Die Nikolaiten waren eine frühchristliche Sekte, die in den Sendschreiben an die Gemeinden zu Ephesus (Off 2,6) und Pergamus (Off 2,15) namentlich erwähnt werden. Auch das Sendschreiben an Thyatira setzt sich offenbar mit der nikolaitischen Lehrströmung auseinander, jedoch ohne sie zu nennen. Neben diesen biblischen Angaben gibt es sehr alte kirchenhistorische Quellen (Irenäus, Tertullian, Hippolyt, Victorin von Pettau, u.a.) die uns weitere Einzelheiten über die Nikolaiten und ihre Lehre mitteilen.
Sie alle stimmen darin überein, daß der Begründer der Sekte jener in Apg 6,5 erwähnte Diakon Nikolaus aus Antiochien war. Victorin von Pettau, der einen der ältesten Kommentare zur Offenbarung des Johannes schuf, kommentiert die Stelle Off 2,6 mit folgenden Worten:
„Vor jener Zeit hatten streitsüchtige und verderbenbringende Menschen im Namen des Diakon Nikolaus sich eine Sonderlehre geschaffen: daß nämlich Götzenopferfleisch einem Exorcismus unterzogen werden soll, damit es gegessen werden kann, und daß ein jeder, der Unzucht getrieben hat, am 8. Tage Frieden empfange.“
„Frieden empfangen“ heißt hier: Unzucht ist nicht so schlimm. Nach 8 Tagen soll man dem Betreffenden wieder die vollen Rechte der Gemeinschaft gewähren. Dieses Zitat wirft einiges Licht auf das Sendschreiben an Thyatira: Nach Off 2, 20 verführt die falsche Prophetin Jesebel die Knechte Gottes zum Essen von Götzenopferfleisch und zur Hurerei (vgl. auch 2,14). Ferner wirft das Pettau-Zitat ein interessantes Licht auf die eher geheimnisvoll lautende Stelle in 2,24: Auf Grund ihrer Sondererkenntnis der „Tiefen Satans“ wähnen sie sich als exorzistische Fachleute, die die Götzenopfer mit gewissen Beschwörungsformeln „reinigen“, um so für den Christen die Teilnahme an den heidnischen Opfermahlzeiten zu ermöglichen. Die Lehre der Nikolaiten war also mit dem Anspruch verbunden, in neue Räume „christlicher Freiheit“ zu führen.
Auf dem Hintergrund dieser Mitteilungen ist es nicht schwer zu begreifen, warum die „Lehre der Nikolaiten“ in 2,14.15 mit der „Lehre Bileams“ verglichen werden kann. Bileams Empfehlung in 4.Mo 31,16 wirkte sich damals ähnlich aus, wie jetzt die Sonderlehre der Nikolaiten: Sie blickt nicht auf Gottes Willen, sondern sinnt auf das, was des Menschen ist. Sie verführt und bringt Gottes Zorn über Gottes Volk. Manches erinnert übrigens an jene unheilvolle Lehrströmung, mit welcher sich der 2.Petrus- und der Judasbrief auseinandersetzen: Auch dort haben wir die „Sondererkenntnisse“ im Blick auf die unsichtbaren Mächte (Jud 8), den Hang zum sexuellen Libertinismus (2.Pt 2,14); auch sie gehen den „Weg Bileams“ 2.Pt 2,15; Jud 11).
Aus den Schriften des Eusebius ist zu folgern, daß die Sekte der Nikolaiten bereits um 300 bis 350 nicht mehr existierte. Gleichwohl behalten diese Stellen der Offenbarung ihre Bedeutung. Die Warnung vor der Bagatellisierung von Zauberei- und Unzuchtsünden ist damals wie heute hochaktuell.