Die Religiosität des Weißen Hauses, die für Hollenweger eine religiöse Rechthaberei darstellt,
„schwappt auch nach Deutschland und in die Schweiz, zwar noch nicht auf die Ebene der Politik, wohl aber auf die Ebene der Kirchen und der theologischen Fakultäten. Als ich in Zürich und Bern unterrichtete, stellte ich fest, dass viele Studenten sich überhaupt nicht für die kritische Exegese interessierten. Sie sagten ganz offen: ‚Was die Professoren erzählen, lernen wir nur für das Examen. Für unsere Frömmigkeit und unseren Dienst als Pfarrer ist es bedeutungslos. Unsere Orientierung erhalten wir in kleinen Gebetszeiten. Dort wird unser Glaube genährt.‘ Mit anderen Worten: Die Bibel als ein Buch der Aufklärung, die Theologie als kritische Wissenschaft wird aufgegeben zugunsten einer diffusen Frömmigkeit.“
Während der zukünftige Pfarrer an der Universität lernt, „dass Jesus nicht in Bethlehem, nicht in einem Stall und nicht von einer Jungfrau geboren wurde“ und „dass Adam und Eva, Kain und Abel, Abraham und Isaak, Hiob und Noah keine historischen Personen sind, sondern historisierte Identifikationsfiguren, die archetypische Erfahrungen spiegeln“, klinge es in den Kirch-Gemeinden ganz anders.
„Die Bethlehem-Idylle wird behauptet mit Krippenspiel und Kerzenschein. Mit Tannenduft und Johann Sebastian Bach wird uns eine Idylle vorgegaukelt, von der das kirchliche Personal sehr wohl weiß, dass sie nicht der Wahrheit entspricht.“
Hollenweger spricht von einer „Verbiegung der biblischen Wahrheit“, hinter der sich „ein schleichender Fundamentalismus“ verstecke, „der nicht weniger gefährlich ist als der islamische.“ Er warnt dann auch: „Aber die jüngste Geschichte zeigt: Wenn religiöse Schwätzer in den Kirchen die Oberhand gewinnen über besonnene und informierte Ausleger der biblischen Texte, dann ist es für den Staat fast unmöglich, Gegensteuer zu geben.“ Sein (zu beachtender) Rat lautet:
„Wer den Frieden will, muss den Krieg in den Köpfen bekämpfen, nicht mit Bomben, sondern mit den Waffen des Geistes und des Herzens.“
Ich weiß nicht genau, auf was für Personen oder Gruppierungen sich der Autor bezieht. Meines Erachtens ist das ein Beispiel mehr, wie aufrichtige Nachfolger von Jesus, die die Bibel als Wort Gottes und damit auch als geschichtliches Buch ernst nehmen, in fundamentalistischer Weise als „gefährliche Fundamentalisten“ beschimpft und bekämpft werden. Natürlich sollten bibelgläubige Christen manchmal selbstkritischer sein als sie sind. Aber die bibelkritische Haltung garantiert das selbstkritische Bewusstsein keineswegs, wie manche Beispiele zeigen. Hollenwegers Ton ist ein Zeugnis mehr für den Absolutheitsanspruch mancher „historisch-krititischer“ Theologen.
Obwohl die historisch-wissenschaftliche Forschung weder bewiesen hat noch beweisen kann, dass z.B. die Jungfrauengeburt keine historische Tatsache ist, dass Adam und Eva keine geschichtlichen Persönlichkeiten sind usw., werden bibelkritische Überzeugungen in fundamentalistischer Weise vertreten, und jeder Christ, der aus guten Gründen andere Überzeugungen hat, gilt als „gefährlicher Fundamentalist“.
Dann müsste man konsequenterweise auch Jesus, die Propheten und die Apostel als „gefährliche Fundamentalisten“ bezeichnen
Dann müsste man konsequenterweise auch Jesus, die Propheten und die Apostel als „gefährliche Fundamentalisten“ bezeichnen. Man prüfe mit der Bibel selbst, ob diese Überzeugungen eine „Verbiegung der biblischen Wahrheit“ sind! Vielmehr sind für die biblische Sünden- und Erlösungslehre sowohl die Jungfrauengeburt von Jesus (der kommende Erlöser wird bereits an vielen Stellen im Alten Testament mit Jahwe identifiziert, auch wenn er als Kind geboren werden sollte!) als auch die Historizität von Adam und Eva von entscheidender Bedeutung (vgl. z. B. Röm 5,12). Wer sie leugnet, leugnet den Kern der biblischen Wahrheit und muss konsequenterweise einen Selbsterlösungsweg vertreten, wenn er nicht die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen (und damit auch seines Verstandes!) überhaupt verkennt.
Wenn Studierende der Theologie das Anliegen haben, dass ihr persönlicher Glaube genährt wird, so sollte man sich darüber freuen. Aber wenn dieser Glaube seine Grundlage nicht in einer Theologie, die auf der klaren und zuverlässigen Botschaft der Bibel aufgebaut ist, beruht, so kann er schnell subjektiv werden und zu einer Schizophrenie führen, indem die „wissenschaftliche“ Theologie vom „persönlichen Glauben“ getrennt wird. Jede historisch-wissenschaftiche Theologie dagegen, welche die geschichtliche Offenbarung Gottes in der Bibel nicht ausschließt und darum im Sinn der Bibel ist, wird auch den persönlichen Glauben fördern, ohne ihn zu einseitig subjektiv werden zu lassen. Theologie hat meines Erachtens keine Berechtigung, wenn sie nicht in diesem Sinn dem Bau der Gemeinde von Jesus Christus dient. Christen, die eine solche Glaubensgrundlage haben, können in inniger Offenheit auf andere Menschen mit anderen Überzeugungen zugehen, ohne die eigenen Überzeugungen zu verleugnen.