Mit einer ungewohnt großen Bundestagsmehrheit wurde die Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in der Ehe unter Strafe gestellt. Soweit, so gut. Darüber kann es keinen Streit und keinen Zweifel geben, daß Gewaltanwendung in der Ehe, auch und gerade im Intimbereich, einen weitgehenden Übergriff darstellt, der auch entsprechend strafrechtlich zu ahnden ist. Darin liegt aber noch nicht das Problem.
In der verabschiedeten Fassung enthält das Gesetz zwei Schwierigkeiten, von denen die eine auch für andere Fälle sexueller Nötigung gilt, die andere jedoch in besonderem Maß für die Ehe und jede intime Dauerbeziehung generell.
Zunächst besteht die Schwierigkeit darin, daß es bei diesem Delikt gewöhnlich außer dem Tatopfer keine weiteren Zeugen gibt und in der Regel Aussage gegen Aussage steht. Lagen keine brauchbaren Indizien vor, dann gelang es dem Vergewaltiger in der Vergangenheit häufig, ohne Strafe davonzukommen, sofern die Glaubhaftigkeit seiner Einlassung nicht aus anderen Gründen in Frage stand. An Indizien kommen körperliche Spuren, Verletzungsfolgen, Sperma, aber auch psychischer Schock u. a. in Betracht, vor allem dann, wenn diese Fakten von Seiten sachkundiger Gutachter im Sinne des Tatopfers interpretiert wurden.
Sollten bei einer Vergewaltigung oder sexuellen Nötigung in der Ehe – die meist von seiten des Mannes erfolgt – entsprechende Indizien nachgewiesen werden, so kommt es wohl kaum zu Komplikationen in der Urteilsfindung. Die Sachlage ist klar. In vielen Fällen werden jedoch die eindeutigen Indizien fehlen. Es ist also der Fall denkbar, daß die Anzeige einer solchen Tat als Mosaikstein in einer komplizierten Strategie in einem schon länger schwelenden oder längst ausgebrochenen Ehekrieg zu sehen ist.
Wer die Scheidungsabsicht verfolgt – in solchen Fällen naturgemäß die Frau – und dies mit zusätzlichen, schwerwiegenden Argumenten unterstreichen und vor Gericht geltend machen möchte, könnte (z. B. um eine schnelle Scheidung wegen unzumutbarer Härte vor Ablauf eines Trennungsjahres zu erreichen) theoretisch auch wahrheitswidrig eine Vergewaltigung behaupten, um damit schneller und effektiver zum Ziel zu kommen.
Selbstverständlich würde dann die Scheidung rascher als sonst üblich ausgesprochen. Natürlich soll ein solches Vorgehen nicht generell unterstellt werden. Wer aber die Heftigkeit von Scheidungsauseinandersetzungen und den dabei üblichen Verlust jeder Rücksichtnahme und Fairneß unter Partnern kennt, rechnet zumindest in Einzelfällen mit dieser Möglichkeit, die gar nicht so selten bleiben müssen. Mag der Mann auch eher zu gewalttätigen Lösungen neigen – die Fähigkeit der Frau zu listigen bis arglistigen Reaktionen ist nicht minder ausgeprägt.
Sollte es sich also bei einer Vergewaltigung oder sexuellen Nötigung in der Ehe – etwa unter Alkoholeinfluß oder nach langer unfreiwilliger Abstinenz oder aus welchen Gründen auch immer – um einen Ausrutscher des Mannes handeln, so läßt das jetzt verabschiedete Gesetz die Rücknahme der Strafanzeige nicht zu. Eine entsprechende Widerspruchsklausel wurde nach langer kontroverser Diskussion im Bundestag schließlich abgelehnt. Vergewaltigung in der Ehe ist somit ein sogenanntes Offizialdelikt, das die Justiz verfolgen muß, selbst wenn beide Beteiligten nach Tagen oder Wochen anders darüber denken. Der Gesetzestext möchte nun auf diese Weise vermeiden, daß der vergewaltigte Ehepartner vom Täter unter moralischen und seelischen Druck gesetzt wird, um die Anzeige zurückzunehmen. Das mag in einigen Fällen durchaus zu befürchten sein. Und es wird auch Besserungsversprechen und heilige Liebesschwüre geben, um der Strafverfolgung zu entgehen.
Man darf aber auch davon ausgehen, daß es echte Änderungsbereitschaft gibt und ein ernsthaftes Wiedergutmachungsbemühen, um das Eheklima zu bessern und unter Umständen wieder harmonisch zu gestalten.
Entspricht es nicht auch einem christlichen Verständnis, dem andern eine Chance zu geben, eine Bewährung zu gestatten? Sollte bei wirklicher Reue und gegenseitiger Vergebung nicht der Widerruf einer zuvor erstatteten Strafanzeige möglich sein und beachtet werden? Zwar kann eine Tat nicht rückgängig gemacht werden, aber unter Liebespaaren sollte die Möglichkeit offen bleiben, unter die verletzende Vergangenheit einen Schlußstrich zu ziehen.
Staatsanwalt und Gerichtsverhandlung sind eher Klötze auf dem Weg ehelicher Verständigung, und eine öffentliche Verurteilung vertieft eher den Graben und dient nicht der menschlichen Harmonisierung.
Das Anliegen des Gesetzgebers ist verständlich und in manchen Fallen sicher auch richtig. Aber wenn es den Ehepartnern den Rückweg abschneidet bei dem Versuch zu einer Aufarbeitung und zu einer Neubegegnung zu kommen – ist dann ein solches Gesetz wirklich ehedienlich? Ist es menschlich und christlich?
Man wird abwarten müssen, was sich in den kommenden Jahren aus der Anwendung und Praxis ergibt: Größere Zurückhaltung von zur Gewalt neigenden Männern – das wäre gut; eine höhere Zahl von Frauen, die sich der neuen Möglichkeit bedienen, um zu einer wirksameren und schnelleren Scheidung zu kommen – das wäre schlimm; oder eine wachsende Zahl von Scheidungen, weil der Gesetzgeber selbst die Versöhnung der Partner in einer speziellen Ehekrise erschwert – das wäre traurig.
Ohnehin ist unsere Gesellschaft wenig bereit und selten fähig, auf menschliche und partnerschaftliche Krisen mit Geduld und auf inzwischen entwickelte beraterische und seelsorgerliche Antworten einzugehen, die Menschen in unserer erotisch aufgereizten und auch anforderungsreichen Welt nun einmal brauchen. Ehepaare werden in ihren Krisen allein gelassen und sind oft überfordert. Gewaltanwendung ist nicht selten ein Resultat von Überforderung.
Sollt man nicht – ähnlich wie bei der vergleichbar komplizierten Abtreibungsproblematik – vor der Durchführung einer Hauptverhandlung vor dem Strafgericht einen Beratungs- oder Therapieversuch zwingend vorschreiben? Oft ist nicht nur das Gewaltopfer, sondern auch der Gewalttäter hilfs- und therapiebedürftig. So weit denkt jedoch das Strafrecht meistens nicht und in diesem Falle der Gesetzgeber offenbar auch nicht.