Frage:
Einem der mitgekreuzigten Verbrecher verheißt Jesus: Heute wirst du mit mir im Paradies sein (Lk 23,43). Ist das „Paradies“ der Ort oder Zustand im Totenreich, wo sich die Seelen bzw. Geister der Glaubenden und Ungläubigen bis zur Auferstehung aufhalten? – Davon scheint Jesus in der Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus zu reden („Abrahams Schoß“ Lk 16,22 ff)? Kann man das Totenreich sozusagen als „Wartesaal“ für Himmel bzw. Hölle ansehen? Handelt es sich dabei um das gleiche „Paradies“ von dem der Apostel Paulus in 2Kor 12,4 spricht?
Antwort:
In der alten griechischen Übersetzung des AT, der Septuaginta, steht das griechische Wort „Paradies“, das auf einen persischen Ursprung zurückgeht, sowohl für den Garten Eden (1Mo 2+3; Joel 2,3; Jes 51,3; Hes 31,8f) als auch einfach für „Garten“ oder „gepflanzter Wald“ (4Mo 24,6; 2Chr 33,20; Neh 2,8; Pred 2,5; Jes 1,30; Jer 29,5). Das Totenreich (heb. sheol; griech. hades) steht an keiner Stelle in irgendeinem Zusammenhang dazu. Die beiden genannten Stellen, an denen das Wort Paradies im Neuen Testament vorkommt (außer diesen steht es noch Offb 2,7 für den Garten Eden in Gottes ewigem Reich), sind also im gesamtbiblischen Zusammenhang ungewöhnlich und haben ihren Grund in einer Bedeutungsverschiebung des Wortes in der griechischen Sprache. In Lukas 23,43 wird das Wort ähnlich wie in der uns erhaltenen so genannten apokalyptischen Literatur als Bezeichnung für den Teil des Totenreiches verwendet, in dem sich die Glaubenden befinden. Der ist unterschieden vom hades als dem Teil, in dem die Gottlosen aufbewahrt werden. Diese Unterscheidung ist im AT nicht zu erkennen. Das Paradies wäre hier also das gleiche wie der „Schoß Abrahams“. 2Kor 12,4 findet Paulus aber das Paradies im 3. Himmel vor. Neben dem Wolkenhimmel und dem Sternenhimmel bedeutet das nach jüdischer Ausdruckweise die unsichtbare Welt Gottes. Dort begegnet er offenbar nicht Verstorbenen, sondern hörte für Menschen unaussprechliche Wörter. Alle drei Stellen im NT benutzen das Wort „Paradies“ also eindeutig für unterschiedliche, wenn auch verwandte, Bedeutungen.
Die Lehre der Bibel über Sterben und Tod erscheint mir klar, wenn auch nicht jede Frage beantwortet werden kann. Hier einmal in kurzen Zügen: Der Mensch besteht aus Erde vom Ackerboden, dem Gott seinen Lebensatem oder Lebensgeist eingeblasen (1Mo 2,7) hat. Jakobus (4,5) sagt „der Geist, den er in uns hat wohnen lassen“. In 1Mo 6,3 wird die Lebenszeit und der Geist, den Gott den Menschen gegeben hat in Beziehung gesehen. Hiob 34,14 heisst es: „Wenn er … seinen Geist und Odem an sich zöge, so würde alles Fleisch miteinander vergehen und der Mensch würde wieder zu Staub werden.“ Psalm 146,4 betet der Dichter: „Denn des Menschen Geist muss davon, und er muss wieder zur Erde werden“. (weitere Stellen für diesen Befund mit Stellen aus den Apokryphen: Weish 15,11; Sir 34,14; 38,24; Tob 3,6; Offb 11,11) Der Geist, der von Gott gekommen ist, ist nur ein geliehener Geist, der wieder an Gott zurückgehen muss (Pred 12,7: „Denn Staub muss wieder zur Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat“. s.a. Weish 15,16). Es ist also deutlich eine Aussage der Schrift, dass Gott einen Geist in allen Menschen wohnen lässt, der Leben gibt und der eben nur „wohnt“, weil er beim Sterben wieder an Gott zurückgeht. Im NT findet sich die gleiche Vorstellung. „Der Leib ohne Geist ist tot“, kann Jakobus sagen (Jak 2,26) und Jesus betet bei seinem Sterben mit Psalm 31,4: „In deine Hände befehle ich meinen Geist“ (Lk 23,46). Der Geist aber, der wieder zu Gott zurück muss, soll nicht verunreinigt und von Sünde befleckt sein. 2Kor 7,1: „Weil wir nun solche Verheißungen haben [nämlich Söhne und Töchter Gottes zu werden], meine Lieben, so lasst uns von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes uns reinigen“ (ähnlich auch 1Thes 5,23).
Bis zum Tag der Auferstehung wird unser Geist, womit in der Bibel aber unsere ganze Person mit unserer Geschichte, unserem Denken und Fühlen und sogar unserem Aussehen gemeint ist, im Totenreich verwahrt. Das Totenreich ist aber nicht der Herrschaftsbereich der Toten oder des Todes. Sondern er gehört Gottes Herrschaft zu und Gott frei zugänglich (z.B. Ps 139,8). Darum ist es auch kein Widerspruch, wenn es heißt unser Geist ginge zurück zu Gott. Das Totenreich selbst scheint eine Teilung zu haben, so dass die Gottlosen und die Glaubenden schon dort voneinander getrennt sind (Lk 16,22ff). Uneinigkeit unter Christen gibt es darüber, ob der Mensch den Zustand des Todes wahrnimmt oder ob er ein Schlafender (1Kor 15,6.18.20.51) ist, der die Zeit zwischen Einschlafen und Aufwachen nicht wahrnimmt oder empfindet. Die Unterhaltung im Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus scheint auf Wachheit hinzudeuten, aber es ist nur ein Gleichnis. Ps 6,6 redet davon, dass die Toten im Totenreich Gott nicht gedenken oder ihm danken. Das aber würden die Glaubenden sicher tun. Ich tendiere dazu anzunehmen, dass wir wie Schlafende sind und verstehe auch Paulus Wunsch zu sterben und dann bei Christus zu sein (Phil 1,23; 2Kor 5,8) so, dass er weiß, dass aus Sicht der Ewigkeit, die Zeit zwischen dem Sterben Abrahams und seinem eigenen Tod und der Auferstehung Nichts ist. Aus menschlicher Sicht stirbt er und dann kommt die Auferstehung und er ist mit Christus zusammen.
Und der Verbrecher am Kreuz? Vor dem dargestellten Hintergrund sind mehrere Deutungen möglich. Jesus könnte auf seine Bitte hin, die Zusage gemacht haben, dass der Verbrecher im Totenreich auf der Seite der Geretteten ankommt, wo auch Jesus der Gerechte mit seinem Sterben und bis zu seiner Auferstehung hinging. Das scheint mir am nächsten zu liegen. Jesus könnte auch die ewige neue Welt gemeint haben, wo Gott und Mensch beieinander wohnen (Joh 14,2; Offb 21,3). Das „heute“ in der Aussage bedeutete dann entweder „sofort aus deiner Sicht“ oder man könnte es auch zum Satzanfang rechnen, wenn das auch sprachlich ungewöhnlich ist, und übersetzen: „Ich sage dir heute: Du wirst mit mir im Paradies sein.“ Das Wort „Wartesaal“ erweckt aber so oder so den falschen Eindruck vom Wartezimmer beim Arzt, in dem man gelangweilt und ungeduldig herumsitzt. Das aber erwartet Christen nach dem Sterben mit Sicherheit nicht. Der Tod ist ihnen – wie es in einem alten Lied heißt – der Eingang in das Leben.