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Wie heilsgeschichtliches Denken vor Missverständnissen bewahrt

Auch die Evangelikalen haben ihr Sommertheater. Wenn alle in den Ferien sind, nichts passiert und sich das Sommerloch weit auftut, muss irgendein Thema in der evangelikalen Presse die Gemüter erregen. Im Sommer 2007 war ein Akt dieses Sommertheaters die Leserbriefdebatte, die ein Interview auslöste. idea-Reporter Karsten Huhn hatte es mit dem Vorsitzenden der Siebenten-Tags-Adventisten, Klaus van Treek, geführt. Was war geschehen?

Koschere Küche für alle?

Auch die Evangelikalen haben ihr Sommertheater. Wenn alle in den Ferien sind, nichts passiert und sich das Sommerloch weit auftut, muss irgendein Thema in der evangelikalen Presse die Gemüter erregen. Im Sommer 2007 war ein Akt dieses Sommertheaters die Leserbriefdebatte, die ein Interview1 auslöste. idea-Reporter Karsten Huhn hatte es mit dem Vorsitzenden der Siebenten-Tags-Adventisten, Klaus van Treek, geführt. Was war geschehen?

Huhn hatte sich gut über die Adventisten informiert, die in den letzten 25 Jahren von einer Sondergemeinschaft zu einer – vielleicht etwas sonderbaren – Freikirche avanciert sind. Und er stellte harte Fragen:

Zunächst zu besonderen Speisevorschriften:

(H:) „Bisher lehnten Adventisten den Genuss von Kaffee und Schwarzem Tee grundsätzlich ab.“ (vT:) „Ja, wir legen viel Wert auf eine gesunde Lebensweise …“ (H:) „Gilt das Verbot von Alkohol noch?“ (vT:) „Es gilt weiterhin der Grundsatz, dass Adventisten abstinent leben …“ (H:) „Auch Schweinefleisch wird von Adventisten gemieden.“ (vT:) „Ja, wir beziehen uns dabei auf die Speisegebote im Alten Testament.“ (H:) „Paulus schreibt (1Tim 4,3): ‚Diese Lügner fordern den Verzicht auf bestimmte Speisen, die Gott doch geschaffen hat, dass sie von denen, die an ihn glauben und die Wahrheit erkannt haben, mit Dankbarkeit genossen werden.“ (vT:) „Paulus erlaubt damit nur die für Juden zulässigen Speisen – aber kein Schweinefleisch.“

Dann ging es um den Sabbat und endzeitliche Prophetien:

(H:) „Was ist für den adventistischen Glauben heute zentral?“ (vT:) „Jesus Christus – und die lebendige Beziehung zu ihm! Zudem sollen sich im Alltag die Früchte des Glaubens zeigen …“ (H:) „… Sie haben noch gar nicht das Halten des Sabbats genannt!“ (vT:) „Der Sabbat ist für uns ein ebenso wichtiger Punkt wie die Erwartung der Wiederkunft Jesu.“ (H:) „Muss ein Christ den Sabbat halten?“ (vT:) „Lassen Sie mich zurückfragen: Muss ein Christ die anderen neun Gebote halten? Jeder Christ lebt allein aus der Gnade, und er hält die Gebote Gottes aus Liebe zu Gott. So ist es auch mit dem Sabbat.“ […] (H:) „Ellen G. White, eine prägende Persönlichkeit im Adventismus, bezeichnete das Halten des Sonntags als teuflisches ‚Malzeichen des Tieres‘, also als etwas geradezu Dämonisches.“ (vT:) „Sie verstand das ‚Malzeichen‘ endzeitlich und ist dennoch offen geblieben für andere Christen …“ […] (H:) „War White eine Prophetin?“ (vT:) „Ja! Genauso wie Luther sich als Prophet verstanden hat. Ellen G. White hat unsere Freikirche in hervorragender Weise geprägt.“ […] (H:) „1843 wurde Ellen G. White mit ihren Eltern aus der methodistischen Kirche ausgeschlossen, weil die Familie daran glaubte, dass Jesus am 22. Oktober 1844 wiederkehren würde.“ (vT:) „Das war eine traumatische Erfahrung, die sie sicher geprägt hat.“ (H:) „Als Jesus am 22. Oktober nicht wie erwartet kam, interpretierte Ellen G. White diesen Tag neu: Jesus sei ‚in das himmlische Heiligtum gegangen‘, um alle Verstorbenen gerichtlich zu untersuchen. Das klingt wie die nachträgliche Rechtfertigung eines großen Irrtums.“ (vT:) „Diese Erkenntnis kam nicht von Ellen White, sondern durch den methodistischen Farmer Hiram Edson. Wir Adventisten halten daran fest, dass sich die Prophetie von Daniel 8,14 (‚Nach 2.300 Abenden und Morgen wird das Heiligtum wieder neu geweiht werden‘) am 22. Oktober 1844 erfüllt hat …“

Mal abgesehen von den Sommertheater-Variationen zu dem Thema „Wie kritisch darf ein Reporter nachhaken?“, stellt sich die Frage: Was soll man von diesen Antworten halten? Hat van Treeck Recht? Sind heute neue Prophetien zu erwarten, durch die Gemeinden und Kirchen verbindliche neue Erkenntnisse erhalten, die sich so nicht wirklich aus der Bibel ableiten lassen? Machen Christen etwas verkehrt, wenn sie nicht den Samstag als Sabbat im alttestamentlichen Sinn feiern? Umgekehrt – haben Adventisten vielleicht Recht, wenn sie sagen, wer sich auf die 10 Gebote beruft, sollte auch das Sabbatgebot halten? Lautet das 3. Gebot nicht wörtlich: „Denke an den Sabbattag, um ihn heilig zu halten!“ (2Mose 20,8)? Ist es nicht konsequent, auf Schweinefleisch und viele andere Speisen zu verzichten, wenn sie im Alten Testament verboten sind?

Zunächst einmal ist klar, dass es natürlich jedem frei steht, aus Gründen eines gesunden Lebensstils auf Kaffee, Schwarzen Tee oder Alkohol zu verzichten. Das hat mit religiösen Positionen nicht notwendigerweise etwas zu tun.

Aber wie steht es mit einer alttestamentlich begründeten ‚koscheren‘ Küche? Wie mit der Samstagsheiligung? Wie mit neuen Offenbarungen? Wie mit spektakulären Endzeitberechnungen? Hier erhebt sich jeweils die Frage, nach welchen Prinzipien die Weichen für das, was als christlich gelten soll, gestellt werden. Je nach Antwort kommt es zu einer völlig unterschiedlichen Praxis und einer völlig unterschiedlichen Auslegung und Anwendung der Bibel. Das Stellwerk für solche Weichenstellungen heißt heilsgeschichtliches Bibelverständnis.

Zweifellos hat Gott seinem Volk Israel im mosaischen Gesetz eine Vielzahl von Speisevorschriften gegeben: Der Fettschwanz von Schafen und das Eingeweidefett von Opfertieren durften nicht gegessen werden (3Mose 7,3f.); der Verzehr von verendeten Tieren war tabu (3Mose 11,39f.); neben dem Schwein galten bestimmte Wildtiere, Vögel, Wasser-, Kriech- und Kerbtiere als unrein (3Mose 11; 5Mo 14,3-21), unter anderen solche, die ungespaltene Klauen haben und nicht wiederkäuen; Tiere, die auf Tatzen gehen; kriechende und vielfüßige Tiere; geflügelte Tiere mit mehr als zwei Beinen; sowie Wassertiere ohne Flossen und Schuppen. Also, kein Schinken, kein Hasenbraten, kein Straußensteak, keine Froschschenkel, kein Hummer, kein Aal; und – so viel zur asiatischen Küche – weder Hund noch Katze! Fromme Juden opferten eher ihr Leben, als dass sie etwas Verbotenes aßen (1Makk 1,62f.). Ihnen waren diese Dinge von Gott geboten; und indem sie sich daran hielten, zeigten sie ihre Loyalität zu ihrem Gott.

In der Tat mag man auch als Nicht-Jude eine gute Lammkeule dem Innereienfett eines Hammels aus geschmacklichen wie gesundheitlichen Gründen vorziehen. Aber, ist der koschere Speisezettel Teil der christlichen Glaubenspraxis? Sind reine und unreine Nahrungsmittel das, was auch heute noch den Menschen vor Gott rein oder unrein macht? Die Antwort auf diese Fragen entscheidet sich an dem, was Gott verfügt hat.

Im Alten Testament gehörten die Speisevorschriften zu den Anordnungen Gottes für sein Volk Israel. Im Neuen Testament bringt Jesus etwas Neues:

„Nicht was in den Mund eingeht, verunreinigt den Menschen; sondern was aus dem Mund ausgeht, das verunreinigt den Menschen!“ (Mt 15,11).

Er erklärt alle Speisen für rein (Mk 7,18-19; Apg 10,10-16). Entsprechend werden die Gemeinden des Neuen Testaments belehrt, sich kein Gewissen wegen Speisen und Trank machen zu lassen (Kol 2,16.20f.). Kein Nahrungsmittel an sich ist verwerflich (1Tim 4,3). Es kann lediglich sein, dass die Liebe gebietet, aus Rücksicht auf das Gewissen anderer auf bestimmte Speisen zu verzichten – so das Dekret des ‚Apostelkonzils‘ und die damit übereinstimmende Weisung des Paulus (Apg 15,20-21; Röm 14,14f.).

Lediglich beim Blutgenuss stellt sich die Frage, ob dessen Verbot nicht eine Ordnung Gottes für alle Menschen ist, weil sie nicht nur Teil des am Sinai mit Israel geschlossenen Gesetzesbundes ist, sondern schon vorher für die gesamte Menschheit auch Teil des Noahbundes war (Apg 15,20; 1Mose 9,4).

Die Bibel im Widerspruch?

Widerspricht das Neue Testament mit den neuen Speiserichtlinien aber nicht dem Alten Testament? Für jemanden, der nicht heilsgeschichtlich denkt, sieht das so aus. Er sieht alles in der Bibel auf einer Ebene und stellt fest: Hier erlässt die Bibel Speiseverbote, dort hebt sie Speisevorschriften auf – also widerspricht sich die Heilige Schrift. Und schon ist man auf der schiefen Bahn im Umgang mit der Bibel: Wenn sich die Bibel widerspricht, so wird geschlussfolgert, dann kann nicht alles in ihr ewig gültiges Gotteswort sein. Dann ist sie vielleicht nur ein Gemisch aus irgendwann überholten menschlichen Vorstellungen und dazwischen eingestreuten göttlichen Gedanken. Oder sie ist überhaupt nur ein Buch von relativer Verbindlichkeit – und der Leser kann sich im Einzelfall heraussuchen, welche ihrer Aussagen ihm akzeptabel erscheinen! Für diese entscheidet er sich dann; andere biblische Aussagen lehnt er ab. Der Subjektivität jedes Einzelnen bleibt es damit überlassen für sich auszusuchen, welche der (scheinbar) widersprüchlichen Bibelaussagen er oder sie für sich gelten lassen will.

Die nächste Konsequenz könnte sein, dass man die Bibel überhaupt relativiert. Gefällt einem irgendeine biblische Anordnung nicht – etwa: „Du sollst nicht ehebrechen!“ (5Mo 5,18; Mt 5,27) – so verweist man einfach darauf, man würde heute ja auch nichts mehr gegen ein Schinkenbrötchen einzuwenden haben. Entsprechend solle doch bitte keiner so kleinkariert sein, ausgerechnet bei freier Sexualität Vorbehalte anzumelden! In einem Buch,2 das sich mit unterschiedlichen Bibelverständnissen auseinandersetzt, wird der Fall der amerikanischen Journalistin Laura Schlessinger geschildert, die den Mut hatte, in einer ihrer Radiosendungen praktizierte Homosexualität abzulehnen, und dies mit Hinweis auf 3Mose 18,22 begründete. Dort steht, dass homosexuelle Handlungen für Gott ein Gräuel sind.

Sie erhielt daraufhin eine ironisch gefasste Zuschrift, die Ihre Berufung auf das genannte Bibelwort dadurch ins Lächerliche zog, dass darauf verwiesen wurde, wir würden doch heute auch nicht mehr Stiere zum Brandopfer darbringen (3Mose 1,9), das Essen von Schalentieren als Gräuel bezeichnen (3Mose 11,10) oder das Säen von zweierlei Samen in ein Beet aus religiösen Gründen als Problem empfinden (3Mose 19,19). Offenbar seien manche Dinge in der Bibel überholt, und man entscheide besser selbst, was man gelten lassen will und was nicht. Mit solchen Argumentationsmustern wird aber die Bibel zu einer Art Steinbruch degradiert, aus dem sich jeder nur noch das herausholt, was ihm gerade passt.

Nicht so, wenn man die Bibel heilsgeschichtlich versteht! Wer heilsgeschichtlich denkt, nimmt ernst, dass in der Bibel nicht alles auf einer Ebene liegt, dass Gott sich im Zuge seiner Offenbarungsgeschichte Schritt für Schritt offenbart hat und dass er unterschiedlichen Adressaten unterschiedliche Ordnungen gegeben hat. Wer heilsgeschichtlich denkt, lernt deshalb jeweils genau hinzuschauen.

Die Zeiten sind unterschiedlich, die Adressaten sind unterschiedlich – und ob die jeweiligen Inhalte unterschiedlich oder gleich sind, hängt vom jeweils offenbarten Willen Gottes ab. Was Gott im Rahmen seines Volkes Israel praktiziert haben will, muss nicht in jedem Punkt dasselbe sein, was nach seinem Willen in der christlichen Gemeinde gelten soll. Gott ist souverän in dem, was er zu unterschiedlichen Zeiten und gegenüber unterschiedlichen Personengruppen zusagt und verfügt. Er ist frei, zu bestimmten Themen exakt das gleiche zu unterschiedlichen Zeiten der Heilsgeschichte zu sagen und anzuordnen. Und frei, zu anderen Themen für sein alt- und sein neutestamentliches Volk jeweils ganz Unterschiedliches zu geben oder gelten zu lassen.

Das steht dann auch nicht im Konflikt miteinander. Wenn im Fußball andere Spielregeln gelten als im Handball, ist das kein Widerspruch. Und wenn in Deutschland die Autos rechts fahren und in England links, ist das eine nicht richtiger oder schlechter als das andere, sondern es sind unterschiedliche Verkehrsregeln für unterschiedliche Länder. So ist das auch in der Heilsgeschichte. Was für den alttestamentlichen Staat Israel gilt, muss nicht genau so für die universale christliche Gemeinde gelten. Aber es kann genauso gut sein, dass Gott in bestimmten Punkten von Christen genau dasselbe will wie von Mose und von Abraham.

Wer das erkennt, sieht dann auch ein, dass er sich aus der Bibel nicht einfach das herauspicken darf, was ihm gerade passt; sondern dass er fragen muss, was Gott selbst für ihn und seinen heilsgeschichtlichen Kontext gegeben bzw. vorgegeben hat – möglicherweise im deutlichen Unterschied zu dem, was einst im ‚Paradies‘ oder im alten Israel gegolten hat und was irgendwann am Ende in der neuen Schöpfung gelten wird! Wer heilsgeschichtlich denkt, unterscheidet also die Zeiten. Er beachtet Entwicklungen. Er berücksichtigt die jeweiligen Adressaten. Und er versteht alles in der Bibel jeweils an seinem Platz, ohne irgendwelche Bibelaussagen vernachlässigen oder verbiegen zu müssen.

Was jeweils gilt, entscheidet nicht die Willkür des Menschen, sondern der souveräne Wille Gottes. Wer heilsgeschichtlich mit der Bibel umgeht, verzichtet bei der Auslegung und Anwendung der Bibel auf einen selbst gemixten Cocktail. Er lässt die Bibel so gelten, wie sie jeweils gemeint ist, und gibt Gott darin die Ehre.

Sabbat oder nicht?

Wer die ganze Bibel zwar gelten lassen will, aber nicht heilsgeschichtlich denkt, kommt bei der Bibelerklärung zu verwirrenden Ergebnissen oder zu willkürlichen Umdeutungen. Er lässt alles stehen, versteht aber die jeweilige Zuordnung biblischer Aussagen nicht. Am Ende hat er ein großes Gemisch von Gesetz und Gnade, von dem was für Israel und dem was für die christliche Gemeinde gilt. Er kann kaum noch erklären, wie das alles zueinander passen soll. Vielleicht kommt er zu der adventistischen Position: Er sieht die alttestamentlichen Speiseregeln, nimmt sie als für Christen verbindlich – und muss entsprechend viele Aussagen im Neuen Testament relativieren, die deutlich andere Akzente setzen. Über kurz oder lang lebt er wieder unter dem Gesetz, das ihm das Neue Testament aber gerade nicht aufladen wollte (Apg 15,10f.28f.; Gal 5,1ff.).

Ein Beispiel dafür ist das Sabbatgebot. Das Neue Testament gewährt hier große Freiheit:

„Der eine hält einen Tag vor dem anderen, der andere aber hält jeden Tag ‹gleich›. Jeder aber sei in seinem eigenen Sinn völlig überzeugt.“ (Röm 14,5).

Und:

„So richte euch nun niemand wegen Speise oder Trank oder betreffs eines Festes oder Neumondes oder Sabbats“ (Kol 2,16).

Im Alten Testament hatte das noch ganz anders geklungen! Dort hieß es klipp und klar:

„Beachte den Sabbattag, um ihn heilig zu halten […] Du sollst an ihm keinerlei Arbeit tun …“ (5Mose 5,12.14).

Wer auch nur Brennholz auflas am Sabbat, verwirkte sein Leben (4Mo 15,32ff.). In ganz bestimmter Weise wurde im mosaischen Gesetz das Vorbild der Ruhe Gottes nach Vollendung der sechs Schöpfungstage (2Mose 2,2f.) auf die wöchentliche Sabbatheiligung angewendet, wie sie dem Volk Israel geboten war.

Aber Jesus und die Gottesoffenbarung des Neuen Bundes bringen hier einen neuen Akzent. Nach wie vor ist der Sabbat eine gute Sache für den Menschen:

„Der Sabbat ist um des Menschen willen geschaffen worden und nicht der Mensch um des Sabbats willen“ (Mk 2,27).

Offenbar braucht der Mensch regelmäßig einen Ruhetag zum Auftanken.

Nicht nur, weil er sonst seine Kräfte erschöpft und irgendwann im Burnout landet. Sondern auch, weil die Wenigsten zu den Glücklichen gehören, die genug Zeit finden, während der ganzen Woche Tag und Nacht über das Gesetz des Herrn nachzusinnen (Ps 1). Von daher ist es eine gute Gewohnheit, einen Tag pro Woche zu haben, an dem man zu Gottesdiensten zusammenkommt (Lk 4,16; Hebr 10,25). Aber dieser Tag muss in der christlichen Gemeinde nicht mehr unbedingt der Samstag sein. Jeder Tag ist gleich gut geeignet als Ruhe- und Feiertag (Röm 14,5). Das kann – in Erinnerung an den Tag der Auferstehung Jesu – der erste Tag der Woche sein, also der Sonntag, der zum Teil schon in den frühen christlichen Gemeinden gehalten wurde (Apg 20,7; 1Kor 16,2). Es ist aber natürlich auch kein Problem, wenn sich jemand – in Israel oder irgendwo sonst – entscheidet, den Samstag als Ruhetag zur Ehre Gottes und zum Wohl der Menschen zu gestalten. In einem islamischen Land wird sich eine kleine christliche Gemeinde vermutlich am Freitag zu ihrem Gottesdienst versammeln, weil dort an diesem Tag allgemein die Arbeit ruht. Und wer bei uns einen Beruf hat, in dem er gelegentlich am Sonntag arbeiten muss, wird gut daran tun, darauf zu achten, dass er den Ruhetag, den er dann irgendwann in der Woche hat, nicht nur zum Einkaufen, Putzen oder Renovieren des Hauses verwendet, sondern zur Regeneration und zur Gemeinschaft mit Gott. Grundsätzlich sind dazu, neutestamentlich gesehen, alle Tage gleich gut.

Nie aber kann es im Sinne Jesu sein, wenn die Feiertagsgestaltung von gesetzlicher Strenge und Regelwerk bestimmt ist. Gegen solch eine pharisäische Sabbatpraxis hat Jesus sich gewehrt und für die Messianische Zeit eine neue Freiheit verkündet (Mk 2,23 bis 3,6). Das bewusst wahrzunehmen und von der alttestamentlichen Praxis unterscheiden zu können, heißt, heilsgeschichtlich zu denken. Wer heilsgeschichtlich denkt, achtet darauf, was von Gott her zu welcher Zeit für wen und in welcher Weise gilt. Und er setzt dann in der Praxis die Akzente so, wie Gott sie setzt.

So wurden übrigens in dieser Frage schon in der Reformationszeit die Akzente gesetzt. Das Augsburger Bekenntnis von 1530 sagt in Artikel 28:

„Denn es irren diejenigen sehr, die meinen, es sei die Ordnung des Sonntags anstelle des Sabbats [heils]notwendig eingeführt worden. Denn die Heilige Schrift hat den Sabbat abgetan und lehrt, dass alle Zeremonien des alten Gesetzes nach der Eröffnung des Evangeliums unterlassen werden können. Und dennoch, weil es notwendig gewesen ist, einen gewissen Tag zu verordnen, damit das Volk wusste, wann es zusammenkommen soll, hat die christliche Kirche dazu den Sonntag verordnet; und an dieser Veränderung um so mehr Gefallen und Willen gehabt, weil die Leute dadurch ein Beispiel christlicher Freiheit hatten, dass man wusste, weder die Beachtung des Sabbats noch eines anderen Tages sei [heils]notwendig.“

Neue Offenbarung gefällig?

„Nachdem Gott vielfältig und auf vielerlei Weise ehemals zu den Vätern geredet hat in den Propheten, hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet im Sohn“, sagt der Hebräerbrief (1,1). Wird das so weitergehen? Redet Gott immer neu? Veraltet sein Wort periodisch? Gibt es gelegentlich ein update, das die Bibel wieder zeitgemäßer macht? Sollen wir uns darauf einrichten, dass Gott wie in der Vergangenheit gelegentlich neue Offenbarung bringt? Könnte es sein, dass jemand zu Recht auftritt und sagt: „Jesus hat für seine Zeit und die Zeit danach neue Akzente gesetzt. Aber jetzt spricht Gott ganz neu zu uns. Hier ist Gottes Wille für heute“?

In manchen Kreisen scheint der Hunger nach aktuellen Prophetenworten so groß zu sein, dass man den Eindruck gewinnen könnte, das alte Bibelwort werde zwar noch respektiert, aber eher wie ein Museumsstück. Die Bibel wird als irgendwie veraltet oder ergänzungsbedürftig eingestuft. Sekten wie die „Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage [Mormonen]“ sind bereits dadurch entstanden, dass man der Bibel ein weiteres Offenbarungsdokument an die Seite gestellt hat – in diesem Fall das Buch Mormon. Die Adventistenbewegung verehrt als ihre Gründerin Ellen White. Sie hat der Bibel zwar kein weiteres heiliges Buch an die Seite gestellt, hat aber ihre persönlichen Deutungen, Urteile und Prognosen mit einem so hohen prophetischen Anspruch versehen, dass ihre Nachfolger diese himmlischen Weisungen bis heute kaum auf den Prüfstand zu stellen und zu korrigieren wagen. Die römisch-katholische Kirche hat der Bibel als verbindliche Auslegung die Tradition der Konzilsbeschlüsse und („unfehlbaren“) päpstlichen Lehrentscheidungen an die Seite gestellt, die sie als gottgegeben einstuft.

Noch viel weiter geht der Islam. Diese jüngste monotheistische Religion verdankt ihre Entstehung geradezu der Überzeugung, dass mit dem Auftreten Mohammeds im 7. Jahrhundert der endgültige Prophet Gottes gekommen sei.

Mohammed meinte sicherlich, dass er den gleichen Gott wie die Juden und Christen verkünden würde, aber er war überzeugt, dass er die Reihe der Propheten abschließen würde – zu denen er auch Jesus/Isa als einen respektierten Vorläufer von sich selbst zählte. Erst als er merkte, dass die Juden und Christen in Arabien seinen Anspruch nicht akzeptierten und seine Botschaft im Widerspruch zur Bibel sahen, fing er an, sie zu verfolgen. Zugleich erklärte er den Koran als die wahre, abschließende Offenbarung, die Bibel aber als ein verfälschtes, irrendes Buch.

Auch in solchen Fragen könnte ein biblisch-heilsgeschichtliches Denken Klärung bringen. Wer die Heilsgeschichte versteht, weiß, dass nach dem Reden Gottes durch Jesus und seine Apostel keine neue Gottesoffenbarung mehr zu erwarten ist. Zwar kündigt Jesus an, dass im Vorfeld seiner endzeitlichen Wiederkunft „prophetische“ Gestalten auftreten und messianische Ansprüche anmelden werden. Aber sie sind falsche Propheten:

„Viele werden unter meinem Namen kommen und sagen: Ich bin der Christus […] Falsche Propheten werden aufstehen und werden viele verführen“ (Mt 24,5.11).

Die Warnung macht vorsichtig gegenüber neuen Offenbarungsträgern mit prophetischem Anspruch.


  1. Abgedruckt in ideaSpektrum 36/2007, S. 19-21. 

  2. H. Stadelmann, Evangelikales Schriftverständnis, 2. Aufl., Hammerbrücke 2006, S. 126ff.