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Wann ist ein Krieg nach christlicher Lehre gerecht?

Unter dieser Überschrift meldete sich der Theologieprofesser in Basel und Löwen Dr. Dr. Georg Huntemann in der Welt am Sonntag (10.2.1991) zu Wort. Seine Überlegungen sind nicht nur im Blick auf den Golfkrieg beachtenswert.

„Ein junger Soldat aus Bremen hat vor wenigen Tagen seinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung ausdrücklich mit seiner christlichen Verantwortung begründet.

Kann ein Christ im Ernstfall (wenn er töten müsste) Soldat sein? ‚Es steht doch geschrieben‘ (in dem wohl am meisten zitierten Abschnitt der Bibel, nämlich der Bergpredigt), dass wir unsere Feinde lieben, dem Bösen nicht widerstehen und nach einem Streich auf die rechte auch noch die linke Wange hinhalten sollen. Also doch Frieden um jeden Preis?

Sehr viele angesichts des Golf-Krieges ‚Betroffene‘, ‚Entsetzte‘ und Beschämte – vor allem unter den evangelischen Christen – skandieren und plakatierten nicht nur ‚Kein Blut für Öl, sondern Pfarrer im Norden und Süden der Republik rufen zum Desertieren und zur Kriegsdienstverweigerung auf, also zu Handlungen, die nach den Gesetzen dieses Staates strafbar sind … .

Haben diese und eine Armada anderer Stimmen in der Interpretation des Christentum als eine Religion des Friedens um jeden Preis recht? Angesichts eines nur mit Tränen zu quittierenden Analphabetentums im Blick auf Aussagen der Bibel sei zunächst daran erinnert, dass auch und gerade im Neuen Testament die Anerkennung einer Staatsmacht (Luther übersetzt „Obrigkeit“) als Gottesdienerin zum Guten ausdrücklich eingefordert wird. Ohne Macht kein Recht, und ohne Recht kein Friede. Friede ohne Recht wäre Erstarrung in Diktatur oder der Untergang im Chaos der Anarchie – also Zerstörung der Humanität.

Der Jesus des Neuen Testamentes ist nicht jener Mantel der Liebe, der einfach über alle Scheußlichkeiten der Welt geworfen werden könnte.

Der Jesus des Neuen Testamentes ist nicht jener Mantel der Liebe, der einfach über alle Scheußlichkeiten der Welt geworfen werden könnte. Er wird dargestellt als Richter der Endzeit, der den Triumph der Gerechtigkeit über alle Ungerechtigkeit offenbar machen wird. Dieser Jesus, der ausdrücklich fordert, dem Cäsar (also dem Staat) zu geben, was des Staates ist und Gott, was Gottes ist, hat nicht in konfliktloser Hippi-Aussteigermentalität gelebt, sondern in harter Konfrontation mit dem Tempel. Er stand gegen die religiöse Heuchelei der Pharisäer, denen er das Feuer der Hölle androhte.

Der Rechts- und der Gewaltverzicht in der Bergpredigt ist Ausdruck der Liebe, die nicht im Politischen, sondern nur in unmittelbarer persönlicher Dimension gelebt und verwirklicht werden kann. Der Christ kann in der Nachfolge Jesu auf Ehe, Besitz, Familie, Recht und Gewalt verzichten, wenn ihm dies persönlich auferlegt wird. Die Liebe, insbesondere die Feindesliebe ist ein Gnadenerlebnis, das Menschen erlaubt, persönliche Feindschaft zu überwinden. Wenn christliche Gemeinschaften heute weniger durch ecciesiogene Neurosen und religiösen Heilsegoismus als durch echte Liebe im persönlichen Miteinander erkennbar wären, dann wäre sie auf diese Weise Salz der Erde und Licht der Welt.

Aber Macht und Recht (also der Rechtsstaat) werden nach innen und außen auch in der Anwendung von Gewalt dem Unrecht entgegentreten. Von Ambrosius von Mailand (im 4. Jahmundert) über Augustin, Luther und Calvin, also in beiden großen Konfessionen, wurde der gerechte Krieg zur Wahrung von Recht und Ordnung und zur Behütung und Wiederherstellung des Friedens gegen die zerstörerische Aggression eindeutig als politische Möglichkeit anerkannt.

Auf der ersten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam 1948, also nun im Zeitalter des Atomkrieges, hieß es zwar einerseits Krieg solle nach Gottes Willen nicht sein, andererseits wurde vermerkt, dass man nicht aus der ausweglosen Zwangssituation herauskäme, dass Waffenlosigkeit den Anreiz zur Vergewaltigung durch andere biete.

Das Leben ist nach Aussage Jesu selbst nicht der höchste Wert

In den Kirchen wurde und wird aus dieser Sicht der Dinge (also nicht aus einem grundsätzlichen Pazifismus heraus) um das Ja oder Nein der Möglichkeit eines Krieges gerungen. Das Leben ist nach Aussage Jesu selbst nicht der höchste Wert, und notfalls muss das äußerste Opfer verlangt werden, wenn wirklich Friede sein soll.

Unsere Gegenwart zeigt, dass man auf diesem Raumschiff Erde ohne das Zueinander von Macht und Recht nicht überleben kann. Friede in einer kommenden Welt, nach der Wiederkunft des Welterlösers, wird die Umwandlung der Schwerter in Pflugscharen bringen.

Aber solange wir in dieser Wirklichkeit leben, wird Friede ohne Macht und Recht nicht zu haben sein.

Aber solange wir in dieser Wirklichkeit leben, wird Friede ohne Macht und Recht nicht zu haben sein. Rechtsfreien Räumen mit sendungsbewussten Diktatoren, die vielleicht sogar durch einen unheimlichen Selbstzerstörungstrieb motiviert werden, ist genauso zu widerstehen wie jenen autonomen Banden, die unsere eigene Gesellschaft zu zerstören suchen. Der Erzbischof von Canterbury, Roben Runcie, hat darum den Krieg gegen den Irak als gerechtfertigt beurteilt.

Wenn der Kutscher trunken ist, so meinte einmal Dietrich Bonhoeffer, können wir nicht nur die Opfer verbinden, die unter die Räder gekommen sind. Wir müssen den Rädern selbst in die Speichen greifen.“