ThemenGemeindeleben, Zeitgeist und Bibel

Pro und Kontra Psychotherapie

Podiumsgespräch bei der Haupttagung des Bibelbundes in Bietigheim-Bissingen am 19.4.97.

Es diskutierten: Dipl. Psych. Roland Antholzer und Dr. Martin Steinbach. Moderator: Dr. Helge Stadelmann.

Es gibt unter Menschen, die die Bibel ernst nehmen, durchaus unterschiedliche Positionen in manchen Dingen. Nicht zuletzt ist das so bei dem Thema, ob und wie wir die Bereiche ‚Seelsorge‘ und ‚Psychotherapie‘ zusammenbringen sollen. Das Thema ist nicht neutral. Es geht um eine viel debattierte Frage. Dr. Rolf Sons hat in seiner Dissertation (Seelsorge zwischen Bibel und Psychotherapie, 1995) beschrieben, welches Spektrum an unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen es dazu in den letzten Jahrzehnten gab: von der ‚Konvergenz‘ (wo die Seelsorge so mit der Psychotherapie zusammenfloß, daß sie in letzterer ganz aufging), über die ‚Konfrontation‘ (etwa bei Jay Adams, der Psychotherapie ganz ablehnte), und den Versuch einer ‚Integration‘ biblischer Seelsorge und Einsichten aus der Psychologie (etwa in der BTS), bis hin zum Programm der ‚Rekonstruktion‘ einer biblischen Psychologie und eines entsprechenden Therapieansatzes in der Seelsorge auf biblischer Grundlage. Sons selbst schlägt vor, die beiden Bereiche im Sinne der ‚Komplementarität‘ zwar unterschieden, aber zugleich aufeinander bezogen zu sehen, so wie das auch beim Reich Gottes zur Rechten (Kirche) und zur Linken (Staat) bzw. bei Heilswirklichkeit und Schöpfungswirklichkeit der Fall ist.

Wer die Referate dieser Bibelbundtagung gehört hat, merkt allerdings, daß es nicht genügt, unterschiedliche Modelle zu beschreiben und mit schönen Namen zu versehen. Irgendwie muß man selber innerlich Stellung beziehen. Vielleicht ging es Ihnen beim Hören des einen Referats so, daß sie sich sagten: „Der Mann hat recht“. Und als Sie den anderen Vortrag hörten, haben Sie sich gesagt: „Der Mann hat auch recht!“ Deshalb dachten wir, es ist eine gute Sache, wenn wir heute abend ins Gespräch miteinander kommen. Ich habe mir das so vorgestellt, daß ich den beiden Referenten von heute Nachmittag, Roland Antholzer und Martin Steinbach, Gelegenheit gebe, jeweils in etwa zwei Minuten noch einmal zugespitzt und verständlich ihr Hauptanliegen zusammenzufassen. Danach würde ich gern beide bitten, jeweils auf das Referat des anderen kritisch zu antworten – mit der Chance, daß der so Kritisierte zu diesen Anfragen Stellung nimmt.

Dr. Steinbach: Ich denke, bei unserem Thema ist das so ähnlich wie bei einer Münze: sie hat zwei Seiten; auf der einen Seite ist die Zahl, auf der anderen ist das Wappen. Aber es ist nur eine Münze. Und so sehe ich uns Menschen mit drei Aspekten: Leib, Seele und Geist. Wir wissen alle, daß das nicht dasselbe ist: Leib ist nicht Seele, Seele ist nicht Geist, aber es gehört alles zusammen. In diesem Sinne würde ich eine ganzheitliche Therapie fordern bzw. eine Beratung, die Körper, Seele und Geist einbezieht. Dabei, so würde ich sagen, ist die Psychotherapie genauso wichtig wie die körperliche Therapie oder die Seelsorge. Ich würde auf Psychotherapie, wenn sie richtig gemacht wird, nicht verzichten wollen. Wenn ich so unsere Geschwister sehe oder auch Fremde, die in die Gemeinde kommen und z. B. an einer Depression oder einer Angstneurose leiden, da kann ich nicht einfach sagen: „Hab keine Angst“, oder immer wieder appellieren: „Jesus ist bei dir!“. Das wird ihm nicht helfen, das reicht nicht aus. Da bedarf es einer qualifizierten Psychotherapie.

Der zweite Gedanke ist: Psychotherapie ist dann gefährlich, wenn ein ungläubiger Psychotherapeut die Seele des Patienten sozusagen okkupiert, besetzt, ihn in Abhängigkeit bringt und eventuell solche unqualifizierten Aussagen macht wie: „Gib deinen Glauben auf, dann wirst du gesund!“ Dann wäre es ja logisch, daß alle ungläubigen Menschen gesund sein müßten. Das Umgekehrte stimmt aber eben auch nicht, daß alle gläubigen Leute gesund sind.

Also, es ist eine Trennung von Seele und Geist nötig. So wie im Hebräerbrief steht: „Das Wort Gottes ist ein zweischneidiges Schwert, das Seele und Geist trennt“. Ich denke, geistliche Probleme sollen nicht psychisch, und umgekehrt: psychotherapeutische Probleme sollen nicht geistlich gelöst werden. Es sind zwei verschiedene Aspekte des Menschen. Insofern würde ich die Frage schon so beantworten wollen, wie ich zum Schluß sagte: Psychotherapie widerspricht nicht der Seelsorge, wenn denn beides ohne Grenzüberschreitung angewandt wird. Schließen sich psychotherapeutische und seelsorgerliche

Hilfsmaßnahmen aus? Dazu wäre meine Grundantwort: „Nein“ – unter Umständen aber auch: „Ja“, wenn nämlich dadurch der Glaube an Jesus gefährdet wird. Seelsorge brauchen wir alle. Psychotherapie brauchen

R. Antholzer: Ich möchte mit einem Bibelwort beginnen. In 2Tim. 3,16-17 heißt es:

„Alle Schrift ist von Gottes Geist eingegeben und nützlich zur Belehrung, zur Überführung von Schuld, zur Zurechtweisung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, auf daß der Mensch Gottes vollkommen sei, zu jedem guten Werk zubereitet“.

In diesem Wort wird eines deutlich, daß die Schrift für das alles zuständig und auch gut und nützlich ist, was Seelsorge ausmacht: Belehrung, Überführung von Schuld, Zurechtweisung, Erziehung in der Gerechtigkeit. Das deckt schon den ganzen Bereich Seelsorge ab. Wenn das aber so ist, dann sollten wir die Bibel auch dafür verwenden. Ich kann es nicht glauben, daß die Christen 1900 Jahre nicht klar kommen konnten mit ihren Ängsten und Problemen, weil es keine Psychotherapie gab! Deswegen sage ich, wir sollten uns wieder auf das besinnen, was uns von Gott gegeben ist, und da mehr Vertrauen investieren. Wir brauchen Kenntnisse über Sachverhalte, auch psychiatrische oder psychopathologische. Das ist sicher hilfreich und gut. Paulus hatte z. B. auch Kenntnisse über den Götzendienst. Das kann wichtig sein, damit wir Menschen und ihre Lebensweise verstehen.

Aber zur Hilfe brauchen wir grundsätzlich nichts über das hinaus, was uns von Gott gegeben ist. Denn alles, was für einen Gott wohlgefälligen Wandel nötig ist, ist uns schon gegeben, sagt der 2. Petrusbrief. Diese Position möchte ich einfach noch einmal betonen und deutlich machen, daß wir nichts zu dem, was Gott uns gegeben hat, hinzunehmen von irgend etwas, das letztlich nur wegführen kann von dem Wesentlichen und das Wesentliche verdunkeln könnte. Das Wesentliche, das ist Christus als Zentrum und das Kreuz.

Moderator: Vielen Dank für die beiden Positionen, die uns so in Grundzügen noch einmal vor Augen stehen. Bruder Antholzer, nun hat Herr Steinbach in seinem Referat ja nicht gesagt: „Seelsorge genügt in allen Fällen, an die man denken kann“, sondern: „Seelsorge ist für bestimmte Bereiche das, was dran ist – wenn es etwa um Heil geht. Aber es gibt auch Fragen, die mit Heilung zu tun haben; und da hat Therapie ihren legitimen Platz.“ In seinem Referat hat Dr. Steinbach seinen Ansatz dann am Umgang mit Depressionen exempliziert. Sie haben das Referat mitgehört: Wie würden sie von ihrer Position aus Stellung nehmen?

R. Antholzer: Ich habe deutlich gemacht, daß es Störungen gibt, die ihren Ursprung im Körperlichen haben und sich in der Psyche auswirken. Dazu zähle ich z. B. endogene Depressionen, Psychosen und dergleichen. Hier, meine ich, ist natürlich der Arzt gefragt, auch der Facharzt, und hier sind wir dankbar für die Medikamente, die es gibt, auch wenn das alles noch sehr begrenzt ist. Aber es ist oft die einzig mögliche Hilfe. Da bin ich völlig einig mit Ihnen, Bruder Steinbach, in diesem Bereich.

Andere Probleme aber, die nicht körperlich, also nicht zurückführbar auf körperliche Ursachen sind, haben es, so behaupte ich, letztlich mit unserer Gottesbeziehung zu tun. Und da müssen wir seelsorgerlich ansetzen. Von daher sehe ich eigentlich keinen Platz für die Psychotherapie. Es gibt verschiedene Dinge wie Verhaltensschwierigkeiten, wo wir schlechte Gewohnheiten haben, die schädlich sind und das Leben erschweren, bzw. wo wir Dinge vielleicht nicht gelernt haben, die man zu einer positiven Lebensbewältigung braucht. So etwas kann man lernen. Man kann Gewohnheiten aufbauen und kann Gewohnheiten verändern, das ist okay. Das ist aber zu allen Zeiten gemacht worden und das hat man nie Psychotherapie genannt. Das brauche ich auch heute nicht so zu nennen. Das alles ist sicher hilfreich, aber es ist nur eine stützende Sache. Wer eine Sucht hat, muß auch Gewohnheiten verändern. Aber wenn er nur das macht, wird er seine Sucht nicht überwinden; das alleine wird nicht ausreichen. Ich meine grundsätzlich einfach, daß, wenn es um psychische Probleme geht, die Veränderung von innen her kommen muß, vom inneren Menschen, und nicht von außen ansetzen darf! Wenn sie von außen ansetzt, am Verhalten, dann ist das im Grunde genommen der gesetzliche Ansatz. Das Gesetz hat es auch so gemacht, das setzt immer außen an. Die Gnade aber setzt innen an: am neuen Leben, das in uns ist, an der neuen Kreatur, damit das alles zur Geltung kommt.

Ich möchte einfach eine Sache aufgreifen, nicht so viele Dinge, auf die ich jetzt Bezug nehmen könnte. Sie haben richtig gesagt, daß die Methoden an sich gar nicht die Bedeutung haben. Was wirklich wirksam ist – das hat man festgestellt – sind gar nicht die Therapiemethoden, sondern ist die Beziehung zwischen Berater und Ratsuchendem. Wenn das so ist, dann frag ich mich: Warum die Methoden, warum diese Hinwendung zu Methoden? Warum sind die dann so wichtig? Dann kann ich auf diese Methoden doch auch verzichten, wenn die gar nicht bedeutsam sind. Und ich kann sagen: Als Christ kann ich dem anderen wirklich eine Beziehung anbieten! Das ist doch viel besser, als wenn ich dem anderen als der Fachmann gegenübertrete, der weit über ihm ist. Ich denke, das kann ich als Christ auch. Deshalb behaupte ich, daß ein Christ, wenn er wirklich eine in Christus gegründete Persönlichkeit ist, grundsätzlich ein guter Seelsorger sein kann. Schulung, Ausbildung, Kenntnisse sind gut und nützlich, manchmal auch unverzichtbar – deswegen machen wir Schulung. Aber was wirklich in der Seelsorge entscheidend ist, ist nicht das, was einer tut, sondern das, was er ist: seine Person – einfach das, was er selber ist. Das ist nicht nur biblisch korrekt, sondern diese Aussage würde sogar von der Psychologie unterstützt werden.

Moderator: Bruder Steinbach, ich würde vorschlagen, daß sie jetzt noch nicht zum Referat von Herrn Antholzer Stellung nehmen, sondern zunächst auf die Antwort zu ihrem Referat, die gerade gegeben wurde. Ich nenne noch mal einige Punkte:

  1. Was nicht körperlich verursacht ist, das hat mit unserer Gottesbeziehung zu tun.
  2. Der Psychiater und der Arzt sind zuständig für das, was körperlich verursacht ist. Für die anderen Dinge, weil sie mit der Gottesbeziehung zu tun haben, ist die Seelsorge zuständig, nicht die Psychotherapie.
  3. Ein legitimer Raum für Psychotherapie entfällt damit gänzlich. Wie antworten Sie darauf?

Dr. Steinbach: Das kann ich so nicht sehen, weil es eben wie bei der Münze ist: beide Seiten sind gleich groß und auch gleich gewichtig. Ich kann nicht sagen: Die Zahl, die körperliche Seite, ist das Eigentliche! Sondern die andere Seite ist genauso wichtig. Die Münze kann man auch da identifizieren; sie ist auf jeder Seite gleich schwer und wertvoll. Wir müssen uns von solchen Vorstellungen trennen, daß nur körperliche Störungen die Seele krank machen. Das Umgekehrte gibt es genauso häufig, daß eine kranke Seele den Körper krank macht. Das haben wir häufig, daß aufgrund von seelischen Ursachen nur Funktionsstörungen hervorgerufen werden, so daß man keinen Befund hat. Da sieht alles in Ordnung aus – aber Sie haben solche Schmerzen, als hätten Sie ein Magengeschwür oder einen Herzinfarkt, und haben doch keinen. Es sind funktionelle Störungen, die allein dadurch zustande kommen, daß der Patient Angst hat. Durch Angst können so schlimme Herzschmerzen entstehen, daß jemand mit Herzinfarktverdacht in die Klinik eingeliefert wird. Ursache ist die Angst – nicht das kranke Herz macht die Angst, sondern umgekehrt. Ich wollte nur sagen, die Wechselwirkung geht nach beiden Richtungen. Und es gibt so viele Menschen, die seelisch gestört, verletzt, verwundet sind und dann mehr oder weniger nicht körperlich bedingte Beschwerden haben -oder auch nicht. Zu denen müssen wir einen psychotherapeutischen Zugang finden. Wir können ihnen nicht mit Tabletten helfen. Das würde nur Abhängigkeit schaffen. Bei einer Angstneurose müssen wir mit dem Menschen sprechen. Natürlich kann ich auch mit ihm beten. Und ich freue mich, wenn jemand durchs Gebet seine Angst verliert. Auch das haben wir schon erlebt – und das tue ich auch: Ich bete mit Menschen, die eine Angststörung haben. Aber ich merke, ich komme nicht umhin, daß ich die Werkzeuge, die ich in einer 15-jährigen Ausbildung gelernt habe, auch anwende, um diese Angst zu beseitigen. Da ist es oft so, daß dieser Mensch in der Kindheit oder später eine schlimme Mißhandlung erfahren hat und nun seine Aggression, seine Wut, nicht los wird und sie sozusagen transponiert, übersetzt, in ein Ersatzgefühl: die Angst. Wenn dieser Mensch fähig wird, seine Wut wahrzunehmen, sie zu äußern, und dem Menschen zu vergeben, der ihm weh getan hat, dann ist die Angst weg. Das ist meine Erfahrung. Ich komme ohne Psychotherapie nicht aus, sonst hätte ich es nicht gelernt. Aber wenn einer ohne das auskommt: Halleluja! Jesus ist auch ohne Psychotherapie ausgekommen. Aber ich bin nicht Jesus. Ich wäre gern wie Jesus. Also ich mache es so, wie ich es vorgestellt habe.

R. Antholzer: Nehmen wir einfach einmal ein praktisches Beispiel: Da ist ein Mensch, der hat sehr hohe Ziele. Er ist sehr ehrgeizig, möchte bestimmte berufliche Ziele erreichen – in der Firma meinetwegen in die Betriebsleitung aufsteigen. Er wird deshalb sehr viel Streß erfahren; er wird Ärger erleben, weil Kollegen ihm Dinge in den Weg legen usw. Er wird vielleicht Ängste erfahren, weil er gewisse Ziele eben doch nicht erreicht, existenzielle Ängste. Er wird sich in viele Schwierigkeiten bringen auf Grund einer bestimmten Zielsetzung, Überforderung usw. Der Kern ist aber doch die Grundhaltung, die Zielsetzung, die er für sein Leben hat: Ich möchte das erreichen! Warum? Damit ich Bedeutung haben kann, damit ich mich sicher fühlen kann! Letztlich ist das Teil einer falschen Identität. Er sagt: Wenn ich das bin oder erreicht habe, dann habe ich Bedeutung, dann kann ich mich sicher fühlen! Seine Identität sucht er also in etwas, was man vermeintlich auf dieser höheren Ebene finden kann. Das ist im Grunde genommen eine gottlose Haltung, denn die Bibel zeigt mir: Meine wahre Identität habe ich in Christus. Also müßte die Sache ganz anders aufgezäumt werden. Ich müßte erst mal begreifen: Ich habe in Christus meine Bedeutung, ich habe in Christus meine Sicherheit! Von der Warte aus wäre ich viel gelassener. Da könnte ich das Ziel herunterschrauben. Ich könnte sagen: „Ist gar nicht so wichtig, ob ich in die Betriebsleitung aufsteige! Ich hätte weniger Ärger, weniger Angst, weniger Überforderung – und das würde meiner Seele sehr gut tun.“ Da sehe ich den Ansatz. Und wenn man es anders macht und sagt: Diese Angst und diese Folgen – praktisch: diese Fehlhaltung! – muß man mit Psychotherapie behandeln, dann heißt das ja eigentlich im tiefsten, daß ich den Charakter verändern möchte durch Psychotherapie. Das heißt wiederum: Heiligung via Psychotherapie! Aber das geht doch nicht, oder? Heiligung kann ich doch nicht durch Psychotherapie machen! Heiligung muß von innen her geschehen, von dem neuen Leben, von Christus her – nicht durch äußere Veränderung, durch Verhaltensmodifikation! Das ist eben nicht Heiligung. Das müssen wir deutlich auseinanderhalten.

Moderator: Sie sprachen jetzt von einem Menschen, der durch seinen Ehrgeiz in so eine Situation kommt. Und Sie sagen: Da muß man seelsorgerlich ran! Dr. Steinbach sprach aber von Angstneurosen.

R. Antholzer: Was ist eine Angstneurose? Die Fachleute sagen: Neurosen gibt’s gar nicht! Es gibt Verhaltensstörungen, die man neurotisch nennt.

Dr. Steinbach: Man nennt es akute Panikattacke: Ein Mensch hält es in unserer Runde nicht aus; er hat Angst, rennt raus. Dieses Symptom möchte er behandelt haben. Was würden Sie tun?

R. Antholzer: Bei spezifischen Angststörungen kann die Verhaltenstherapie am effektivsten eingreifen, weniger bei existenziellen Ängsten. Ängste wird man nicht dadurch los, daß man ihnen aus dem Weg geht. Indem man sich ihnen stellt, überwindet man sie. In der Verhaltenstherapie werden Menschen dahin gebracht, sich dem Angstobjekt auszusetzen. In der Seelsorge würde ich dasselbe machen: keine Entspannungstechnik, sondern würde ganz bewußt die Gottesbeziehung mit ins Gespräch hineinnehmen. In der Bibel steht 64 mal: „Fürchte dich nicht!“ Das ist doch eine Antwort. „Ich habe die Welt überwunden“, sagt Jesus. Ich nehme das ganz bewußt mit hinein in die Seelsorge, daß der Mensch lernt, im Vertrauen auf Jesus in diese Situation hineinzugehen mit Unterstützung von mir als Seelsorger. Auf der natürlichen Ebene wird im Ergebnis genau das Gleiche passieren – etwa in der Verhaltenstherapie: es geschieht eine Gegenkonditionierung, die Angst wird reduziert. Auf der geistlichen Ebene passiert tatsächlich aber etwas ganz anderes. Bei Verhaltenstherapie wird das eigene Ego aufgebaut. Der Mensch lernt: Ich komme auch ohne Gott zurecht! Wenn ich das mit der bewußten Einbeziehung Jesu mache, ist dagegen seine Gottesbeziehung verändert im positiven Sinn.

Moderator: Vielleicht können wir in diesem Zusammenhang kurz auf die heute von Ihnen geäußerte Kritik eingehen, daß das, was die Psychotherapie an Prinzipien erkannt hat, auch vorher schon richtig gemacht wurde. Dazu brauche man keine Psychotherapie.

R. Antholzer: Ich habe das auf die Gesprächspsychotherapie bezogen. Da gibt es, über das ‚Verbalisieren emotionaler Erlebnisinhalte‘ hinaus, drei Variablen: Einfühlendes Verstehen · Echtheit · Wärme.

Läßt man die erstgenannte Variable weg, nämlich die Verbalisierungsmethode, die sehr problematisch für einen Christen ist, bleiben Liebe und Wahrhaftigkeit übrig. Wissen wir das nicht schon längst?

Moderator: Haben also die Psychotherapie und ihre Schulen keinen Erkenntnisgewinn gebracht?

Dr. Steinbach: Was die Beziehung zu Gott betrifft, nicht. Daß wir Erlösung brauchen, müssen wir jedem Gesunden und jedem Kranken sagen. Die Psychotherapie als Wissenschaft hat sich enorm entwickelt – was uns Gott zwar keinen Millimeter näher bringt, aber das trenne ich. Wir brauchen Erlösung, wir können uns nicht selbst erlösen – auch nicht durch Psychotherapie! Das wäre der fleischliche Weg. Aber für unsere seelischen Krankheiten, die es vor 500 Jahren auch gab, gibt es heute bessere Methoden als vor 500 Jahren.

R. Antholzer: Daß ich das, wozu Gott mich bestimmt hat, auch ausleben kann, das war vor 1000 Jahren genauso möglich wie heute; und da spielt letztlich die wissenschaftliche Erkenntnis, die wir heute haben, keine Rolle! Wenn seelische Störungen vorliegen, dann sind die etwas, was mein Glaubensleben blockiert. Und damit ist auch Sünde im Spiel. Es muß möglich sein, solchen Menschen unabhängig von einer Wissenschaft zu helfen. Wenn es um andere Dinge geht, etwa Krankheiten, dann ist das Schwachheit. Von Fragen der Heiligung unterscheidet die Bibel Schwachheit: dazu kann z. B. eine endogene Depression oder Schizophrenie gehören. Die Schwachen sollen wir tragen; da heißt es nicht, wir sollen sie heilen. Wir haben nicht die Möglichkeit, Schwachheit immer zu heilen. Aber die unordentlich wandeln, die sollen wir zurechtweisen, die Niedergedrückten sollen wir aufrichten (1Thess 5,14). Alles, was mich hindert, das zu leben, was Gott will, kann ich mit Gottes Hilfe überwinden!

Dr. Steinbach: Zustimmung in diesem Punkt! Der Unterschied ist, daß ich Arzt bin und mit Kranken zu tun habe, die draußen nicht mehr zurechtkommen. Die Hälfte ist fromm, die Hälfte besteht aus totalen Atheisten. Einem Atheisten muß ich mich als Arzt zuwenden. Wenn Vertrauen da ist, kann ich auf die Wurzel, die Sünde, zu sprechen kommen und auf die Rettung. Und wenn der Patient will, nimmt er die Rettung an. Das ist nicht mehr Psychotherapie, das ist Seelsorge.

Moderator: Was ist Ihre Stellungnahme zu dem Referat von Herrn Antholzer?

Dr. Steinbach: Mit dem großen Ziel stimme ich voll überein. Aber für mein kleines ärztliches Ziel ist es auch schon etwas, wenn ein Alkoholiker nicht mehr trinkt, zu seiner Familie hält, wieder arbeiten geht. Wenn er zusätzlich zum Glauben kommt, ist es noch besser. Ein Arzt hat Kranke zu heilen. Jeder Christ, auch ein Arzt, hat Menschen zu Jesus zu führen.

Das meiste ist Spreu, aber es gibt auch ein paar Weizenkörner in der Psychotherapie, die man nutzen kann nach dem Bibelwort: Prüfet alles, das Gute behaltet! Ich bin ein Eklektiker, ich suche das Beste heraus. Man geht heute davon aus, daß jeder nicht nur Opfer, sondern auch Täter ist. Es muß einen Ort geben, an dem man über die Verletzungen, die uns andere Sünder zugefügt haben, sprechen kann. Warum sollten solche Verletzungen nicht nachwirken, und warum sollten wir dann nicht ärztliche Hilfe, die möglich ist, in Anspruch nehmen? Und dann muß jeder dahin kommen zu sehen, was sein Anteil ist an dem Konflikt. Das ist Thema unserer psychotherapeutischen Gespräche. Hier überschneiden sich die beiden Kreise; das könnten ebensogut seelsorgerliche Gespräche sein.

Moderator: Hier sagt nun einer: Ich integriere beides, Seelsorge und Psychotherapie – aber das Kreuz ist und bleibt für mich zentral! Glauben sie ihm das nicht?

R. Antholzer: Ich werde mich hüten, meines Bruders Richter zu sein. Es ist schön, wenn ein Alkoholiker trocken ist; aber die Freude ist getrübt, wenn er das Evangelium ausgeschlagen hat. Wenn sich Leute bei uns bekehrt haben, dann nicht durch die Therapie, sondern auf Grund des Zeugnisses von Jesus.

Wenn ich wissen will, welche Methode brauchbar ist, muß ich wissen, wo will ich hin. Das Ziel entscheidet über die Methode. Ich glaube, daß die Psychotherapie ein völlig anderes Ziel hat als die Seelsorge. Die Seelsorge hat nicht das Ziel, daß es dem Menschen besser geht, daß er im Leben besser klarkommt, sondern daß der Mensch das leben kann, was Gott ihm zugedacht hat. Wenn ich von diesem Ziel her denke, komme ich zu anderen Schlußfolgerungen hinsichtlich dessen, was brauchbar ist.

Sie haben Widerstandsanalyse und Übertragung genannt als die Methoden, die Ihnen besonders brauchbar erscheinen. Natürlich erlebe ich auch in der Seelsorge, daß Menschen sich weigern, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen. Wie überwinde ich Abwehrstrategien? Dazu hat mir das Wort Gottes sehr klare Hinweise gegeben. Dazu brauche ich keine Widerstandsanalyse.

Es gibt Verletzungen in der Kindheit, das ist keine Frage. Aber wie können wir als Christen damit umgehen? Kann man nicht mit einem Seelsorger darüber sprechen? Wie helfe ich solch einer Person, damit klarzukommen? Der Psychotherapeut kommt nicht unbedingt auf die Vergebung zu sprechen. „Die Antwort auf die Frage: Wie kann ich vergeben?“, kann ich nur in der Seelsorge vermitteln. Ich lande immer wieder bei den Dingen, die mir die Schrift zeigt. So muß ich diesem Menschen z. B. klarmachen: Das ist geschehen in deinem Leben – das ist alles schlimm – du leidest darunter. Aber auch: Gott hat uns nicht ein Leben ohne Schmerzen verheißen. Das ist auch nicht entscheidend; als Seelsorger kann ich das jedenfalls nicht garantieren. Entscheidend ist, ob erlebte Verletzungen ihn blockieren, wirklich als Christ zu leben, zur Ehre Gottes. Und eben das muß nicht sein, wenn er an dieser Stelle bereit ist, sein Recht auf Unversehrtheit loszulassen. Das ist dann Hingabe.

„Ich lasse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem was da vorne ist“ (Phil 3,13).

Ich grabe und wühle also nicht in der Vergangenheit und bade in Selbstmitleid, wie das manchmal bei tiefenpsychologischen Methoden ist.

Dr. Steinbach: Es ist immer nur die Rede von Leuten, die schon glauben. Was ist mit denen, die nicht glauben und zu mir ins Krankenhaus kommen? Ungläubige sollen zum Psychotherapeuten gehen, Gläubige zum Seelsorger –stimmt das? Wäre das nicht eine Zweiklassengesellschaft? Ich muß Ungläubige erst einmal ernst nehmen in ihrer Not, später kommen die Patienten selbst mit ihren Fragen nach Schuld, nach dem Sinn des Lebens. Wenn jemand gläubig ist: Warum sollte er sich nicht auch als Christ behandeln lassen, damit er seine Depression verliert? Die Christen, die ihre Depressionen trotz Segnung, Handauflegung, Gebet und Seelsorge nicht losgeworden sind! Ich freue mich, wenn so einer seine Depressionen in der Therapie verliert.

R. Antholzer: Ich würde genauso mit einem Ungläubigen umgehen, aber mit der Zielsetzung: er braucht das Evangelium. Seelsorge am Ungläubigen ist primär Evangelisation. Ich spreche allerdings in erster Linie über Seelsorge an Christen.

Moderator: Wie gehen wir in der Gemeinde mit den verschiedenen seelischen Nöten um? Was bedeutet Ihr jeweiliger Ansatz für diesen Umgang? Was sollen wir in der Gemeinde tun?

R. Antholzer: Es ist wichtig, den Bereich Seelsorge in der Gemeinde wieder bewußt zu sehen, zu fördern und aufzubauen; den Geschwistern wieder einen neuen Blick zu geben, daß sie begreifen: Wir sind alle gefordert! Man kann das nicht abdecken, wenn nur zwei, drei Spezialisten da sind. Auf einer breiten Basis kann manches abgefangen werden. Manche seelische Störung könnte verhindert werden. Es genügt nicht, erst dann aktiv zu werden, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Dann sind die meisten überfordert. Wenn wir Gemeinde nach biblischem Vorbild bauen und das allgemeine Priestertum wieder bewußter betonen, kommen wir weiter.

Moderator: Wäre jetzt die Konsequenz Ihrer Aussage: Es ist wichtig, in den Gemeinden zu sagen: „Laßt die Finger von allem, was mit ‚Psy…‘ anfängt! Versuchen wir es mit Bibel und Seelsorge!“

R. Antholzer: Das ist nicht so, daß man sich erst mit Psychologie beschäftigen müßte! Man hat sie aufgenommen über Sozialisation, Medien, Schule, auf vielfältige Weise, und das sitzt drin. Die Christen haben versäumt, wie die Bibel sagt, „jeden Gedanken gefangen zu nehmen unter den Gehorsam Christi“, wirklich Klärung zu betreiben: Was ist auf welchem Mist gewachsen von dem, was ich glaube und denke? Das ist auch ein Versäumnis der Verkündigung!

Moderator: Wie sehen Sie das, Bruder Steinbach? Sie sehen ja einen legitimen Platz für Psychologie und Seelsorge. Was bedeutet das aber für die Gemeinde?

Dr. Steinbach: Seelsorger sind in manchen Fällen überfordert. Sie können die seelischen Leiden nicht behandeln. Solche seelisch schwer kranken Menschen in der Gemeinde gehören zu einem Seelenarzt – möglichst zu einem, der gläubig ist. Wenn letzteres nicht möglich ist, sollte der Patient von den Geschwistern der Gemeinde betreut werden; man sollte ihn nicht mit dem Psychotherapeuten allein lassen, sollte für ihn beten. Ich glaube nicht, daß Seelsorge dazu da ist, psychische Krankheiten zu heilen. Seelsorge ist dazu da, Menschen in die Nachfolge Christi zu berufen und zur Heiligung anzuhalten. Das ist für mich zweierlei. Moderator: Wie sehen Sie, Bruder Antholzer, die Konsequenzen Ihres Ansatzes für die Gemeinde?

R. Antholzer: Die Gemeinden brauchen mehr Information über seelische Störungen. Oft werden Dinge in einen Topf geworfen, die nicht hineingehören. Zum Beispiel, daß jegliche Depression als Folge von Sünde angesehen wird – und man nur von der Seite an die Sache herangehen kann. Man muß differenzieren können. Den Begriff ‚seelische Krankheit‘ möchte ich eigentlich nur für Krankheiten verwenden, die ihren letzten Ursprung im Körperlichen haben. Dafür ist der Arzt zuständig. Das andere würde ich nicht als Krankheit bezeichnen, weil damit schnell gesagt ist: Er ist Opfer!, was aber nicht unbedingt der Fall ist. Der Psychotherapeut ist eigentlich ein säkularer Seelsorger. Es gibt Seelsorger, die das als Christen tun. Wenn es um Christen geht, ist ein Seelsorger gefragt, der als Christ handelt, nicht ein säkularer Seelsorger! Die säkulare Seelsorge hat sich etabliert Anfang dieses Jahrhunderts – nicht auf Grund von Forschung, sondern auf Grund des Vakuums, das da war. Sie hat der Seelsorge die Arbeit abgenommen. Deswegen sage ich: Wir müssen zurück zur Seelsorge und das wieder wahrnehmen.

Moderator: Roland Antholzer lehnt psychologische Erkenntnisse nicht ab, aber sagt: Psychotherapie ist nicht in Ordnung aus biblischer Sicht; hier sollten wir der Seelsorge wieder den Platz geben, den die Psychologie usurpiert hat! Wie sehen Sie die Folgen dieses Ansatzes für die Gemeinde?

Dr. Steinbach:

  1. Wenn wir das durchziehen, tun wir vielen gläubigen Leuten, die an seelischen Krankheiten leiden, Unrecht.
  2. Die Folge ist, daß diese Menschen in Gefahr kommen, sich vielleicht von der Gemeinde abzuwenden, statt dessen bei einem Arzt Hilfe suchen und vielleicht den Glauben verlieren.
  3. Dieser Ansatz ist für die Betroffenen in der Gemeinde eine zusätzliche Belastung, z. B. bei Depressionen oder Angst. Ihnen wird unterstellt: Weil du an diesen Dingen leidest, ist deine Beziehung zu Gott gestört! Folge: er kommt unter Druck. Das halte ich für lieblos. Den gequälten Menschen wird eine Last aufgelegt: Deine Beziehung zu Gott ist gestört! Da tun wir unseren Geschwistern Unrecht.

Moderator: Ich wünschte mir, auch in Gemeinden könnte so sachlich und brüderlich über unterschiedliche Sichten gesprochen werden. Nun gebe ich gerne noch Gelegenheit für Äußerungen aus dem Raum unserer Zuhörer.

Herr Veeser (BTS): Ich bin sehr dankbar für die Klarstellungen. Heute Nachmittag sind in Ihrem Referat, Bruder Antholzer, viele, viele Seelsorgeeinrichtungen sehr, sehr schlecht weggekommen. Im Grundkurs für ‚Biblisch-Therapeutische Seelsorge‘ hören bei uns Leute folgendes: Das erste und wichtigste Ziel in aller Arbeit, die sich Seelsorge nennt, ist das Heil des Menschen. Wer das Heil in Jesus Christus nicht findet, geht verloren. Wir halten unsere Seelsorger dazu an, die Heilige Schrift als eine Norm zu akzeptieren und über alles zu stellen. In der Seelsorge geht es um Leben oder Tod. Bruder Antholzer, ich merke in Ihrer Art der Schriftauslegung ganz viel Psychologie und psychotherapeutische Erkenntnisse, die Sie in die Heilige Schrift hineinzeichnen, nennen aber das, was Sie tun, biblische Seelsorge. Wir sagen, was wir tun. Es gibt viele Strategien, die ich nicht aus der Bibel ableiten kann, die Verhaltens- und Schöpfungsgesetze sind. Das Ziel, Menschen zu Jesus Christus zu führen, vereinigt uns alle.

R. Antholzer: Wenn ich biblische Seelsorge mache, dann werde ich dem anderen Zuspruch geben. Das haben sicher früher auch schon Leute ohne verhaltenstherapeutische Kenntnisse getan. Ich habe nur gedeutet, was auf der natürlichen Ebene passiert und was auf der geistlichen Ebene, wenn man so und so vorgeht. Viele Menschen wissen auch spontan, wie man dem Anderen hilfreich begegnet, ohne daß sie schlaue Bücher gelesen haben. Was ich von der Schrift her lehre, das ist allerdings biblische Theologie.

Herr Dresden: Ich stelle eine Prüfungsfrage an alle beide. Beispiel: Während einer Evangelisation haben sich zwei Menschen bekehrt, ein Alkoholiker und ein kleiner Terrorist. Müssen diese Leute noch psychologisch betreut werden, wie Peter Graf?

Dr. Steinbach: Wenn die beiden einen Betreuer wie Sie haben, brauchen sie keinen Psychologen.

R. Antholzer: Selbst ein kleiner Terrorist, wie ich es war, hat keinen Psychologen gebraucht! Es hat genügt, daß ich mich bekehrt habe und daß ich gute Unterweisung vom Wort Gottes her hatte.

Moderator: Bruder Antholzer, brauchen Alkoholiker psychologische Hilfe?

R. Antholzer: Ich bin der Meinung, daß, wenn die Christen genügend aufgeklärt wären über die Zusammenhänge, sicher eine gute Hilfe möglich wäre – so wie auch sonst ambulant viel geleistet wird, auch ohne christlichen Glauben. Wir haben als Fachklinik keine Psychotherapie gemacht.

Dr. Steinbach: Wir verstehen unter ‚Psychotherapie‘ und ‚Seelsorge‘ etwas anderes. Ich verlasse, wenn ich mit einem Patienten Seelsorge mache, das Gebiet der Psychotherapie. Das muß ich!

R. Antholzer: Dieses Gegeneinander habe ich nie gehabt. Für mich ist das Seelsorge, was ich mache, und nicht Psychotherapie. Ich behandle diesen Menschen ganzheitlich.

Herr Wege: Vor 15 Jahren erkrankte ein Familienmitglied von heute auf morgen. Man ist versucht zu fragen: Liegt da Sünde vor? Muß man ganz besonders Buße tun, damit man gesund wird? Wenn einer das Bein bricht, macht man das nicht. Man tut damit dem Betroffenen Unrecht. Wenn ich von Ärzten begleitet werde, die das Innere nicht verstehen, wie kann ich mich da öffnen? Mein Wunsch ist, daß solche fachkundigen Angebote häufiger zur Verfügung stünden.

R. Antholzer: Ich fühle mich sehr mißverstanden. Ich habe nicht über ‚Seelsorge‘ gesprochen. Mein Thema war, die ‚Biblisch-Therapeutische Seelsorge‘ zu bewerten. Das möchte ich ganz klar machen, darüber habe ich gesprochen. Wenn ich darüber referiert hätte, wie man mit seelsorgerlichen Problemen richtig umgeht, dann hätte ich das Thema verfehlt – aber Sie hätten alle genickt!

Moderator: Am Ende unseres Gesprächs haben wir längst nicht alle Fragen geklärt. Zwei unterschiedliche Ansätze von Brüdern, die beide die Bibel ernstnehmen und Menschen in geistlichen und seelischen Nöten helfen, stehen im Raum. Sie haben einen unterschiedlichen Seelsorgebegriff. Sie definieren seelische Krankheit unterschiedlich. Sie werten Psychotherapie völlig verschieden. Sie gestehen zugleich beide der Psychologie einen legitimen Platz zu. Es bleibt noch viel Raum, weiter aufgrund der allein unfehlbaren Basis der Heiligen Schrift darüber nachzudenken, wie sich Schöpfung und Offenbarung, Natur und Gnade zueinander verhalten. Vielleicht hilft dies zu weiterer Klärung der Fragen um Seelsorge, Psychotherapie und Psychiatrie. Um der vielen seelisch schwer leidenden Menschen willen wäre das sicherlich zu wünschen. Ich danke Ihnen für das Gespräch.