1. Warum dieses Thema?
In den Gemeinden gibt es viel Beunruhigung. Eine Flut von breitenwirksamer Literatur beschäftigt die Gemüter. Neuestens tritt noch die moderne Medientechnologie, die Magnetkassette, der Schmalfilm und der Videorecorder verstärkend hinzu. Sie gestatten es dem schlichtesten Gemeindeglied, die Dinge, die sich bei den großen Massenveranstaltungen ereignen, sinnenkräftig nachzuerleben. Sehen und Hören werden voll einbezogen. Menschen stürzen unter den Wogen übermächtiger Geisteskräfte zu Boden. Geisterfülltes Stöhnen, Schluchzen, Weinen, Lachen und Zungenreden ist zu hören.
Geisterfüllt? Das ist für andere gerade die Frage. Denn es sind auch manchmal Bedenklichkeiten zu registrieren. Die Predigt hat es immer schwerer, wirklich noch gehört zu werden. Viel Klagen über die Unzulänglichkeiten des Gemeindelebens greift ums sich. Menschen mit bescheidener Schriftkenntnis oft, aber mit gefestigtem Sendungsbewusstsein, treten auf und weisen der fragenden Gemeinde den Weg. Es muss zu Spannungen kommen.
2. Was ist zu tun?
Nötig ist zunächst eine erneute biblisch-theologische Aufarbeitung der mit dem Stichwort Geistestaufe verbundenen Fragen. Denn im Zentrum der verschiedensten Strömungen, die derzeit das pneumatologische Feld durchackern – ihre Bandbreite reicht vom populärwissenschaftlichen Sachbuch bis hin zum Life-Mitschnitt der großen Heilungsversammlungen – steht immer wieder ein Erlebnis: das Erlebnis der Geistestaufe.
Ohne Geistestaufe, so liest und hört man, keine Geistesgaben. Die Geistestaufe ist es, an die vor allem der Empfang der stärkeren charismatischen Energien gebunden scheint. Sie wird als eine in jeder Hinsicht außerordentliche Erfahrung beschrieben. Kräftigste Vokabeln werden verwandt, um sie halbwegs nachzuzeichnen. Man liest von Feuerwogen, die den Körper durchfluten, von mächtigen Wärmeerfahrungen, von elektrischen Kraftdurchströmungen und von ekstatisch-visionären Grenzerlebnissen.
Die Realität dieser Geistestaufen scheint unbezweifelbar. Aber welche Kräfte wirken in ihnen? Und wie zeigt sich das Bild der Geistestaufe in den Urkunden der biblischen Offenbarung?
3. Ergebnisse und Schlussfolgerungen
Der „AK Theologischen Fragen im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden“ (in der DDR) hat sich in seinen Sitzungen seit 1986 vorwiegend mit der Frage der Geistestaufe und mit ihrem Verhältnis zu Bekehrung und Wiedergeburt befasst. Die Vertreter der Brüdergemeinden gelangten dabei zu folgenden Ergebnissen, die sie in die Arbeitsbesprechungen einbrachten:
- Sieben Stellen des Neuen Testamentes sprechen vom „Taufen mit Heiligem Geist“. Vier davon beziehen sich auf ein Verheißungswort Johannes des Täufers, das von allen vier Evangelien bezeugt wird (Mt13,11; Mk 1,8; Lk 3,16; Jo 1,33). Im ihm wird mitgeteilt, dass er, Johannes der Täufer nur mit Wasser taufe. Nach ihm käme aber einer – der Messias -, der nicht mehr nur mit Wasser, sondern mit Heiligem Geist und Feuer taufen würde.
- In einer fünften Stelle (Apg 5,1) nimmt Jesus selbst diese Verheißung wieder auf und betont, dass ihre Erfüllung auch jetzt, nach seiner Auferstehung, noch immer als zukünftiges, nun aber in unmittelbare Nähe gerücktes Geschehen zu erwarten sei. Die Jünger sollen sich (V. 4!) nicht von Jerusalem entfernen, bis sie „die Verheißung des Vaters“ empfangen haben. Die Erfüllung geschah am historischen Pfingsttag zu Jerusalem und steht in direktem Zusammenhang mit der Erhöhung des Christus (Apg 2,33).
- Eine der ersten Regierungshandlungen des erhöhten Herrn war die Erfüllung jener, von Johannes dem Täufer ausgesprochenen, Verheißung. Der erhöhte Christus selbst ist Geisttäufer. Durch diese Geisttaufe empfangen seine Jünger wirksame Zeugniskraft und Zeugenautorität.
- Die sechste Stelle, Apg 11,15.16 bezeugt gegenüber Apg 2 einen weiteren heilsgeschichtlichen Fortschritt. Erstmals empfangen auch Heiden einen vollen Anteil an der „Verheißung des Vaters“. Joel 3 ist nun insofern erfüllt, als der Geist jetzt wirklich ausgegossen ist über „alles Fleisch“, über Juden, Samariter und Heiden. Zugleich blickt Apg 11 mit mehrfacher ausdrücklicher Erinnerung auf den Pfingsttag in Jerusalem zurück.
- Bemerkenswert ist hier aber ein Begriff, der sich 11,15 im Munde des Petrus findet: „Während ich aber zu reden begann, fiel der Heilige Geist auf sie, so wie auch auf uns im Anfang.“
- Anfang?! Der Jerusalemer Pfingsttag setzt wirklich einen neuen Anfang. Und zwar in vielerlei Hinsicht:
- Pfingsten ist der Anfang einer neuen Heilszeit, eines neuen Heilsweges und eines neuen Gottesvolkes, in dem Gottes Heil erfahren wird. Hier zeigt sich bis in die verwendete Begrifflichkeit hinein, dass die Apostel Geisttaufe vorwiegend heilsgeschichtlich verstanden.
- Wie an Weihnachten und Ostern, so ereignete sich auch an Pfingsten einmaliges Geschehen, das nicht wiederholt werden kann und nicht wiederholt werden muss.
- 1Kor 12,13 ist die letzte Stelle, die wörtlich am das „Taufen mit Geist“ erinnert. Hier wird Neues mit
- geteilt. Stand in Apg 1 allein der Kraftempfang zur Zeugenschaft im Mittelpunkt des Interesses, so geht es hier um den Gedanken, dass alle, Juden und Griechen, „in einem Geist zu einem Leib getauft worden sind“. Diese wichtige Wahrheit soll für gewisse problemhafte Seiten des korinthischen Gemeindelebens fruchtbar gemacht werden. Es geht hier um die Einheit des Leibes Christi, dem verschiedenartigste Menschen, mit unterschiedlichster Gnadenausrüstung zugehören dürfen.
- Dieser Stelle lassen sich aber wichtige Schlussfolgerungen im Blick auf die anstehende Fragestellung nach dem Verhältnis von Geistestaufe und Wiedergeburt entnehmen. Wer im Sinne von 1Kor 12,13 nicht „geistgetauft“ ist, ist auch nicht wiedergeboren, gehört nicht zum neuen Gottesvolk und hat darum auch keinen Anteil an der Heilsgabe des Christus. Das ist in Übereinstimmung mit Röm 8,9: „Wenn aber jemand Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein.“
- Ebenso gilt auch das Gegenteil: „Geistgetauft“ – im Sinn dieser Stelle – ist jeder wahre Christ, jeder Bekehrte, jeder Wiedergeborene.
- Das Neue Testament kennt keine Geistestaufe, die es nach Bekehrung, Wiedergeburt und empfangener Gotteskindschaft noch zu erstreben gilt. Nirgends im Neuen Testament werden Christen dazu aufgefordert, sich nach einer Geistestaufe auszustrecken, wohl aber werden sie gemahnt, voll Geistes zu werden.
- Über den Weg dorthin kann es keinen Zweifel geben. Er besteht einerseits in der Abkehr vom alten Leben, in der Hinwendung zu Jesus, zu seiner Gemeinde, zu einem Leben der Gottergebenheit, des Gehorsams und der Anbetung (Eph 5,18-20).
- „Wer aber dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit ihm.“ (1Kor 6,17). Es gibt keinen Mangel, den Jesus nicht füllen könnte. Er ist reich für alle, die ihn anrufen. Es ist aber auch eine vertiefte Besinnung darüber nötig, dass Gott der absolut Andere ist. Wir dürfen es nicht für völlig unmöglich halten, dass er auf Bitten, die wir ihm aus stärkstem Bedürfnisempfinden nennen, im Sinne von 2Kor 12,9 reagieren kann: „Lass dir an meiner Gnade genügen.“
Wir sollten davon abstehen, diesen stets neue Missverständnisse hervorrufenden Begriff der Geistestaufe zu verwenden, wenn es uns darum geht, uns selbst und unsere Geschwister zu völliger Hingabe an den Herrn, zu vertieftem Glauben und zu erneuertem Gehorsam zu rufen (vgl. Röm 12,1-2).
Manche Fragen bleiben offen. Dazu gehört auch die Frage nach der Natur der in den gegenwärtigen „Geistestaufen“ wirkenden Kräfte.