Christliche Pädagogik bei A. H. Francke
Angesichts der Misere des säkularen Schulsystems sind Christen herausgefordert, eine christliche Alternative zu entwickeln. Dabei kann es allerdings nicht nur darum gehen, christliche Schulen zu gründen, in denen wiedergeborene Lehrer rein weltliche Lehrinhalte mit einer weltlichen Pädagogik, weltlichen Lehrbüchern und einem weltlichen Menschenbild vermitteln. Es kann auch nicht nur darum gehen, säkulare Modelle der Psychologie und der Pädagogik an christliches Denken anzupassen. Sollten die inzwischen gegründeten christlichen Schulen sich lediglich auf dieser Ebene engagieren, werden sie bald ihre Konturen verlieren und sich zunehmend den staatlich getragenen Schulen angleichen. Doch auch wenn es viel Arbeit bedeutet, müssen christliche Pädagogen lernen, über die an der Universität vermittelten Denkmuster hinauszugehen, um das säkulare Menschen- und Weltbild, die säkularen Erziehungsziele und Methoden kritisch zu hinterfragen und zu überprüfen. Nur so kann eine echte Alternative zum momentanen Schulsystem entstehen, welche Kinder fördert, selbstbewusst und ideologiekritisch dem jeweils herrschenden Zeitgeist gegenüberzustehen. Dabei darf sicher nicht der Illusion verfallen werden, Christen lebten in einem von ihrer Umwelt losgelösten Raum, jenseits aller Beeinflussung. Sicher brauchen nicht alle Methoden und Formen über Bord geworfen werden, sie müssen aber einer ernsthaften Überprüfung unterzogen werden ehe sie in einer christlichen Schule eingesetzt werden. Außerdem sollten sie durch Methoden und Ziele ergänzt werden, die sich aus dem biblischen Welt- und Menschenbild ergeben. Solche Überlegungen bilden nicht nur die Grundlage christliche pädagogischer Arbeit, sie helfen auch Eltern, die durch ständig wechselnde Moden der Erziehungswissenschaft verunsichert werden.
In der ernsthaften Auseinandersetzung mit christlicher Erziehung ist es fruchtbar, sich mit Überlegungen christlicher Pädagogen der Vergangenheit auseinander zu setzen, insbesondere dann, wenn ihre Arbeit dermaßen ertragreich und wirkkräftig war wie bei A. H. Francke.
„Mit ihrer Fülle von Reformen wurde die Schulstadt Franckes zu einer Sensation in Europa. Seine Pädagogik hat ein ganzes Jahrhundert das Schulwesen im evangelischen Deutschland beherrscht. Zum Teil sind seine Reformen bis in die Gegenwart hinein wirksam.“
1. Auswirkungen von Franckes Schulen
„Mit ihrer Fülle von Reformen wurde die Schulstadt Franckes zu einer Sensation in Europa. Seine Pädagogik hat ein ganzes Jahrhundert das Schulwesen im evangelischen Deutschland beherrscht. Zum Teil sind seine Reformen bis in die Gegenwart hinein wirksam.“
Beim Tod August Hermann Franckes 1727 wurden in seiner Schulstadt 1725 Schüler der Deutschen Schule von 98 Lehrern und 8 Lehrerinnen, 410 Schüler der Lateinischen Schule von 32 Lehrern und Inspektoren und 82 Scholaren im Paedagogium Regium von 27 Lehrern und einem Inspektor unterrichtet. Darüber hinaus lebten zu dieser Zeit 255 Studenten in den Hallischen Anstalten und ca. 150 arme Stadtschüler wurden zum Freitisch eingeladen. Im Waisenhaus lebten 134 Kinder, die von 10 Erziehern betreut wurden.
Der Einfluss der Frankeschen Anstalten ging weit über Halle hinaus und ist kaum hoch genug einzuschätzen. Nach dem Vorbild Frankes wurden unter anderem in Königsberg, Stargard, Bautzen, Zittau, Erfurt, Lemgo, Pyrmont, Wildungen, Kassel, Bayreuth, Darmstadt und Stuttgart Waisenhäuser gegründet. Auch das große Militärwaisenhaus in Potsdam wurde nach Franckes Ideen konzipiert. Die Gymnasien in Neustadt an der Aisch und in Brandenburg (die „Saldria“) kopierten das „Paedergogium Regium“. Lehrer dieser Schulen wurden ausschließlich aus Halle genommen. Unter Franckes Einfluss verkündete Wilhelm I. 1717 die allgemeine Schulpflicht in Preußen. Der ehemalige Waisenhausinspektor Johann Julius Hecker gründete in Berlin die ökonomisch-mathematische Realschule und verfasste 1763 im Auftrag Friedrich des Großen das Generalschulreglement für alle preußischen Volksschulen. Das Medizinstudium wurde in Halle wegweisend am Krankenbett durchgeführt. In der Pfarrerausbildung wurden neu persönliche Frömmigkeit, Praktika und Seelsorge einbezogen. Unter Friedrich I. konnten nur Hallenser Studenten Feldprediger im öffentlichen Dienst werden. Auch höhere Beamte, Richter, und Offiziere wurden vornehmlich aus Halle genommen. Durch pietistischen Einfluss wurde die preußische Armee von einem wüsten Söldnerhaufen zu einem disziplinierten modernen Heer. Viele der von Francke geprägten Adligen gründeten Manufakturen oder gingen in einen anderen bürgerlichen Beruf ohne das als standesmindernd zu empfinden. Es kam zu einer Entfeudalisierung und Verbürgerlichung des preußischen Adels. Francke trug dazu bei, seine Schüler zu gehorsamen, berufstüchtigen und sozial verantwortungsvollen Untertanen zu erziehen.
2. Der Aufbau der Schulen
Die Lehrer (Informatoren) der Schulen waren Studenten aus Halle, die für zwei bis vier Stunden Unterricht freie Unterkunft und Verpflegung bekamen. Sie mussten ferner gegenseitig im Unterricht hospitieren und an den Lehrerkonferenzen ihre pädagogische Arbeit besprechen. Etwa 10% der Informatoren nahm Francke in das „Seminarum Selectum Praeceptorum“ auf, wo sie, erstmals in Deutschland, eine zweijährige Zusatzausbildung als Lehrer erhielten.
Schon bald wurde die Aufsicht über das Waisenhaus der kritischen Regionalregierung von Magdeburg entzogen und direkt dem Kurfürsten unterstellt. Das Wohlwollen des großen Kurfürsten zeigte sich außerdem in der Akzise- und Zollfreiheit und der Lizenz für eine Buchdruckerei, eine Buchhandlung und eine öffentliche Apotheke. Unter der Leitung von Heinrich Julius wurde der Waisenhausverlag bald zu einem der bedeutendsten literarischen Unternehmen dieser Zeit, in dem, neben wissenschaftlichen Werken, günstige Bibelübersetzungen, Traktate und gute erbauliche Bücher zu niedrigen Preisen erstellt und verkauft wurden. Hier ließ Franke mit den „Observationes Biblicae“ die erste theologische Zeitschrift Deutschlands erscheinen. Jährlich wurden so rund 3000 Thaler erwirtschaftet. Der Waisenhausarzt Christian Richter entwickelte zusammen mit dem Medizinprofessor Friedrich Hoffmann, einem Freund Franckes, zahlreiche neue Medikamente, die bald in ganz Deutschland verkauft wurden. Dadurch konnten in Franckes Apotheken anfänglich rund 9000, später sogar bis 30000 Thaler im Jahr erwirtschaftet werden. Zur Absicherung der Lebensmittelversorgung der Anstalten betrieb Francke ein Bauerngut in Giebichenstein und einen Steinbruch, der Material für die ständigen Bauvorhaben lieferte. Dazu wurden einige Handwerkswerkstätten zum eigenen Bedarf eingerichtet. Auch die „Hallesche Zeitung“ wurde von Francke herausgegeben und steuerte etwas zur Unterstützung des Werkes bei. Andere Vorhaben, wie die Berechtigung zum Spendenaufruf in den Kirchen der Umgebung, das Recht, uneheliche Waisenkinder zu städtischen Handwerkern in die Lehre zu geben und die Einrichtung einer Schifffahrtsverbindung auf Elbe und Saale wurden durch den Widerstand orthodoxer Pfarrer und lutherischen Magistraten verhindert.
3. Franckes Pädagogik
3.1. Das christliche Menschenbild
In all seinen Überlegungen geht Francke davon aus, dass nicht alle Kinder schematisch gleich, sondern jedes nach seinem unterschiedlichen Wesen behandelt werden muss.
Die zu Franckes Zeiten herrschende Aufklärung sah den Menschen in erster Linie als Vernunftwesen. Die Betonung der Ratio führt zu einer generellen Infragestellung staatlicher und kirchlicher Ordnungen sowie einer starken Verdiesseitigung und Verweltlichung des Lebens. Alles was nicht vernünftig erklärt werden kann, gilt als Aberglauben. Die Wissenschaft soll den Menschen zu einer irdischen Glückseligkeit führen. In der Erziehung geht die Aufklärung von einem guten Menschen aus, dessen Anlagen lediglich gefördert und zur freien Entfaltung gebracht werden müssten.
Francke hingegen vertritt ein biblisch realistisches Menschenbild. Durch seine Rebellion gegen Gott verlor der Mensch viele seiner schöpfungsgemäßen Eigenschaften und die Gemeinschaft mit Gott. Francke bezeichnet den Menschen jetzt als Sünder, der in seinem Wesen verderbt und zu allem Guten ohnmächtig ist. Die Bosheit kommt nicht durch Umwelteinflüsse oder Erziehung zustande, „sondern aus dem innerlichen bösen Samen des menschlichen Herzens“. Die Korruption der menschlichen Natur kann nicht durch fromme Leistungen oder Erziehung aufgehoben werden. Nicht Menschen oder Schulen können diese böse Anlage letztlich verändern, sondern nur die Gnade Gottes allein. Erzieherische Maßnahmen sind dabei lediglich Mittel wie Pflanzen und Begießen, zu denen Gott das Gedeihen geben muss.
Letztlich muss der Mensch eine Bekehrung erfahren, in der Gott sein altes Wesen gründlich umgestaltet. Die Liebe Gottes muss an die Stelle der Eigenliebe treten.
„Die Eigenliebe, die mit der Weltliebe allezeit verknüpft ist, ist aller Laster Anfang und Ursprung, aber die Liebe Gottes ist eine Wurzel aller Tugenden. Die Eigen- und Weltliebe habt ihr von Natur; aber die Liebe Gottes habt ihr nicht von Natur. Die Eigen- und Weltliebe ist das Unkraut, ja die Disteln und Dornen, so auf dem Acker eures Herzens von sich selbst wachsen.“
Für Francke muss die Erziehung auf das Alter der Kinder abgestimmt sein. Kleine Kinder benötigen feste Vorgaben, an denen sie sich zu orientieren lernen müssen. Sie werden vor allem durch Vorbilder und ihre direkte Umgebung geprägt. Sie neigen dazu, „alles was sie sehen, nachzumachen, und weil ihnen noch alles neu ist, was sie sehen und hören, leichter im Gedächtnis behalten.“
Je älter die Kinder werden, je stärker müssen sie in Entscheidungen einbezogen werden und sich darin üben, mit den neuen Freiheiten verantwortungsvoll umzugehen. Es ist nötig, „daß man sie allmählich zu größerer Freiheit kommen lasse, damit sie dieselbe nicht darnach plötzlich bekommen, und dadurch in ihrem guten Laufe einen großen Anstoß leiden.“ So sollen die Kinder Stück für Stück zur Selbstständigkeit angeleitet werden. In der Pubertät benötigen die Kinder nach Francke eine besondere Aufmerksamkeit, „weil die Natur in solchen Jahren unterschiedliche Laster herauszubrechen pfleget“
In all seinen Überlegungen geht Francke davon aus, dass nicht alle Kinder schematisch gleich, sondern jedes nach seinem unterschiedlichen Wesen behandelt werden muss. In seiner Erkenntnis dieser Individualität eines Kindes und seinen verschiedenen Lebensphasen ist Francke seiner Zeit weit voraus.
3.2. Das Ziel der Erziehung
Francke legt das Ziel seiner Erziehung in seinem Buch „Kurzer und einfältiger Unterricht, wie Kinder zur wahren Gottseligkeit und christlichen Klugheit anzuführen sind“ folgendermaßen fest:
„Die Ehre Gottes muss in allen Dingen, absonderlich in Auferziehung und Unterweisung der Kinder als der Hauptzweck immer für Augen sein, sowohl dem Praeceptori, als dem Untergebenen selbst.“
Franckes Erziehungsziel erschöpft sich nicht in der innerweltlichen Gelehrsamkeit der Humanisten oder der Galanterie des Adels.
„Lehrer und Schüler sollen ihr Tun, Lehren, Erziehen und Lernen zur Ehre Gottes vollbringen. Alles andere, die Vorbereitung auf einen späteren Beruf und den Lebensunterhalt seinen Nebenzwecke, die, wenn sie zum Hauptzweck werden, die Kinder auf materielle Dinge ausrichten und sie mit Ehrsucht, Geiz, Neid u. a. erfüllen. Sie schaden damit sich selbst und anderen. Vor allem aber verhindern sie schließlich ihr ewiges Heil. Dagegen sollen Kinder zuerst zur Ehrfurcht und Liebe gegen Gott erzogen werden, damit sie wieder zu dem werden, wozu sie Gott geschaffen hat.“
Gott wird insbesondere dadurch geehrt, wenn Erzieher und Kinder wieder in Gemeinschaft mit Gott leben und sich so verhalten wie er es ursprünglich für sie vorgesehen hat. Die Kinder sollen so zu ihrer schöpfungsgemäßen Bestimmung zurückfinden.
Das Haupterziehungsziel der Ehre Gottes machte Francke aber keineswegs zu einem weltabgeschiedenen Frömmler. Im Gegensatz zum damals üblichen Unterricht sollen praxisorientierte Fächer dem Schüler helfen, sich gut auf seine späteren Tätigkeiten vorzubereiten.
„Francke wollte den Schülern nicht nur helfen, gute Christen zu werden, sondern auch ihre Fähigkeiten zu entfalten und als Christen in dieser Welt ihr Leben zur Ehre Gottes zu gestalten.“
Wahre Gottseligkeit ist für Francke der lebendige Glaube im Gegensatz zum bloßen Fürwahr halten dogmatischer Aussagen.
Obwohl Francke sich darüber im Klaren war, dass er Kinder nicht zu Christen erziehen kann, verfolgt er das Ziel, ihnen auf ihrem Weg mit Gott jede nur mögliche Hilfe zu geben. Um die vollkommene Ausrichtung auf Gott zu erlangen, muss zuerst der Eigenwille des Menschen gebrochen werden.
3.3. Mittel der Erziehung
3.3.1. Das Vorbild
Für Francke steht fest, dass Kinder vor allem durch Vorbilder lernen.
Für Francke steht fest, dass Kinder vor allem durch Vorbilder lernen. Deshalb fordert er alle an der Erziehung beteiligten Personen auf, bewusst gute Vorbilder für die Kinder zu sein und diese auch darauf hinzuweisen.
„Die wahre Gottseligkeit wird der zarten Jugend am besten eingeflößt durch das gottselige Exempel des Praeceptoris selbst, wie auch der Eltern, Großeltern und anderer, die an Eltern statt sind, wie nicht minder durch das Exempel all derer, mit welchen sie umgehen.“
So wie das gute Vorbild vor den Kindern hervorgehoben werden sollte, um es nachzuahmen, müssen die Kinder wenn möglich von schlechten Vorbildern ferngehalten werden, da sie nicht nur positiv sondern auch negativ durch Vorbilder geprägt werden.
„Denn die Kinder machen alles nach, es sei Gutes oder Böses.“
Nach Francke sollen die Erzieher dafür sorgen, dass die Kinder möglichst viel guten Umgang mit vorbildlichen Personen und wenig mit anderen haben, die sich schlecht verhalten. In der Pubertät empfiehlt er besonders die häufigen Gespräche mit vorbildlichen Erwachsenen, damit die Jugendlichen gut auf den ihnen bevorstehenden Lebensabschnitt vorbereitet werden.
3.3.2. Die christliche Unterweisung
Kinder sollen nach Francke die Texte auch nicht bloß auswendig lernen, sondern verstehen.
Schon von Anfang an, „gleichsam mit der Muttermilch“, empfiehlt Francke, mit einer Einführung in die christliche Lehre zu beginnen. Dabei soll darauf geachtet werden, die biblische Lehre in einer Form vorzubringen, die dem Alter der Kinder entspricht. Kinder sollen nach Francke die Texte auch nicht bloß auswendig lernen, sondern verstehen. Es ist ferner wichtig, sie systematisch anzuleiten selbst zu beten, in der Bibel zu lesen usw. Älteren Kindern soll dann der Kleine Katechismus Luthers und die Zusammenhänge der Heilsgeschichte Gottes beigebracht werden. Dadurch lernen die Kinder auch den historischen Zusammenhang des Glaubens kennen. Ziel des katechetischen Unterrichts ist es, dass die Kinder den Willen Gottes für ihr Leben erkennen und tun lernen.
3.3.3. Das eigene Bibellesen
Sobald die Kinder Lesen und Schreiben erlernt haben, empfiehlt Francke, sie selbstständig in der Bibel lesen zu lassen.
Sobald die Kinder Lesen und Schreiben erlernt haben, empfiehlt Francke, sie selbstständig in der Bibel lesen zu lassen. Dadurch sollen sie alles bisher Gehörte und Erlebte der Bibel zuordnen lernen. Francke lässt die Kinder die Bibel von vorne bis hinten durchlesen, legt für die persönliche Beschäftigung der Kinder mit der Bibel aber einen Schwerpunkt auf das Neue Testament, „weil solches den ganzen Grund unserer Seligkeit viel klarer und leichter an den Tag leget als das alte Testament“.
Um noch stärker vom Denken Gottes geprägt zu werden, fordert Francke die Kinder dazu auf, Bibelverse auswendig zu lernen. Damit Verse nicht nur gelernt, sondern auch verstanden werden, soll der Lehrer immer wieder Rückfragen zum Inhalt stellen. Zu Joh. 3,16 könnte demnach etwa folgende Fragen gestellt werden:
„Wer hat die Welt geliebet? Resp. Gott. Wen hat Gott geliebet? Resp. Welt. Was hat Gott der Welt gethan? Resp. Er hat sie geliebet. …“
Ist eine biblische Aussage verstanden worden, soll sie nach Francke baldigst im alltäglichen Handeln eingesetzt werden. Damit das Gelernte auch im Leben angewandt werden kann, schlägt Francke vor, nicht mehr als einen Vers in der Woche zu lernen. Sind nach einiger Zeit mehrere Bibelstellen auswendig gelernt, soll der Lehrer oder die Eltern diese Verse für das Kind in den gesamtbiblischen Zusammenhang gestellt werden. Das soll auch dabei helfen, seinen Glauben vor anderen systematisch bekennen zu lernen. Lernen – Verstehen – Tun ist ein wichtiger Dreischritt in der Erziehung Franckes. Auch die Betonung von Lernen durch Übung, Einsicht und dem Einordnen des Gelernten in bereits bekannte Zusammenhänge entsprechen moderner pädagogischer Erkenntnis.
3.3.4. Das Gebet
Kinder sollen nicht nur auswendiggelernte Gebete vortragen können, sondern lernen, sich offen Gott gegenüber auszudrücken. Dabei soll der Erzieher darauf achten, dass das Kind Gebete mit Andacht und Aufmerksamkeit, langsam und verständlich spricht. Während des Gebets soll der Erzieher das Kind nicht durch scharfe Blicke oder Ermahnungen erschrecken. Ferner soll der Erzieher die Kinder dazu anleiten, Gebete mit eigenen Worten zu formulieren und bei vorgegebenen Gebeten verstehen helfen, was sie beten.
3.3.5. Tugenden und Laster verdeutlichen
„Wer sich jung zum Müßiggang gewöhnet hat, wird im Alter deshalb nicht gerne Arbeiten.“
Indem er den Kindern Tugenden und Laster in lebendigen Farben vor Augen malt, will Francke die Kinder auch emotional zum Guten bewegen. Sie sollen eine Abscheu gegenüber den Lastern und eine Sympathie gegenüber den Tugenden entwickeln. Jedes Anzeichen eines guten Verhaltens soll verstärkt und gefördert werden. Mit göttlichen Verheißungen und Gerichtsandrohungen sollen den Kindern auch die Konsequenzen des eigenen Handelns vor Augen gestellt werden.
Insbesondere sollen in der Erziehung die Tugenden Wahrheit, Gehorsam und Fleiß gefördert und die Laster Lügen, Eigenwilligkeit und Müßiggang eingedämmt werden. Um die Liebe zur Wahrheit zu fördern, stellt Francke den Kindern die Lüge als grausame Sünde und spezielle Eigenschaft Satans dar. Sogar Märchen, Komödien und Romane verwirft er, weil ihr Inhalt erdichtet sei und Kinder zum Lügen anleite.
Gehorsam gegenüber den Erziehern soll schon früh eingeübt werden. Kinder sollen demnach dazu geführt werden, ihren von der natürlichen Selbstsucht gekennzeichneten Willen zu überwinden und den Willen Gottes an diese Stelle zu setzen. Durch die Erziehung zum Gehorsam soll die Eigenliebe durch Gottes Liebe ersetzt werden. Die Erzieher fordert Francke auf, keine willkürliche Herrschaft über die Kinder auszuüben oder ihren Gehorsam lediglich zu ihrem eigenen Vorteil zu missbrauchen.
Die Einübung in Fleiß und Liebe zur Arbeit geschieht zur Vorbereitung für die Aufgaben des späteren Lebens.
„Wer sich jung zum Müßiggang gewöhnet hat, wird im Alter deshalb nicht gerne Arbeiten.“
Die Zeit neben dem Unterricht sollte nicht mit Unnützem vertan werden, statt dessen sollte der Schüler auf den Nutzen für seinen späteren Beruf achten und entweder Musik machen, handwerkliche Fertigkeiten üben oder sich auf dem eigens angelegten Sportplatz betätigen. Wobei Sportarten wie Fechten, Tanzen und Reiten verboten wurden, weil sie zum Hochmut und zu weltlichen Lüsten anreizen.
Eltern und Lehrer sollen die Arbeit allerdings auch nicht übertreiben und immer wieder Phasen der Erholung einplanen. Francke denkt dabei an Tätigkeiten, „darin die Kinder zwar ausruhen, aber die Zeit damit nicht unnützlich vertreiben, noch ihre ohnedem flatterhaften Sinne in alle Welt zerstreuen.“ Kleinen Kindern schlägt er Malen und Geschichten aus der Bibel vor, größeren einfache mathematische Aufgeben, Astronomie oder vom Erzieher begleitete Spaziergänge.
3.3.6. Erziehung durch Liebe
Besonders wichtig erscheint es Francke, Kinder nicht nur durch Zwang und Druck zu erziehen, sondern ihnen durch „Lust und Liebe“ das Gute beizubringen.
Besonders wichtig erscheint es Francke, Kinder nicht nur durch Zwang und Druck zu erziehen, sondern ihnen durch „Lust und Liebe“ das Gute beizubringen. Anderenfalls werden sie sich möglicherweise nur anpassen und nur „den äußeren Schein eines gottseligen Lebens“ annehmen ohne wirklich von der Kraft Gottes erfasst zu sein. Um die Freude beim Lernen zu gewährleisten, sollten Kinder keine zu umfangreichen oder komplizierten Bücher vorgelegt bekommen, die Erwartungen sollten sich an ihrem Alter und ihrer Intelligenz orientieren. Wichtig ist es für Francke, dass die Erzieher nicht mürrisch und zornig, sondern liebevoll und freundlich mit den Kindern umgehen.
„Soll in solchen zarten Herzen Glauben und Liebe und also das rechtschaffende Wesen, das in Jesus ist, erwecket werden, müssen sie gewiß durch Lieblichkeit des evangelii, und nicht durch die Strenge des Gesetzes dazu angeleitet und angeführet werden.“
So soll eine Atmosphäre des Vertrauens entstehen, die dem Lernen zugute kommt. Trotzdem muss die Autorität des Erziehers aber gewährleistet bleiben.
3.3.7. Hilfe durch Kontrolle
Die Informatoren teilten mit den Scholaren die Schlafräume und waren bei den Mahlzeiten anwesend. In den Schultüren waren Gucklöcher, damit die Schüler und die Informatoren jederzeit beobachtet werden konnten. Kein Schüler durfte das Gelände ohne Aufsicht verlassen. Mädchen und Jungen wurden in getrennten Häusern untergebracht und die Türen der Gemeinschaftsräume und Speisesäle außerhalb der Veranstaltungen verschlossen, um ein heimliches Treffen zu verhindern. Briefe an Freunde und Eltern mussten vorher zur Zensur vorgelegt werden, die Lektüre aller Bücher, außer den Schulbüchern, wurde verboten, in den Pausen durfte nicht über den Unterricht gesprochen werden, „damit sie nicht raisonierten wie die Heiden“. Die Scholaren und Studenten wurden angehalten, der Anstaltsleitung regelmäßig übereinander Auskunft zu geben. Diese Kontrolle sollte nach Francke schon den Keim jeder Sünde erkennen und bekämpfen. Bei den willensstarken und begabten Schülern kam es zu Auflehnung, Hass gegen die Lehrer und Trotz. Die meisten Kinder allerdings fühlen sich hier wohl und geborgen.
Neben der Fremdkontrolle spielte die Selbstkontrolle in Halle eine große Rolle. Jeden Abend sollten die Schüler ein „examen conscientiae“ anstellen und sich prüfen, „wie sie den Tag hingebracht, wie sie sich gegen Gott und gegen ihre Vorgesetzten bezeiget.“ Auch die Studenten sollten einen täglichen Rechenschaftsbericht anlegen, um die göttliche Providenz, die Bestimmung ihres Lebens, zu erkennen. Dabei war sich Francke darüber im klaren, dass Glaube ein göttliches Werk ist und sich nicht erzwingen lässt, er wollte die Schüler aber immer wieder vor die Entscheidung für oder gegen Christus stellen, um dann die Heiligung voranzutreiben.
3.3.8. Ermahnungen
Unter Erwähnung von Eph 6 weist Francke darauf hin, dass Kinder auf der Grundlage der Bibel ermahnt werden müssen. Diese Ermahnungen sollen deutlich, verständlich, mit Geduld und zur rechten Zeit vorgebracht werden. Für besonders wichtig hält es Francke, dem Kind immer wieder aufzuzeigen, dass es sich nicht zuerst einem menschlichen Willen, sondern dem Willen Gottes unterzuordnen habe. Der Erzieher muss dem Kind deutlich machen, dass seine Anordnungen ihre Begründung in den Aussagen der Bibel findet und er muss sich in seinem Verhalten selbst nach den Forderungen Gottes richten. So wird dem Kind deutlich, dass ein solches Verhalten sich lohnt und Gott verherrlicht.
3.3.9. Notwendige Strafen
Nach Francke sind Strafen, auch körperliche Strafen nötig, müssen aber mit Bedacht eingesetzt werden:
„Denn es wird leichtlich geschehen, daß das Gute durch unzeitige Bestrafung an den Kindern mehr ersticket als befördert wird.“ „Unbedachtes Strafen erzeugt Hass gegen die Eltern und Lehrer und führt zu einem heuchlerischen Lebenswandel, weil die Kinder dann nur alles aus Furcht tun und nicht, weil es ihnen ein Anliegen ist. So aber werden die Kinder gehindert zum lebendigen Glauben zu finden …“
Bei einer notwendigen Bestrafung fordert er die Erzieher auf, folgendes zu beachten:
- Die Ehre Gottes und die Liebe zum Kind, nicht momentane Emotionen, sollen Ausgangspunkt einer Strafe sein. Erzieher sollen „zuvor sich selbst überwinden, ehe sie die Bestrafung der Kinder fürnehmen.“ Vorbildlich erwähnt er den Vater, der vor der Züchtigung der Kinder gebetet habe, um sich selbst beherrschen zu können.
- Dem Kind muss vermittelt werden, dass die Bestrafung nur aus der Liebe heraus geschieht, dass sie notwendig für das Wohl des Kindes ist. „Daß auch die Kinder unschwer erkennen mögen, daß man nicht seine Lust daran habe, sie zu schlagen, sondern daß man lieber alle Ruthen wegwerfen und sie nur allein mit Worten ziehen wollte, wenn es nicht die hohe Nothdurft erfordert hätte.“ Eltern und Lehrer müssen sich gegenseitig unterstützen, damit die Bestrafung nicht ihre Wirksamkeit verliert.
- Bevor körperliche Strafen ausgeführt werden, soll das Kind erst freundlich ermahnt werden und eine Möglichkeit zur Besserung erhalten. Muss das Kind trotzdem körperlich gezüchtigt werden, soll der Erzieher es über diese Notwendigkeit aufklären und den Grund der Bestrafung erklären.
- Tat und Motive bestimmen über eine angemessene Strafe.
- Die körperliche Züchtigung soll durchaus körperlich schmerzen nicht aber der Gesundheit des Kindes schaden. Francke verbot seinen Erziehern, Kinder etwa mit dem Stock auf den Kopf oder ins Gesicht zu schlagen. Auch sollen sie durch die Strafe nicht unnötig erniedrigt werden.
- Die Strafe soll unter „herzlichem Mitleiden“ des Lehrers vollzogen werden. Das Kind soll erkennen, dass die Strafe als eine notwendige Konsequenz seines Tuns vollzogen werden muss und es selbst vor weiteren negativen Auswirkungen der falschen Verhaltensweisen schützt. „Ist auch nützlich, daß den Kindern mit Fleiß beigebracht werde, dass sie alle Bestrafung für eine Wohltat zu achten, weil dadurch verhindert wird, daß sie nicht in ihrer Bosheit aufwachsen, und danach Gott in sein schweres Gericht verfallen.“
- Mit der Bestrafung muss die Angelegenheit erledigt sein. Der Erzieher soll sich dem Kind wieder zuwenden und ihm die böse Tat nicht nachtragen.
- Mit Weisheit von Gott sollen die Erzieher darauf achten, das sich die Strafen an den individuellen Eigenarten des jeweiligen Kindes orientieren. Manche Kinder brauchen mehr Härte und Strafe als andere, abhängig von ihrem Charakter und ihrer Persönlichkeit.
3.4. Inhalte der Erziehung
Die Aufmerksamkeit der Kinder beim Lernen will Francke durch die Anwesenheit des Lehrers, die geringe Schülerzahl, kleine Unterrichtseinheiten und die Konzentration auf jeweils ein Unterrichtsinhalt fördern.
Bei der Erziehung zur Gottseligkeit wendet sich Francke stärker dem Geist und dem Willen des Kindes zu. In der Erziehung zur christlichen Klugheit geht es um die Entwicklung des Verstandes. Im Gegensatz zu weltlicher Klugheit soll nicht nur totes Wissen, sondern seine gottgefällige Einordnung und Anwendung beachtet werden. Zwar schätzt und fördert Francke die Kenntnis der Wissenschaften, allerdings nicht um ihrer selbst willen, sondern in ihrer Ausrichtung auf das tägliche Leben und die Ehre Gottes.
Die Aufmerksamkeit der Kinder beim Lernen will Francke durch die Anwesenheit des Lehrers, die geringe Schülerzahl, kleine Unterrichtseinheiten und die Konzentration auf jeweils ein Unterrichtsinhalt fördern. Außerdem soll der Lehrer seinen Schülern helfen, das „merk-würdige“ das wichtigste, beim Lernen zu erkennen und zu behalten. Besonders intensiv lernen Kinder nach Francke durch eigene Erfahrungen. Eigene Erfolge und Fehler sollen ihnen helfen, sich zukünftig besser zu verhalten. Der Erzieher soll die Kinder immer wieder an ihre Erfahrungen und Erfahrungen aus der Geschichte erinnern, damit diese nicht vergessen werden. Darüber hinaus soll der Lehrer sich mit Vorurteilen und vorgefassten Meinungen auseinander setzen und den Kindern helfen, solche zu erkennen und nach den wirklichen Hintergründen zu suchen. Alles intellektuell Gelernte muss ferner angewandt werden, um in Erinnerung zu bleiben und für das Leben fruchtbar zu werden. Dazu muss der Erzieher den Kindern Hinweise geben, wann und wo der erlernte Stoff sinnvoll verwendet werden kann. Soweit möglich, soll er die Kinder auch in Situationen begleiten, in denen sie Erlerntes praktizieren können. Das Studium der Geschichte und der Literatur soll die eigenen Erfahrungen ergänzen und den Kindern helfen, durch Vorbilder zu lernen.
Stetig sollen die Kinder dazu angehalten werden, ihren Lerninhalt und ihr Verhalten rational am Maßstab der biblischen Ordnungen (Ehre Gottes) zu überprüfen. Kinder sollen sich über den Gründen ihres Tuns klar werden, damit sie nicht unüberlegt handeln, wobei sie durch ihren eigenen Willen betrogen und verführt würden. Die Kinder müssen verstehen, „daß alles thöricht und närrisch gehandelt sei, was man nicht zur Ehre Gottes anfange und verrichte.“
Immer wieder ist es nach Francke notwendig, die Kinder deutlich und eindringlich vor Irrwegen und falschen Handlungsweisen zu warnen. Kinder sollen „bei guter zeit gewarnet werden für allen denjenigen, daraus ihnen dermaleinst eine gefahr entstehen könnte, und sie von ihrem guten Wege möchten plötzlich oder allmählich abgeführet werden.“
3.5. Der christliche Erzieher
„Der Mensch ist nur pädagogisches Werkzeug und Mittler.“
Für Francke kommen als Erzieher nur bewusst gläubige Menschen in Frage. Auch diese benötigen allerdings noch eine zusätzliche christliche pädagogische Ausbildung, weil die weltlichen an der Universität erworbenen Kenntnisse christlichen Überzeugungen häufig widersprachen. Aus diesem Grund richtet Francke für seine Anstalten ein eigenes Lehrerseminar ein. Der Erzieher soll seinen Kindern in allem ein Vorbild sein. Kinder sollen an ihm erkennen können, wie lebendiger Glaube im Alltag aussieht. Der Lehrer soll Lernen und Freizeit seiner Schüler begleiten und ihnen immer wieder das Ziel ihrer Ausbildung in Erinnerung rufen. Natürlich ist Francke klar, dass ein Mensch mit einer solchen Aufgabe der idealen Erziehung eigentlich überfordert ist. Für ihn ist deshalb auch Gott der eigentliche Erzieher.
„Der Mensch ist nur pädagogisches Werkzeug und Mittler.“
Er pflanzt und begießt, doch Gott muss Wachstum und Gedeihen schenken.
„Das Werk der Erziehung ist über alle Kräfte des natürlichen Menschen. Es muss durch den Geist Gottes geführet werden, wo der im Herzen wohnet und regieret, da wird allein der rechte Grund dazu geleget. So auch jemand gedenken wollte, dass er durch seine Sorgfalt und Fleiß, oder durch seine Klugheit und Verstand die Kinder recht erziehen wollte, so würde es ihm am wenigsten gelingen. Es richtests kein menschlicher Verstand aus, und auch die, so Gott fürchten, dürfens auf ihre eigenen Kräfte nicht ankommen lassen. Das beste muss durchs Gebet ausgerichtet werden, und derjenige stehet der Auferziehung der Jugend am besten für, der am ernstlichesten für Gott tritt.“
Der Erzieher muss beständig seine Abhängigkeit von Gott vor Augen behalten und die Kraft für seine Aufgabe aus der Verbindung mit Gott insbesondere aus dem Gebet ziehen. Trotz seiner letztlichen Unfähigkeit, das Kind wirklich zu verändern, fordert Francke den Erzieher dazu auf, sich fleißig, nach besten Wissen und Gewissen um die ihm anvertrauten Kinder zu kümmern. Zwar soll er immer mit der Hilfe Gottes auch in den praktischen Fragen der Erziehung rechnen, trotzdem muss er aber seinen Unterricht gründlich vorbereiten und sein pädagogisches Vorgehen bestmöglich planen.
3.6. Unterrichtsmethoden an Franckes Schulen
Francke entwickelt ein dreigliedriges Schulsystem, das die Kinder optimal auf ihre späteren Aufgaben vorbereiten soll. Dabei war es bei entsprechender Begabung auch als Kind einfacher Eltern möglich, die Bürgerschule oder die Lateinschule zu besuchen. In der Armenschule wurden grundsätzliche Fertigkeiten und Kenntnisse, wie Lesen, Schreiben, Rechnen, Musik und Glaubensfragen unterrichtet. In der sich anschließenden Bürgerschule wurden künftige Handwerker ausgebildet. Neben den schulischen Grundfertigkeiten wurden hier verstärkt praktische und handwerkliche Fähigkeiten ausgebildet. In der Lateinschule sollten die Kinder auf das Studium vorbereitet werden. Zusätzlich zum Unterricht der beiden anderen Schulstufen wurden hier Latein, Griechisch und Hebräisch unterrichtet. Die Fächer konnten sich die Schüler nach ihrer individuellen Begabung wählen, wobei manche Kurse als Voraussetzung für spätere galten, wie Geographie für Geschichte. Außerdem wurden alle Fächer in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden angeboten, sodass jeder nach seinen Fähigkeiten gefördert werden konnte. Für Schüler mit zeitweiligen Lernproblemen richtete Francke in Halle einen zusätzlichen Förderunterricht ein. Wer seine Prüfungen nicht bestand, konnte den Unterrichtskurs wiederholen ohne sitzen zu bleiben. So versuchte Francke, auch der unterschiedlichen Lerngeschwindigkeit seiner Schüler Rechnung zu tragen. Im Pädagogikum wurden insbesondere Kinder aus adligem Haus aufgenommen. Wer hier nicht studieren wollte, konnte die Realschule mit Rechnen, Latein, Französisch und Wirtschaftskunde besuchen, um sich auf einen praktisch orientierten Beruf vorzubereiten. Alle übrigen sollten im Pädagogium auf ihre potentiellen Führungsaufgaben optimal vorbereitet werden.
„Von der nutzlosen repräsentativen Lebensführung sollen sie zu einer Haltung erzogen werden, in der sich lebendiges und tätiges Christentum mit weltmännischer Bildung verbindet. Eine Akademie weltmännischer christlicher Bildung auf pietistischer Grundlage soll sie zurüsten, dem Reiche Gottes zu dienen. Francke gründet die erste Schulsternwarte in Deutschland, einen botanischen Garten, ein natur- und völkerkundliches Museum, die Naturalienkammer genannt, und eine Werkstatt mit mechanischen Instrumenten für den Handwerksunterricht. Das alles geschieht erstmalig in deutschen Schulen.“
Im Unterricht wurden zahlreiche praktischen Bezüge zum Alltagsleben der Kinder oder zu ihrer späteren Tätigkeit gezogen. Mittwochs und Sonnabends sollten die Schüler in der Stadt Handwerker besuchen, um sich über ihren zukünftigen Beruf zu informieren.
Jeder Unterricht war nach dem Dreischritt „lernen – verstehen – anwenden“ aufgebaut. Neben den genannten Unterrichtsfächern standen täglich zwei Stunden christliche Unterweisung auf dem Stundenplan. Der Unterricht wurde nach einem Kurssystem aufgebaut, sodass die Schüler nie mehr als drei Fächer parallel nebeneinander lernen mussten. Waren diese Fächer nach 16 Wochen mit einer Prüfung abgeschlossen, traten neue Fächer an ihre Stelle. Die absolvierten Fächer wurden dann noch zweimal wöchentlich wiederholt, um nicht in Vergessenheit zu geraten.
4. Franckes Herausforderungen für heute
Auch heute benötigen Kinder in einer pluralistischen Welt klare Orientierungshilfen, die eine christliche Erziehung nach dem Vorbild Franckes zu geben vermag.
- Realistische Einschätzung des Menschen als Sünder
- Ehre Gottes als Erziehungsziel
- Wissen der Erzieher um ihre Abhängigkeit von Gott
- Bedeutung des Gebets für die Erziehung
- Hoffnung – Gott selbst arbeitet an den Kindern
- Vertrauen auf Gott bei aller Erziehung
- Verbindung zwischen Glauben und Leben
- Erziehung in Zuwendung und Liebe in anonymer Zeit
- Biblische Orientierungshilfen in einer pluralistischen Welt
- Erziehung zum Gehorsam Gott gegenüber
- Beachtung der Individualität der Kinder in Erziehung
- Standesunterschiede relativieren
- Förderung der Schüler nach Fähigkeiten und späteren Anforderungen
- Kinder brauchen Vorbilder
- Den Umgang der Kinder positiv beeinflussen
- Enge Beziehung zwischen Lehre und Schüler
- Gemeinschaft von Jugendlichen und Erwachsenen
- Lehren durch Warnungen und Vorbilder untermauern
- Tugenden bewusst fördern
- Missionarische Motivation der Kinder
- Bedeutung der christlichen Unterweisung in der Erziehung
- Verantwortung der Kinder in Schule und praktischer Arbeit
- Einüben eines sinnvollen Umgangs mit der Freizeit
- Skepsis gegen die Beeinflussung der Kinder durch die Unterhaltungssucht der Umwelt
- Notwendigkeit und Begrenzung von Strafen
- Bestrafung nicht aus dem Affekt heraus
- Ausbildung der Lehrer in christlicher Pädagogik