ThemenWeltanschauungen

Ist Jesus der allmächtige Gott?

Dieser Beitrag untersucht einige aktuelle Lehraussagen der Zeugen Jehovas. Den eingerückten und kursiv gesetzten Zitaten aus einem Artikel der von den Zeugen Jehovas herausgegebenen Zeitschrift „Der Wachturm“ (vom 15. September 2005) folgen die Stellungnahmen aus biblisch-theologischer Sicht.

1. Jesus, der allmächtige Gott

„Viele religiöse Menschen sagen, Jesus sei Gott. Für einige ist Gott eine Dreifaltigkeit.“

Nur Christen erheben diesen Anspruch. Viele andere religiöse Menschen glauben weder an den Gott der Bibel noch an seinen Sohn Jesus Christus oder den Heiligen Geist.1 Die Dreifaltigkeit (auch Dreieinigkeit oder von lateinisch trinitas abgeleitet auch Trinität) ist grundlegend für das christliche Verständnis von Gott, von Jesus und vom Heiligen Geist. Dadurch unterscheidet sich das christliche Gottesverständnis wesentlich von dem des Judentums oder des Islam.

Wer heute auch innerhalb des Christentums die Dreieinigkeit Gottes ablehnt, steht in der Tradition der sogenannten Antitrinitarier zurzeit der Alten Kirche und der Reformationszeit.2 Die Aussage des Wachturms nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als sie Jesus zwar formal als den Sohn Gottes bezeichnet, ihm aber dennoch biblisch wesentliche Eigenschaften Gottes vorenthält.3

Auch das Neue Testament erhebt den Anspruch, dass Jesus Gott ist

Dass Jesus Gott ist, sagen nicht nur religiöse Menschen. Auch das Neue Testament erhebt diesen Anspruch:

„Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene [Jesus; vgl. Joh 1,14], der Gott ist und in des Vaters Schoß ist …“ (Joh 1,18); „Und wir sind in dem Wahrhaftigen, in seinem Sohn Jesus Christus. Dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben“ (1Joh 5,20).4

In ihrem Bekenntnis folgen Christen diesen Aussagen.

Gegenüber Gott dem Schöpfer des Himmels und der Erde und der Ewigkeit Gottes wird gesagt: „Jesus dagegen hatte einen Anfang (Kol 1,15f.). Er sagte über Gott:

„Der Vater ist größer als ich“ (Joh 14,28).

Jesus sprach auch von Dingen, die weder er noch die Engel wüssten, sondern nur sein Vater (Mk 13,32).

Von einem „Anfang“ kann man im Grunde erst im Bereich von Raum und Zeit sprechen. Und am Anfang, heißt es im Prolog des Johannesevangeliums, war Jesus als das göttliche Wort bereits bei Gott (1,1-3).

„Jesus ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, sein Erstgeborener vor aller Schöpfung … Und er ist vor allem …“ (Kol 1,15-17).

Jesus hatte keinen Anfang, er war bereits vor allem Anfang. Noch vor Grundlegung der Welt hatte Jesus göttliche Herrlichkeit, „denn du hast mich geliebt, ehe der Grund der Welt gelegt war“ (Joh 17,24). Nach Philipper 2,6 war Jesus vor seiner Fleischwerdung in göttlicher Gestalt.5 Setzt diese göttliche Gestalt nicht auch seine Existenz vor der Zeit voraus? Diesen Gedanken nimmt das Glaubensbekenntnis von Nizäa von 325 n.Chr. auf, wenn es sich von denen abgrenzt, „die sagen, es gäbe eine Zeit, da er nicht war und ehe er geboren wurde, sei er nicht gewesen …“.6

Das Neue Testament macht an mehreren Stellen deutlich, dass der präexistente Jesus als „Schöpfungsmittler“ an der Schöpfung des Himmels und der Erde Anteil hatte.7 Was im Alten Testament von Gott bekannt wird, wird im Neuen Testament auf Jesus erweitert (vgl. Joh 1,3; 5,17.21; Kol 1,15f.), so dass eine Gleichstellung von Vater und Sohn nicht eine Erfindung späterer kirchlicher Dogmatik ist.

Neben dem angeführten Bekenntnis von Jesus, dass der Vater größer sei als er (vgl. auch 5,19.30; 8,29; 9,33; 13,16), sagt Jesus im gleichen Johannesevangelium aber auch mehrfach, dass er mit dem Vater eins ist (10,30.38; 14,10f.20; 17,11.21) oder dass, wer ihn gesehen hat, den Vater gesehen hat (14,9).8 Daher kann er (und nur er) den Vater in einer alles Bisherige übertreffenden Art und Weise offenbaren:

„… und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will“ (Mt 11,27; vgl. Hebr 1,1-4).

Beide Aussagen gehören zusammen. Eine Aussage darf nicht verabsolutiert, sondern muss von der anderen her verstanden werden.

Dass Jesus in Markus 13,32 die Stunde seiner Wiederkunft nicht kennt (vgl. 13,24-27), wird im Text selbst nicht weiter problematisiert.9 Darf man die göttliche Eigenschaft der Allwissenheit (die Jesus durchaus besaß; vgl. z. B. Mt 26,21-25; Joh 1,47-51; 2,24f.; 4,17f.,25) uneingeschränkt auch für die Begrenzung der authentischen menschlichen Existenz von Jesus erwarten? Die teilweise Aufgabe oder das Ruhen dieser Eigenschaft (und damit dieses Wissens) gehört zu der in Philipper 2,7 beschriebenen Selbstentäußerung von Jesus.10

„Außerdem betete Jesus zu seinem Vater: ‚Nicht mein Wille geschehe, sondern dein Wille geschehe‘ (Lk 22,42). Zu wem sonst als zu einem Höherstehenden hat Jesus gebetet? Überdies hat sich Jesus nicht selbst von den Toten auferweckt, sondern Gott tat dies (Apg 2,32)“.

Neben den Aussagen, dass Jesus sich in seinem Heilswerk dem Willen Gottes hingab, gibt es auch Aussagen, die betonen, dass er aus eigenem Entschluss sein Leben hingab:

„Denn der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben als ein Lösegeld für viele“ (Mk 10,45).

Er ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist (Lk 19,10). In Joh 10,18 sagt Jesus, dass niemand sein Leben von ihm nimmt, sondern dass er es selber lässt, und weiter:

„Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wieder zu nehmen“.

Dass sich der fleischgewordene Gottessohn und Mensch Jesus in seinem Gebet im Garten Gethsemane unmittelbar vor seinem Leiden und Sterben dem Willen Gottes unterstellt und sich als frommer Jude auch in vielen anderen Situationen zu dem Gott Israels als dem himmlischen Herrn und Vater bekennt, zu ihm betet und sich ihm unterstellt, stellt angesichts der Aussagen von Jesus, dass er vom Vater kommt und eins mit dem Vater ist, seine Göttlichkeit und Sohnschaft nicht in Frage. In dem vorliegenden Text scheinen auch die Zeugen Jehovas dies nicht zu tun (s. u. „Er ist vielmehr Gottes Sohn“).

Die Auferstehung wird als Auferweckung durch Gott beschrieben und als Geschehen aus eigener Macht und Initiative

Neben Aussagen, die die Auferstehung von Jesus als eine Auferweckung durch Gott beschreiben (z. B. Apg 2,32: „Diesen Jesus hat Gott auferweckt“; Apg 5,30: „Der Gott unserer Väter hat Jesus auferweckt“; Apg 10,40: „Den hat Gott auferweckt am dritten Tag und hat ihn erscheinen lassen …“; Apg 13,30: „Aber Gott hat ihn auferweckt von den Toten“, ferner Röm 4,24; 8,11, 10,9; 1Petr 1,21), gibt es eine ganze Reihe von Aussagen, die die Auferstehung als ein auf Jesus’ eigene Initiative und Macht hin geschehenes Ereignis beschreiben (z. B. Lk 24,6: „Er ist nicht hier, er ist auferstanden“; Lk 24,34: „Der Herr ist wahrhaftig auferstanden …“; 1Kor 15,4: „… dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift“; vgl. Joh 20,9). In der wichtigen Behandlung der Auferstehung von Jesus in 1Kor 15 finden sich beide Aussagen in unmittelbarer Nachbarschaft:

„… so ist auch Christus nicht auferstanden. Ist aber Christus nicht auferstanden … weil wir gegen Gott bezeugt hätten, er habe Christus auferweckt, den er nicht auferweckt hätte … so ist Christus auch nicht auferstanden. Ist Christus aber nicht auferstanden … Nun aber ist Christus auferstanden“.

Aufgrund dieser beiden Aussagereihen sollten also aus den Aussagen, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat, keine weit reichenden Schlüsse über das Verhältnis Gott-Jesus gezogen werden.

(Schlussfolgerung) „Offenbar waren der Vater und der Sohn nicht gleich – weder bevor Jesus auf die Erde kam noch als er auf der Erde war. Änderte sich daran nach Jesu Auferstehung etwas? In 1Kor 11,3 heißt es: ‚Das Haupt des Christus … ist Gott‘. Der Sohn ist Gott also immer untergeordnet (1Kor 15,28). Nach der Bibel ist Jesus daher nicht der allmächtige Gott. Er ist vielmehr der Sohn Gottes“.

Das Verhältnis des Christus zum Vater wurde als eine Unterordnung in der Rolle, aber nicht im Wesen oder Sein verstanden

Die Aussage in 1Kor 11,3, dass Gott das Haupt Christus ist, war einer der Vorzugstexte der Arianer (vgl. Fußn. 3). Doch beinhaltet diese Aussage keine Unterordnung von Christus unter Gott (im Sinne einer Subordination).11 Paulus geht es im Zusammenhang um Gehorsam: Christus ist Gott gehorsam und die Frau gehorcht ihrem Mann. Vom Gehorsam des Christus Gott gegenüber zeugen Römer 5,19 („… so werden auch durch den Gehorsam des Einen die Vielen zu Gerechten“), Philipper 2,8 und Hebräer 5,8. David Garland schreibt zu 1Kor 11,3:

„Historisch gesehen wurde in der Trinitätslehre das Verhältnis des Christus zum Vater als eine Unterordnung in der Rolle, aber nicht im Wesen oder Sein verstanden.“12

Ähnlich sind die Aussagen in 1Korinther 15,24-28 zu verstehen. Dort will Paulus nicht das Verhältnis Jesus-Gott entfalten, sondern deutlich machen, dass nur Gott nicht der Autorität von Christus unterworfen ist:

„Wenn es aber heißt, alles sei ihm unterworfen, so ist offenbar, dass der ausgenommen ist, der ihm alles unterworfen hat“, nämlich Gott.13

Neben diesen und anderen Aussagen der Unterordnung von Jesus unter Gott (vgl. z. B. Apg 2,36) finden sich auch Aussagen im Neuen Testament, die das Einssein von Vater und Sohn betonen. Dennoch wird an der Unterscheidung zwischen Jesus und Gott festgehalten, sie verschwimmen nicht ineinander. Daher ist Jesus tatsächlich nicht mit dem allmächtigen Gott im Sinne der Bezeichnung für Gott den Vater gleichzusetzen.

Dennoch ist bei dieser Aussage zu fragen, ob es im Neuen Testament eine Sohnschaft von Jesus („Er ist vielmehr der Sohn Gottes“) ohne eine Gleichheit des Wesens zwischen Jesus und Gott und damit ohne eine Allmacht des Sohnes tatsächlich gibt. Wie definieren die Zeugen Jehovas diese „Sohnschaft“ näher?14 In der Lehre der christlichen Kirchen wird zu Recht nicht zwischen einer Gottessohnschaft von Jesus und göttlichen Eigenschaften wie seiner Allmacht unterschieden.

Die Aussage, dass der präexistente Jesus der „Schöpfungsmittler“ war bzw. dass alles durch ihn gemacht ist (s. o.), setzt seine Allmacht voraus. Die Evangelienberichte machen deutlich, dass Jesus durch seine Zeichen und Wunder aber auch durch einzelne andere Taten und Aussagen vor allem durch den Zuspruch der Sündenvergebung (vor der Heilung des Gelähmten; vgl. Mk 2,1-22), mit göttlichem Anspruch und in göttlicher Vollmacht gehandelt hat. Daher wird Jesus im Neuen Testament vor und nach Ostern als der Herr (kyrios) bekannt und bezeichnet (Lk 5,8; Apg 2,36; Röm 10,9: „… denn wenn du mit deinem Mund bekennst, dass Jesus der Herr ist“, 2Kor 4,5: „sondern Jesus Christus, dass er der Herr ist“, Phil 2,9-11).15 Dieses griechische Wort steht in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments für den Namen Gottes, da fromme Juden den Gottesnamen JHWH nicht aussprechen wollten.

Wenn Jesus das Reich Gottes mit sich selbst gekommen sieht und dessen Anbrechen nicht nur verkündet, sondern in seinen Taten die Herrschaft Gottes verkörpert, ist das ohne seine Allmacht nicht denkbar.16 Menschen staunten über seine vollmächtige Lehre und über seine Wunder (vgl. Mt 7,29; 12,22f; 22,33; Mk 1,27; 5,42; 7,37; Joh 7,21).17 Auch die Dämonen haben die außerordentliche Vollmacht von Jesus erkannt und anerkannt (vgl. Mk 1,34; 3,11f; 5,7; Lk 4,34; Apg 19,15).

Im Neuen Testament werden viele Aussagen, die im AT über Gott gemacht werden, auf Jesus übertragen

In Apostelgeschichte 7,55 sieht Stephanus die Herrlichkeit Gottes und Jesus zu seiner Rechten stehen. Dem Saulus erscheint der erhöhte Jesus in göttlicher Herrlichkeit (ganz wie in den Epiphanieberichten des AT).18 Die Allmacht von Jesus lässt sich nicht von seiner Herrlichkeit trennen (2Kor 4,4: „das Evangelium von der Herrlichkeit des Christus, welcher ist das Ebenbild Gottes … zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht von Jesus Christus“, 1Petr 1,21: „und ihm die Herrlichkeit gegeben“).19 Römer 1,4 spricht direkt von Jesus als dem Sohn Gottes in Macht.20 Auch 1.Korinther 15,24-26 setzt die Allmacht von Jesus voraus, der einmal alle Herrschaft und alle Macht und Gewalt sowie den Tod vernichten wird. Seine machtvolle Herrschaft werden einmal alle Menschen anerkennen müssen.21 Nicht umsonst wurde Jesus in der christlichen Kunst nicht nur als das Kind in der Krippe und der am Kreuz Leidende dargestellt, sondern als der Sieger über den Tod und als der herrliche Weltenherrscher22 und wird von Christen als Sieger über Hölle, Tod und Teufel angebetet.

Ferner werden im Neuen Testament viele Aussagen, die im Alten Testament über Gott gemacht werden, auf Jesus übertragen. Das Handeln von Jesus hatte viele Parallelen oder zumindest Anklänge an das Handeln Gottes zur Zeit des Alten Testaments (Speisungswunder, Sturmstillung, Erscheinungen, Sündenvergebung).23 Weitere Aspekte führt Chr. Dietzfelbinger an:

Zum Offenbarungsgeschehen gehört es, dass Gott seine Macht auf Jesus überträgt (Joh 5,27; 17,2; 1Kor 15,27). So ist das Wirken von Jesus Machtausübung Gottes, auch wenn das nicht von jedermann erkannt wird. Von den einen wurde seine Lehre als eine von göttlicher Vollmacht erfüllte gehört (Mk 1,27; Mt 7,29), während andere darin Gotteslästerung sahen (Mk 2,7). So priesen die einen seine Heilungen als Ausdruck eschatologischer Schöpfermacht (Mk 7,37), andere erklärten, dass sie auf ein Bündnis mit dämonischen Mächten zurückzuführen seien (Lk 11,15). Jesus selbst sah vor allem in seinen Exorzismen, vermutlich in allen seinen Heilungen, das Wirken göttlicher Macht (Lk 11,20; Mt 11,5f). Nachösterlicher Glaube konnte Passion und Ostern als Ausdruck der Jesus von Gott verliehenen Macht interpretieren (Joh 10,17f). Dass dem Auferstandenen alle Macht im Himmel und auf Erden übertragen ist (Mt 28,18-20), weiß christlicher Glaube vielfach zu bezeugen und zu besingen (1Kor 15,24-28; Eph 1,20-22; Off 12,10 …).24

Einen Sohn Gottes, der nicht auch mit göttlicher Allmacht ausgestattet ist, kennt die Bibel nicht

Bei allen Machtdemonstrationen während seines irdischen Wirkens (in seinen Zeichen und Wundern) hat Jesus darauf verzichtet, seine Macht zu seinen Gunsten einzusetzen (z. B. um während der Versuchung aus Steinen Brote zu machen [Mt 4,3f.; Lk 4,3f.] oder um sich der Kreuzigung zu entziehen, Mt 26,53) oder zu demonstrieren (als messianischer König erscheint er vor den Toren Jerusalems nicht auf einem prächtigen Schlachtross, sondern auf einem Esel, Mt 21,1-7; Sach 9,9f.; vgl. Mt 11,29).

Dieser Machtverzicht stellt nicht in Frage, dass er als der Messias Gottes auch Gottes Sohn in Macht war (einen Messias, einen Herrn Jesus Christus ohne göttliche Macht kennt die Bibel nicht),25 dass ihm als dem Auferstandenen alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist (Mt 28,18) und dass er bei seiner Wiederkunft mit großer Herrlichkeit seine Macht offenbaren und als Weltenrichter und Weltvollender durchsetzen wird (Mk 8,38; 13,26; Mt 25,31; 26,64). Bei seinem ersten Kommen hat Jesus die Schuldfrage geklärt, (erst) bei seinem zweiten Kommen geht es um die Machtfrage.26

In der kurzen Abhandlung des Wachturms werden nur Stellen erwähnt, die Jesus dem Vater unterordnen. Weitere Stellen, die die Wesenseinheit von Jesus mit dem Vater bezeugen, fehlen (z. B. „Ich und der Vater sind eins“, Joh 10,30). Historisches Christentum hat sich bemüht, diese beiden Aussagereihen miteinander zu verbinden. In biblischem und christlichem Bekenntnis ist Jesus der Sohn Gottes in Macht. Einen Sohn Gottes, der nicht auch mit göttlicher Allmacht ausgestattet ist, kennt die Bibel nicht.

2. Der Heilige Geist

Nach der Darstellung des Wachturms ist der Heilige Geist keine Person oder Gott, sondern lediglich eine „… wirksame Kraft, die Gott aussendet und gebraucht, um seinen Willen auszuführen. Durch seinen Geist hat Gott den Sternenhimmel, die Erde und alles Lebende erschaffen (1Mose 1,2; Psalm 33,6). Er inspirierte durch seinen heiligen Geist Männer, die Bibel zu schreiben (2Petr 1,20f.).“

Im Alten Testament erscheint der Geist Gottes oft als die Kraft Gottes (z. B. Ri 11,29: „Da kam der Geist des Herrn auf Jeftah und er zog … gegen die Ammoniter“, „… und der Geist des Herrn wird über dich kommen“, 1Sam 10,6) und nur relativ selten mit Zügen, die auf eine Person hindeuten.27 Das alttestamentliche Geistverständnis wird im Neuen Testament erweitert (siehe unten), wie überhaupt durch die Offenbarung Gottes in Jesus Christus das alttestamentliche Verständnis Gottes, seines Messias und des heiligen Geistes im Neuen Testament im Sinne einer fortschreitenden Offenbarung entfaltet wird.28 Die alttestamentliche Alleinverehrung des Gottes Israels wird so im Neuen Testament erweitert. Der praktische Monotheismus Israels (Abwehr und Abgrenzung gegenüber den Göttern der Völker)29 erlaubt die Möglichkeit, dass im Neuen Testament der Sohn und der Geist neben dem Vater stehen. Es gilt daher, die Bibel heilsgeschichtlich zu verstehen. Man darf alttestamentlich überwiegende Aussagen über den Geist nicht gegen klare neutestamentliche Zeugnisse ausspielen.

Viele Aussagen schreiben dem Geist Gottes Wirkungen zu

Neben den vom Wachturm angeführten (und anderen) Aussagen, die den Geist Gottes als eine göttliche Kraft beschreiben, gibt es im Alten und Neuen Testament auch viele Aussagen, die dem Geist Gottes Wirkungen zuschreiben, die nicht auf eine unper- sönliche Kraft hindeuten, sondern nur auf eine Person zutreffen können. So heißt es beispielsweise in Apostelgeschichte 13,2:

„… sprach der heilige Geist: Sondert mir Barnabas und Saulus zu dem Werk aus …“

In Kapitel 16,6 wehrt der Geist dem Paulus und Silas, das Evangelium in der Provinz Asien zu predigen („… doch der Geist von Jesus ließ es ihnen nicht zu“, V. 7). Der Geist hat die Ältesten der Gemeinde von Ephesus eingesetzt (Apg 20,28). In Kapitel 21,10 spricht der Heilige Geist. Petrus wirft Ananias vor, den Heiligen Geist belogen zu haben (Apg 5,3). Stephanus klagt seine Zuhörer an, dem Geist zu widerstehen (Apg 7,51). Die Gläubigen werden vom Geist Gottes geführt (Röm 8,14, der Geist wohnt in ihnen, 8,11). Paulus warnt die Epheser davor, den Heiligen Geist zu betrüben (Eph 4,30).

Nach den Abschiedsreden des Johannesevangeliums wird der Geist die Jünger alles lehren und sie an alles erinnern, was Jesus ihnen gesagt hat (14,26). Der Geist wird Jesus bezeugen (15,26), ferner die Welt von ihrer Sünde überführen (16,8-11). Der Heilige Geist wird als Tröster (so Luther für gr. parakletos) bezeichnet (14,16,26; 15,26; 16,7).30 Diese Bezeichnung wird im allgemeinen Sprachgebrauch nur für Personen verwendet. Im 1Johannesbrief wird dieser Begriff auch für Jesus gebraucht (2,1). Im Johannesevangelium wird die Kontinuität zwischen Jesus und dem Tröster mehrfach betont. Wenn man also Jesus als göttliche Person bekennt, kann man dies dem Heiligen Geist nicht verweigern. Die Bezeichnung des Heiligen Geistes mit personalen Attributen erscheint keineswegs nur vereinzelt im Neuen Testament.

„Durch seinen Geist hat Gott den Sternenhimmel, die Erde und alles Lebende erschaffen (1Mose 1,2; Psalm 33,6). Er inspirierte durch seinen heiligen Geist Männer, die Bibel zu schreiben (2Petr 1,20f).“

Sind diese im Wachturm angeführten Beispiele tatsächlich Belege für die Aussage, dass der Heilige Geist nur eine unpersönliche „wirksame Kraft [ist], die Gott aussendet und gebraucht“? Könnte man an diesen Stellen Geist einfach durch „wirksame Kraft“ ersetzen? Von Gottes „wirksamer Kraft“ ist im Alten Testament in anderen Worten die Rede (z. B. Gottes „mächtiger Arm“ oder seine „ausgestreckte Hand“; vgl. z. B. Ps 44,4; 79,11; 98,1; Lk 1,51; Jes 40,10f.; 50,2; 5Mose 4,34; 5,15; 7,19).31

Der angegebene Hinweis auf den Geist in 1Mose 1,2 betrifft wohl die Aussage „und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser“ (LÜ, REÜ, nominal gemeint „… während der Geist Gottes über dem Wasser schwebte“). Von einer Schöpfung durch den Geist ist weder in diesem Vers noch im folgenden Bericht die Rede (1,3-2,4). Der Geist wird nicht mehr erwähnt. Vielmehr geschieht die Schöpfung durch Gottes Wort (1,3.6. 9.14.20.24.26 – daher auch der Bezug zur Präexistenz von Jesus als dem Wort Gottes in Joh 1). In 2Petrus 1,21 heißt es wörtlich übersetzt, dass Menschen vom Heiligen Geist getragen von Gott her gesprochen haben. Passt diese Beschreibung auf eine unpersönliche Macht? Dasselbe Verb wie in V. 21 (ferein – tragen) beschreibt in V. 17f. die verkündigende Stimme Gottes bei der Verklärung von Jesus.32

Aus diesen Aussagen schließt der Artikel: „Die Dreifaltigkeit ist somit keine biblische Lehre. Jehova, unser Gott, ist ein Jehova“, heißt es in der Bibel (5Mose 6,4)“.

Hinter dem Bekenntnis von 5Mose 6 steht die Abgrenzung gegenüber dem Götzendienst der umliegenden Völker (vgl. V. 1; 2Mose 15,1; 5Mose 32,12; Hos 13,4).33 Neben der im Wachturm betonten Einheit Gottes kann das AT vom Geist Gottes, von der Weisheit Gottes, von Söhnen Gottes (Hiob 1,6; 2,1; 38,7; Ps 82,6f. u. a.) sprechen, ohne dass es dadurch die Einheit Gottes gefährdet sähe.

Im Neuen Testament wird das Bekenntnis Israels aus 5Mo 6,4 in 1Korinther 8,6 auf Jesus erweitert:

„… so haben wir doch nur einen Gott, den Vater, von dem alle Dinge sind und wir zu ihm; und einen Herrn, Jesus Christus, durch den alle Dinge sind und wir durch ihn“.34

Darum werden Menschen in der christlichen Kirche auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft (Mt 28,19).35

Die Lehraussagen der Zeugen Jehovas in diesem Artikel stellen bestenfalls eine Verkürzung der biblischen Botschaft dar, die aber in ihrer Einseitigkeit irreführend ist. Dieser Verkürzung sollte nicht nur unter Hinweis auf die Lehre der Kirche(n) begegnet werden (die wesentliche biblische Inhalte zusammengefasst und weiter entfaltet hat), sondern mit dem Angebot eines gemeinsamen Studiums aller biblischen Aussagen.36 Wenn Zeugen Jehovas dazu bereit sind, müssen ihre evangelikalen Gesprächspartner allerdings ihre Hausaufgaben gut machen, um zu prüfen und „in der Schrift forschen zu können, ob es sich so verhielte“ (Apg 17,11). Bei allem notwendigen intellektuellen Ringen um die Wahrheit will die rechte Erkenntnis von Jesus Christus dazu führen, dass wir – mit den Worten Richards von St. Victor (gest. 1173) – „ihn klarer sehen, ihn mehr lieben und ihm treuer nachfolgen“ und dass der heilige Geist seine Früchte in unserem Leben wirkt.

Literaturverzeichnis

  • Betz, O., B. Ego, W. Grimm, et al. (Hrsg.), Calwer Bibellexikon (Stuttgart: Calwer, 2003). (CBL)
  • Brunner, E., Dogmatik I: Die christliche Lehre von Gott, 4. Aufl. (Zürich: TVZ, 1972).
  • Caird, G. B., New Testament Theology, L. D. Hurst (Hrsg.), Clarendon Paperbacks (Oxford:
  • Clarendon Press, 1995), 136-78, 279-344.
  • Cullmann, O., Die Christologie des Neuen Testaments, 5. Aufl. (1957; Tübingen: Mohr Siebeck, 1975).
  • Diverse Autoren, „Christologie“, RGG 2, 4. Aufl. (1999), 273-319.
  • Diverse Autoren, „Jesus Christus I-IV“, RGG 4, 4. Aufl. (2001), 463-502.
  • Diverse Autoren, „Jesus Christus“, TRE 16 (1987), 670-772; 17 (1988), 1-76.
  • Dunn, J. D. G., Jesus Remembered, Christianity in the Making I (Grand Rapids, Cambridge, U.K.: W. B. Eerdmans, 2003).
  • Fee, G., Der Geist Gottes und die Gemeinde: Eine Einladung, Paulus ganz neu zu lesen (Metzingen: E. Franz; Erzhausen: Leuchter, 2005), 21-79.
  • Gunton, C., „Christologie II. Dogmatisch“, RGG II, 4. Aufl. (1998), 310-19.
  • Guthrie, D., New Testament Theology: A Thematic Study (Leicester/ Downers Grove: InterVarsity Press, 1981), 219-407.
  • Hahn, F., Christologische Hoheitstitel: Ihre Geschichte im frühen Christentum, 4. Aufl., FRLANT 83 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1974, 1. Aufl. 1963).
  • Hahn, F., Theologie des Neuen Testaments II: Die Einheit des Neuen Testaments (Thematische Darstellung) (Tübingen: Mohr Siebeck, 2002), 168-261.
  • Hauschild, W.-D., „Christologie II. Dogmengeschichtlich“, RGG II, 4. Aufl. (1998), 289-307.
  • Hörster, G., Theologie des Neuen Testaments: Studienbuch, TVG (Wuppertal: R. Brockhaus, 2004), 31-128.
  • Hurtado, L., „Christ“, in J. B. Green, S. McKnight, I. H. Marshall (Hrsg.), Dictionary of Jesus and the Gospels (Downers Grove, Leicester: IVP, 1992), 106-17.
  • Hurtado, L., „Christology“ in P. H. Davids, R. P. Martin (Hrsg.), Dictionary of the Later New Testament and Its Developments (Downers Grove, Leicester: IVP, 1997), 170-84.
  • Hurtado, L., Lord Jesus Christ: Devotion to Jesus in Earliest Christianity (Grand Rapids, Cambridge, U.K.; Eerdmans, 2003).
  • Karrer, M., Jesus Christus im Neuen Testament, GNT, NTD Ergänzungsreihe 11 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1998).
  • Kendall, R. T., Theologie leicht gemacht: Lernen, worauf es ankommt (Holzgerlingen: Hänssler, 2002), 53-70, 160-235, 301-337.
  • Schweizer, E., „Jesus Christus I. Neues Testament“, TRE 16 (1987), 670-726.
  • Stott, J. R. W., The Incomparable Christ (Downers Grove: IVP, 2002).
  • Studer, B., Gott und unsere Erlösung im Glauben der Alten Kirche (Düsseldorf: Patmos, 1985).
  • Stuhlmacher, P., Wie treibt man Biblische Theologie?, BThS 24 (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 1995), 26-39.
  • Stuhlmacher, P., Die Verkündigung des Christus Jesus: Neutestamentliche Beobachtungen (Wuppertal: R. Brockhaus; Bad Liebenzell: VLM, 2003).
  • Thielicke, H., Der evangelische Glaube: Grundzüge der Dogmatik II: Gotteslehre und Christologie (Tübingen: Mohr Seebeck, 1973), 149-218, 322-563.
  • Witherington, B., „Christ“ und „Christology“, in G. F. Hawthorne, R. P. Martin, D. G. Reid (Hrsg.), Dictionary of Paul and his Letters (Downers Grove, Leicester: IVP, 1993), 95-100, 100-15.

Ferner:

  • Brüning, E., Sind Zeugen Jehovas Christen? Ihr Leben, ihre Lehre und ihre Prophetie (Bad Liebenzell: VLM, 1990).
  • Deppe, M., Die Zeugen Jehovas: Auch ich habe ihnen geglaubt. Sanfter Einstieg – harter Ausstieg. Ein Lebensbericht, 4. Aufl. (Giessen, Basel: Brunnen, 1998).
  • Hutten, K., Seher, Grübler und Enthusiasten: Das Buch der traditionellen Sekten und religiösen Sonderbewegungen, 12. Aufl. (Stuttgart: Quell, 1982), 80-135.
  • Obst, H., Apostel und Propheten der Neuzeit: Gründer christlicher Religionsgemeinschaften des 19. und 20. Jahrhunderts, 4. Aufl. (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2000), 409-54.
  • Pape, G., „Zeugen Jehovas“, in H. Gasper et al. (Hrsg.), Lexikon der Sekten, Sondergruppen und Weltanschauungen, 3. Aufl. (Freiburg, Basel, Wien: Herder, 1991), 1143-50.
  • Twisselmann, H.-J., Der Wachturmkonzern der Zeugen Jehovas: Anspruch und Wirklichkeit (Giessen: Brunnen, 1995).
  • Twisselmann, H.-J., Jehovas Zeugen – die Wahrheit, die frei macht? Eine Orientierungs- und Entscheidungshilfe, 2. Aufl. (Giessen, Basel: Brunnen, 1992).

  1. Mit dem Begriff „religiöse Menschen“ meinen die Zeugen Jehovas in ihren Veröffentlichungen oft Christen und behalten ihnen damit eine im Neuen Testament vorkommende Bezeichnung vor (vgl. Apg 11,26; 26,28; 1Petr 4,16). Mit ihrer Selbstbezeichnung als „Zeugen Jehovas“ zählen sie sich selbst offenbar nicht zu den Frauen und Männern, Juden und Heiden, die Jesus von Nazareth als den verheißenen Messias (griech. Christus) Gottes für Israel und die Völker bekennen und seine Sache in dieser Welt vorantreiben wollen. – Im Neuen Testament werden Menschen berufen, Zeugen von Jesus zu sein („… und werdet meine Zeugen sein“, Apg 1.8; vgl. W. Grimm, M. Sitzmann, „Zeuge, Zeugnis 7-8“, CBL, 1500f). Sie bezeugen, was der Gott Israels an und durch Jesus zur Rettung von Juden und Heiden getan hat und rufen zum Glauben an ihn auf. In ihrem Selbstverständnis sowie in ihrem Verständnis von Jesus und des heiligen Geistes nehmen die „Zeugen Jehovas“ eine Mittelposition zwischen Altem und Neuem Testament ein, die gewisse Ähnlichkeiten zu manchen judenchristlichen Gruppierungen der Vergangenheit und zu bestimmten Ausprägungen heutiger sog. messianischer (judenchristlicher) Gemeinden hat (vgl. K. Baus, Von der Urgemeinde zur frühchristlichen Großkirche, Handbuch der Kirchengeschichte I, Freiburg, Basel, Wien: Herder, 1985), 180-86); A. Finke, „’Wir sind kein Teil der Christenheit’: Jehovas Zeugen heute“, Zeitschrift für Religions- und Weltanschauungsfragen (Materialdienst der EZW) 63, 2000, 138-56. 

  2. Vgl. M. A. Ritter, „Dogma und Lehre der Alten Kirche“, in C. Andresen, A. M. Ritter, K. Wessel et al. (Hrsg.), Die Lehrentwicklungen im Rahmen der Katholizität, Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte I (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1982), 99-283 und G. A. Benrath, „Antitrinitarier“, TRE 3 (1978), 168-74. 

  3. Vgl. H.-J. Twisselmann, „Wie stehen Jehovas Zeugen zu Jesus Christus?“, Zeitschrift für Religions- und Weltanschauungsfragen (Materialdienst der EZW) 64, 2001, 197-202 und die Beschreibung der Zeugen Jehovas bei M. Schreiber, „Zeugen Jehovas“, TRE 26 (2004), 660-63. 

  4. Vgl. auch Hebr 1,8f. Auch Titus 2,13 muss so verstanden werden; vgl. I. H. Marshall, A Critical and Exegetical Commentary on the Pastoral Epistles, ICC (Edinburgh: T. & T. Clark, 1999), 276-82. O. Cullmann, Die Christologie des Neuen Testaments, 5. Aufl. (1957; Tübingen: Mohr Siebeck, 1975), 314-323 behandelt alle möglichen Stellen. 

  5. Vgl. Cullmann, Die Christologie des Neuen Testaments, 253-323. 

  6. Vgl. J. N. D. Kelly, Altchristliche Glaubensbekenntnisse: Geschichte und Theologie, 2. Aufl., UTB 1746 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1993, 205-29. Das Konzil setzte sich mit den Ansichten des Alexandriners Arius (1. Hälfte des 4. Jh., und seiner Anhänger, der Arianer) auseinander (vgl. Ritter, „Dogma und Lehre“, 144-151, denen die christologischen Positionen der Zeugen Jehovas in vielem entsprechen. Diese Position wurde bereits vor 1700 Jahren vertreten und von der überwältigenden Mehrheit damaliger Christen abgelehnt. 

  7. Vgl. H.-C. Schmitt, „Schöpfung, Schöpfungsgeschichte 8“, CBL, 1205f: „… setzt das NT durch die Zuordnung des Themas Schöpfung zur Christologie neue Akzente: So wird in den synoptischen Evangelien die mit Jesus anbrechende Gottesherrschaft als Durchsetzung des Schöpferwillens Gottes verstanden (vgl. Mk 10,2-9; Mt 6,30-33). Das Johannesevangelium 4 (Jh 1,1-18) und die Paulusbriefe (1Ko 8,6; vgl. Kol 1,16; Hebr 1,2) gehen darüber hinaus von einer Schöpfungsmittlerschaft des präexistenten Christus (unter Aufnahme von Vorstellungen über die personifizierte Weisheit in Spr 8.22ff) aus, die die endzeitliche Herrschaft Christus über die Schöpfung begründet (vgl. Kol 1,15-20; Hebr 1,2-4). Auch rechnen die Paulusbriefe damit, dass durch Christus in der christlichen Gemeinde ‚Neuschöpfung‘ (2Kor 4,6 …) geschieht: Jeder Christ ist eine ‘neue Kreatur’ (2Kor 5,17; Gal 6,15; vgl. Kol 3,10; Eph 2,15).“ 

  8. Zu Joh 14,28 vgl. die hervorragende Diskussion bei R. E. Brown, The Gospel According to John 13-21, AncB 29a (Garden City: Doubleday, 1970), 654f. Im Hintergrund steht das frühjüdische Verständnis der Beziehung zwischen einem Boten oder Agenten und dem, der ihn gesandt hat; vgl. auch P. Stuhlmacher, Biblische Theologie des Neuen Testaments II: Von der Paulussschule bis zur Johannesoffenbarung (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1999), 216-49. 

  9. Vgl. R. T. France, The Gospel of Mark: A Commentary on the Greek Text, NIGTC (Grand Rapids: Eerdmans, 2002), 543f. 

  10. Vgl. die u. a. von dieser Stelle abgeleitete Lehre von der Erniedrigung (Kenose – freiwillige „Selbstentleerung“ von Jesus; dazu O. Betz, „Entäußerung“, CBL, 293, J. Macquarrie, „Jesus Christus VI. Neuzeit“, TRE 17 (1988), 26.3-27.46 und J. Webster, „Kenotische Christologie“, RGG 4, 4. Aufl. (2001), (929-31) 929: „Kenotische Christologie im engeren Sinne ist die dogmatische Auslegung über die Selbstentäußerung … Christus in Phil 2.7; im weiteren Sinne umfasst sie alle Versuche, die Vereinbarkeit der Gottheit Christus mit den Begrenzungen seiner Macht nachzuweisen, indem zu zeigen versucht wird, dass der Akt der Inkarnation die Nicht-Ausübung, das Ruhen oder die Aufgabe der Eigenschaften Gottes beinhaltet, die mit einer authentischen menschlichen Existenz unvereinbar scheinen.“ 

  11. Vgl. O. Weber, Grundlagen der Dogmatik I (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 1955), 404-08; vgl. auch Johannes Chrysostomos, 26. Homilie zum 1. Korintherbrief 2f. 

  12. D. Garland, 1Corinthians, BECNT (Grand Rapids: Baker, 2003), 532, Hervorhebung CS (zu V. 3 S. 513-16). „God is supreme in reference to the Messiah as having sent Him“ (vgl. Jh 6.57), A. Robertson, A. Plummer, First Epistle of St Paul to the Corinthians, ICC (1911; repr. Edinburgh: T. & T. Clark, 1986), 229. „The Greek Fathers‘ use of the term perichoresis well suggests the dialectic of distinctiveness, reciprocity and oneness which Paul endorses, portrays a voluntary renunciation of ‚rights‘ (in this context, genuinely a right). The God-Christ relation has nothing to do with self-glory or with affirmation of the self at the expense of the other (cf. the ethical context of Phil 2,6-11; it is not an involuntary or imposed ‚subordination‘, but an example of shared love). This shared love controls the use of freedom, and thereby each brings ‚glory‘ to the other by assuming distinctive roles for a common purpose“, A. Thiselton, The First Epistle to the Corinthians, NIGTC (Grand Rapids, Cambridge, UK: Eerdmans; Carlisle: Paternoster, 2000), 804; vgl. auch S. 809-23; vgl. M. Schmaus, „Perichorese“, LThK 8, 2. Aufl., 274-76. 

  13. Vgl. Garland, 1Corinthians, 7,11-15; vgl. auch Stuhlmacher, Biblische Theologie I, 309: Wenn es um die kosmische Vollendung der Anbetung Gottes geht, gewinnt auch die Rede von der Unterordnung des Sohnes in 1Kor 15,28 klaren Sinn: Wenn das ihm von Gott übertragene messianische Zukunftswerk vollendet sein wird, wird der erhöhte Christus keine Sonderstellung beanspruchen, sondern in Vollendung seines in Phil 2,6-11 besungenen Gehorsams den Lobpreis der Engel anführen, mit dem der Vater als pantokrator [Herrscher über alles] in der vollendeten Schöpfung gepriesen wird … Von Phil 2,11 und 1Kor 15,28 her steht die gesamte Christologie des Apostels unter doxologischem Vorzeichen. Christus ist Sohn Gottes und wirkt als solcher nicht um seiner selbst, sondern um des Vaters willen, der ihn gesandt, ans Kreuz gegeben, erhöht und mit der Herrschaft über das All betraut hat. 

  14. So können z. B. im Alten Testament auch die Könige Israels als Sohn Gottes bezeichnet werden. Auch als das erwählte und geliebte Volk kann Israel von Gott als erstgeborener Sohn bezeichnet werden (2Mose 4,22; Hos 11,1; vgl. den Überblick bei O. Betz, „Sohn Gottes/Söhne Gottes 1“, CBL 1251f). Die Verwendung der Bezeichnung „Sohn Gottes“ allein ist nicht ausreichend. 

  15. Zur Bezeichnung von Jesus als Herr vgl. Cullmann, Christologie, 199-244 und R. Kearns, W. Grimm, „Herr“, CBL, 554f. 

  16. „Wer Jesu Wort und Tat begegnet, wird mit der endzeitlichen Heraufführung des Reiches Gottes und mit dem gegenwärtigen Gott konfrontiert“, O. Merk, „Reich Gottes“, CBL, 1124; ausführlicher P. Stuhlmacher, Biblische Theologie des Neuen Testaments I: Grundlegung, Von Jesus zu Paulus, 3. Aufl. (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2005), 65-74. 

  17. Zu Recht werden die Wunder von Jesus mit Gottes Schöpferkraft in Verbindung gebracht: „Als Träger des messianischen Geistes hat Jesus Anteil an Gottes Schöpferkraft, die aus dem Chaos bzw. dem Nichts Leben schafft. Hierzu genügt ein Wort; es wird im Moment des Aussprechens ‚sofort‘ Wirklichkeit (vgl. z. B. Mk 1,41f; 2,11f; 3,5 mit 1Mo 1,3,9,11 u.a.). Diese Schöpferkraft unterscheidet sich kategorisch von allen Kräften der Geschöpfe. Weil Jesus als Gottes Schöpferkraft wirkt, ereignet sich in seinen Heilungen Wiederherstellung verletzter Schöpfung (Mk 3,5; 7,37; 8,25)“, W. Grimm, „Wunder“, CBL, (1475-80) 1478. 

  18. Vgl. auch Lk 1,79; 2Tim 1,10; Tit 2,11; 3,4; 2Thess 2,1f; B. Weber, „Epiphanie“, CBL, 301 und W. Grimm, „Theophanie 4“, CBL, 1340. 

  19. Vgl. K. W. Müller, „Herrlichkeit“, CBL 556-58. 

  20. Vgl. dazu K. Haacker, Der Brief des Paulus an die Römer, ThHKNT 6 (Leipzig: EVA, 1999), 27 und U. Wilckens, Der Brief an die Römer: 1. Teilband Röm 1-5, 2. Aufl., EKK VI/1 (Zürich, Einsiedeln, Köln: Benzinger; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 1987), 65. 

  21. Vgl. Eph 1.21f; 4.10; Stuhlmacher, Biblische Theologie I, 304-10. 

  22. Vgl. A. Stock, „Christusbilder“, RGG 2, 4. Aufl. (1999), 326-39 und O. von Simson, „Jesus Christus XI. Das Christusbild in der Kunst“, TRE 17 (1988), 76-84. 

  23. Vgl. W. Grimm, „Wunder“, CBL, (1475-80) 1479f. („Einen prägenden Einfluss auf die Struktur und teilweise sogar den Wortlaut der ntl. Rettungswunder hatten die atl. Präfigurationen: einerseits das Manna-Wunder (2 Mo 16; vgl. 2 Kö 4.2-7,38-44), andererseits das Schilfmeer-Wunder (2Mo 14; vgl. Jon 2)“). 

  24. „Macht“, CBL, 856. 

  25. Vgl. Cullmann, Christologie des Neuen Testaments, 111-37, O. Betz, „Messias“, CBL, 906-09 und M. Hengel, A. M. Schwemer, Der messianische Anspruch von Jesus und die Anfänge der Christologie: Vier Studien, WUNT 138 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2001). 

  26. Vgl. O. Betz, „Wiederkunft Christus“, CBL, 1462. Die Begriffe Schuldfrage und Machtfrage gehen auf K. Heim zurück, in Jesus der Weltvollender: Der Glaube an die Versöhnung und Weltverwandlung, 5. Aufl. edition Aussaat (Wuppertal: Aussaat, 1975), 28-43. 

  27. So z. B. Jes 11.2. Auf dem verheißenen Reis aus dem Stamm Isais wird ruhen „der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn“ oder Jes 63.10. A. Motyer schreibt: „The Old Testament has the same general revelation of the Spirit of God as the New: personal qualities (Is 63.11; Eph 4.30), distinctness (Is 63.10; Mk 1.9-11), divine presence (Ps 139.7; Joh 14.16f,23), indwelling (Is 63.11; Hag 2.5; 1Cor 3.16) etc.“ (The Prophecy of Isaiah; Leicester: IVP, 1993, 122). 

  28. Zum ntl. Gottesverständnis vgl. Stuhlmacher, Biblische Theologie I, 83-95, zu den Unterschieden zwischen Judentum und Christentum vgl. auch EvTh 65, 2005, 318f. 

  29. Davon zu unterscheiden wäre ein theoretischer oder philosophischer Monotheismus (wie im späteren Judentum oder im Islam) im Sinne von „Gott kann aus Prinzip nur einer sein“; vgl. C. Colpe, „Monotheismus“, EKL 3, 3. Aufl. (1992), 535-39; div. Autoren, „Monotheismus und Polytheismus“, RGG 5, 4. Aufl. (2002), 1457-67. 

  30. Vgl. M. Winter, „Paraklet“, CBL, 1007f.; F. Porsch, „Paraklet“, EWNT III, 64-67; P. Potter, „Heiliger Geist“, CBL, 527-30. 

  31. In der Auslegung von 1Mose 1,2 ist umstritten, ob dort das hebr. Wort ruah als Wind oder als Geist zu verstehen ist (vom Wort alleine her sind beide Bedeutungen möglich; vgl. M. Dreytza, Der theologische Gebrauch von RUAH im Alten Testament: Eine wort- und satzsemantische Studie, 2. Aufl., TVG 358; Gießen, Basel: Brunnen, 1992); vgl. die Diskussion bei C. Westermann, Genesis 1-11, 3. Aufl., BKAT 1.1 (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 1983, 147-50 und G. J. Wenham, Genesis 1-15, WBC 1 (Dallas: Word, 1987), 16f. In Psalm 33,6 ist in Aufnahme von 1Mose 1,6.14 eher an Gottes Schöpfung durch sein Wort zu denken, so dass man das hebr. Wort ruah hier besser mit „Atem“ übersetzt: „Der ‚Hauch des Mundes‘ (vgl. Jes 11.4), der beim Sprechen des Wortes ausgeht, hat das „Heer des Himmels“, die Sterne, ins Dasein gebracht (vgl. Ps 147,4; Jes 40,26)“, so H.-J. Kraus, Psalmen: I. Teilband, 2. Aufl. BKAT 15.1, (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 1961), 262. 

  32. Vgl. R. J. Bauckham, Jude, 2 Peter, WBC 50 (Waco: Word, 1983), 233f. 

  33. Vgl. P. C. Craigie, The Book of Deuteronomy, NICOT (Grand Rapids: Eerdmans, 1976), 168f; Weber, Grundlagen der Dogmatik I, 396-99. 

  34. Vgl. Garland, 1Corinthians, 375-77. 

  35. Vgl. auch Jh 14.26; 15.26; 1Kor 6.11; 12.3-6; Eph 4.4-6; L. Börst, „Trinität“, CBL, 1373. Man kann unterscheiden zwischen einer (teils von philosophischen Kategorien) bestimmten immanenten oder ontologischen Trinität, die nach dem Wesen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes sowie nach dem Wesen ihres Verhältnisses zueinander fragt und einem sog. (heils)oekonomischen Verständnis der Trinität, dem ein offenbarungsgeschichtliches Verständnis zugrunde liegt und das nach den Wirkungsweisen Gottes im Offenbarungsverlauf fragt (vereinfacht: Gott der Schöpfer, Jesus der Erlöser, der Geist als der Tröster bzw. Erbauer/Agent der Heiligung der Kirche, bzw. die Geschichte der Heilszuwendung Gottes in Christus und im Heiligen Geist). Letzteres Verständnis ist eine brauchbare Verstehenshilfe, das aber nicht übersehen darf, dass diese unterschiedlichen Wirkweisen in der Bibel nicht durchgehend oder sorgfältig voneinander getrennt werden. Beide Verständnisse dürfen nicht voneinander getrennt werden, sie ergänzen einander; vgl. W. Joest, Dogmatik I: Die Wirklichkeit Gottes, 3. Aufl., UTB 1336 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1989, (317-41) 323f, 330-32 und Weber, Grundlagen der Dogmatik I, 386-89, 399-409, 411f, 419-30. 

  36. Hilfreiche Hinweise bei M. Hirschmüller, Die Bibel und die Lehren der Zeugen Jehovas: 24 Gesprächsthemen als Anleitung zur Diskussion mit Zeugen Jehovas (St. Georgen: Eigenverlag, 1994).