schutz nehmen. Er fordert nämlich, dass jeder Zuschauer des Videos die Beschlüsse des 2. Vatikanischen Konzils kennen muss (Nostra Aetate und Ad Gentes). Außerdem sollte er das Lehrschreiben Franzikus` Evangelii Gaudium gelesen haben und wissen, was Rom im Lehrschreiben Dominus Iesus verfasst hat. Aus diesen gehe klar hervor, dass der Papst gar nicht meinen kann, was er sagt.
Hartl weiß: Menschen brauchen den Glauben an Jesus Christus, um gerettet zu werden. Kinder Gottes sind sie nur durch den Glauben und nur der Name Jesus bietet Rettung (Joh 1,12; 14,6; Apg 4,12; Mk 16,16: Röm 5,10). Mit dem Satz, dass wir alle Kinder Gottes seien, meine der Papst nur, dass alle Menschen Geschöpfe Gottes sind, die als seine Ebenbilder eine unverlierbare Würde haben. Dass alle Menschen irgendwie an die Liebe glaubten, sei zwar irgendwie richtig, aber eine inhaltsleere Aussage, weil das ja nur bedeuten könne, dass Menschen wissen, dass es die Kraft der Liebe gibt und sie sich danach sehnen. Hartl besteht zu Recht darauf, dass man allein durch das Kreuz und in der Person von Jesus Christus wissen kann, was wahre Liebe ist.
Johannes Hartl fasst zusammen:
»Eine Vermischung der Religionen und die Schwächung des Anspruchs der Wahrheit des Christentums sind dem katholischen Glauben unbekannt und von allen früheren Päpsten deutlich zurückgewiesen worden. Papst Franziskus repräsentiert die Freude des Glaubens und die Barmherzigkeit Gottes wie wenige vor ihm. Seine Überzeugungen über die Notwendigkeit der Re-Evangelisierung sind in Evangelii Gaudium kristallklar.«
Nicht missverständlich, sondern falsch
Stimmt das? Ist wirklich alles so kristallklar in der römischen Kirche, wenn es um die Religionsvermischung und die zentrale Bedeutung der Errettung durch Jesus Christus geht?
Da es sich in dem Video nicht nur um Schauspieler handelt, sondern um lebende Personen, die als Religionsführer ihre Religion repräsentieren wollen, muss die Frage erlaubt sein, ob sie sich auf dieses Video eingelassen hätten, wenn Franziskus ihnen deutlich gesagt hätte: »Ich achte Euch als Menschen. Gott hat Euch erschaffen. Ihr seid nett und habt gute Absichten. Aber Ihr unterliegt einem radikalen Irrtum, der Euch zu Feinden Gottes macht. Ihr lehnt nämlich Jesus als einzigen Weg der Rettung ab. Wir sollten darüber reden, wie alle Menschen trotz gegensätzlicher Auffassungen in Frieden miteinander leben können. Aber das ändert nichts daran, dass Ihr auf ewig verloren seid, wenn Ihr Euch nicht noch zu Jesus wendet und auf seine Erlösung hofft.«
Der Papst hat sich aber nicht als Botschafter des Evangeliums zu den Repräsentanten gestellt, sondern mit seiner Erklärung – gelesen an einem gesonderten Tisch – klar gemacht, wie er sich selber versteht: nämlich als Oberhaupt aller Glaubenden, auch derjenigen, die in anderen Religionen mit Teilwahrheiten (des Christentums), zwar unbewusst und auch in einem niedrigeren Glaubensstand, aber doch irgendwie auch an Jesus Christus glauben. Es ist der Geist, in dem Papst Johannes XXIII. erst bei seiner Einsetzung 1958 und dann später mit offenen Armen zu einer jüdischen Delegation sagte: „Ich bin Josef, euer Bruder!“ Ein Selbstverständnis als verkannter Retter ist für das Papsttum typisch. Deswegen hat es immer eine Bereitschaft zur Religionsvermischung gegeben, wenn dem Papst eine gewisse Anerkennung von anderen Religionsführern entgegen gebracht wurde.6
Das persönliche Glaubensbekenntnis des Papstes zu den Religionen
» Im Religionsbegriff des Papstes erscheinen die verschiedenen Religionen als ein Ausdruck der menschlichen Individualität und Kultur.
Als »persönliches Credo des Papstes« erschien 2014 ein Gespräch des Papstes mit seinem Freund, dem Rabbiner Abraham Skorka aus Buenos Aires. Franziskus und Skorka vertreten darin ein Religionsverständnis, wie es der evangelische Kirchenvater Friedrich Schleiermacher beschrieben hat.7 Es gibt eine göttliche Transzendenz, ein göttliches Wesen und eine Berührung des Menschen damit, die in den verschiedenen Religionen ihren unterschiedlichen Ausdruck findet. Religion ist dann ein bestimmter, im Menschen hervorgerufener Zustand, ein Bewusstsein, das sich, wenn es nicht gehindert wird, zu immer „höherem Bewusstsein“ entwickeln wird. »Religion ist Sinn und Geschmack fürs Unendliche«. Dieser Sinn und Geschmack für das Unendliche findet seinen Ausdruck in den vorhandenen Religionen. Schleiermachers Religionsbegriff ist betont offen. Bei ihm ist für fast jede religiöse Äußerung Platz.
(Wenn Ihr die Religionen) »an ihrer Quelle und ihren ursprünglichen Bestandteilen nach untersucht, so werdet ihr finden, dass alle die toten Schlacken einst glühende Ergießungen des inneren Feuers waren, das in allen Religionen mehr oder minder enthalten ist von dem wahren Wesen derselben […]; dass jede eine von den besonderen Gestalten war, welche die ewige und unendliche Religion unter endlichen und beschränkten Wesen notwendig annehmen musste.«8
Die Verschiedenheit der Religionen kommt nach Schleiermacher durch den jeweils besonderen Eindruck zustande, den das Göttliche beim Einzelnen hinterlässt. Welcher Eindruck das ist, hänge von der Individualität der Person und ihrer Entwicklung ab, aber auch von der Kultur und den zeitgeschichtlichen Umständen, in denen er lebt.
Bei Abraham Skorka klingt das dann so:
»Jeder Mensch hat seine eigene Beziehung zu Gott. Sind wir nicht alle verschieden in unserer Art, in unseren Vorlieben und unseren Erfahrungen? Also sind es auch unsere Beziehung zu Gott und unser Zwiegespräch mit ihm und mit ihnen die religiösen Traditionen.«
Verschiedene Religionen gebe es, weil die individuellen Erfahrungen verschieden sind. Dort wo Menschen einen gemeinsamen Nenner für ihre persönlichen Erfahrungen finden, entstehe eine konkrete Religion.
Der Papst widerspricht dieser Darstellung im Gespräch weder direkt noch indirekt. Er bestätigt sie im Sinne des Videos sogar ausdrücklich. Im Gespräch mit Skorka sagt Franziskus neben vielen ähnlichen Sätzen:
»Gott macht sich im Herzen jedes Menschen spürbar. Er achtet auch die Kultur der Völker. Jedes Volk erfasst nach und nach diese Vision Gottes, übersetzt sie gemäß seiner Kultur und bereitet sie auf, reinigt sie und gibt ihr ein System. Einige Kulturen sind urwüchsiger in ihren Verdeutlichungen. Doch Gott öffnet sich allen Völkern. Er ruft sie alle, fordert sie alle heraus, damit sie ihn suchen und durch die Schöpfung entdecken. In unserem Fall, im Judentum und im Christentum, gibt es eine persönliche Offenbarung. Er selbst tritt uns entgegen, offenbart sich uns, zeigt uns den Weg und begleitet uns. Er nennt uns seinen Namen, führt uns mit Hilfe der Propheten. Wir Christen glauben, dass er sich uns schließlich in Jesus Christus kundtut und sich für uns opfert.«
Offenbar hat Johannes Hartl diese Relativierungen der Rettung durch Jesus Christus bei Franziskus übersehen. Ich will ihm seine »wohlmeinende Hermeneutik« nicht anlasten, aber so etwas darf nicht zum Ignorieren von klaren Aussagen führen. Und wenn es um die Evangelisierung der Welt geht, was offenbar nicht ganz das Gleiche ist, wie das, was im evangelikalen Raum weithin unter Evangelisation verstanden wird, dann müsste doch hier das Evangelium von Jesus Christus zentral sein. Das ist es aber nicht, wenn man genauer hinschaut.
Wo bleibt das Evangelium?
Zum Jahr der Barmherzigkeit hat Franziskus ein Buch veröffentlicht, das den Titel trägt »Der Name Gottes ist Barmherzigkeit«. Es ist aus einem knapp zweistündigen Interview mit Andrea Tornielli hervorgegangen und erklärt die Beweggründe für die Ausrufung des Jahres der Barmherzigkeit und die zentrale Bedeutung, die die Barmherzigkeit Gottes für Kirche und Glaube haben soll.
In dem ganzen Buch findet der Kreuzestod von Jesus Christus eine einzige Erwähnung und das in einem Zitat ungefähr in der Mitte. Den Papst beschäftigt vielmehr etwas ganz anderes, was nur aus römisch-katholischer Sicht verständlich ist. Er sieht der Kirche und damit jedem ordentlichen Priester von Gott die Macht verliehen, Sünden zu vergeben.
Und nun macht er sich Gedanken, ob ein Priester zu viel oder zu wenig vergeben kann. Er versucht aus der unbegrenzten Barmherzigkeit Gottes, die beinahe unbegrenzte Vergebung durch den Zuspruch eines Priesters im Sakrament der Beichte abzuleiten. Es beschäftigt ihn die Frage, ob die Vergebung auch zugesprochen werden darf, wenn jemand seine Sünde gar nicht bereut. Und er findet den typischen Weg eines Jesuiten: Ja, das ist möglich, wenn der Mensch wenigstens bereut, dass er nichts bereut. Jedem kann fast immer alles vergeben werden.
Dabei kommt es aber offensichtlich nicht auf den Glauben an Jesus Christus an und auf die Hoffnung, die der Mensch auf das Opfer von Jesus am Kreuz setzt. Es kommt allein darauf an, dass er von einem römischen Priester den Zuspruch erhält. Hier macht sich Franziskus allerdings dafür stark, dass die Kirche und jeder Priester großzügig mit dem Zuspruch umgehen muss und damit entsprechend der Barmherzigkeit Gottes handeln soll.
» Das Symbol des Kreuzes ist dem Papst im Dialog mit den Religionen offenbar zu anstößig.
Wenn der Papst die Überzeugungen hat, die Johannes Hartl ihm unterstellt, dann spricht er sie jedenfalls nicht aus. Er sagt nicht wie Hartl: »Einzig und allein in Jesus Christus erkennen und finden wir Gott.«. Er sagt auch nicht wie Hartl: »Am Kreuz und in der Person Jesus Christus allein … ist der einzige Platz, wo der Mensch ewige Erlösung finden kann«. Wäre das so schwer gewesen? Aber vielleicht ist es doch eher so, dass der Papst mit solch klaren Aussagen niemanden irritieren will und stattdessen mit vieldeutigen Sätzen alles offenlässt, um – wie Gott selbst? – alle Menschen in die Arme zu schließen.
Ein höchst irritierendes Detail des Videos hat Johannes Hartl nicht übersehen. Der katholische Priester im Video wählt als Symbol des Christentums nicht etwa das Kreuz. Das hält offenbar nicht nur Paulus für anstößig (1Kor 1,18ff). Allerdings anders als Paulus verzichten Papst und Priester auf das Kreuz. Die Botschaft des Kreuzes ist nämlich für Buddhismus, Judentum und Islam zu abstoßend. Hartl meint zurecht, dass gerade am Kreuz der entscheidende Unterschied zwischen dem christlichen Glauben und allen anderen Religionen sichtbar werde. Aber er ist papsttreuer Katholik und verdächtigt lieber die Mitarbeiter am Video, ihnen wäre der entscheidende Unterschied nicht bewusst gewesen. Warum aber muss dann Hartl das Video erklären? Könnte es nicht der Papst selber tun?
Es mag manchem, der Franziskus als großen Reformpapst sieht und ihn für beinahe evangelikal hält, irritieren, aber das Video des Papstes passt gut zum Selbstverständnis des Papsttums. Es spiegelt die tatsächliche Bedeutung wider, die Christus, dem Glauben und dem Kreuz im Katholizismus zugemessen werden.
Das aber stellt offenbar eine ganz andere Gewichtung dar, als vom biblischen Evangelium gefordert. Nach der Bibel ist es eine andere Botschaft, die den Gläubigen aus anderen Religionen gesagt werden muss. Folgt man aber nicht dem Maßstab der Bibel, dann führt das auch zu einer Verkennung der Religionen selbst. Ich kann mir nämlich kaum vorstellen, dass sich viele Buddhisten, Muslime oder Juden hinter die Aussagen des Videos stellen wollen. Für die medienwirksame Religionsumarmung an der Klagemauer in Jerusalem hatte der Papst 2014 doch auch seine jüdischen und islamischen Freunde mitgenommen. Gab es dort keine anderen Juden und Muslime, die sich auf seine Art der Umarmung von Gegensätzen einlassen wollten?
http://www.kath.net/news/53624 abgerufen 20.2.2016; nach dieser Veröffentlichung hat kath.net auch ein Interview mit Hartl zum Thema online gestellt, in dem Hartl sagt, er habe nach Rom geschrieben und um Aufklärung gebeten http://www.kath.net/news/53625 ↩
so sprach er etwa auf dem Christustag 2015, der innerhalb des Evangelischen Kirchentags stattfand http://www.pro-medienmagazin.de/kultur/veranstaltungen/detailansicht/aktuell/christustag-mainstream-ist-fuer-die-ewigkeit-irrelevant-92257/. Er spricht auf dem Willow-Creek-Leiterschaftskongress 2016 und hat auch viele evangelische Besucher in seinem Gebetshaus und auf seinen Konferenzen http://www.pro-medienmagazin.de/kultur/veranstaltungen/detailansicht/aktuell/deutschland-braucht-meeeeeeeeehr-von-jesus-95095/ ↩
Kath.ch berichtete von den Osterfeierlichkeiten 2016: „Gleichheit der Geschlechter und Gleichheit aller Menschen, unabhängig von ihrem Glauben, das sollte die Botschaft jenes Abends werden. Auch drei Muslimen und einem Hindu wusch der Papst die Füsse. «Wir alle sind hier versammelt: Muslime, Hindus, Katholiken, Kopten, evangelische Christen. Wir sind alle Geschwister, Kinder desselben Gottes», so der Papst in seiner frei gehaltenen Predigt. «Wir haben verschiedene Kulturen und Religionen. Aber wir sind Brüder und wollen in Frieden zusammenleben.»“ https://www.kath.ch/newsd/osterfeiern-in-rom-frohe-botschaft-in-den-zeiten-des-terrors/ 27.3.16 ↩
http://www.sueddeutsche.de/panorama/papst-im-heiligen-land-jede-geste-zaehlt-1.1975471 ↩
Die Haltung besteht seit dem Papstdogma in der Bulle Unam Sanctam von 1302:
[…] Die eine und einzige Kirche (hat) also einen Leib, ein Haupt, nicht zwei Häupter wie eine Missgeburt, nämlich Christus und den Stellvertreter Christi, Petrus, und den Nachfolger des Petrus; denn der Herr sagt zu Petrus selbst: „Weide meine Schafe“ [Joh 21,17]. „Meine“, sagt er, und zwar allgemein, nicht einzeln diese oder jene: daraus ersieht man, dass ihm alle anvertraut wurden. Wenn also Griechen oder andere sagen, sie seien Petrus und seinen Nachfolgern nicht anvertraut worden, dann müssen sie gestehen, dass sie nicht zu den Schafen Christi gehören; denn der Herr sagt bei Johannes: „es gibt eine Hürde, einen und nur einen Hirten“ [Joh 10,16].
[…] Diese Autorität ist aber, auch wenn sie einem Menschen verliehen wurde und durch einen Menschen ausgeübt wird, keine menschliche, sondern vielmehr eine göttliche Gewalt, die Petrus aus göttlichem Munde verliehen und ihm und seinen Nachfolgern in Christus selbst, den er als Fels bekannt hat, bestätigt wurde, als der Herr zu Petrus selbst sagte: „Alles, was du gebunden hast“ usw. [Mt 16,19]. Wer immer sich also dieser von Gott so angeordneten Gewalt „widersetzt, widersetzt sich der Anordnung Gottes“ [Röm 13,2]. […]
Wir erklären, sagen und definieren nun aber, dass es für jedes menschliche Geschöpf unbedingt notwendig zum Heil ist, dem Römischen Bischof unterworfen zu sein.
Näheres zu Schleiermachers Theologie und ihren Folgen unter https://bibelbund.de/2015/06/das-theologische-system-f-d-schleiermachers/ ↩
Friedrich Daniel Schleiermacher, Reden über die Religion, 1799: 248. ↩