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Der Christ zwischen Medizin und Paramedizin

Kann ein Christ getrost die Errungenschaften moderner Medizin in Anspruch nehmen oder sollte er lieber auf „natürliche“ Heilmethoden der Paramedizin vertrauen?

Unsere Zeit ist überreich an konträren Standpunkten. Während die meisten Menschen den Gang zum Arzt oder den Griff zur Tablette gewissermaßen im Nebenbei vollziehen, so als gälte es ein Fenster zu öffnen oder eine Fliege zu scheuchen, gibt es jene anderen Zeitgenossen, die selbst die größten Herrlichkeiten des pharmakologischen Fortschritts ungerührt ins Klo versenken, weil sie das „Gift“ nun mal nicht mögen. Sie halten sich lieber an das „Natürliche“, das schon bei Tante Emma so gut half. Und an den über die Landesgrenzen hinaus berühmten Alternativheiler, den sogar Nachbarin Polde wärmstens empfiehlt.

Bei Christen kann das Mißtrauen gegenüber dem Arzt und jeder Art von ärztlicher Weisheit gelegentlich Züge annehmen, die jeden Beurteiler irritieren.

Bei Christen kann das Mißtrauen gegenüber dem Arzt und jeder Art von ärztlicher Weisheit gelegentlich Züge annehmen, die jeden Beurteiler irritieren. Sollte man ihr Gottvertrauen bewundern – oder ihren Starrsinn schelten? Ich erinnere mich an einen Glaubensbruder, der sich – aus geistlichen Gründen, wie er meinte – konsequent weigerte, bei der schweren Niederkunft seiner Ehefrau einen Arzt zu holen. Die arme Frau wäre bald gestorben. Er aber blieb fest bei seiner Meinung. Was soll man dazu sagen? Der Gang zum Arzt – ein Akt des schnöden Unglaubens?

Medizinischer Fortschritt – Geschenk Gottes in einer gefallenen Welt

Alle Krankheiten und Seuchen, jede Form von Gebrechlichkeit und Hinfälligkeit – das Altern und Sterben – sind Merkmale einer gefallenen Welt.

Eine Grundwahrheit muß sich der bibelorientierte Christ allerdings beständig vor Augen halten: Alle Krankheiten und Seuchen, jede Form von Gebrechlichkeit und Hinfälligkeit – das Altern und Sterben – sind Merkmale einer gefallenen Welt. In Gottes ursprünglicher Schöpfung, wie sie im Anfang aus seiner Hand hervorging, gab es das noch nicht. Und in Gottes neuer Welt, die kommen soll und gewiß kommen wird, wird es das nicht mehr geben (Offb 21,4). So gesehen ist die ärztliche Kunst und die medizinische Wissenschaft ausschließlich eine Sache dieses Weltzeitalters. In dieser Welt allerdings hat sie ihre große Bedeutung, die nicht unterschätzt werden sollte. Wie die Sonne, die Gott täglich über Gerechte und Ungerechte aufgehen läßt, so ist auch sie ein Ausdruck der welterhaltenden Güte Gottes. Unterhalb dieser biblisch-heilsgeschichtlichen Einordnung darf nun doch einmal das Erfreuliche und Lobenswerte der medizinischen Wissenschaft herausgestellt werden, denn es gibt wirklich beeindruckende Segnungen und Großtaten der Medizin.

Pest, Pocken und Grippe

Erinnern wir uns beispielsweise an die Pest, jene furchtbare Geißel des Mittelalters. Von 1347 bis 1351 raffte der „schwarze Tod“ – wie man die Seuche nannte – etwa ein Drittel (!) der gesamten Bevölkerung Europas dahin. Bei ihrem Wiederaufflackern in Norwich, England, um 1579 fielen ihr abermals ein Drittel der Einwohner zum Opfer. Und als sie 1630 in Mailand erneut ausbrach, raffte sie gar die Hälfte der Bevölkerung weg. Nächst Gott ist es dem medizinischen Fortschritt zu danken, daß die Pest heute praktisch eine besiegte Krankheit ist.

Oder denken wir an die Pocken, eine üble Seuche schon der vorchristlichen Zeit. Durch die Europäer wurde sie nach Amerika eingeschleppt und grassierte hier in unvorstellbarem Ausmaß. Mit starken wissenschaftlichen Gründen treten einige Historiker dafür ein, daß nicht zuerst Pferde und Feuerwaffen, sondern die Pocken (und andere Viren) die wahre Ursache für die Dezimierung der indianischen Urbevölkerung darstellten. Heute existiert das Variola- oder Pockenvirus – soweit bekannt – nur noch in zwei Hochsicherheitslaboratorien in Atlanta und in Moskau. Sobald alle 175000 Basenpaare des Variola-Genoms sicher bestimmt sind, will man sämtliche Laborbestände vernichten. Dann wäre dieses Virus die erste Spezies, die der Mensch vorsätzlich und mit gutem Grund ausgerottet hat. Wenn einmal die letzten Variola-Kulturen vernichtet sind, wird, außer einer gewissen Zeichensequenz auf einer Computerdiskette, nichts mehr an diese furchtbare Geißel vergangener Jahrhunderte erinnern.

Die simple Grippe wäre in diesem Zusammenhang ebenfalls zu nennen. Wer macht sich schon klar, daß diese Krankheit, die heute für die meisten Menschen nach wenigen Tagen mit Unpäßlichkeit, Kopfschmerzen und Fieber ausgestanden ist, noch um 1918 mehr als 20 Millionen Todesopfer dahinraffte. Die damals sog. „spanische Grippe“ hatte Einfluß auf das Ende des 1. Weltkrieges. An ihr starben so viele deutsche Soldaten, daß allein dadurch ihre letzte große Offensive weitgehend zum Erliegen kam. Weniger tödliche, aber territorial weit ausgedehnte Grippeepidemien traten noch in den Jahren 1957, 1968 und 1977 auf. Weil das Grippevirus die Eigenschaft hat, sich auf genetischer Ebene fortwährend zu verändern, kann leider nicht davon gesprochen werden, daß es grundsätzlich besiegt sei. Jederzeit kann eine solche Epidemie erneut ausbrechen. Und es gibt keinerlei Gewähr dafür, daß sie nicht wieder solche Ausmaße wie 1918 annimmt. Wenn beispielsweise ein koreanischer Geschäftsmann auf dem überfüllten Flughafen von Honululu niest, kann ein Virus, das er sich eine Woche zuvor in China zuzog, innerhalb weniger Stunden auf New York, London, Brüssel, Paris oder Berlin übergreifen. Es wird aber viel getan, um genau diese Wahrscheinlichkeit so gering wie möglich zu halten. Beständig werden Viren aus allen Teilen der Welt an gewisse epidemiologische Laboratorien gesandt. Mit hektischer Betriebsamkeit, arbeitet man dort Jahr um Jahr im Vorhinein an serologischen Abwehrwaffen, die sofort bereit stehen müssen, wenn da oder dort eine Epidemie „zum Schlag ausholt“. Das Ergebnis dieser Bemühungen: die – zu Unrecht ignorierte – spätherbstliche Grippeschutzimpfung.

Auch bei den Erbkrankheiten gibt es inzwischen bemerkenswerte Fortschritte. So gelang es 1993 den molekularen Hintergrund der Chorea Huntington aufzuklären. Seither besteht die realistische Hoffnung, daß einmal eine Therapie möglich wird.Ähnliches deutet sich auch für die Multiple Sklerose, für die Alzheimersche Krankheit und für manche Formen von Krebs an.

„Ein vernünftiger Mensch verschmäht den Arzt nicht.“

Natürlich ist die medizinische Wissenschaft nicht allvermögend. Auch für sie gilt: „Stückwerk bleibt, was man treibt.“ Aber es ist nicht zu übersehen, daß ihr enorme Fortschritte gelungen sind. Wer je einmal ein Lehrbuch der historischen Medizin in der Hand hatte, wird erleichtert aufatmen, daß er in diesem Jahrhundert leben darf. Wer hier innehält und einen Schritt zurücktritt, wird mit voller Überzeugung sagen können: Es ist ein beständiger Grund zur Dankbarkeit gegen Gott, daß es dieses Geschenk der medizinischen Wissenschaft gibt. Was wäre der Diabetiker ohne sein Insulin, der Asthmatiker ohne seinen Spray, der Epileptiker ohne sein Medikament? Wie stünden wir da, ohne die Hilfe der modernen Apparatemedizin? Ein gläubiger Urologe meinte einmal, keiner wisse mit dem Begriff der Erlösung einen tieferen Inhalt zu verbinden, als der Prostata-Kranke, der nach einem akuten Harnverhalten eine erfolgreiche Katheterisierung erlebte. Im Blick auf das reichhaltige medizinische Angebot sollten wir es grundsätzlich mit der zwischentestamentlichen Weisheit aus Sir 38 halten:

„Ein vernünftiger Mensch verschmäht den Arzt nicht.“

Der Irrgarten der Paramedizin

Diese volle und klare Anerkennung muß leider dem versagt werden, das es jetzt zu besprechen gilt: Neben dem Gottesgeschenk der medizinischen Wissenschaft, gibt es auch die sog. „Paramedizin“. Darunter versteht man ein breites Spektrum von Verfahren, von denen behauptet wird, daß sie sich zur Erkennung und Behandlung von Krankheiten eignen, ohne daß dies bisher wissenschaftlich belegt wäre.

Paramedizin darf nicht mit den Naturheilverfahren verwechselt werden.

Zur Klarstellung: Paramedizin darf nicht – was leider immer wieder geschieht – mit den Naturheilverfahren z. B. Kneipp-Kuren, Massagen, Bäder, Gymnastik, Diäten, Kräuterkuren, usw. verwechselt werden. Diese gründen sich auf natürliche und nachprüfbare Wirkungen der Mittel und Methoden, und haben insbesondere für die Gesundheitspflege ihren Wert.

Dagegen baut die Paramedizin gewöhnlich auf spekulativen, unbelegten Vorstellungen auf und bedient sich esoterisch-magischer Theorien. Man werfe nur einen Blick auf die Angebote unter „Gesundheit/Lebenshilfe“ in unseren Buchhandlungen. Da zucken ungewöhnliche Begriffe aus den Regalen: Auraskopie, Ayurveda, Bach-Blüten, Bioresonanztherapie, biologisch-dynamischer Landbau, Bombastus-Heilkräuter, Channeling/Kinesiologie, Chakren, Demeter-Produkte, Dreck-Apotheke, Edelstein-Therapie, Fang-Schui, Fußzonenreflexmassage, Hildegard-Medizin, Homöopathie, Irisdiagnostik, Hand- und Fußdiagnostik, Quigong, Radiästhetik, Reiki, Tantra, Weleda – um nur einige zu nennen. Was ist davon zu halten? Alles gut und nützlich, wenn es mit Danksagung genossen wird?

Alles prüfen – aber nicht alles glauben!

Leider kann die kindliche Einfalt auf diesem Gebiet nicht empfohlen werden. Denn die Paramedizin ist ein ungemein erfolgreicher Tummelplatz verschiedenartigster Gestalten. Da sind einerseits die verkannten Genies, die von ihrer Sendung völlig überzeugten medizinischen Außenseiter, die unentwegten Enthusiasten mit Sondereinsichten (die, wie sie überzeugt sind, von der arroganten Schulmedizin zu Unrecht ignoriert werden), sodann die Eigenbrötler, Geistheiler und Spökenkieker; und nicht zuletzt die Scharlatane und Augenauswischer, deren Zahl Legion ist (denn ihrer sind viele). Die biblische Empfehlung lautet daher: „Prüfet!“ (1Thess 5,22). Prüfen aber heißt kritisch sein. Und Kritik bedarf der Kriterien!

Wie soll man prüfen? Eine äußerst schätzenswerte – und dabei viel zuwenig gehandhabte – Grundregel lautet: „Sapere aude!“ Bediene dich deines Verstandes!

Wenn ein Christ beispielsweise erfährt, daß Lebensmittel, um vollwertig zu sein, von den Sternen herstammende „Astralkräfte“ enthalten sollten, dann müssen sofort alle roten Raketen hochgehen.

Wenn ein Christ beispielsweise erfährt, daß Lebensmittel, um vollwertig zu sein, von den Sternen herstammende „Astralkräfte“ enthalten sollten, dann müssen sofort alle roten Raketen hochgehen. Kühe, so hört man, könnten mit ihren Hörnern „Astralstrahlen“ auffangen. Man fülle also Kuhhörner mit Kuhmist und vergrabe sie im Boden. Nach einem Jahr wird der Inhalt wieder herausgekratzt und in starker Verdünnung auf den Acker gesprüht (biologisch-dynamischer Landbau!). Das Ergebnis dieser ungewöhnlichen Wirtschaftsweise sind dann die sog. Demeter-Produkte. Noch Kommentare nötig? Sapere aude! Stets ist tiefstes Mißtrauen angesagt, wenn die Wirkungsweise gewisser Mittel und Methoden auf „astrale Kräfte“, „kosmische Energien“, „animalischen Magnetismus“, „Erdstrahlen“ und „geistig-seelische Schwingungen“ zurückgeführt wird. Häufig wird die Paramedizin auch als „sanfte Medizin“, als Erfahrungsheilkunde oder Alternativmedizin bezeichnet. Diese Begriffe suggerieren, daß ihre Verfahren über Eigenschaften verfügen, die die „verstaubte Schulmedizin“ eben nicht aufzuweisen vermag. Während man dort sofort die großkalibrigen pharmakologischen Geschütze auffährt, versucht man es hier noch mit den „sanften Streicheleinheiten“ der alternativen Methoden. Zugegeben, es ist mehr als ein Körnlein Wahrheit an diesem Vorwurf. Aber der eigentliche Unterschied liegt an anderer Stelle: Während sich die konventionelle Medizin wissenschaftlicher Methoden bedient, um ihre Verfahren und Behandlungsweisen immer wieder zu überprüfen und zu korrigieren, lehnen die Vertreter der paramedizinischen Verfahren die sorgfältige wissenschaftliche Überprüfung überwiegend als „für sie unangemessen“ ab. Wissenschaftliche Untersuchungen sind jedoch unabdingbar, wenn man wirksame Verfahren von unwirksamen trennen will.

Homöopathie: Heilkraft durch Verdünnen und Schütteln?

Bei den „mit Mist gefüllten Kuhhörnern“ dürfte die „Entscheidungsfindung“ relativ leicht fallen. Was aber ist bei Mitteln und Methoden, die sogar von der Ärzteschaft kontrovers diskutiert werden? Z. B. bei der Homöopathie? Ein Sechstel aller niedergelassenen Ärzte in Deutschland soll, so das Ergebnis einer Umfrage, zumindest gelegentlich homöopathische Mittel verschreiben.

Das homöopathische Behandlungskonzept, vor etwa 200 Jahren von dem deutschen Arzt Samuel Hahnemann aufgestellt, beruht auf mehreren Grundprinzipien, von denen zwei besonders erwähnt seien: das „Simile-Prinzip“ und das „Potenzieren“. Das Simile-Prinzip – gefunden nach Selbstversuchen mit Chinarinde – lautet nach des Meisters klassischer Formulierung:

„Wähle, um sanft, schnell, gewiß und dauerhaft zu heilen, in jedem Krankheitsfall eine Arznei, die ein ähnliches Leiden (homoion pathos) für sich erregen kann, als sie heilen soll! Similia similibus curantur!“ (= Ähnliches wird durch Ähnliches geheilt.)

Das zweite homöopathische Hauptprinzip ist das sog. „Potenzieren“: Man versteht darunter die Einstellung der „richtigen Stärke“ durch Verdünnungen, die sich an einer Zehnerreihe orientieren. Bei flüssigen Arzneimitteln geht man aus von einer Urtinktur, einem konzentrierten Extrakt des Arzneistoffs. Dieser wird im Verhältnis 1 zu 10 mit verdünntem Alkohol gemischt und zehnmal geschüttelt. Es entsteht die Tinktura decimalis 1 (D1). Durch abermaliges Verdünnen (und Schütteln!), stets im Verhältnis 1 zu 10, entsteht D2, D3, usw.

Was sagt die heutige Wissenschaft zu diesen Prinzipien? Dem Simile-Prinzip mögen etliche zutreffende Erfahrungen zugrunde liegen. Hahnemann hatte sicher seinen Grund, wenn er z. B. schrieb:

„Der Kaffee erregt in großer Gabe Kopfschmerzen, in mäßiger Gabe vermag er Kopfschmerzen zu stillen.“

Im Ergebnis führte es jedoch zur gleichartigen Behandlung unterschiedlichster Krankheiten und rief darum die Skeptiker auf den Plan: Pulsatilla D6 soll gegen Ischias helfen, hilft aber auch bei krankhafter Eifersucht der Mädchen. Ambra D3 ist empfehlenswert bei Keuchhusten, hilft aber auch bei Ehesorgen. Nux vomica wird bei heftiger Streitsucht empfohlen, soll aber auch bei Migräne, verklebten Augenliedern und Impotenz helfen, usw.

Mit besonderer Heftigkeit wandte sich die Kritik von naturwissenschaftlich Denkenden auch gegen das „Potenzierungsprinzip“. Hier sind es die geradezu extrem hohen Verdünnungsgrade, der höheren „D-Stufen“, die den Widerspruch herausfordern. Daß eine stark wirkende Substanz in 1000-facher (D3) oder 10000-facher Verdünnung noch wirken kann, ist ein nachvollziehbarer Gedanke. Doch wird sich die Mehrzahl der Patienten kaum klar machen, was etwa hinter der Angabe „D20“ oder gar „D200“ auf der kleinen braunen Flasche steht. „D20“ ist eine Verdünnung von 1 : 10 hoch 20. Sie entsteht, wenn eine Aspirintablette im Atlantik (!) aufgelöst und gleichmäßig verteilt wird.

Aber das ist noch längst nicht der Gipfel homöopathischer Verwegenheit: Es gibt Verschreibungen mit Verdünnungsgraden von 1:10 hoch 1500. Das geht weit über jegliches Vorstellungsmaß hinaus. Diese Verdünnung erreicht man, wenn man eine Substanzmenge von der Größe eines Reiskorns in einem Wasserball von der Größe des Sonnensystems auflöst, einen Tropfen davon nimmt, ihn nochmals in der gleichen Wassermenge verdünnt und dies 2 Milliarden mal wiederholt (nach J. Randi)! Hier vermag alles Reden von „feinstofflicher Wirksamkeit“ und „energetischer Betrachtungsweise“ nicht weiterzuhelfen: Derartige homöopathische Hochpotenzen sind absolut leer an jeglicher Wirksubstanz.

Es ist ein Irrtum zu meinen, eine Substanz sei beliebig verdünnbar. Denn jede Substanzmenge besteht aus einer zwar sehr großen, aber doch endlichen Anzahl von Molekülen. Rechnerisch kann sie mittels der Loschmidt’schen Konstante (N=6,026 x 10 hoch 23 Moleküle pro Mol) bestimmt werden. Das heißt, daß etwa ab D23 auch nicht ein einziges Molekül der Urtinktur vorhanden ist. Hinzu kommt dann noch die Rolle des Schüttelns beim Verdünnen:

Hierdurch soll etwas vom „geistigen Wesen“ der Ursubstanz auf das Lösungsmittel übertragen werden. Spätestens hier wird deutlich, daß das homöopathische Konzept die wohlbegründeten Grenzlinien des naturwissenschaftlich Nachvollziehbaren überschreitet – und zwar hin zum Spekulativen und zum Magischen.

Im Rahmen seiner Zeit beurteilt, war Hahnemann durchaus ein brillanter Kopf mit einer bemerkenswerten Beobachtungsgabe. Aber er wußte noch nichts von Bakterien und Viren, von Atomen, Molekülen und der Loschmidt’schen Konstante.

Im Rahmen seiner Zeit beurteilt, war Hahnemann durchaus ein brillanter Kopf mit einer bemerkenswerten Beobachtungsgabe. Aber er wußte noch nichts von Bakterien und Viren, von Atomen, Molekülen und der Loschmidt’schen Konstante. Die Mehrzahl heutiger Medizinwissenschaftler kommt darum nicht umhin festzustellen:

Für die „sanfte“ homöopathische Methode fehlen (noch immer) die harten Beweise. Die Medizinische Fakultät der Universität Marburg erklärte im Ärzteblatt vom 3. März 1993 die Homöopathie zur (medizinischen) Irrlehre.

Warum aber sind unwirksame Verfahren oft so populär? Weil die Patienten vielfach von der Anonymität und dem Massenbetrieb des modernen Gesundheits(un)wesens abgeschreckt sind. Sie fühlen sich bei einem „Alternativmediziner“ viel wohler. Dieser geht endlich einmal auf ihre Persönlichkeit ein. Schon das Vertrauen in einen Therapeuten, in die Wirksamkeit einer Therapie oder eines Medikaments kann Prozesse im Körper auslösen, die die Heilung fördern. Diese Wirkungen einer Behandlung, – wissenschaftlich noch weitgehend unverstanden – faßt man unter dem Sammelbegriff Placebo-Effekt zusammen. Es gibt auch das Gegenteil des Nocebo-Effekts: Allein die Angst vor schädlichen Folgen vermag bereits negative Auswirkungen im Körper hervorzurufen. Der Placebo-Effekt kann sehr stark sein. Experimente ergaben, daß insbesondere das Schmerzempfinden durch ihn stark beeinflußt werden kann. Will man dagegen herausfinden, ob eine bestimmte Therapie wirklich (!) wirksam ist, muß methodisch sichergestellt werden, daß der stets mögliche Placebo-Effekt die Test-Ergebnisse nicht verfälscht.

Um Medikamente oder Therapien zu testen, muß man daher zwei Patientengruppen bilden: Die eine Gruppe erhält das zu testende Medikament (Verum), die Kontrollgruppe dagegen ein völlig unwirksames Scheinmedikament (Falsum bzw. Placebo). Werden beide Gruppen ansonsten völlig gleich behandelt (um dies sicherzustellen, muß der Test doppelblind durchgeführt werden, d. h. weder die Patienten noch die behandelnden Ärzte dürfen wissen, ob jeweils das echte Medikament oder das Placebo verabreicht wird), dann ist der Placebo-Effekt in beiden Gruppen gleich, und Unterschiede zwischen den Gruppen gehen tatsächlich auf das getestete Medikament oder die Therapie zurück.

Während dieses Vorgehen in der wissenschaftlichen Medizin und bei der Zulassung von Arzneimitteln Standard ist, lehnen Vertreter unkonventioneller Heilmethoden solche Prüfungen meist als unangemessen ab. Sie verweisen statt dessen auf beeindruckende Fallbeispiele von geheilten Patienten. Für „Otto Jedermann“ mögen diese sehr überzeugend sein – wissenschaftlich sind sie ohne jede Beweiskraft. Denn es bleibt völlig unklar, bei wieviel Patienten die Behandlung erfolglos war. Hinzu kommt, daß viele Krankheiten in Schüben verlaufen oder von selbst wieder heilen, und daß auch bei chronischen Erkrankungen Spontanheilungen vorkommen.

Fazit: An das Solide halten

Zunächst einmal ist es an sich schon eine betrübliche Sache, wenn der Christ den dubiosen Heilungsversprechen ungezählter Quacksalber, Geistheiler, Schwärmer und Scharlatane auf „friß Vogel oder stirb“ ausgeliefert ist. Zum anderen aber besteht die Gefahr, daß er über Bachblüten und Hahnemann’schen Hochpotenzen, und trotz sündhaft teurer (aber völlig unwirksamer) Abschirmungsgeräte gegen „Erdstrahlen“ die wirksamen Behandlungsmethoden versäumt. Er steht dann da, „ärmer am Beutel“ aber beileibe nicht „gesünder am Herzen“, und schleppt weiter an den Lasten seiner Tage. Darum nochmals: Sapere aude! Gebrauche deinen Verstand. Und was ist, wenn man da schon vieles falsch gemacht hat? Dann höre man einfach auf damit und halte sich an das Solide: nämlich an das Gebet des Glaubens und an die hinlänglich begründete vernünftige Einsicht, die den Arzt nicht verschmäht.

Und im Übrigen wollen wir uns gegenseitig helfen, nicht gegen Gottes Ratschluß zu murren, der uns die ganze Erlösung unseres Leibes erst für „jenen Tag“ in Aussicht stellt (Röm 8,23).

Literatur:

  • Oepen, I. (Hrsg.): Unkonventionelle medizinische Verfahren. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1993.
  • Oepen, I., Sarma, A. (Hrsg.): Parawissenschaften unter der Lupe. Lit-Verlag, Münster 1995.
  • Müller, Georg: Heilkraft durch Verdünnen? CLV, Bielefeld, 1992. (Besonders empfehlenswert!)
  • Prokop, O.: Homöopathie. Was leistet sie wirklich? Ullstein, Frankfurt, 1995.