ThemenZeitgeist und Bibel

„Gender-Kreationismus“ – Gibt‘s denn sowas?

♦ Ein Kritiker der Gender-Ideologie verbindet seine Kritik mit abfälligen Bemerkungen über den Kreationismus.
♦ Einige Christen haben das übernommen. Damit holen sie sich aber ein trojanisches Pferd ins Haus.

Wissen Sie, was „Gender-Kreationismus“ ist? Wenn nein, ist das keine Bildungslücke, denn wahrscheinlich weiß das niemand. Trotzdem gibt es diese Wortkombination, von einem atheistischen Internetportal vermutlich erstmals verwendet.1 „Gender“ steht dabei für die „Gender-Lehre“, wonach (u. a.) sich jeder Mensch mehr oder weniger unabhängig von seinem biologischen Geschlecht sein soziales Geschlecht aus einer großen Vielfalt selbst wählen könne. Über den Genderismus wird zunehmend öffentlich kontrovers diskutiert, was hier nicht weiter vertieft werden soll. Was aber hat der Genderismus oder das „Gender-Mainstreaming“ mit „Kreationismus“ zu tun? Welchen Zusammenhang gibt es mit der biblischen Schöpfungslehre?

Dazu zunächst eine Vorgeschichte: Am 13. April hatte der Humanistische Pressedienst (hpd) einen Artikel des bekannten Kreationismus-Kritikers Prof. Ulrich Kutschera veröffentlicht, in dem dieser den Genderismus in seiner üblichen deutlichen Art als unwissenschaftlich anprangert. Dabei vergleicht er den Genderismus mit dem Kreationismus; beide seien in ihrer Ignoranz wissenschaftlicher Tatsachen vergleichbar. Er bescheinigt dem Genderismus, eine fundamentalistische Anti-Darwin-Ideologie zu sein, die dieselben Wurzeln habe wie der wörtlich verstandene biblische Schöpfungsglaube.2

Ein Tag danach war der Artikel von der Homepage des hpd verschwunden. Man nennt das üblicherweise Zensur, in diesem Fall war es wohl Selbstzensur; die Gründe für die Entfernung des Textes wurden vom hpd nicht mitgeteilt.3 Ironie der Geschichte: Prof. Kutschera, der oft genug behauptet hat, dass Schöpfungs­gläubige keinen Zu­gang zum akademischen Betrieb in der Biologie haben sollten4, wurde nun selbst zensiert.

Kutscheras Anti-Gender-Artikel machte aber schnell die Runde im Internet und in diesem Zusammenhang wurde offenbar das Wortpaar „Gender-Kreationismus“ kreiert (vgl. Anm. 1), auch wenn es völlig unsinnig ist. Denn – noch eine Ironie dieser Geschichte – tatsächlich ist ausgerechnet Prof. Kutschera mit seiner Kritik am Genderismus in gewisser Hinsicht zum Verbündeten von „Kreationisten“ geworden, denn diese haben neben wissenschaftlichen Tatsachen vor allem die biblischen Schöpfungstexte als Begründung für die geschöpfliche Ordnung der Geschlechter; daher widersprechen gerade sie dem Genderismus.

Wenn eine Lehre nicht zum Genderis­mus passt, dann ist es die biblische Schöp­fungs­lehre. Daher ist das Wortpaar „Gender-Kreationismus“ wohl eine der unsinnigsten Wortkombinationen, die je erfunden wurden – ein wahres Oxymoron.

Aber hinter dieser Wortschöpfung steckt natürlich dennoch System. Der Begriff „Kreationismus“ hat in der Öffentlichkeit einen so schlechten Ruf, dass es Genderismus-Kritikern wie Prof. Kutschera opportun erscheint, „Kreationismus“ mit „Genderismus“ zu verknüpfen. Damit schlägt er zwei Fliegen mit einer Klappe, indem er parallel mit der „Gender“-Kritik die Kreationisten angreift und gleichzeitig den Genderismus begrifflich abwertet. Und aus dem Vergleich von Genderismus mit Kreationismus wird so kurzerhand „Gender-Kreationismus“ – auch wenn es in der Sache absolut unsinnig ist.

Für uns als Studiengemeinschaft Wort und Wissen ist diese Strategie unerfreulich, aber man könnte bis dahin sagen: Naja, ist ja nichts Neues, typisch Kutschera – wenn nicht von christlicher Seite Kutscheras Kombination von Gender-Kritik und Kreationismus-Diffamierung zustimmend aufgegriffen worden wäre. So gab das „Christliche Informationsforum“ MEDRUM Prof. Kutschera ein Forum für seine Vermischung von Genderismus und Kreationismus.5 In Kutscheras Text auf MEDRUM sind zwei Artikel verlinkt, die offen für Atheismus werben („Die Gott-lose Evolution und ihre Antriebskräfte“ sowie „Kein Platz für einen Schöpfergott“). Man reibt sich verwundert die Augen.

Die christliche Publizistin Birgit Kelle führte mit Prof. Kutschera ein längeres Radiointerview zum Gender-Thema6, in dem Kutschera sich die Chance natürlich nicht entgehen ließ, ein kräftiges Kreationismus-Bashing hineinzumischen. Leider übernahm Frau Kelle in einer Stellungnahme auch noch den unsinnigen Begriff „Gender-Kreationismus“.7 Man mag ihr zugutehalten, dass sie zu wenig über Kreationismus weiß, um den inneren Widerspruch dieses Begriffspaares zu erkennen. Aber letztlich holen sich Christen ein trojanisches Pferd ins Haus, wenn sie im sehr notwendigen Einsatz gegen die Gender-Ideologie mit Leuten zusammenarbeiten, auf deren Agenda auch der Kampf gegen den biblischen Schöpfungsglauben (nicht nur gegen den Kreationismus!) steht. Man kann hoffen, dass Christen, die uns nahestehen, diese Problematik erkennen und entsprechend handeln, und dass der „Gender-Kreationismus“ keine weiteren Kreise zieht.

Zu guter Letzt

Professor Kutschera ist den Kreationisten dankbar und hat den falschen Kampf gekämpft.8

„Ich habe mich jahrzehntelang inzwischen mit dem Kreationismus beschäftigt, was nebenbei bemerkt auch meine Karriere enorm gefördert hat; ich hatte zum Beispiel im Jahr 2006 einmal einen Artikel in Nature, der wurde über eine Million Mal downgeloaded und solche Dinge; ich bin also den Kreationisten zu großem Dank verpflichtet. Und jetzt muss ich halt leider feststellen, dass eine andere quasireligöse Strömung … unter dem Schlagwort oder Deckmantel, unter der Tarnkappe des Gender Mainstreaming Fuß fasst und immer mehr gleich einem Krebsgeschwür auch Fachgebiete erobern möchte, wir stehen kurz vor einer Genderisierung der Biologie, dagegen werden wir uns verwahren.“

Aus Wort+Wissen-Info 3/2015


  1. Prof. Ulrich Kutschera: Genderismus ist der Kreationismus Europas. http://sciencefiles.org/2015/04/13/prof-ulrich-kutschera-genderismus-ist-der-kreationismus-europas/ 

  2. Ursprünglich publiziert unter http://hpd.de/artikel/11566#comment-4724; jetzt online unter http://www.evolutionsbiologen.de/media/files/2015-hpd-Universitaere-Pseudowissenschaft.pdf 

  3. http://sciencefiles.org/2015/04/14/zensur-der-meinungsfreiheit-die-angst-geht-um-beim-humanistischen-pressedienst/ 

  4. siehe neuerdings http://scicom.ucsc.edu/publications/QandA/2015/kutschera.html 

  5. http://www.medrum.de/content/universitaere-pseudowissenschaft. In einer Antwort auf eine dort veröffentlichte Stellungnahme hat Prof. Kutschera einige unwahre Dinge behauptet. Details dazu auf Anfrage. 

  6. https://www.youtube.com/watch?v=A2fJ4Xoxcyc 

  7. http://nrwjetzt.de/autorin-birgit-kelle-erwirkt-einstweilige-verfuegung-gegen-den-spiegel/ 

  8. Ulrich Kutschera in einem Interview, nachzuhören unter http://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/zwoelfzweiundzwanzig/201507/220887.html, ab ca. 1:40 Minuten.