1 Der Sonntag aus Sicht heutiger Erfahrung
1.1 Was der Sonntag für viele Menschen bedeutet
Beinahe überall in der Welt steht der Sonntag gegenwärtig unter staatlichem Schutz. Das deutsche Grundgesetz garantiert ihn als „Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung“.1 Worin diese ‚seelische Erhebung‘ jedoch besteht, wird sehr unterschiedlich gesehen. Durch die verkürzte Arbeitszeit ist der Sonntag längst zum Bestandteil des Wochenendes und damit Teil des Freizeitverhaltens geworden.
„Der früher für den Kirchgang angelegte Sonntagsstaat ist dem Trainingsanzug gewichen.“2
Für viele hat der Sonntag jedoch zwei Gesichter: schön und ruhig – langweilig und einsam. Einsamkeit auf der einen Seite und gezwungene Gemeinsamkeit auf der anderen ist für Menschen mit geringer Belastbarkeit nur schwer zu ertragen. Daher kann der Sonntag für viele Menschen auch zum psychischen Problem werden. Der Psychotherapeut Viktor Frankl spricht nicht zufällig von der ‚Sonntagsneurose‘, als dem „Sinnlosigkeitsgefühl, das sich besonders an Sonn- und Feiertagen einstellt und dann nicht in Arbeit ertränkt werden kann“.3
Zudem wird durch die Diskussion der letzten Jahre um die Ladenöffnungszeiten am Sonntag massiv an den Grundfesten des Sonntags als allgemeinem Feiertag gerüttelt. Selbst wenn es laut einer Forsa-Umfrage vom August 1999 im Interesse von 47% der Deutschen ist, das Ladenschlussgesetz unter Einbeziehung des Sonntags völlig freizugeben, käme eine Abschaffung der Sonntagsruhe im Geschäftsleben einer Abschaffung des Sonntags als Feiertag gleich. Durch eine ‚Woche ohne Sonntag‘ würde jedoch die gesamte christliche Kultur unseres Landes in Frage gestellt werden.
1.2 Was uns der Sonntag bedeutet
Der Sonntag wird von uns als ‚Tag des Herrn‘ verstanden. Der Tag der Vollendung der Schöpfung im Ruhen Gottes wurde dem Menschen als Ruhetag verordnet und als solcher, von Gott geheiligt, soll er dem Menschen zum Segen werden (1Mo 2,2+3).
Daher ist der Sonntag ein Tag, der besonderen Schutz bedarf. Als Gedenktag der Taten Gottes, als Auferstehungstag Jesu und somit als die wöchentliche Feier des ‚kleinen Ostern‘ hat er eine eigene christliche Bedeutung. Diese muss als Sinngebung dieses Feiertages neu deutlich gemacht werden.
Wir brauchen eine Wiederentdeckung dessen, was mit Sonntagsheiligung gemeint ist. Auch die Besinnung auf die Muße als Gegenpol zur rastlosen Arbeit kann uns gut tun. Ein Ruhetag ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit.
Treffend hat Theodor Zahn bereits am Ende des letzten Jahrhunderts die Wichtigkeit der Sonntagsheiligung zusammengefasst:
„Der Sonntag hat sich im Laufe der Jahrhunderte trotz aller Entartung und aller Fehlgriffe so unzweideutig als ein Segen für das öffentliche wie für das häusliche Leben erwiesen, er ist von so verschiedenen Seiten als ein Hort der Freiheit und als eine Wohltat für alle erkannt, dass niemand ernstlich daran denken kann, ihn unserem Volke vollends rauben zu wollen. Vielmehr darf man mit Hoffnung auf Erfolg dahin wirken, dass er besser wie bisher geschätzt und geschützt werde.“4
2 Der Sonntag und der Sabbat
Obwohl sich die christliche Kirche von Jesu Zeit an stets kritisch zum Sabbat verhalten hat, sind doch wesentliche Momente des Sabbats in das Verständnis des christlichen Sonntags eingegangen
Christen können nicht vom Sonntag sprechen, ohne auf den alttestamentlichen Sabbat zu blicken. Denn obwohl sich die christliche Kirche von Jesu Zeit an stets kritisch zum Sabbat verhalten hat und nicht zufällig den ersten Tag der Woche zum Feiertag gemacht hat, sind gleichwohl „wesentliche Momente des Sabbats in das Verständnis des christlichen Sonntags eingegangen und daher der Erinnerung wert.“5
2.1 Die Bedeutung und der Sinn des Sabbatgebotes im AT
Die Bedeutung und Sinngebung des Sabbats, dessen hebräisches Original ja nichts anderes als „ruhen“, „aufhören“, bedeutet, kann hier nur in einigen Gesichtspunkten wiedergegeben werden. Das 4. Gebot (2Mo 20,8-11) ist als eines der längsten Gebote positiv formuliert:
„Denke an den Sabbattag, um ihn heilig zu halten. Sechs Tage sollst Du arbeiten und all deine Arbeit tun, aber der siebte Tag ist Sabbat für den Herrn deinen Gott. Du sollst an ihm keinerlei Arbeit tun, du und dein Sohn und deine Tochter, dein Knecht und deine Magd und dein Vieh und der Fremde bei dir, der innerhalb deiner Tore wohnt. Denn in sechs Tagen hat der Herr den Himmel und die Erde gemacht, das Meer und alles, was in ihnen ist, und er ruhte am siebten Tag; darum segnete der Herr den Sabbattag und heiligte ihn“
Dieser Siebener-Rhythmus spielt im Leben des jüdischen Volkes eine wichtige Rolle. Wie der Sabbat die siebentägige Woche abschloss, so schloss das Sabbatjahr einen Zyklus von sieben Jahren ab (2Mo 23,10ff; 3Mo 25,17 u.a.) und brachte dem Land eine ‚Brachzeit‘. Nach sieben mal sieben Jahren veränderten sich im Jobeljahr die Besitzverhältnisse grundlegend (3Mo 25,10; 27,34 u.a.). Auch die Feste des Volkes Israel waren in diesen Rhythmus mit einbezogen, „sodass das Neumondfest des siebten Monats Tishri ein ganz besonderes Ereignis war“.6
Seinen Ausgangspunkt hat der Sabbat ohne Zweifel im Abschluss der Schöpfung (1Mo 2,2ff.). Das Ruhen Gottes, welches die Schöpfung an diesem siebten Tag vollendet, das Zum-Ziel-gekommen-sein mit seiner Schöpfung gibt den Grund an, warum das Volk Israel diesen Tag heilig halten soll.
Der ‚Segen‘, den Gott diesem Tag verleiht, wird durch das ‚Heiligen‘ erläutert. Was geheiligt ist, gehört Gott allein.
Sechs Tage sollst du dich mit der Schöpfung (Arbeit) beschäftigen, am siebten Tag sollst du davon ruhen und dich mit dem Schöpfer beschäftigen
So könnte man die Ausgangsbedeutung des Sabbats auf die Formel bringen: Sechs Tage sollst du dich mit der Schöpfung (Arbeit) beschäftigen, am siebten Tag sollst du davon ruhen und dich mit dem Schöpfer beschäftigen.
In der Sinaigesetzgebung bekommt der Sabbattag neben seiner Verankerung in der Schöpfungsordnung eine weitere Bedeutung, nämlich die des Gedenktages an die Befreiung aus Ägypten (5Mo 5,15: „Denke daran, dass du Sklave warst im Land Ägypten und dass der Herr, dein Gott, dich mit starker Hand und mit ausgestrecktem Arm von dort herausgeführt hat! Darum hat der Herr, dein Gott, dir geboten, den Sabbattag zu feiern.“). Neben das Lob des Schöpferwerkes tritt das Lob des Erlösungswerkes.
Die Einhaltung des 4. Gebots war für das Volk Israel zu aller Zeit von herausragender Bedeutung und galt als ein Erkennungszeichen dafür, dass „der Herr ihr Gott war und sie sein Volk“ waren (3Mo 26,11f.).
Der Sinn des Sabbats besteht also darin, dem Volk Gottes eine Erholungspause zu gönnen (2Mo 20,10; 2Sam16,14; 2.Chr. 36 u. a.), ihm eine Gedenkpause zu verordnen (5Mo 12,15) und eine regelmäßige Gelegenheit zu schaffen, ganz für Gott da zu sein (3Mo 19,30; 26,2 u. a.).
2.2 Die Stellung Jesu zum Sabbatgebot
Jesus sah sich von Beginn an in die Auseinandersetzung mit der Sabbatvorstellung seiner Zeit gestellt. Diese war vom babylonischen Talmud geprägt, der die Sabbathaltung ebenbürtig mit der Beschneidung als Kennzeichen des Judentums ansah und die zu beachtenden Regeln sehr stark auf praktische Dinge ausgeweitet hatte. Es war unter den führenden Juden zur Zeit Jesu die allgemeine Überzeugung vorhanden:
„Würde ganz Israel nur zwei Sabbate wirklich so, wie es vorgeschrieben ist halten, dann würde der Messias kommen.“7
Daher drangen die Pharisäer auf eine strikte Einhaltung und nahmen zutiefst Anstoß daran, dass Jesus und seine Jünger sich am Sabbat zu tun erlaubten, was nach ihrer strengen Sitte als Sabbatschändung galt. Daher hieß es bald:
„Dieser Mensch ist nicht von Gott, denn er hält den Sabbat nicht!“ (Joh 9,16).
Jesus wollte dem Sabbat seine ursprüngliche Funktion und Bedeutung als Tag der Barmherzigkeit, der Erholung und Befreiung zurückgeben
Doch Jesus war keineswegs bestrebt durch sein Handeln den Sabbat abzuschaffen, sondern ihm seine ursprüngliche Funktion und Bedeutung als Tag der Barmherzigkeit (Mt 12,6), der Erholung und Befreiung zurückzugeben. Mit seiner bedeutungsschweren Antwort an die Pharisäer: „Der Sabbat ist um des Menschen willen geschaffen worden und nicht der Mensch um des Sabbats willen; somit ist der Sohn des Menschen Herr auch des Sabbats“ (Mk 2,27+28), wollte er zwei Dinge klar legen: Zum einen, dass es einen ursprünglichen, eindeutigen Sinn des Sabbatgebotes gibt, den der Schöpfer und Geber des Sabbats festgelegt hat (… der Sabbat ist um des Menschen willen geschaffen …), zum anderen, dass er selbst, in seiner Würde als Menschensohn die Autorität besitzt, den ursprünglichen Willen Gottes mit diesem Tag richtig zu interpretieren.
So war es sein Motiv am Sabbat Menschen zu helfen, die in Not waren, sie zu ernähren, zu heilen oder zu befreien und damit zur Erhaltung und Wiederherstellung der Schöpfung beizutragen. Deshalb heilte er am Sabbat Kranke (z. B. Mk 3,1ff.; Lk 14,1ff.) und verrichtete dazu die ‚Arbeit‘ des Teigknetens (Joh 9,6) oder forderte einen Gelähmten, nachdem er ihn geheilt hatte, auf, seine Trage fortzutragen, was in der Sabbatkasuistik der Pharisäer als Arbeit definiert war (Joh 5,8ff.). Seinen Jüngern erlaubte er, zur Stillung ihres Hungers am Sabbat Ähren auszuraufen (Mk 2, 23ff.), was als verbotene Erntearbeit eingestuft wurde. Weil der Sabbat ein Tag der Barmherzigkeit (Mt 12,7), des ‚Am-Leben-Erhaltens‘ (Mt 12,11; Lk 13,15-16), der Befreiung und der Erholung war, an dem die Vollendung der Werke Gottes gepriesen werden sollte, „deshalb sollten auch Kranke am Sabbat teilnehmen können, indem Jesus sie gerade an diesem Tag heilte“.8
Er selbst sagte, dass er nicht gekommen sei, das Gesetz aufzulösen, sondern es zu erfüllen (Mt 5,17). Im Sabbatgebot geht es um Barmherzigkeit, um Erlösung und um Befreiung. Jesus erfüllte dieses Gebot. Durch Helfen, Befreien, Erfrischen und Heilen oder kurz gesagt durch Gutestun wird der ursprüngliche Sinn des Gebotes erfüllt (Mk 3,4).9
Christus ist aber auch in dem Sinne der Erfüller des Gesetzes geworden, dass er die Forderungen des Gesetzes, die uns geknechtet haben, ein für allemal erfüllt hat (Eph 2,14-20). Den Glaubenden gibt Christus an dieser ‚Erfüllung‘ des Gesetzes Anteil (Röm 10,4: ‚Denn Christus ist des Gesetzes Ende, jedem Glaubenden zur Gerechtigkeit‘).
Darin ist unter anderem der theologische Grund zu sehen, dass von Anfang an die Sabbatheiligung für das sich in der heidnischen Welt ausbreitende Christentum ohne Bedeutung war.
2.3 Das Fehlen der Aufforderung zur Sabbatheiligung im NT
Das Sabbatgebot findet keine neuerliche Erwähnung im Neuen Testament
Im Neuen Testament finden sich an verschiedenen Stellen Zusammenstellungen und Erwähnungen einzelner Gebote des Dekaloges. In all diesen Aufzählungen taucht das vierte Gebot der Sabbatheiligung jedoch nicht auf. Die Zehn Gebote werden in ihrer Bedeutung und ihrer Aufgabe im Neuen Testament zwar grundsätzlich bekräftigt und die Funktion der Gebote, nämlich den Übeltäter zu überführen (1Tim1,9-10), den Menschen in der Verderbtheit seines Herzens anzuklagen (Mt 15,19) und ihn in dem richtigen Weg zu unterweisen (Röm 13,8-10) wird in den erwähnten Stellen bestätigt, das Sabbatgebot findet jedoch keine neuerliche Erwähnung im NT.
Ein Grund dafür ist auch in der Außerkraftsetzung des Zivil- und des Zeremonialgesetzes Israels für die christliche Gemeinde zu sehen. Thomas v. Aquin hat dieses auf die treffende Formulierung gebracht:
„Ändert sich der Staat, so ändert sich das Gesetz“.10
Israels Zivilgesetz war das Zivilgesetz eines bestimmten Staates. Die Gemeinde ist kein Nationalstaat. Deshalb hat sie keine eigene, nur für die Gemeinde gültige, zivile Rechtsprechung und somit z.B. auch keine Todesstrafe. Israels Zivilgesetz ist daher für die christliche Ethik ungeeignet. Die Reformatoren lehrten allerdings, dass es trotzdem weise und nützlich sei, sich in seinem persönlichen Sittenleben auf die Ordnungen Israels zu beziehen und sie zumindest in etlichen Punkten wegen ihrer moralischen Brauchbarkeit auch für die Rechtsprechung des Staates vorzuschlagen.
Allgemein verpflichtend für alle Christen sind jedoch einzig und allein die Ermahnungen im Neuen Testament (vgl. Eph 4-6) und gerade da fehlt das Gebot der Einhaltung eines bestimmten Tages. Paulus schreibt im Gegenteil, dass für den Christen ein Tag wie jeder andere ist (Röm 14,5f.) und dass der eine bestimmte Tage hält und ein anderer alle Tage gleich hält. Das eine sei so gut wie das andere, jedoch sollte das Halten bestimmter Tage keinen Streitpunkt innerhalb der christlichen Gemeinde darstellen. Jegliche Versuche von Seiten jüdisch geprägter Lehrer, Einfluss auf die Gestaltung des christlichen Gemeindelebens zu nehmen und z.B. bestimmte Speisevorschriften, kultische Verhaltensweisen und das Halten bestimmter Tage zu installieren, wird von Paulus scharf unterbunden (vgl. Kol 2,16).
So finden wir abgesehen von der Erwähnung der ‚ewigen Ruhe‘ (sabbatismos), die als Ziel der irdischen Glaubenswanderung der Christen steht (Hebr 4,9) im Neuen Testament keine Erwähnung eines ‚Sabbats‘ als einen für die christliche Gemeinde zu haltenden Tag, ja sogar nicht einmal eine verpflichtende Aufforderung irgendeinen Tag in besonderer Weise zu halten.
3 Der Sonntag und seine Geschichte
3.1 Die Bedeutung des Sonntags in der Anfangszeit der Gemeinde
Keine Verfolgung ist deshalb entstanden, weil die Christen das Sabbatgebot nicht mehr befolgten
Anfänglich hielten die Christen, soweit sie aus dem Judentum kamen, nach wie vor das Sabbatgebot. Wenigstens bis zur Zerstörung Jerusalems durch die Römer ist zu erkennen, dass sich die jüdischen Christen in Jerusalem und Israel durchweg an das jüdische Zeremonialgesetz gehalten haben. Für diese Annahme spricht unter anderem, dass „wir aus der ersten Zeit von keinerlei Verfolgung hören, die deswegen entstanden wäre, weil die Christen das Sabbatgebot nicht mehr befolgten“.11
Jakobus, dem Bruder Jesu, der bis zur Zerstörung Jerusalems an der Spitze der Gemeinde in Jerusalem gestanden hatte, wurde nicht zuletzt wegen seiner gesetzlichen Strenge und seines eifrigen Tempeldienstes von den Juden des folgenden Jahrhunderts der Ehrentitel „der Gerechte“ als Beiname gegeben. Zu stark und bedeutungsvoll war die Einhaltung des Sabbats für die Gestalt des damaligen jüdischen Lebens, als „dass die älteste Christenheit statt seiner einen anderen Tag der Woche in dieser Weise der jüdischen Woche ausgezeichnet habe. Der Sabbat war ein starkes Band der Gemeinschaft, welches sie mit dem ganzen Volke verknüpfte und indem die Judenchristen Palästinas den Sabbat heilig hielten, folgten sie nur dem Beispiel und der Anweisung Jesu, der sich nicht in der Rolle eines Empörers, sondern eines sinngemäßen Erfüllers der gesetzlichen Ordnungen sah“.12
Doch bildet sich gleichzeitig die Feier des ersten Tages der Woche als ‚Tag des Herrn‘ heraus. Am „Auferstehungstag“ hielten sie ihre eigenen Versammlungen ab. Dabei stand die Feier des ‚Herrenmahls‘ im Mittelpunkt. Da die Auferstehung am Tag nach dem Sabbat stattfand (Mk 16,1ff), wurde auch das Herrenmahl an diesem Tag gefeiert.13 Von der Feier des Herrenmahles her dürfte der erste Tag der Woche seine frühchristliche Bezeichnung „Tag des Herrn“ erhalten haben (Offb 1,10).
Es ist von entscheidender Bedeutung für den Ursprung des Sonntags, dass sich unter den vier Punkten, die auf dem sogenannten Apostelkonzil Apg 15 als für die Heidenchristen verbindlich angeordnet wurden, die Heilighaltung des Sabbats ebenso wenig wie die Stiftung eines anderen ‚heiligen‘ Tages findet (Apg 15,28). Jeglichen Ansätzen die heidenchristlichen Gemeinden zur Haltung bestimmter Tage zu bewegen (Gal 4,8; Kol 2,8ff.) tritt Paulus vehement entgegen, denn sie stellen für ihn einen Rückfall in ein Leben aus Werken dar (vgl. Gal 5,1ff.).
Unter dem bestimmenden Einfluss von Paulus kristallisierten sich in den Gemeinden Kleinasiens, Griechenlands und Mazedoniens eindeutige Spuren einer Gottesdienstfeier heraus. So schlägt Paulus der Gemeinde in Korinth vor, was sich in den Gemeinden Kleinasiens bereits bewährt hat, ihre zugesagte Geldsammlung für die verarmte Gemeinde in Jerusalem an jedem ersten Wochentag, wenn sie ohnehin zusammen sind, zu vervollständigen (1Kor 16,1f.). In Troas (Apg 20,7ff.) finden wir die Feier des Herrenmahles verbunden mit einem Predigtgottesdienst. Weitere konkrete Hinweise auf Form und Inhalte gottesdienstlicher Zusammenkünfte finden sich in den Ausführungen im 1. Korintherbrief unter der einleitenden Formulierung: „… wenn ihr aber zusammenkommt …“ (vgl. 1Kor 11,20ff.; 14, 26ff. u. a.).
Nirgends hat die frühe Kirche den Sonntag ‚christlichen Sabbat‘ genannt und dessen Feier vom Sabbatgebot abgeleitet.
Als der Apostel Johannes um das Jahr 70 nach Kleinasien übersiedelte, fand er die Feier des Herrentages dort als gegeben vor. So spricht er in der Offenbarung ganz selbstverständlich davon (vgl. Offb 1,10: „Ich war an dem dem Herrn gehörenden Tag im Geist …“). Nirgends hat die frühe Kirche den Sonntag ‘christlichen Sabbat‘ genannt und dessen Feier vom Sabbatgebot abgeleitet.
„Alle Zeugnisse weisen darauf hin, dass die Loslösung vom Sabbat bereits in der judenchristlichen Gemeinde begann, wenn auch zunächst in einer Zweigleisigkeit, dass die heidenchristlichen Gemeinden von vorne herein nie auf den Sabbat verpflichtet wurden (Apg 15) und dass die Feier des ‚Tags des Herrn‘ sich unter gelegentlichen Konflikten (Gal 4,8ff.; Kol 2,8ff.) und Rückfällen (Brief des Ignatius an die Magnesiter 9,13) endgültig einbürgerte“.14
3.2 Die Bedeutung des Sonntags in der Frühzeit der Kirche
Die gottesdienstliche Feier des Sonntags war als unaufgebbare christliche Sitte bekannt
Aus der Zeit des zweiten und dritten Jahrhunderts gibt es einige Zeugnisse, die belegen, dass sich die gottesdienstliche Feier des Sonntags allgemein und rasch verbreitet hatte.Die Kirchenschriftsteller vom Anfang des 2. Jahrhunderts sprechen stets als von einer allgemeinen , die in der heidnischen Umwelt als eine unaufgebbare Eigentümlichkeit der Christen bekannt war. Dafür zwei Beispiele:
Als Plinius, der Freund des Kaisers Trajan, um das Jahr 112 zahlreiche Christen der Provinz Bithynien, deren Präsident er war, zu verhören hatte, darunter auch solche, welche bis vor kurzem Christen gewesen waren, jetzt aber ihr Christentum ableugneten, gaben diese letzteren als das Wesentliche ihres angeblichen Staatsverbrechens das an, dass sie die Gewohnheit gehabt hätten, an einem festgesetzten Tage vor Tagesanbruch sich zu versammeln, Christo als ihrem Gott ein Loblied miteinander zu singen und sich durch eidliches Gelübde zu einem tugendhaften Leben zu verpflichten, sodann am Abend wieder zusammen zu kommen und ein einfaches und unschuldiges Mahl zu halten.
Als um 150 Justin der Märtyrer dem Kaiser Antonius Pius in einer ausführlichen Bittschrift die Unschuld der Christen darzutun suchte und zu dem Ende unter anderem auch die wesentlichen Gebräuche der Kirche schilderte, schloss er an die Beschreibung der Taufe und des Abendmahls die der Sonntagsfeier an.
„An dem sogenannten Tag der Sonne,“ sagt Justin, „findet eine allgemeine Versammlung aller in den Städten und auf dem Lande wohnenden (Christen) statt, und es werden die Erinnerungen der Apostel oder die Schriften der Propheten vorgelesen, soviel als die Zeit es gestattet. Hat dann der Vorleser aufgehört, so hält der Vorsteher (der Gemeinde) eine Ansprache, worin er zur Nachahmung dieser edlen (Wahrheiten und Vorbilder) ermahnt und anfeuert. Darauf erheben wir uns allesamt und verrichten unser Gebet. Und nach Beendigung des Gebetes wird Brot und Wein und Wasser gebracht; und der Vorsteher sendet sowohl Bitten als Danksagungen empor, so gut er’s vermag, und die Gemeinde spricht bestätigend ihr Amen. Darauf folgt die Austeilung und der Empfang der gesegneten (Elemente) für einen jeden, und den Abwesenden wird’s durch die Diakonen geschickt. Die Wohlhabenden aber und dazu Geneigten geben, ein jeder nach seinem Ermessen, was er will, und das also Gesammelte wird beim Vorsteher niedergelegt, und dieser versorgt davon Waisen und Witwen und die, welche um Krankheit oder anderer Ursachen willen Not leiden, und die Gefangenen und die Reisenden aus der Fremde: mit einem Wort, er wird ein Fürsorger aller Bedürftigen.“15
An die Verehrung eines Sonnengottes wurde nie gedacht, im Gegenteil: Man versuchte, die Bezeichnung “Sonntag” mit christlichen Inhalten zu füllen
Hier taucht zum ersten mal die Bezeichnung „Sonntag“ für den Herrentag auf. Während die Gläubigen unter sich nach wie vor die Bezeichnung ‚Tag des Herrn‘ oder ‚erster Tag der Woche‘ gebrauchten, „benutzten sie im Verkehr mit den Heiden mitunter die Bezeichnung „Sonntag“ (Tag der Sonne), um mit ihnen in ihrer Sprache reden zu können“.16 Denn die Namen der Wochentage wurden im römischen Reich nach babylonischem Vorbild nach den sieben Planeten genannt, nämlich der Sonne (für den ersten Tag), dem Mond und den Sternen: Mars, Merkur, Jupiter, Venus und Saturn.
Eine inhaltliche Annäherung an die Verehrung eines Sonnengottes lag jedoch fern. Im Gegenteil. Es wurde versucht, die Bezeichnung „Sonntag“ mit christlichen Inhalten zu füllen, indem innere Beziehungen zwischen ‚Herrentag‘ und ‚Sonntag‘, Christus und der Sonne, dem ersten Tag der Woche und dem Schöpfungstag hergestellt wurden.17 Inwiefern die Herleitung des deutschen Begriffs ‚Sonntag‘ nun ursprünglich aus dem Midraschkult mit seiner Sonnenverehrung kommt oder eher in der christlichen Deutung als Erfüllung der Verheißung „Aufgehen wird die Sonne der Gerechtigkeit“ (Mal 3,20) seine Wurzeln hat, lässt sich nur schwerlich rekonstruieren.18
Der Gedanke einer Arbeitsruhe am Sonntag spielte im 1. und 2. Jahrhundert keine große Rolle
Zum anderen wird aus diesen Schilderungen deutlich, dass der Sonntag der Christen im hellenistischen Umfeld ein ganz normaler Arbeitstag war, so dass auch die Christen ihn nicht als einen Ruhetag feierten. Das lassen schon die Gottesdienstzeiten erkennen.
„Bis tief ins 2. Jahrhundert hinein haben wir in den Quellen nicht die leiseste Andeutung, dass der Sonntag … mit Arbeitsruhe ausgezeichnet worden wäre“.19
Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass sich der christliche Sonntag von Anfang an nicht vom jüdischen Sabbat her ableitete, sondern als eine Neuherausbildung, eine rein christliche Sitte, anzusehen ist.
„Der Sonntag war ein wöchentlich wiederkehrendes Osterfest. Daher wurde er durchaus als ein Tag der Freude aufgefasst. Während die Christen an anderen Tagen ihr Gebet kniend zu verrichten pflegten, wurde am Sonntag nur stehend gebetet. Der Herr, nach welchem man den Tag nannte, hatte durch seine an diesem Tag geschehene Auferstehung allen seinen Erlösten das Recht und den Mut gegeben, vor ihrem Gott aufrecht zu stehen und die mit Christus begrabene Sünde zu vergessen, deren Gedächtnis sie an anderen Tagen auf die Knie warf.“20
„Der sonntägliche Gottesdienst unterblieb nicht in Zeiten, wo er nur heimlich und mit Lebensgefahr gefeiert werden konnte. Die Zerstörung christlicher Kirchen, die Verhaftung ganzer Gemeinden während des Gottesdienstes, zahlreiche Hinrichtungen in den letzten, großen Verfolgungen, haben den christlichen Gottesdienst und die christliche Sonntagsfeier nicht zu unterdrücken vermocht“.21
Der Gedanke einer Arbeitsruhe am Sonntag spielte im 1. und 2. Jahrhundert keine große Rolle und gewann erst durch die Erhebung des Sonntags zum offiziellen Feiertag im römischen Reich unter Konstantin dem Großen an Bedeutung.
3.3 Die Einführung des Sonntags als gesetzlichen Feiertag
Am 7. März 321 erließ Kaiser Konstantin der Große das Sonntagsgesetz, in welchem er ausdrücklich Bezug auf die Kirche nahm und den ‚ehrwürdigen Tag der Sonne‘ in seinem Reich zum allgemeinen Tag der Gerichts- und Arbeitsruhe machte.
„Alle Richter und die städtischen Bevölkerungen, besonders die Gewerbetreibenden aller Art sollten an diesem Tag ihre Tätigkeit einstellen. Die Landbevölkerung soll ungestraft ihren Arbeiten in Feld und Weinberg nachgehen dürfen, weil diese Arbeiten allzusehr von Jahreszeit und Witterung abhängig sind, um eine so regelmäßige Unterbrechung erleiden zu können. Drei Monate später gestattete der Kaiser Freilassung von Sklaven und Aufnahme gerichtlicher Akte darüber am Sonntag. Auch sorgte er dafür, dass die christlichen Soldaten am Sonntag im Besuch des Gottesdienstes ungehindert seien, und ordnete sogar für die heidnischen Soldaten eine Art sonntäglichen Gottesdienstes an, wobei sie auf ihren Exerzierplätzen mit aufgehobenen Händen und aufwärts gerichtetem Blick ein vom Kaiser formuliertes Gebet sprechen mussten.“22
Über die Motive des dem Christentum zugeneigten Kaisers für die Verordnung gibt es unterschiedliche Auffassungen. Während einige meinten, er habe ohnehin vorgehabt, eine einzige monotheistische Staatsreligion einzuführen, wozu ihm das Christentum gerade gelegen kam,23 sahen andere in der Unterbindung des Austragens gerichtlicher Streitigkeiten am Tag des Gottesdienstes einen Schutz für die ungestörte Austragung des Gemeindelebens der christlichen Kirche.24 Diese Gerichts- und Arbeitsruhe, die noch keine allgemeine Arbeitsruhe war, sondern nur die Erhebung des Sonntags zum allgemeinen Feiertag, bedeutete in ihren Ansätzen jedoch eine Integration von Sabbat und Herrentag, indem der Sabbat und das per Gesetz verordnete Ruhen auf den Sonntag übertragen wurde.
Dieser Ansatz gewann im Verlauf des Mittelalters zunehmend an Bedeutung.
3.4 Die Bedeutung des Sonntags im Mittelalter
Die Vergesetzlichung des Sonntags führte, was die Arbeitsruhe anbetrifft, zunehmend zur Ineinssetzung von Sabbatruhe und Sonntagsruhe. Gregor der I., Bischof von Rom, ermahnt in einem Brief im Jahre 603 dazu, die altkirchliche Auslegung des Sabbatgebotes auf den Sonntag anzuwenden.
Besonders waren es dann die Gesetzgeber der germanischen Staaten, die „die unbändigen, noch halb im Heidentum steckenden Völker durch harte Strafen zu einer Feier des Gottesdienstes zwangen, deren Hauptstück die Unterlassung der Arbeit war“25. Karl der Große erlässt für seinen Machtbereich klare gesetzliche Bestimmungen über die Freihaltung des Sonntags von Gerichtsverhandlungen, Strafvollstreckungen, ‚knechtische Arbeit‘ und das Abhalten von Märkten.
Für das alte katholische Kirchenrecht wurde ein vierfaches Sonntagsgebot erlassen, das den Besuch der Messe vorschrieb, das Enthalten von schwerer körperlicher Arbeit, die Unterlassung von Gerichtsverhandlungen und das Verbot von öffentlichen Märkten verlangte. Thomas von Aquin sprach von dem Sonntag als vom ‚Sabbat des neuen Bundes‘.
Aus der einmal freiwillig und freudig, mit erhobenem Haupte begangenen Feier der Auferstehung Jesu ist eine gesetzliche Pflichterfüllung geworden.
Im ausgehenden Mittelalter haben Staat und Kirche so endgültig zueinander gefunden. In der kaiserlichen Gesetzgebung über den Sonntag manifestiert sich das Gesetz des Alten Bundes, welches zum Gesetz Christi geworden ist. Aus der einmal freiwillig und freudig, mit erhobenem Haupte begangenen Feier der Auferstehung Jesu ist eine gesetzliche Pflichterfüllung geworden.“26
3.5 Die Bedeutung des Sonntags in der Reformation
Die Reformatoren lehnten die Rückkehr zum Sabbat gründlich ab und stellten die altchristliche Anschauung vom Sonntag wieder her. Selbst wenn die verschiedenen Reformatoren durchweg vom dritten bzw. vierten Gebot des Dekalogs ausgehen, betonen sie nicht die gesetzliche, sondern die evangeliumsgemäße Einrichtung und Bedeutung des Sonntags. Eigentlich, meint Luther, geht den Christen der jüdische Sabbat nichts an, aber er begrüßt ihn gleichwohl als Tag der ‚Ruhe und Erquickung‘ und gibt ihm damit seine natürlich-theologische Berechtigung.
Einen für die Christenheit brauchbaren Sinn des Sabbatgebotes hat Luther dadurch geschickt eingeleitet, dass er an Stelle des Namens ‚Sabbat‘ den allgemeinen Begriff ‚Feiertag‘ einführte, worunter mit dem Sonntag zugleich alle anderen gottesdienstlichen Tage gefasst werden konnten.
Und darin liegt die Heiligung dieses Tages:
„Nicht so, dass man hinter dem Ofen sitzt und keine grobe Arbeit tut oder einen Kranz aufsetzt und seine besten Kleider anzieht, sondern so, dass man mit Gottes Wort umgeht und sich darin übt … und wahrlich, wir Christen sollen immerfort solchen Feiertag halten, lauter heilige Dinge treiben, d.h. täglich mit Gottes Wort umgehen … Aber weil nicht alle Zeit und Muße dazu haben, müssen wir wöchentlich … wenigstens einen Tag für die große Menge dazu verwenden …“27
Der Heidelberger Katechismus hat diesen Gedanken so ausgedrückt:
„Was will Gott mit dem vierten Gebot?… dass ich alle Tage meines Lebens von meinen bösen Werken feiere, den Herrn durch seinen Geist in mir wirken lasse und also den ewigen Sabbat in meinem Leben anfange.“28
Zwar haben die Reformatoren nicht explizit die urchristliche Auferstehungsfreude als Thema der Feiertagsheiligung aufgenommen, aber implizit durch die Verkündigung und Übung des Wortes Gottes am Feiertag doch. Trotzdem ist durch die Reformatoren keine neue Sonntagskultur in die abendländische Christenheit eingezogen. Über 200 Jahre hin zwangen auch die evangelischen Landesherren ihre Untertanen mit Polizeigewalt zum Gottesdienst und erreichten dadurch eher Widerwillen als Freude an der Kirche und ihrer Verkündigung.
3.6 Die Entwicklung des Sonntags bis heute
Man vermied am Sonntag nach Möglichkeit jede unnötige Form von Bewegung und Zerstreuung
Das Halten des Ruhegebotes wurde im Puritanismus und Pietismus stark betont. Man vermied am Sonntag nach Möglichkeit jede unnötige Form von Bewegung und Zerstreuung. Der Sonntag sollte als Tag der Ruhe, der Andacht, des Gottesdienstbesuches und der stillen Selbstprüfung begangen werden. Unter Cromwell wurde dieses Ideal der Sonntagsheiligung durch eine Vielzahl genauer Verbote von Sonntagstätigkeiten auch staatlich reglementiert und sanktioniert (sog. englischer Sonntag). Die theologische Hochschätzung der Sonntagsheiligung und der Ruhe am Gottesdiensttag konnte allerdings nicht verhindern, dass im Zug der Industrialisierung zunehmend mehr Menschen auch an Sonn- und Feiertagen arbeiten mussten.
Seitdem die Gewerkschaften in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts den freien Samstag erkämpften, bildet der Sonntag zusammen mit dem Samstag das Wochenende. Im Rahmen der allgemeinen Entkirchlichung und des Rückganges des Gottesdienstbesuchs konkurrieren Kurzurlaub, Sport und Kulturveranstaltungen, Familienfeste und Ausflugsziele mit dem sonntäglichen Gottesdienstbesuch. Seitdem ist der Sonntag im Bewusstsein der Bevölkerung mehr ein Tag zum Ausschlafen und für Freizeitaktivitäten denn ein Tag für Gottesdienst, Andacht und Muße.
4 Den Sonntag als Feiertag heiligen
Es wäre gut, wenn wir wieder eine biblische Sicht über den Sinn und die Bedeutung des Sonntags vermitteln könnten.
Gott ruhte von seinen Werken und lässt den Menschen an seiner Ruhe teilhaben (1Mo 2,3). Die Heiligung dieses Ruhetages steht unter dem Segen Gottes (1Mo 2, 3) und soll dem Menschen zugute kommen, denn „um des Menschen willen wurde der Ruhetag geschaffen“ (Mk 2,28). Deshalb ist ein bewusstes Unterbrechen der alltäglichen Arbeit, um zur Ruhe zu kommen, schöpferische Erholung zu finden, zum Nachdenken und zum Lob Gottes zu gelangen, angebracht.
Die Einhaltung des Ruhetages erinnert uns gleichzeitig an den ‚ewigen Ruhetag‘, der den Gläubigen verheißen ist (Hebr 4,9).
Das Besondere des Sonntags liegt darin, dass er der ‚Tag des Herrn‘ ist (Offb 1,10). An diesem Tag feiern wir als Christen die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus aus den Toten. Und alle, die zu Christus gehören, sind mit in diese Realität einbezogen (Kol 3,1; 1Petr 1,35 u.a.). An jedem Sonntag werden wir daher an die Auferstehung Jesu erinnert und feiern miteinander ein ‚kleines Ostern‘.29 Die wöchentliche Feier des ‚Herrenmahls‘ am Auferstehungstag, so wie wir es in den Berichten der Anfangszeit der Gemeinde vorfinden, ist dabei eine gute Praxis.
Das gemeinsame Begehen dieses ‚Feiertages‘ sollte daher von der Auferstehungsfreude geprägt sein, von Gemeinschaft und der Begegnung mit Gott und mit Menschen.
Alle Arbeit, die auch an einem normalen Tag geschehen könnte, sollte von diesem Tag ferngehalten werden
Die Heilighaltung dieses Tages kommt darin zum Ausdruck, dass wir ihm seine ursprüngliche Bedeutung als Ruhetag, Gedenktag und Tag, um für Gott da zu sein, zukommen lassen. Alle Arbeit, die auch an einem normalen Tag geschehen könnte, sollte von diesem Tag ferngehalten werden Jedoch nicht im Sinne einer pharisäischen „Vermeidungsmoral“ jeglicher Tätigkeit, sondern im Bewusstsein, dass es ausdrücklich erlaubt ist am Ruhetag Gutes zu tun (Mk 2,28). Selbst wenn vom NT her kein fester Wochentag zur Ruhe und zur gemeinsamen Besinnung auf Gott festgelegt ist, macht es doch Sinn, den Sonntag als Tag der Auferstehung und Tag des Herrn gemeinsam zu begehen und sich für den Schutz dieses Tages als ‚christliche Kultur‘ unseres Landes einzusetzen.
Artikel 140 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. ↩
Lutz v. Padberg in: ‚Bibel und Gemeinde‘ 1/99, „1968-1998:Bilanz nach 30 Jahren Emanzipation“ S. 59. ↩
Angeführt bei G. Ruhbach, Von der Heiligung des Sonntags, in: Theologische Beiträge 5/89, S. 247-257, R. Brockhaus Verlag: Wuppertal, 1989, S. 249. ↩
Theodor Zahn, „Geschichte des Sonntags“, in: Skizzen aus dem Leben der alten Kirche, S. 160-238, Deichert’sche Verlagsbuchhandlung: Leipzig, 1908(4), S. 206. ↩
G. Ruhbach, a.a.o., S. 250. ↩
O. Betz, „Fest / Feste“, in: Das Große Bibellexikon, Bd. 1, R. Brockhaus Verlag: Wuppertal, 1989, S. 377. ↩
E. Lohse, „Sabbaton“, in: THWBNT, Bd.7, Stuttgart 1964, S. 8, zitiert bei H. Koch, Woche ohne Sonntag?, Die Wirtschaft, die Kirchen u. das Sabbatgebot, Vorlagen Neue Folge 8, Lutherisches Verlagshaus: Hannover, 1989, S. 46. ↩
Es ist interessant, dass nach dem Bericht der synoptischen Evangelien Jesus selbst keine Ähren ausraufte. Daraus geht hervor, dass er nicht im eigenen Interesse, sondern um seiner Jünger willen argumentierte. „Auch kann keinesfalls davon die Rede sein, dass Jesus und seine Jünger am Sabbat getan hätten, was mit Recht als ‚Alltagsgeschäfte‘ bezeichnet werden kann.“ In einer späteren Ergänzung zu Lk 6,5 heißt es: „Als Jesus am selben Tage einen am Sabbat arbeiten sah, sprach er: Mensch, wenn Du weißt, was Du tust, so bist Du selig; wenn Du es aber nicht weißt, so bist Du verflucht und ein Übertreter des Gesetzes“. Zitiert bei Th. Zahn, a.a.O., S. 166. ↩
G. Maier beschreibt die Intension der Aussage Jesu in Mt 5,17 folgendermaßen: „Im ‚Erfüllen‘ liegt ein doppeltes ‚Vollmachen‘: a) Jesus zeigt uns das volle Maß des Gotteswillens ohne Einschränkung und Verfälschung, b) Jesus wird diesem Gotteswillen in seinem ganzen Leben ohne Einschränkung gerecht. Er ‚erfüllt‘ in Lehre und Leben!“ G. Maier, Matthäus-Evangelium, 1. Teil, Edition C Bibelkommentar Bd. 1, Hänssler Verlag: Neuhausen, 1996, S. 145. ↩
Zitiert bei Kl. Bockmühl: Christliche Lebensführung, Eine Ethik der zehn Gebote, TVG, Brunnen Verlag: Gießen, 1995(2), S. 36. ↩
W. Rordorf, Der Sonntag. Geschichte d. Ruhe und Gottesdiensttages im älteren Christentum, Zürich, 1962, S. 155. ↩
Th. Zahn, a.a.O., S. 169. ↩
Apg 20,7 zeigt, dass die Feier des Brotbrechens am ersten Wochentag bereits eine Gewohnheit geworden war. Apg 2,46 gibt einen Hinweis darauf, wie die Feier des Herrenmahles in einer sich rasch auf mehr als 3000 Gläubige anwachsenden Gemeinde praktisch durchgeführt wurde, nämlich in kleinen Gruppen in den Häusern der Gläubigen. ↩
K. Hutten, „Sabbat gegen Sonntag“, in: ‚Die Sieben Tags Adventisten‘, in: Seher, Grübler, Enthusiasten, Quell Verlag: Stuttgart, 1984(13), S. 60. Hier findet sich auch eine ausführliche Auseinandersetzung und biblische Widerlegung der adventistischen Sabbatlehre, die als ein Hauptargument anführt, dass das Wort ‚Sabbat‘ im vierten Gebot nicht nur ‚Ruhetag‘ meint, sondern als Eigenname zu verstehen sei und auf den siebten Wochentag zu beziehen sei. Daher ist nach ihrer Auffassung in jedem Fall der siebente und kein anderer Wochentag zur Heilighaltung verordnet. ↩
Angeführt und zitiert bei Th. Zahn, a.a.O., S. 180. ↩
Ebd., S. 181. ↩
Justin schreibt: „Am Sonntag kommen wir alle deswegen zusammen, weil das der erste Tag ist, an dem Gott die Finsternis und die Materie wendete und die Welt erschuf“ (Apol 67,7), zitiert bei K. Hutten, a.a.O., S. 60. ↩
Der lat. Kirchenvater Hieronymus (340-420) schrieb zu Ps 118: „Wenn der Tag der Auferstehung von den Heiden als der ‚Tag der Sonne ‚genannt wird, so nehmen wir diese Bezeichnung gerne hin. Heute (Ostersonntag) ist nämlich das Licht der Welt, heute ist die Sonne der Gerechtigkeit aufgegangen.“ Zitiert bei K. Hutten, a.a.O., S. 61. G. Ruhbach, a.a.O., S. 251: „Die romanischen Bezeichnungen des Sonntags weisen jedenfalls eindeutiger auf den Herrn, den ‚dominus‘ hin: dimanche (franz.), dominica (ital.), domingo (span.). Kaiser Theodosius I (379-395) ersetzte in seiner Regierungszeit die Bezeichnung ‚Sonntag‘ offiziell durch die Bezeichnung ‚domenica dies‘ (Herrentag).“ ↩
W. Rordorf , a.a.O., S. 155. ↩
Unter Berufung auf Schriften alter Kirchenväter aufgeführt und zitiert bei Th. Zahn, a.a.O., S. 184. ↩
Ebd., S. 193. ↩
Th. Zahn, a.a.O., S. 195. ↩
Vgl. Zahn, a.a.O., S. 194. ↩
So Hermann Dörries: Konstantin der Große, Stuttgart 1958, S. 90f. und W.Thomas, Der Sonntag im frühen Mittelalter, Göttingen 1929, erwähnt bei H. Koch: Woche ohne Sonntag, a.a.O., S. 51. ↩
Th. Zahn, a.a.O., S. 197. ↩
H. Koch, a.a.O., S. 53. ↩
M. Luther, Großer Katechismus, Gütersloh 19823, S. 42. ↩
Heidelberger Katechismus, Frage 103, in: W. Niesel, Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen der nach Gottes Wort reformierten Kirche, München, 1939, S. 175. ↩
In manchen Ländern, z. B.: Russland, heißt der Sonntag direkt „Auferstehungstag“ (Woskresenje). ↩