Anmerkungen zu Oda Lambrecht Christian Baars. Mission Gottesreich: Fundamentalistische Christen in Deutschland. Ch.Links Verlag: Berlin, 2009
Eigentlich könnte ich mich ruhig zurücklehnen und sagen, dass mich der größte Teil des Buches „Mission Gottesreich“ nicht betrifft. Doch dann gibt es da die platten Aussagen, die so fern der Realität sind.
So heißt es von den Evangelikalen: „Die Gläubigen leben isoliert, Kontakt zur Außenwelt ist nicht erwünscht.“ (MG 9). Das ganze Buch widerlegt das ja, werden doch ungezählte Kontakte zu Politik, Wirtschaft, Medien und Kirchen kritisiert. Ich selbst war kürzlich beim syrisch-orthodoxen Erzbischof im Kloster Warburg, da wir uns für seine Kirche in der Türkei und im Irak einsetzen. Die Tage davor war ich bei einem Symposium der Bundeswehr in Strausberg, einer OSZE-Tagung in Wien, einem Arbeitsgespräch mit dem Vatikan und referierte auf einem Symposium an der Universität Bamberg zwischen katholischen, jüdischen und muslimischen Referenten zur Religionsfreiheit. Sieht so das Arbeitsprogramm eines Menschen aus, der isoliert lebt und keine Kontakte zur Außenwelt wünscht?
Warum dann reagieren? Wenn alles in die Tat umgesetzt würde, was die Journalisten fordern, wäre es morgen praktisch unmöglich, evangelikal zu sein, zumindest in der Öffentlichkeit. Unsere Religionsfreiheit und unsere Meinungs- und Pressefreiheit wäre dahin und zwar ganz gleich, zu welcher der ungezählten, sich teilweise theologisch misstrauenden Richtungen man gehört.
Verfolgung (religiöser) Minderheiten beginnt weltweit mit Desinformation, geht dann in konkrete Diskriminierung über und endet mit konkreter Verfolgung.
Die Autoren betreiben die Desinformation bereits im großen Stil und fordern unverblümt die Diskriminierung im großen Stil (Evangelikale sollten keine Medien, keine Politikerkontakte, keine Veröffentlichungsmöglichkeiten haben, ihnen sollten Gemeinnützigkeit und Unterstützung aus Steuergeldern entzogen werden, ihre Schulen sollten strenger reglementiert werden usw.)
Solch weitgreifende Beschränkungen hat in Deutschland schon lange keiner mehr gegen eine Religionsgemeinschaft gefordert!
Wenn ich mich also für andere evangelikale und andere christliche Strömungen einsetze, die ich theologisch gar nicht teile, dann deshalb, weil ich die politische Marschrichtung der Autoren für höchst gefährlich halte. Religionsfreiheit ist bei ihnen nicht mehr vom Rechtsstaat abhängig – die Autoren kritisieren ja gerade Behörden, die entschieden haben, dass die Evangelikalen nicht gegen Gesetze verstoßen. Religionsfreiheit ist dann noch nicht einmal vom Wohlwollen anderer Kirchen abhängig – denn auch die EKD wird fortlaufend kritisiert, dass sie zu eng mit den Evangelikalen verbandelt sei. Sondern die Religionsfreiheit ist dann allein vom Wohl und Wehe schlecht und recht recherchierender und religiös kaum beschlagener Journalisten abhängig, und zwar auch nur von denen einer bestimmten politischen Couleur.
Die Autoren haben beschlossen, über die Evangelikalen nur Negatives zu berichten
Die Autoren haben beschlossen, über die Evangelikalen nur Negatives zu berichten. Auf 240 Seiten wird kein einziges Wort aus evangelikalem Mund zitiert, das Zustimmung verdient, keine gute Tat erwähnt, die des Lobes würdig wäre (etwa ihr enormes Engagement in der Diakonie), kein einziger guter Aspekt genannt. Es gibt nichts, aber auch gar nichts, was das negative Bild irgendwie auch nur ein kleines bisschen entlasten könnte.
Die Evangelikalen scheinen ein gefährlicher und nutzloser Teil der Gesellschaft zu sein. Dem Leser muss verborgen bleiben, warum viele im Buch genannten Kräfte trotzdem mit den Evangelikalen zusammen arbeiten. Warum etwa der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-Moon, sich am 11.10.2007 mit evangelikalen Leitern aus aller Welt traf und namentlich den Einsatz der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) und ihrer Micha-Initiative als wesentlichen Beitrag zur weltweiten Armutsbekämpfung und zur Betreuung von durch HIV/AIDS Betroffene lobte, muss dem Leser des Buches schleierhaft bleiben.
Der Leser des Buches erhält auch nicht andeutungsweise ein halbwegs realistisches Bild der evangelikalen Bewegung. Nirgends wird ein Überblick gegeben, wer zur evangelikalen Bewegung gehört, welche Gemeinsamkeiten sie hat und zu welchen Fragen es eine große Bandbreite innerhalb der Bewegung gibt. Nirgends wird unterschieden, wer zu den Mainstream-Evangelikalen gehört, die etwa im Rahmen der Evangelischen Allianz miteinander und mit anderen Christen zusammenarbeiten, und wer zu kleinen Randgruppen, die gar nicht zur evangelikalen Welt gehören wollen und mit evangelikalen Christen nicht zusammenarbeiten.
Nirgends wird zusammenhängend dargestellt, wie sich die Evangelikalen selbst verstehen. Nirgends wird referiert, was eigentlich eine Freikirche ist, nirgends einmal aufgezeigt, welche Freikirchen es eigentlich gibt. Nirgends wird zusammengefasst, was Evangelikale in ihren politischen Stellungnahmen eigentlich wirklich anmahnen, dass etwa eine ihrer größten Aktionen MICHA ist, eine Initiative zur Armutshalbierung weltweit nach den Milleniumszielen der UN.
Der Grundfehler des Buches: Die Autoren schließen automatisch von religiösem auf politischen Fundamentalismus
Denn ein Grundsatzfehler durchzieht das ganze Buch: Die Autoren schließen automatisch von religiösem auf politischen Fundamentalismus. Das ist aber falsch. Ein katholischer Politiker oder ein glühender Anhänger des Dalai Lama kann sehr wohl zwischen dem unterscheiden, was er dem Lehramt des Papstes oder dem Dalai Lama schuldet und was er gemeinsam mit anderen Menschen politisch umsetzen will und kann oder als demokratische Setzung akzeptiert.
Denn längst nicht alles, was ein religiöser Mensch für richtig hält, will er auch in der Politik durchsetzen. Das Problem der Anhänger der evangelikalen Bewegung in ihrer Geschichte und in Teilen bis heute ist doch eher, dass sie sich von der Politik fernhalten und anderen das Gestalten der Gesellschaft überlassen. Gerade dadurch sind sie aber für Demokratien ungefährlich, wenn man nicht den Anteil der Nichtwähler als gefährdend ansehen will.
Denn gerade wenn Fundamentalismus bedeutet, den Ursprungszustand der Religion gegen die Moderne wiederherzustellen zu wollen, entsteht im christlichen Bereich mit dem Ideal der völlig unpolitischen Urgemeinde in Jerusalem eine eher pazifistische Bewegung.
Unsere Demokratie lebt auch davon, dass zwischen öffentlichem Recht und privater Moral unterschieden wird. Ob ein Bürger die jeweiligen moralischen Grundlagen eines Gesetzes teilt, ist zweitrangig, solange er sich daran hält. Jeder kann privat ganz andere moralische Maßstäbe für richtig halten, also etwa Vegetarier oder Pazifist sein und sogar privat so leben. Warum soll das nicht für die Evangelikalen gelten?
Nirgends wird auch nur andeutungsweise eine faire Berichterstattung versucht. Der ganze Text ist von einem dauerhaften polemisch-ironischen Unterton geprägt, so also würde dauerhaft der Untertitel mitlaufen: „Ja, ist denn das die Möglichkeit, kann das nicht mal sofort jemand verbieten?“
Der ganze Text ist systematisch manipulativ. So habe ich das ganze Buch einmal nur auf die „Titelfrage“ hin durchgesehen. Wenn immer ein Evangelikaler einen anerkannten Professorentitel hat, fehlt der (z. B. bei Christine Schirrmacher, Werner Gitt S. 87, Wolfgang Stock) oder es heißt nur „wird … als ‚Hochschullehrer …‘ vorgestellt“ (S. 166). Bei Gegnern der Evangelikalen werden deren Professorentitel, so sie welche haben, immer angegeben, oft herausgestellt, und auch sonst jeweils gesagt, warum ihr Wort gewichtig ist. Kein Evangelikaler, der zitiert wird, wird als ernst zu nehmende Persönlichkeit zitiert, sondern immer so, dass der Leser schon von der Beschreibung und Vorstellung einer Person her voreingenommen ist.
Von religiösen Analphabeten geschrieben
Das Buch ist offensichtlich von religiösen Analphabeten geschrieben. Vieles, was verurteilt wird, ist weniger den Evangelikalen, noch nicht einmal nur den Christen, sondern überhaupt der Welt der Religion zuzuordnen. Wenn darauf verwiesen wird, dass das Bundesverfassungsgericht sich „mehrfach mit sogenannten ‚Geistheilern‘ befasst“ (MG 19) hat, scheint den beiden nicht bekannt zu sein, dass es sich in keinem Fall um Evangelikale, ja noch nicht einmal um Christen handelt.
Die Unkenntnis der Autoren über die Vielgestaltigkeit großer religiöser Bewegungen, insbesondere solcher, die keinerlei autoritative Leitung oder ein Lehramt haben, ist offensichtlich.
Dramatisch wird beispielsweise über die Evangelikalen berichtet: „Sie bekennen sich zu Jesus. Doch er gilt nicht nur als Erlöser der Christen, sondern als Retter der ganzen Welt.“ (MG 9) So schreibt nur jemand, der das Christentum nicht kennt, denn so steht es im Glaubensbekenntnis aller Konfessionen.
„Evangelikale glauben außerdem, dass Jesus auf die Erde zurückkehren wird.“ (MG 14) Das ist natürlich richtig, wird aber dadurch windschief, dass nicht gesagt wird, dass das alle Christen glauben, ja sogar die Muslime. Der Leser, der das Christentum nicht kennt, wird so fortlaufend falsch informiert, weil er nach Lesen des Buches ungezählte dogmatische und ethische Positionen für typisch evangelikal hält, die typisch christlich sind.
Immer wenn es keine aktuellen Beispiele der letzten zehn Jahre gibt, wird auf Beispiele des letzten Jahrhunderts zurückgriffen – aber natürlich ohne das dem Leser zu sagen. Das Titelbild (Reinhard Bonnke, ich bin kein Fan von ihm) ist von 1987 und damit 22 Jahre alt…
Das Buch ist trotz der vielen Fußnoten schlecht recherchiert. Viele Angaben sind nicht aus verlässlichen Originalquellen, sondern aus Zeitungen und Kurzmeldungen entnommen. Fehler, Halbwissen und Vermutungen führen dann oft dazu, dass für evangelikal gehalten wird, was nicht evangelikal ist.
Die ‚ökumenische Kommunität’ Offensive Junger Christen (OJC) wird zum ‚evangelikaler Verein’ geschrumpft (MG 67). Kein Wort davon, dass sie aus der 1968er Bewegung heraus entstanden ist, gewissermaßen fromme Blumenkinder. Kein Wort, dass sie unter anderem durch den Kampf gegen die Apartheid in Südafrika und durch Friedensinitiativen groß wurde. Kein Wort davon, dass es sich um eine ökumenische Kommunität handelt, bei der katholische, orthodoxe, anglikanische und evangelische Kirchenführer und Professoren ein und aus gehen. Kein Wort davon, dass die OJC Fachverband im Diakonischen Werk der EKD ist. So wird aus der weitläufigen Kommunität in Reichelsheim mit den unterschiedlichsten Einrichtungen, in dem unter anderem auch Evangelikale stark engagiert sind, ein ‚evangelikaler Verein’. Wer die OJC vor Ort besucht, wird den Irrtum sehen.
Eine unwissenschaftliche und unbrauchbare Fundamentalismus-Definition. Gemeint sind alle überzeugten Christen und Religiösen!
Das Buch arbeitet mit einer völlig unwissenschaftlichen und unbrauchbaren Fundamentalismus-Definition:
„Doch Fundamentalismus bedeutet zunächst einmal, kompromisslos nach bestimmten religiösen oder politischen Grundsätzen zu leben. Fundamentalisten halten ihre Form des Glaubens oder ihre Ideologie für die einzig richtige und einzig wahre.“ (MG 8)
Nach dieser Definition dürfte es auf dieser Welt nur wenige Nichtfundamentalisten geben. Tatsächlich aber ist es willkürlich, wen man jeweils als „kompromisslos“ und rechthaberisch versteht und wen nicht.
Auf zwei Seiten werden sechs Kennzeichen aufgelistet, warum „die meisten Evangelikalen“ Fundamentalisten sind, nämlich weil sie ihre Religion für die einzig richtige halten, Lebensregeln haben und deren Übertretung Sünde nennen, an die Wiederkunft Jesu glauben, an das Böse glauben, die Gesellschaft verändern wollen und ihre Überzeugungen weitergeben wollen (MG 13-15).
Am Pranger der beiden Journalisten steht durchgängig jedes überzeugte Christsein
Einmal abgesehen davon, dass es sich hier um eine willkürliche und von wenig Fachwissen geprägte Auswahl handelt: Was hier beschrieben wird, gilt für alle katholischen und orthodoxen Kirchen und den überwiegenden Teil der protestantischen Kirchen weltweit. Oder kurzum: Am Pranger der beiden Journalisten steht hier eigentlich durchgängig jedes überzeugte Christsein.
Es soll sich dabei keiner vormachen, damit wären nur die Evangelikalen gemeint. Die Logik der Autoren lässt sich beliebig auf andere christliche und überhaupt religiöse Gruppen übertragen.
Was da als Fundamentalismus definiert wird, gilt ebenso für den Papst wie für den Dalai Lama, aber auch für Menschenrechtler, die bestimmte politische Auffassungen ‚kompromisslos‘ vertreten und für der Diskussion enthoben erachten. Wird nicht bei uns in Deutschland zum Glück das Folterverbot kompromisslos vertreten?
Die Autoren lassen konsequent die katholische Kirche außen vor. Warum dies? Warum nicht entweder einige katholische Stimmen gegen die Evangelikalen? Ich vermute, weil sonst sehr schnell deutlich würde, dass die von den Autoren kritisierten ethischen Positionen der Evangelikalen oft dem offiziellen Lehramt der katholischen Kirche entsprechen. Die Autoren arbeiten nach dem Motto ‚Teile und herrsche’. Nur wenn sie die Christenheit spalten, haben sie eine Chance.
Das Buch ist sich in diesem Zusammenhang nicht zu schade, polemisch zu berichten: „Die Männer tragen Vollbärte, die Frauen lange Haare und weite Röcke“ (MG 114). Wird hier nicht bewusst mit – teils gar rassistischen – Ressentiments der Leser gespielt? Ich fühle mich jedenfalls in meiner Freiheit nicht durch Vollbärte, Mähnen oder Hahnenkämme anderer beschränkt und finde solche Äußerungen intolerant.
Am Ende fehlt dem Buch der Beweis der Gewaltneigung der Evangelikalen
Das Buch versucht Evangelikale immer wieder in den Geruch von gewaltbereiten, gesetzesbrechenden Fundamentalisten zu rücken. Oft ist auch einfach allgemein von „Fundamentalisten“ die Rede, gemeint sind dann die aller Religionen, ohne dass das deutlich gesagt wird, etwa wenn von Fundamentalisten allgemein gesagt wird: „Deshalb wollen sie ihren Glauben oder ihre Idee verbreiten – einige auch mit Gewalt“ (MG 8-9). Nicht nur, dass solche Aussagen so vage bleiben, sondern für Evangelikale können die Autoren dafür im ganzen Buch kein einziges wirkliches Beispiel vorbringen. Evangelikale verbreiten ihren Glauben und ihre Ethik nicht mit Gewalt und das haben die Autoren auch nicht widerlegen können.
Nach vielen Versuchen, Evangelikale in die Nähe von Gewalt zu rücken, ohne belegbare Beispiele dafür nennen zu können, kommt nun endlich der Abschnitt „Gewalt im Namen der Bibel“ (MG 76-77). Der „strenggläubige Christ“ Karl K. – ob er evangelikal war, bleibt im Nebel und hätte bei der Schwere des Arguments wenigstens etwas Recherche verdient – erstach seinen Sohn, weil der eine 13-jährige vergewaltigen wollte. Der Vater wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Die ganze Geschichte wird dabei nicht aus den Gerichtsakten entnommen, sondern aus Kurzmeldungen des Spiegels und der Lübecker Nachrichten. Denn die Autoren interessiert wohl kaum, was wirklich passiert ist, sondern wie sie Stimmung machen können.
Wenn in muslimischen Familien häufiger Ehrenmorde vorkommen, die dabei von den Tätern noch als rechtens verteidigt werden, wird zu Recht gefordert, dafür nicht pauschal alle Muslime haftbar zu machen. Wenn ein Vater seinen Sohn ersticht, der möglicherweise evangelikal war, und wenn diese Tat noch nicht einmal von irgendjemand als rechtens verteidigt wird, müssen Millionen Evangelikale darunter leiden?
Für die vermeintliche Gewalt gegen Abtreibungskliniken müssen die Autoren auf die USA verweisen und dazu ausschließlich Zeitungsartikel aus den 1990er Jahren zitieren (MG 79 + 212). In den USA sprechen die Fakten dagegen, dass es sich bei den wenigen Morden an Abtreibungsärzten bis Mitte der 1990er Jahre um evangelikale Taten handelte. Aber da das ganze Buch ja um Evangelikale in Deutschland geht: Warum wird direkt zur deutschen Lebensrechtsbewegung übergegangen und dem Leser verschwiegen, dass in Deutschland nie dergleichen geschah, ja noch nicht einmal die Wand einer Abtreibungsklinik beschmiert wurde? Weil man eben offensichtlich gerne hätte, dass die Evangelikalen gewalttätig sind.
Von dort geht der Weg direkt zu einem einzelnen Evangelikalen, der verurteilt wurde, weil er einen Frauenarzt als „Folterknecht“ und „Berufskiller“ bezeichnete und Flugblätter gegen Abtreibungsärzte verteilte. Wieder fehlt jeder Beleg, dass eine nennenswerte Zahl von Evangelikalen, eine Kirche oder die Deutsche Evangelische Allianz das Vorgehen gutgeheißen habe. Tatsächlich handelt es sich um einen ausgesprochenen Einzelgänger. Sein Vater wird übrigens „Pfarrer einer Freikirche“ (MG 85) genannt (der Professorentitel wird wie immer galant verschwiegen), als wenn damit automatisch belegt sei, dass sein Sohn im Einverständnis mit dem Vater handele (was in diesem Fall nicht so ist) und suggeriert wird, es handele sich um eine evangelikale Kirche. Die Selbständig Evangelisch-Lutherische Kirche in Deutschland versteht sich selbst aber nicht als evangelikal und entstammt historisch einer völlig anderen Entwicklung.
Keine Gewalt gegen Homosexuelle belegt
Über viele Seiten wird die Sicht kritisiert, dass praktizierte Homosexualität Sünde sei. Nur eines gelingt den Autoren nicht: Evangelikale in irgendeiner Weise mit Gewalt gegen Homosexuelle in Verbindung zu bringen! Denn zur Moral der Evangelikalen gehört die Gewaltlosigkeit, das Gewaltmonopol gehört ausschließlich dem Staat. Auch erfährt der Leser nicht, dass Evangelikale ihre Sicht der Homosexualität mit der katholischen und allen orthodoxen Kirchen teilen, die ebenso wenig für Gewalt gegen Homosexuelle sprechen oder an solcher beteiligt sind.
In dem Buch wird an 170 Stellen darauf hingewiesen, dass Evangelikale Homosexualität für Sünde halten, obwohl es dazu sowieso ein eigenes Kapitel im Buch gibt und die Sache selbst ja unstrittig ist. Mehr als diesen Vorwurf können die Autoren nicht belegen. Kein einziger Beleg für Gewalt gegen Homosexuelle. Kein Beweis für eine Gesetzesinitiative gegen Homosexuelle.
Wer „Minderheiten diskriminiere und gegen Andersgläubige hetzt“, gehöre bekämpft, heißt es in einer Rezension (Das Parlament 30.3.2009, S. 15). Fakt ist doch, dass die Evangelikalen diskriminiert werden.
Fakt ist doch, dass die beiden Journalisten selbst gegen „Andersgläubige“ hetzen
Wer arbeitet denn für staatliche Medien, die Evangelikalen oder Lambrecht und Baars (ARD)? Wer kann denn erreichen, dass sein Buch in der Zeitschrift des Bundestages uneingeschränkt gelobt wird (Das Parlament 30.3.2009, S. 15)? Und Fakt ist doch, dass die beiden Journalisten selbst gegen „Andersgläubige“ (das sind die Evangelikalen ja wohl) hetzen, nicht umgekehrt.
Verfolgung religiöser Minderheiten – längst überwunden – kommt sie zurück?
Zum Stichwort ‚religiöse Minderheiten‘ noch ein Wort. Europa hat eine unselige Tradition, dass die Mehrheitsreligionen und -kirchen kleine religiöse Minderheiten verfolgen.
Nun haben wir erstmals in der deutschen Geschichte eine nennenswerte ökumenische Zusammenarbeit zwischen Landeskirchen und Freikirchen und Begegnungen zwischen den Großkirchen und Evangelikalen.
Meine Vorfahren, die (evangelisch-reformierten) Hugenotten, wurden in Europa von einem Land zum nächsten vertrieben und bitter verfolgt. Sie haben – auch aus diesen Erfahrungen heraus – maßgeblich an der Entwicklung des vertragsrechtlichen Denkens, der rechtlichen Entmachtung des Adels und der Einführung der Demokratie mitgewirkt. Zuletzt fanden meine hugenottischen Vorfahren aus Salzburg vertrieben in Preußen (genauer in Danzig) eine neue Heimat. Soll jetzt nach vielen Jahren der Religionsfreiheit alles wieder von vorne los gehen? Stehe ich als überzeugter Reformierter mit vielen anderen christlichen Minderheiten wieder am Pranger, diesmal nicht der Kirchen und des Staates, sondern der Medien, die den Staat gegen uns mobilisieren?
Lambrecht und Baars wollen offensichtlich die positive Entwicklung zur Anerkennung religiöser Minderheiten wieder zurückdrehen. Sie treten die uralte und überwunden geglaubte Voreingenommenheit gegenüber kleineren religiösen Gruppen wieder los. Sie werfen den evangelischen Kirchen vor, dass sie nicht ihre Macht gegen die Evangelikalen in Stellung bringen.
Mission und Religionswechsel sind Kernbestandteile der Religionsfreiheit
Es ist offensichtlich, dass die Autoren jede Art von Mission für gegen die Menschenrechte gerichtet halten. Fakt ist aber, dass Mission und Religionswechsel gerade Kernbestandteile der Religionsfreiheit sind, in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ebenso wie in den EU-Menschenrechtsstandards und im Grundgesetz.
Die Logik des Ganzen: Kontrollieren, Beschränken, Verhindern oder:
wie man seine evangelikalen Gegner schachmatt setzt
Damit sind wir bei einem zentralen Dauerbrenner des Buches: Kontrollieren, Beschränken, Verhindern. Die Autoren sprechen nie direkt von Verbieten. Aber worauf anderes läuft es hinaus, wenn sie verhindern wollen, dass je wieder ein freikirchlicher Gottesdienst im staatlichen Fernsehen übertragen wird? Öffentliche Auftritte der Evangelikalen sollten verhindert werden, wenn immer der Staat eine Möglichkeit dazu hat. Politiker sollten nicht bei evangelikalen Veranstaltungen auftreten. Ihre Privatschulen sollten noch stärker kontrolliert werden – obwohl immer wieder die Stellungnahmen der Kultusministerien und Schulämter zitiert werden, die Schulen hielten sich an die gesetzlichen Vorgaben und Deutschland die strengste Privatschulkontrolle eines freien Landes kennt. Steuergelder für evangelikale Institutionen sollten gestrichen werden, die Gemeinnützigkeit ihrer Organisationen in Frage gestellt werden. Die Evangelikalen sollten keine Bücher an Bundestagsabgeordnete verteilen und religiöse Sendungen im Privatfernsehen sollten besser nicht stattfinden.
Der Hauptvorwurf gegen die Evangelikalen, sie seien intolerant und undemokratisch, wird durch diese Forderungen ad absurdum geführt. Zum Glück wird die Religionsfreiheit verhindern, dass diese Forderungen und Wünsche alle wahr werden.
Aber die Marschrichtung der Autoren ist klar: Meinungsverschiedenheiten löst man, indem man die anderen mit Hilfe des Staates kontrollieren und beschränken lässt und dafür sorgt, dass sie sich nicht beliebig öffentlich äußern können.
Die Autoren diskutieren ernsthaft, ob sich das Verbot religiöser Werbung in Rundfunk und Fernsehen nicht auch auf Sendungen bezieht, die man als Missionierung Andersgläubiger verstehen könnte (MG 181).
Da die Autoren gleich anschließend gegen die Ausstrahlung eines freikirchlichen Gottesdienstes im ZDF wettern (MG 182-185), dürfte ihr Anliegen klar sein. Jedenfalls fehlt jedes Bekenntnis, dass Evangelikale dasselbe Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit haben wie alle anderen auch. Denn es sollte selbst dann eingeschritten werden, wenn die zuständige Medienaufsicht (MG 181) keine rechtliche Handhabe sieht!
In unserem Land geltende Menschenrechte und Rechte, die gefährdet wären, wenn umgesetzt würde, was die Autoren wünschen:
- Religionsfreiheit: Leben nach den Grundsätzen der eigenen Religion (solange anderen dasselbe gestattet wird).
- Religionsfreiheit: Recht auf Religionswechsel und Recht auf öffentliche Darstellung des Glaubens und Mission.
- Religion im öffentlichen Raum: Im Gegensatz etwa zu Frankreich ist es in Deutschland gewollt, dass Kirche/Religion und Staat sich zwar nicht gegenseitig beherrschen, aber im öffentlichen Raum begegnen, weswegen es etwa Religionsunterricht, Militärseelsorge, Kirche im Rundfunk usw. gibt.
- Schutz von Minderheiten und Schutz religiöser Minderheiten vor staatlichen Eingriffen und Druck vorherrschender Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen.
- Gewissensfreiheit: Bestimmte ethische Positionen sollen nicht mehr publik gemacht, ja vermutlich nicht einmal gedacht werden dürfen.
- Meinungsfreiheit: Bestimmte ethische Positionen sollen nicht mehr öffentlich geäußert werden.
- Pressefreiheit: Sowohl eigene Medien als auch Zugang zu anderen Medien sollten bestimmten religiösen Gruppen unmöglich sein.
- Grundgesetzliches Recht auf Privatschulen: Die Privatschulen sollen – womöglich über das gegenwärtig angewandte Recht hinaus – kontrolliert und zur Anpassung gezwungen werden.
- Grundgesetzliches Recht auf weltanschaulich geprägte Privatschulen: In Privatschulen soll auch dann keine Weltanschauung mehr vermittelt werden dürfen, wenn der staatlich vorgeschriebene Stoff ordentlich gelehrt und dies durch anerkannte Prüfungen (z. B. Abitur) gewährleistet wird.
- Menschenrechtscharta der EU: Recht der Eltern auf religiöse Erziehung der Kinder.
Interessant ist, dass die Autoren eine lange Liste von kirchlichen und staatlichen Autoritäten und Institutionen anführen, die nicht bereit waren, ihre Sicht der Dinge zu bestätigen, Kultusminister, Bundesminister, Abgeordnete oder Ansprechpartner der EKD. Statt sich zu fragen, wie das denn kommt, bestärkt das die Autoren nur darin, vor den Evangelikalen zu warnen. Außerdem berufen sie sich fortlaufend auf immer wieder dieselben landeskirchlichen Weltanschauungsbeauftragten, vor allem auf Hansjörg Hemminger (14 x), der aber in seinen Veröffentlichungen durchaus differenzierter schreibt. Dass Vertreter wie die öfter zitierten Annette Kick und Reinhard Hempelmann (z. B. Materialdienst der EZW 71 [2008] 7, S. 243-244) zwar tatsächlich fundamentalistische Strömungen innerhalb der Evangelikalen kritisieren, beide aber der Meinung sind, dass der weitaus größere Teil der Evangelikalen in Deutschland keine Fundamentalisten sind, erfährt der Leser nirgends.
Die These der Autoren, dass Evangelikale mutwillig Gesetze brechen würden, wird von dafür zuständigen Behörden nicht geteilt. Könnte das nicht daran liegen, dass sie die Gesetze eben nicht brechen? Jedenfalls ist die Marschrichtung der Autoren eindeutig: Gesetze und Überwachung müssen verschärft werden. Die Autoren treten ganz eindeutig für eine Kriminalisierung des Evangelikalseins ein. Sieht so die demokratische Toleranz aus, die die Autoren von Evangelikalen einfordern?
Bitte lasst uns doch friedlich in diesem Land zusammen leben, statt einen Kulturkrieg zu entfachen!
Wir Evangelikalen leben seit Jahrzehnten in diesem Land mit Millionen Menschen völlig friedlich zusammen und diese Millionen leben friedlich mit uns zusammen. Nur bitten wir auch alle, Verständnis dafür zu haben, dass wir von unserer Freiheit Gebrauch machen, Desinformationen aus unserer Sicht klarzustellen.