ThemenBibelverständnis

Wie legen wir die Bibel aus?

Der Vortrag wurde auf der 10. Haupttagung des Bibelbundes Schweiz am 12. November 2005 in Zollikofen gehalten. Der Autor formuliert hermeneutische Voraussetzungen und Kriterien, um die Frage zu klären, ob eine biblische Weisung kulturbedingt, situationsbedingt oder für alle Zeiten gültig ist.

Bei der Auslegung der Bibel stoßen wir immer wieder auf die Frage, ob eine bestimmte Weisung für alle Zeiten oder nur für eine beschränkte Zeit gelte. Eine solche Frage führte zum ersten theologischen Disput in der Urgemeinde, der am sogenannten Apostelkonzil entschieden wurde (Apg 15). Die Frage lautete damals, ob die von Mose gebotene Beschneidung für alle Zeiten und alle Menschen gelte oder nicht.

Fragen dieser Art sind heute von ungeheurer Bedeutung. Wir leben in einer Zeit, in der biblische Überzeugungen, die seit der Reformation Gemeingut der bibelgläubigen Christenheit waren, preisgegeben werden. Handelt es sich dabei lediglich um alte Zöpfe, die längst hätten abgeschnitten werden müssen? Oder geben wir Glaubenssubstanz preis?

Wir können auf solche Fragen selbstverständlich nicht mit dem Verweis antworten, man müsse alles tun, was in der Bibel steht. Dass das nicht stimmt, zeigt das eben erwähnte Beispiel des Apostelkonzils. Und wie verhält es sich mit folgenden neutestamentlichen Aussagen:

  • „Heilt Kranke, weckt Tote auf, reinigt Aussätzige, treibt Dämonen aus… verschafft euch nicht Gold noch Silber noch Kupfer in eure Gürtel“ (Mt 10,8.9)
  • „Grüßt einander mit Heiligem Kuss!“ (Röm 16,16)
  • „Wenn nun ich, der Herr, euch die Füße gewaschen habe, so seid auch ihr schuldig, einander die Füße zu waschen“ (Joh 13,14).
  • „Ich erlaube einer Frau nicht zu lehren“ (1Tim 2,12)?

Sind diese Weisungen alle für uns verbindlich?

Oder müssen auch wir unsere Habe verkaufen und alles mit den andern Gläubigen gemeinsam haben (Apg 2,44.45)?

Oder sollten wir wie Paulus das Gelübde eines Nasiräers auf uns nehmen (Apg 18,18)?

Zum Bruderkuss können wir vielleicht sagen: Im Kulturkreis des Neuen Testaments drückte man unter Männern Zuneigung und Gemeinschaft durch einen Kuss aus; heute tun wir das Gleiche durch einen kräftigen Handschlag. Die Weisung sei also kulturell bedingt. Und das Verbot an die Frauen zu lehren, war das nicht auch kulturell bedingt?

Müssten wir nicht sagen, in unserer Zeit bestehe kulturell kein Anlass, den Frauen das Lehren und das Vorstehen in der Gemeinde zu verweigern, im Gegenteil: Es gehe direkt gegen unser Zeitgefühl und damit gegen unsere Kultur, sei also der Sache des Herrn hinderlich und könne deshalb nicht in Seinem Sinne sein.

Können wir in der Bibel Richtlinien finden für die korrekte Auslegung solcher Texte und Aussagen? Oder dürfen wir in der Bibel überhaupt solche Richtlinien erwarten? Will die Bibel solche geben? Ist es nicht vielmehr so, wie man heute immer häufiger hört: Die Bibel sei unsere Autorität in Fragen des Heils, Punkt. Sie sei nicht Autorität in den Fragen des persönlichen Lebens, und sie gebe keine verbindlichen Richtlinien zum Aufbau, zur Organisation und zum Funktionieren der Gemeinde. Da seien wir ganz frei, solange wir den großen Auftrag der Gemeinde vor Augen behalten.

Wir haben uns als Bibelbund einem aktuellen Problem gestellt, das wir gemeinsam anhand der Bibel zu beantworten suchen. Wie müssen wir die neutestamentlichen Weisungen über die je verschiedenen Aufgaben und Dienstbereiche von Mann und Frau verstehen? Lehrt die Bibel selbst, wie wir sichere Antworten auf diese Frage bekommen? Können wir der Bibel verlässliche Kriterien entnehmen, um jeweils zu entscheiden, ob ein neutestamentlicher Befehl kulturbedingt oder situationsbedingt oder für immer verbindlich sei?

1 Voraussetzungen zum rechten Verständnis der Bibel

Ehe wir uns den eben gestellen besonderen hermeneutischen Fragen stellen, wollen wir uns über die Grundlagen aller Bibelauslegung klarwerden. Es gibt unveräußerliche Voraussetzungen zur rechten Deutung der Heiligen Schrift. Man kann diese zwei Gruppen zuordnen:

  • Grundüberzeugungen zum Schriftverständnis
  • Geistliche Verfassung des Bibellesers

Ich nenne zuerst drei unverzichtbare Voraussetzungen zum Schriftverständnis.

1.1 Die Klarheit der Schrift (perspicuitas scripturae)

Ps 19,8; 119,98–100; 1Kor 2,12–16; 2Tim 3,15

Bequeme Ausrede, um sich der scharfen Schneide des Wortes zu entziehen?

Diesen und anderen Stellen können wir entnehmen, dass dem Christen die Fähigkeit gegeben ist, das Wort Gottes zu lesen und zu verstehen. Das ist deshalb möglich, weil die Bibel erstens klar ist und weil Gott den Erlösten befähigt, Seine Gedanken zu verstehen. Dieser Punkt war den Reformatoren sehr wichtig. Die Römische Kirche gab (und gibt) immer zu verstehen, die Bibel sei so geheimnisvoll und so dunkel, dass der Laie sie nur falsch verstehen könne, weshalb er auf die autorisierten Lehrer der Kirche hören müsse. Wir betonen heute aus einem anderen Grund, dass die Schrift klar redet: Vielfach wird auf den Umstand verwiesen, es gebe so viele Meinungen über die Taufe, das Abendmahl, die verschiedenen Dienste und Aufgaben der Geschlechter usw., dass niemand mit Bestimmtheit sagen könne, was die Bibel lehrt. So hat man eine bequeme Ausrede, um sich der scharfen Schneide des Wortes zu entziehen, oder noch deutlicher gesagt: Um mit einem guten Gewissen zu tun, was einem gerade willkommen erscheint.

1.2 Die Vollkommenheit der Schrift

Ps 12,7; 19,8; 2Tim 3,16.17

Diese Stellen lehren uns, dass alles, was geschrieben steht, wahr und vertrauenswürdig ist. Es ist historisch zuverlässig und es ist sittlich vollkommen. Die Bibel enthält keine Irrtümer. Darum und darum allein kann alles, was geschrieben ist, uns zur Belehrung dienen (Röm 15,14).

1.3 Die Vollständigkeit, d.h. Allgenugsamkeit der Schrift (sola scriptura)

5Mo 4,2; Spr 30,6; Off 22,18.19; 2Pet 1,20.21

Diese Stellen lehren uns, dass die Schrift sich selbst erklärt:

a) Wir dürfen zur Erklärung eines Bibelabschnittes keine außerbiblischen Daten herantragen, die dessen Bedeutung festlegen. Zeitgeschichtliche Informationen können biblische Lehren erhellen, dürfen sie aber niemals begründen.

Denn sonst haben wir das reformatorische Prinzip, nach dem die Bibel durch die Bibel auszulegen sei, gebrochen und haben damit auch etwas zur Schrift hinzugetan.

b) Wir dürfen zur Erklärung eines Bibelabschnittes keine innerbiblischen Daten unterschlagen, denn wir dürfen von der Schrift nichts wegnehmen.

Wenn ich an diese drei Wahrheiten glaube, hat das Konsequenzen: Ich muss ein Bibelleser sein, um die Bibel gut auslegen zu könne. Tägliches, ausdauerndes, systematisches Lesen der Bibel ist unerlässlich. Ich muss in beiden Testamenten gleichermaßen zu Hause sein, darum sollte man jeden Tag in beiden lesen.

Zu den drei Voraussetzungen zum Schriftverständnis kommen vier geistliche Voraussetzungen.

1.4 Glaube

Ps 119,66: „Gute Einsicht und Erkenntnis lehre mich, denn ich habe deinen Geboten geglaubt.“

Ohne Glauben ist es unmöglich Gott zu gefallen; ohne absolutes Vertrauen in alle Seine Gebote, auch solche, die ich nicht verstehe, werde ich Gottes Gedanken nie verstehen. Manche Christen denken, sie müssten nur die Dinge glauben, die ihnen einleuchten, und man müsse nur das befolgen, was sich dem persönlichen sittlichen Urteilen empfiehlt. Damit machen wir uns zu Richtern über Gottes Wort, und die Folge ist die, dass Gott uns unserer natürlichen Verfinsterung im Denken und Urteilen überlässt (Röm 1,21; Eph 4,18).

1.5 Gehorsam

Gott erwartet von uns nicht, dass wir alles verstehen, was er sagt, aber er erwartet von uns, dass wir ihm in allem gehorchen

Wenn wir bereit sind, den Willen unseres Herrn zu tun, was er auch sei, werden wir Gewissheit bekommen. Das hat der Sohn Gottes bezüglich seiner Lehre gesagt (Joh 7,17). Gott erwartet von uns nicht, dass wir alles verstehen, was Er sagt (siehe Joh 13,7), aber Er erwartet von uns, dass wir ihm in allem gehorchen.

1.6 Gottesfurcht

Ps 25,14; Jes 66,1.2

Diese beiden Stellen zeigen, dass wir Gottes Gedanken nur verstehen können, wenn wir Ihn fürchten. Die Furcht des Herrn ist Anfang aller rechten Erkenntnis (Spr 1,7). Die Gottesfurcht ist die Pforte zum ganzen Haus der Weisheit (Spr 9,1–10). Wir müssen durch diese Pforte eingehen. Warum müssen wir Gott fürchten? Erstens, weil Er alles erschaffen hat. Wir sind als Seine Geschöpfe vollständig auf Ihn angewiesen. Zweitens, weil Er uns erlöst hat. Wir sind als Sünder vollständig darauf angewiesen, dass Er uns vergibt, uns rettet, uns bewahrt und uns vollendet.

Drittens, weil bei Ihm allein das Licht ist (Ps 36,10), in uns aber kein Licht ist, wie der Herr Seinen Jüngern ausdrücklich gesagt hat (Joh 11,10). Damit sind wir vollständig darauf angewiesen, dass Er uns lehre.

Gottesfurcht ist eine Umschreibung für unsere angemessene Beziehung zu Ihm. Ist diese angeschlagen, werden wir Sein Wort, Seinen Willen, Seine Werke und Seine Absichten nie richtig verstehen.

1.7 Erleuchtung durch den Heiligen Geist

Ps 19,9; 119,130; Joh 6,63; 1Kor 2,12.13.

Wir vertrauen darauf und wir beten darum, dass Gottes Geist uns Gottes Worte aufschließe. Das nennen wir Erleuchtung. Wir erwarten nicht Offenbarung, denn diese hat Gott Seinen inspirierten Propheten und Aposteln gegeben, die das Wort Gottes niederschrieben (1Kor 2,9.10). Wenn aber Gottes Geist uns ausschließlich durch das Wort Gottes lehrt und erleuchtet (Ps 19,9; 119,130; 2Sam 23,2)), dann müssen wir um alles in der Welt zusehen, dass wir dieses Wort lesen und immer besser verstehen.

Wenn wir trotz den unter Punkt 1–3 genannten Wahrheiten als Bibelleser und Exegeten zu verschiedenen Ergebnissen kommen, dann liegt das an der menschlichen Schwachheit, nicht an einem Makel in der Schrift. Dann liegt das an der Verfinsterung des menschlichen Verstandes, nicht an der mangelnden Klarheit der Bibel.

So bestehen unterschiedliche Meinungen über Erwählung, Vorherbestimmung und Verantwortung des Menschen, oder über die endzeitlichen Geschehnisse, über Bedeutung und Praxis der Taufe, oder eben auch über die Aufgaben der Frau in der Gemeinde. Heißt das nun, dass die Bibel in solchen Fragen nicht klar sei, und dass wir deshalb eher pragmatisch sein müssen, dass wir jeweils das für uns als biblisch bezeichnen und akzeptieren wollen, was sich in unsere Zeit und Umstände fügt? Dürfen wir nicht mehr erwarten und sollten wir nicht mehr anstreben, als in der Geschlechterfrage lediglich „einen gangbaren Weg“ für unsere Gemeinden zu finden? So drückt sich der Schweizer aus, wenn er für die irdischen Geschäfte in Gesellschaft und Politik maßvolle und praktikable Lösungen sucht. Das ist gut so, wo es um unser Zusammenleben als Staatsbürger geht. Aber es genügt nicht, wo es um unser Verhalten im Haus Gottes geht. In den Dingen, die Gott und Sein Haus betreffen, ist es ein großer Unterschied, ob ich bloß „einen gangbaren Weg“ finden will, oder ob ich entschlossen bin, so lange die Bibel zu untersuchen, zu beten und auf Gottes Lehren und Erleuchten zu warten, bis ich Seinen Weg und Willen erkannt habe.

2 Zeitlich beschränkte oder unbeschränkte Weisungen?

Ungenügende Kriterien:

  1. Ist die Befolgung der Weisung heilsnotwendig?
  2. Hindert oder fördert es die Evangelisation?
  3. Entspricht es dem Wesen Gottes?
  4. Hat Christus die Sache gelehrt?

Diese vier Kriterien werden häufig angerufen. Sie sind nicht falsch, aber sie sind ungenügend, um Fragen der uns interessierenden Art zu beantworten.

Stellen wir einmal diese vier Fragen an das Problem, das uns heute beschäftigt. Dürfen Frauen lehren und der Gemeinde vorstehen?

  1. Berührt die Frauenfrage die Errettung? Nein.
  2. Fördert es die Evangelisation, wenn Frauen lehren und vorstehen? Die meisten unserer Zeitgenossen würden sagen: Auf jeden Fall!
  3. Entspricht es dem Wesen Gottes, den weiblichen Teil der von Ihm erschaffenen und geliebten Menschheit mit einem Redeverbot zu belegen und von Leitungsaufgaben auszuschließen? Die meisten unserer Zeitgenossen würden laut sagen: Auf keinen Fall!
  4. Hat Christus gelehrt, Frauen dürften nicht lehren und keiner Gemeinde vorstehen? Nein, Er hat es nicht gelehrt.

Nach diesen Kriterien müssen wir zu folgendem Schluss kommen: Frauen stehen alle jene besonderen Aufgaben in der Gemeinde offen, die man bisher nur Männern überließ; natürlich immer vorausgesetzt, die Frau, die lehren und vorstehen will, sei auch dazu begabt.

Die Begabung wäre dann das wirkliche Kriterium, das uns in dieser Frage leiten muss. Das wird inzwischen von namhaften christlichen Persönlichkeiten evangelikalen Bekenntnisses vertreten.

Biblische Kriterien:

2.1 Biblische Weisungen sind verbindlich, es sei denn, die Bibel selbst hebe sie auf, begrenze sie oder verändere sie

Das lernen wir an folgenden Stellen: 5Mo 4,2; Spr 30,6; Offb 22,18.19. Diese zeigen uns, dass es dem Volk Gottes immer verboten war, etwas von der Offenbarung Gottes wegzustreichen oder hinzuzufügen. Niemand durfte die Mosebücher eigenmächtig ergänzen oder kürzen. Niemand darf zum Neuen Testament etwas hinzufügen oder etwas wegstreichen.

Erst als Gott nach Mose Propheten sandte und diese von Gott den Befehl bekamen, weitere Worte Gottes niederzuschreiben, durften sie es tun. David war ein Prophet (Apg 2,30). Durch ihn kündigte Gott an, dass die Opferordnungen von 3. Mose eines Tages erfüllt und aufgehoben werden sollten (Ps 40,7–9). Mit dem Kommen des Sohnes Gottes und Seiner Apostel wurden jene Bestimmungen des Alten Testaments als erfüllt und damit nicht mehr als verbindlich bezeichnet (Heb 10,5–9). Man beachte, wie der Verfasser des Hebräerbriefes bezüglich der Opfervorschriften ausdrücklich sagt: „Er nimmt das Erste weg, damit er das Zweite aufrichte“ (Heb 10,9). Gott selbst nahm damit von Seinem eigenen Wort weg.

Es folgen weitere Beispiele für alttestamentliche Weisungen, die im Neuen Testament aufgehoben oder modifiziert werden:

  • Der Alte Bund ist durch den Neuen abgelöst worden (Heb 8,13)
  • Den Christen wurde durch die Apostel ausdrücklich gesagt, dass die Beschneidung und die dazugehörigen Gebote aus dem Gesetz nicht verbindlich seien (Apg 15,28.29).
  • Das Gebot, fruchtbar zu sein und sich zu vermehren, wird durch den Herrn selbst und durch den Apostel Paulus ausdrücklich modifiziert, indem Ledigsein als eine mögliche göttliche Berufung bezeichnet wird (Mt 19,11.12; 1Kor 7,7).
  • Die vom alttestamentlichen Gottesvolk geführten Kriege sind durch unseren geistlichen Krieg abgelöst worden (Eph 6,12; 2Kor 10,3.4)

Von den neutestamentlichen Weisungen dürfen wir nur solche als erfüllt oder in ihrer Gültigkeit begrenzt bezeichnen, die entweder der Herr oder Seine Apostel so bezeichnet haben. Zwei Beispiele dafür:

a) Matthäus 10,8.9: Der Auftrag wurde vom Herrn ausdrücklich auf Israel beschränkt (Mt 10,5.6), ihre Anweisungen wurden später vom Herrn selbst verändert (Lk 22,35.36). Der Missionsbefehl an alle Nationen hat ihn schließlich abgelöst (Mt 28,18–20).

b) Mk 16,17.18: In den Versen 16,19.20 steht ausdrücklich, dass der Herr jene Ankündigung von Zeichen erfüllt hat.

Das erfahren wir ferner in der Apostelgeschichte. Dazu findet sich die apostolische Lehre, dass die Zeichengabe des Sprachenredens aufhören würde (1Kor 13,8), während Glaube und Hoffnung noch bestehen (1Kor 13,13). Und beachten wir: Der Herr hat außer in Mt 10 nirgends befohlen, die Jünger müssten die in Mk 16 genannten Zeichen zu tun. In Mk 16 hat er sie angekündigt, nicht aber befohlen. Die Aussagen zu den Diensten und zum Wirkungskreis der Frau sind hingegen als Befehle (1Kor 14,34; Tit 2,3–5) oder als Verbote (1Tim 2,12) formuliert.

Die ganze neutestamentliche Offenbarung ist versiegelt worden, und das heißt, dass alles, was im Neuen Testament steht, Gültigkeit hat, bis der Herr kommt, sofern es nicht – wie eben gesagt – eingeschränkt oder aufgehoben worden ist.

Nachstehend Beispiele für neutestamentliche Weisungen, die nie aufgehoben worden sind:

  • Der Missionsbefehl gilt, so lange diese Weltordnung besteht (Mt 28,18–20; 2Tim 4,1–5)
  • Das Mahl des Herrn feiern wir mit Brot und Wein und in der Gemeinde so lange, bis der Herr kommt (1Kor 11,26).
  • Die im 1Korintherbrief gegebenen Gemeindeordnungen gelten, wie ausdrücklich gesagt wird, für alle Gemeinden (1Kor 1,2; 4,17; 14,33.34). Es wird von keiner einzigen dieser Ordnungen gesagt, dass sie aufgehoben worden sei.
  • Was Paulus über die Gemeindeordnungen schrieb, war ein Gebot des Herrn (1Kor 14,37). Damit sind die verschiedenen Aufgaben von Mann und Frau in der Gemeinde so lange festgelegt, als nicht vom Herrn der Gemeinde ein neues Gebot ausgeht.
  • Was Paulus an Timotheus über das Verhalten der Männer und Frauen schrieb (1Tim 2), sind Anweisungen für das Verhalten im Haus Gottes, der Gemeinde des lebendigen Gottes, welche Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit ist und bleibt, bis der Herr kommt (1Tim 3,14–16). Man beachte die Formulierung: „Wie man sich verhalten soll …“: „man“, d. h. allgemein gültig; „soll“, d. h. es ist verbindlich.

2.2 Schöpfungsordnungen gelten so lange wie diese Schöpfung besteht

  1. Die Ehe (Mt 19,3–6)
  2. Arbeit und Broterwerb (1Mo 2,5.15; 3,17–19; 1Thes 4,11; 2Thes 3,10–12).
  3. Unterschiede zwischen Mann und Frau im Erleiden der Folgen des Sündenfalls, in der Verschiedenheit der Aufgaben in Haus und Feld (1Mo 3; Spr 31) und in der Gemeinde (1Kor 11,3–9; 1Tim 2,11–15; Tit 2,1–5).

2.3 Biblische Weisungen sind wörtlich zu befolgen, es sei denn, man könne das Prinzip der Weisung in verschiedenen Kulturen auf verschiedene Weisen befolgen

  1. die Fußwaschung
  2. der Bruderkuss

Dass der Herr mit der Fußwaschung mehr meinte, als die Jünger damals wahrnahmen und verstehen konnten, deutet Er selbst an: „Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, weißt du jetzt nicht, du wirst es aber hernach verstehen“ (Joh 13,7). Das gibt uns den Fingerzeig, dass wir hier das Prinzip des Dienens lernen sollen; und dass es darüber hinaus um einen Dienst geht, bei dem (moralische) Reinigung geschieht (durch das Wasser des Wortes; vgl. Eph 5,26).

Die Aufforderung zum Bruderkuss hat nicht den gleichen Stellenwert wie die apostolischen Gebote und Verbote zur Frauenfrage. Diese werden im Gegensatz zum Bruderkuss begründet mit Schöpfung, Sündenfall, Engel, Natur (1Kor 11; 1Tim 2), und sie heißen „ein Gebot des Herrn“ (1Kor 14,37). Ob man den Bruderkuss praktiziere oder nicht, hat mit Temperament und Sitte zu tun, die Frauenfrage ist unabhängig von Geschmack und Kultur.

Ich schließe mit dem bereits angeführten Wort von Jesaja:

„So spricht der HERR: Der Himmel ist mein Thron, und die Erde der Schemel meiner Füße. Welches ist das Haus, das ihr mir bauen könntet, und welches der Ort zu meiner Ruhestätte? Hat doch meine Hand dieses alles gemacht, und alles dieses ist geworden, spricht der HERR. Aber auf diesen will ich blicken: auf den Gebeugten und den, der zerschlagenen Geistes ist, und der da zittert vor meinem Wort“ (Jes 66,1.2).