ThemenMission und Evangelisation

Konzeption und Trends in der Gemeindewachstumsbewegung

Was versteht man unter der Gemeindewachstumsbewegung? Die erste Gemeindewachstums-Bewegung wird uns im Neuen Testament gezeigt. Zunächst entstanden christliche Gemeinden im jüdischen Umfeld, später folgten ungezählte durch den Apostel Paulus und seine Mitarbeiter. Aber die neutestamentliche Gemeindewachstumsbewegung ist in der Themenformulierung nicht gemeint. Es soll hier vielmehr um jene Bewegung gehen, die sich in den letzten fünf Jahrzehnten entwickelt hat.

I. Die Konzeption der Gemeindewachstumsbewegung

1. Donald McGavran

Don McGavran gilt zurecht als der Vater der Gemeindewachstumsbewegung. Er wurde am 15.12.1887 als Sohn amerikanischer Missionare in Indien geboren. Auch seine Großeltern waren dort bereits Missionare gewesen. McGavran studierte an den Universitäten Yale und Columbia, USA. In den 30er Jahren wurde er Leiter einer Missionsgesellschaft in Indien, der United Christian Missionary Society . Er führte ein Leprakrankenhaus und koordinierte die Arbeit einer ganzen Reihe von Schulen. Als nach jahrzehntelangem Bemühen nur 20 bis 30 kleine Gemeinden entstanden waren, konnte sich McGavran nicht damit abfinden. Er begann nach den Ursachen für tatsächliches oder ausbleibendes Gemeindewachstum zu forschen. In den folgenden 17 Jahren gründete McGavran selbst einige neue Gemeinden.

1955 erschien sein Buch „The Brigdes of God“ (Die Brücken Gottes). Diese Publikation gilt als erster literarischer Meilenstein im Blick auf die Entstehung der Gemeindewachstums-Bewegung. Ich komme auf den Inhalt dieses Buches gleich noch zu sprechen.

1961 gründete McGavran das Institute of Church Growth (Institut für Gemeindewachstum) am Northwest Christian College in Eugene, Oregon. 1965 verlegte er dieses Institut nach Kalifornien an das berühmte Fuller Theological Seminary in Pasadena. Dort rief McGavran die Fuller School of World Mission und das Institute of Church Growth ins Leben, deren erster Direktor er wurde.

1970 erschien sein Hauptwerk „Understanding Church Growth“ (Gemeindewachstum verstehen). Dieses Buch gilt als Grundlagenwerk der gesamten Gemeindewachstums-Bewegung. Ich weiß nicht genau, wie viele Auflagen es inzwischen erlebt hat, und in wie viele Sprachen es bereits übersetzt wurde. Es ist ein Standardwerk. Jeder, der sich mit Missionstheologie befasst, kommt nicht umhin, es zu lesen.

Im Alter von 83 Jahren beendete er seine offizielle Lehrtätigkeit. McGavran schrieb 23 Bücher zu Gemeindewachstum und Mission. Seine umfangreichen Reisen führten ihn fast in jedes Land der Erde. Er starb am 10. Juli 1990 im Alter von 92 Jahren.1

Ich kann nicht alles teilen, was Donald McGavran je in seinem langen Leben gesagt und geschrieben hat. Aber unabhängig davon muss man ihm zugestehen, dass er unglaublich viel für die Ausbreitung des Evangeliums in dieser Welt getan hat.

2. McGavrans Hauptlehren

In seinem 1955 erschienenen Buch Die Brücken Gottes entfaltet McGavran vier Ansätze.

a) Der theologische Ansatzpunkt

Ich zitiere:

„Es entspricht dem Willen Gottes, dass verlorene Männer und Frauen gefunden, mit ihm versöhnt und zu verantwortlichen Mitgliedern christlicher Gemeinden werden.“2

Das bedeutet: Für McGavran besitzt Evangelisation keinen Selbstzweck. Evangelisation ist für ihn nicht nur Verkündigung des Evangeliums, sondern das Mittel, Menschen zu Jüngern Jesu zu machen. Hier stimme ich voll und ganz mit ihm überein.

b) Der pragmatisch-ethische Ansatzpunkt

Hier geht es darum, in der missionarischen Arbeit konsequent die Frage nach den Resultaten zu stellen. Erinnern wir uns an McGavrans Biographie. Er kannte die Missionsarbeit in Indien sehr genau. Und er hatte dort beobachtet, dass sich die Gemeinden innerhalb von Jahrzehnten nur unwesentlich vermehrten. McGavran gab sich nicht mit dem oft gebrauchten Argument zufrieden, Gottes Zeit sei noch nicht da; man müsse in Geduld weiter säen. Er machte auch methodische Schwächen für die Erfolglosigkeit verantwortlich. Darum plädierte McGavran dafür, konsequent die Frage nach den Ergebnissen der Arbeit zu stellen.

Es ist legitim und weise, die eigene Arbeit im Lichte der Heiligen Schrift zu reflektieren und zu optimieren

Einerseits gebe ich McGavran recht. Christliche Arbeiter sollten nicht ins Blaue hinein wirken. Es ist legitim und weise, die eigene Arbeit im Lichte der Heiligen Schrift zu reflektieren und zu optimieren. Auf der anderen Seite ist es allein Gott, der das Wachstum schenkt (1Kor 3,6-7). Wir sind auch in dieser Hinsicht in eine gewisse Spannung gestellt, die wir nicht einseitig auflösen dürfen. Ich will nicht behaupten, McGavran hätte die Spannung aufgelöst; aber der Akzent verschob sich eindeutig in Richtung der nachprüfbaren Ergebnisse. Dieser Faktor wirkte und wirkt sich bis zum heutigen Tag stark in der Gemeindewachstumsbewegung aus.

c) Der missionswissenschaftliche Ansatz

Donald McGavran erkannte, dass die westlichen Missionare ein individualistisch verstandenes Evangelium predigten. Sie erwarteten, dass sich Menschen einzeln, individuell, zu Christus bekehren würden. Die westliche Welt ist bekanntlich sehr stark vom Individualismus geprägt. Daher ist es in unseren Breitengraden völlig normal, dass sich ein Einzelner individuell – d. h. ohne Rücksicht auf Familie und Sippe – bekehrt.

In anderen Kulturkreisen ist das nicht unbedingt so. McGavran litt darunter, dass die breiten Massen Indiens nicht für das Evangelium gewonnen werden konnten. In den asiatischen Kulturen werden wichtige Entscheidungen normalerweise nur von der Gruppe getroffen. Wenn das Evangelium also in den Volksgruppen der nichtwestlichen Welt Eingang finden sollte, dann musste – nach Meinung McGavrans – ein Weg gefunden werden, wie sich ganze Familien, Sippen, Dörfer und Stämme gleichzeitig und gemeinsam dem christlichen Glauben zuwenden konnten.3

„Menschen werden gerne Christen, wenn sie dabei nicht Rassen-, Klassen- oder Sprachbarrieren überschreiten müssen.“

Jetzt kommen wir zu einem ganz entscheidenden Punkt. Als Folgethese der beschriebenen Gedanken entwickelte McGavran das sogenannte „Prinzip der homogenen Einheit“. Er schrieb bereits 1955:

„Volksgruppen schließen sich am schnellsten dem Christentum an, wenn ihre eigene Rasse und ihre Familienverhältnisse dabei so unberührt wie möglich bleiben.“4

Später wurde daraus McGavrans klassische These:

„Menschen werden gerne Christen, wenn sie dabei nicht Rassen-, Klassen- oder Sprachbarrieren überschreiten müssen.“5

Darunter verstand McGavran, dass die gesellschaftliche Entwurzelung bei der Bekehrung auf ein Minimum beschränkt bleiben sollte. Peter Wagner, der engste Mitarbeiter McGavrans, erklärt das Prinzip der homogenen Einheit wie folgt:

„Es ist der Versuch, ein Prinzip der Bekehrung zu beschreiben, in dem der Mensch (zusätzlich zum Ärgernis des Kreuzes) keine weiteren kulturellen oder sprachlichen Entfremdungen auf sich nehmen muss.“6

McGavran selbst spricht von drei Hürden, die ein Mensch auf dem Weg zur Errettung überwinden muss: Erstens muss er anerkennen, dass Christus allein die Erlösung vollbracht hat. Zweitens muss der Mensch über seine Sünden Buße tun und sich von seinem bisherigen sündigen Leben abwenden. Und drittens muss er Christus vor anderen Menschen offen bezeugen, sich taufen lassen und sich einer Gemeinde anschließen. Soweit, so gut. Doch dann fährt er fort und sagt:

„An keiner Stelle werden wir in der Bibel finden, dass eine Vorbedingung für das Christsein darin besteht, sprachliche, kulturelle und soziale Barrieren zu überwinden.“7

Ich möchte diese Aussagen und zusammen mit dem nächsten Punkt bewerten.

d) Der methodische Ansatz

McGavran macht einen deutlichen Unterschied zwischen dem Ruf in die Jüngerschaft und dem Ruf zu christlicher Vollkommenheit. Beide seien voneinander inhaltlich klar zu trennen und werden von McGavran als zwei Stadien christlicher Sozialisation verstanden.8 Darum beklagte er immer wieder, es würde zu viel Zeit investiert, Christen noch christlicher zu machen, und zu wenig, die Milliarden der Unerreichten zu erreichen. Da muss ich ihm allerdings ein Stück weit Recht geben.

Wagen wir uns nun an das schwierige Unterfangen, die missionswissenschaftlichen und methodischen Ansätze zu beurteilen. Vielleicht haben Sie bemerkt: Beide Gedankengänge sind sehr eingängig. Aber dürfen wir die Schwelle in Evangelisation und Mission wirklich soweit heruntersetzen, dass der Nichtchrist unbeschwert in seiner Kultur weiterleben kann? Darf ihm wirklich keine gesellschaftliche Entwurzelung zugemutet werden? Er soll lediglich mit dem sogenannten Ärgernis des Kreuzes konfrontiert werden. Einverstanden. Aber was beinhaltet das „Ärgernis des Kreuzes“? Wie ist das biblisch definiert? Hat der Sohn Gottes nicht eindeutig genug gelehrt:

„Meint nicht, dass ich gekommen sei, Frieden auf die Erde zu bringen; ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter; und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.

Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig; und wer nicht sein Kreuz aufnimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig. Wer sein Leben findet, wird es verlieren, und wer sein Leben verliert um meinetwillen, wird es finden“ (Mt 10,34-39).

Oder der noch bekanntere Abschnitt in Lk 14,25-27:

„Es gingen aber große Volksmengen mit ihm; und er wandte sich um und sprach zu ihnen: Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater und seine Mutter und sein Weib und seine Kinder und seine Brüder und Schwestern, dazu aber auch sein eigenes Leben, so kann er nicht mein Jünger sein; und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachkommt, kann nicht mein Jünger sein.“

Seit auf dieser Erde die Frohe Botschaft verkündigt wird, seit dem wird darüber gestritten, wie viel einem Nichtchrist an Anspruch zugemutet werden muss

Seit auf dieser Erde die Frohe Botschaft verkündigt wird, seit dem wird darüber gestritten, wie viel einem Nichtchrist an Anspruch zugemutet werden muss. Wo immer wir da die Linie ziehen wollen, ich persönlich könnte auf keinen Fall sagen: Kulturelle Barrieren brauchen nicht überwunden werden.

Ich war letztes Jahr in Zentralasien unterwegs, u. a. in den Bergen Kirgistans unweit der chinesischen Grenze. Dort schenkte der Herr in den letzten 15 Jahren einen erwecklichen Aufbruch unter den Kirgisen. Das Interessante daran ist, dass die gläubigen Kirgisen förmlich zwischen allen Stühlen sitzen und sich einer sehr glaubensfeindlichen Umwelt gegenüber gestellt sehen. Da war früher der Kommunismus mit seiner atheistischen Weltsicht, die heute immer noch zu spüren ist. Das Lenindenkmal steht noch auf dem zentralen Platz der Hauptstadt. Da ist der Islam als offizielle Religion. Junge kirgisische Christen berichteten, wie sie mehrmals von fanatischen Moslems blutig geschlagen worden waren. Und da ist die kirgisische Kultur, die wie jede heidnische Kultur mit ungezählten Praktiken durchtränkt ist, die dem lebendigen Gott nicht gefallen können. Die Christen haben heute ein ambivalentes Verhältnis zur kirgisischen Kultur. Selbstverständlich reden und singen sie kirgisisch. Selbstverständlich essen sie kirgisische Gerichte. Aber sie beten nicht mehr zu den verstorbenen Ahnen. Sie rauben sich nicht mehr ein Mädchen zur Heirat. Und die gläubig gewordenen Männer lassen nicht mehr Frauen und Kinder für sich arbeiten. D. h.: Sie beurteilen und filtern ihre Kultur anhand des Wortes Gottes.

Kultur anhand des Wortes Gottes beurteilen und filtern!

Wenn McGavran pauschal formuliert, dass die jeweilige Kultur beibehalten werden kann, macht er meiner Ansicht nach einen schwerwiegenden Fehler. Wir werden gleich sehen, wie sich diese Linie bis nach Willow Creek und Saddleback fortsetzt.

Bevor wir mit dem zweiten Teil beginnen, sollen die Namen der Männer erwähnt werden, die mit ihm oder nach ihm die Gemeindewachstumsbewegung geprägt haben: Peter Wagner, Win und Charles Arn, Elmer Towns und Christian Schwarz. Auf zwei von ihnen werden wir gleich noch zu sprechen kommen.

II. Trends in der Gemeindewachstumsbewegung

1. Der pfingstlich-charismatische Flügel (Peter Wagner)

Peter Wagner ist ein geistiger Schüler McGavrans. Wagner war Missionar in Bolivien. Während seines zweiten Heimataufenthaltes studierte er Gemeindewachstum bei McGavran am Fuller Seminary. Er schreibt dazu:

„Freilich, ich begann sein Programm 1967 als Skeptiker. Aber ich verließ es als aufgeklärte Person.“9

Peter Wagner war von Anfang an sehr offen für die Charismatische Bewegung. Er wurde mit John Wimber zusammen einer der Hauptvertreter der sogenannten „Dritten Welle des Heiligen Geistes“. Er befürwortet „Power Evangelism“ genauso wie „Geistliche Kampfführung“.

Wagner koordinierte 1990 ein Treffen für „Geistliche Kriegsführung“. An diesem Treffen nahmen Larry Lea, Jack Hayford, Charles Kraft u.a. teil. Ein Jahr später, 1991, war Wagner bereits Hauptredner auf dem ersten Nürnberger Gemeindekongess. Dort stellte er die „Geistliche Kriegsführung“ erstmals in Deutschland einer breiten Öffentlichkeit vor.10

Peter Wagner repräsentiert quasi den pfingstlerisch-charismatischen Flügel der Gemeinde-Wachstumsbewegung. Dieser Flügel ist in besonderer Weise in den Ländern Argentinien, Korea und USA verbreitet.

2. Die „Natürliche Gemeindeentwicklung“ nach Christian Schwarz

„Viele Gemeindewachstums-dogmen sind nichts als Mythen“

1996 veröffentlichte Christian A. Schwarz, der Leiter des früheren Ökumenischen Gemeinde-Instituts Emmelsbüll (Nordfriesland), in seinem Buch „Die natürliche Gemeindeentwicklung“ Ergebnisse des größten Gemeindeaufbau-Forschungsprojektes der Christenheit. 1994 hatten er und seine Mitarbeiter begonnen, 1188 Gemeinden in 32 Ländern auf fünf Kontinenten nach bestimmten Kriterien zu untersuchen. Insgesamt wurden 34.314 Personen befragt und mehr als vier Millionen Antworten in einen Computer eingegeben. Die neu gewonnenen Erkenntnisse lauteten: „Viele Gemeindewachstumsdogmen sind nichts als Mythen.“ Und: „Gemeindewachstum geschieht anders, als bisher vermutet wurde.“ Das Buch „Die natürliche Gemeindeentwicklung“ ist bereits jetzt ein Megabestseller. Es ist inzwischen in 42 Ländern und 20 verschiedenen Sprachversionen erhältlich.11 1997 erschien ein Folgebuch unter dem Titel „Die Praxis der natürlichen Gemeindeentwicklung“.12

Das herkömmliche Denkmuster der Gemeindewachstumsbewegung

Christian Schwarz, der in Bochum, Bethel, Wuppertal und Mainz Theologie studierte, absolvierte 1986 ein zusätzliches Studiensemester am Fuller Theological Seminary in Pasadena, USA. Er wurde insbesondere von Donald McGavran, Peter Wagner und Win Arn in die Philosophie der Gemeindewachstumsbewegung eingeführt. Während McGavran das Wort Gottes noch als Ausgangspunkt seiner Forschung sah13 entwickelten Wagner und Arn zunehmend eine Theorie von Gemeindewachstum, die im Wesentlichen von folgenden Faktoren bestimmt war: einem oberflächlichen Pragmatismus, einer statischen Ursache-Wirkung-Logik, einer starken Fixierung auf Quantität, der Einbeziehung von manipulativen Marketingmethoden und einer fragwürdigen Machbarkeitsmentalität.14 Zudem war und ist dieser Ansatz stark modellorientiert. Oft werden erfolgreiche Megagemeinden als Modell präsentiert und mehr oder weniger zur Nachahmung empfohlen: „Macht es wie wir, und ihr werdet den gleichen Erfolg erleben.“

Der neue Trend: Die natürliche Gemeindeentwicklung

Anstatt sich auf ein Modell zu beschränken, werden hier viele Gemeinden untersucht, um die allgemein gültigen Prinzipien des Gemeindewachstums herauszufinden

Nachdem erste Studien darauf hindeuteten, dass sich viele von der amerikanischen Gemeindewachstumsbewegung gelehrte Theorien empirisch nicht verifizieren ließen (die Schwarz aber zuvor als gültig übernommen hatte), startete Christian Schwarz 1994 das umfassendste Forschungsprojekt über Gemeindewachstum, das je durchgeführt wurde. Als im November 1996 die ersten Ergebnisse der Studie vorlagen, korrigierte er einige eigene Positionen und nannte sein „Ökumenisches Gemeinde-Institut“ konsequenterweise in „Institut für natürliche Gemeindeentwicklung“ um. Den Kernpunkt seiner neuen Sichtweise fasste der Autor ausgehend von Markus 4,26-29 wie folgt zusammen:

„Die natürliche Gemeindeentwicklung will Gemeindewachstum nicht ‚machen‘, sondern ist allein darauf ausgerichtet, die Wachstumsautomatismen, mit denen Gott selbst seine Gemeinde baut, freizusetzen.“15

Diese neue Sicht gewann Schwarz nach eigenen Angaben durch empirische Untersuchungen, durch Beobachtung der Natur und durch das Studium biblischer Texte. Schwarz verwarf den modellorientierten Ansatz der Gemeindewachstumsbewegung und postulierte in der natürlichen Gemeindeentwicklung den prinzipienorientierten Ansatz. Anstatt sich auf ein Modell zu beschränken, werden hier viele Gemeinden untersucht, um die allgemein gültigen Prinzipien des Gemeindewachstums herauszufinden. Diese mittels Abstraktion gewonnenen Grundsätze werden dann in einem zweiten Schritt auf die konkrete Situation einer anderen Gemeinde angewandt.

Acht Qualitätsmerkmale

Die Schwarz“schen Untersuchungen sollen beweisen, dass es acht universale Qualitätsmerkmale für wachsende Gemeinden gibt (sie beweisen nicht, ob es wirklich nur acht sind). Wie kam er zu diesen acht Merkmalen? McGavran und Arn beschrieben in ihrem Buch „Ten Steps for Church Growth“16 bereits 1977 zehn relevante Faktoren für Gemeindewachstum. Einige Jahre später sprach Peter Wagner von „Sieben lebenswichtigen Kennzeichen einer gesunden Gemeinde“.17 Ein Jahr nach seinem Studienaufenthalt am Fuller Seminary in Pasadena propagierte Schwarz bereits seine „Acht Basisprinzipien wachsender Gemeinden“18 die inzwischen – etwas modifiziert – zu den „Acht Qualitätsmerkmalen“ mutierten.

Merkmal 1: Bevollmächtigende Leitung

Bevollmächtigende Leiter investieren einen Großteil ihrer Zeit in Jüngerschaft, Delegation und Multiplikation

Schwarz führt aus, dass es einen gravierenden Unterschied macht, ob ein Leiter vollmächtig oder bevollmächtigend dient. Bevollmächtigende Leiter investieren einen Großteil ihrer Zeit in Jüngerschaft, Delegation und Multiplikation. So wird Gottes Energie zum Wachstum der Gemeinde freigesetzt. Diesem Punkt stimmen wir voll und ganz zu.

Merkmal 2: Gabenorientierte Mitarbeiterschaft

„Das Entdecken und Einsetzen von geistlichen Gaben ist die einzige Möglichkeit, das reformatorische Konzept des „allgemeinen Priestertums“ praktisch werden zu lassen.“19 Auch hier hat Schwarz absolut recht. Die Gemeinde ist der Leib des Christus, der aus vielen, mit Geistesgaben beschenkten Gliedern besteht. Diese Gaben sollen aktiv in den Aufbau der Gemeinden eingebracht werden.

Merkmal 3: Leidenschaftliche Spiritualität

Der Autor führt hier aus, dass wachsende Gemeinden von Hingabe, Elan, Feuer und Begeisterung geprägt sind. Dem können wir zustimmen. Schade nur, dass Christian Schwarz der positiven Leidenschaft pauschal eine gesetzliche Orthodoxie gegenüberstellt. Mit anderen Worten: Wenn eine Gemeinde nicht die inzwischen weit verbreitete „Lobpreisatmosphäre“ anstrebt, ist sie bei Schwarz von vornherein dogmatisch, gesetzlich und orthodox.20 Hier fehlt eine sorgfältige Differenzierung.

Merkmal 4: Zweckmäßige Strukturen

Darunter versteht Schwarz Strukturen, die eine fortwährende Multiplikation der Arbeit ermöglichen. Beispiel: Leiter sind nicht nur dazu da, zu leiten, sondern um weitere Leiter hervorzubringen. Schon in der Formulierung dieses Merkmals wird hier allerdings die Gefahr des Pragmatismus erkennbar. Schwarz wörtlich:

„Was diesem Anspruch nicht gerecht wird, wird geändert bzw. abgeschafft.“21

So kann er nur argumentieren, weil Gemeinden, die sich im Blick auf Strukturen am Neuen Testament orientieren wollen, für ihn von vornherein „technokratisch“ sind.22

Merkmal 5: Inspirierender Gottesdienst

Der Autor stellt hier die These auf, dass es nicht entscheidend ist, wie ein Gottesdienst gestaltet wird, sondern ob der Besuch des Gottesdienstes für die Besucher eine „inspirierende Erfahrung“ ist. Gottesdienst soll „Spaß machen“.

Der Ansatz ist zutiefst pragmatisch und außerdem extrem anthropozentrisch. Es wird nicht gefragt: Was ist wahr? sondern: Was ist wirksam?

Dieser Ansatz ist ebenfalls zutiefst pragmatisch23 und außerdem extrem anthropozentrisch. Es wird nicht gefragt: Was ist wahr?, sondern: Was ist wirksam? Nach unserem Verständnis geht es im neutestamentlichen Gottesdienst um die Verherrlichung Gottes, um die Erbauung der Gläubigen und um ihre Zurüstung zum Dienst (1Kor 11-14). Damit wollen wir ausdrücklich nicht sagen, dass die Teilnehmer einer solchen Versammlung mit Trauerminen dasitzen müssen.

Merkmal 6: Ganzheitliche Kleingruppen

Christian Schwarz legt dar, dass die fortwährende Multiplikation von Kleingruppen das entscheidendste allgemeine Wachstumsprinzip überhaupt sei. Unter „ganzheitlich“ versteht er, dass die Teilnehmer einer solchen Gruppe wirklich die Möglichkeit haben, sich mit ihren Fragen und Anliegen aktiv einzubringen.

Merkmal 7: Bedürfnisorientierte Evangelisation

„Schlüssel für den Gemeindeaufbau ist, dass die Gemeinde ihre evangelistischen Angebote ganz auf die Fragen und Bedürfnisse der Nichtchristen einstellt.“24

Dieser Ansatz ist wiederum durch und durch anthropozentrisch und pragmatisch. Dazu passt der Originalton Christian Schwarz:

„Ich würde mich dort anschließen, wo Gästegottesdienste angeboten werden, ganz gleich um welche Denomination es sich handelt.“25

Deutlicher kann er kaum zum Ausdruck bringen, wie wenig ihm die biblische Lehrausrichtung und andere schwerwiegende Aspekte neutestamentlichen Gemeindelebens in der Praxis bedeuten. Systematische Lehre und Dogmatik riechen bei Schwarz von vornherein nach „technokratischem Denken“.26

Merkmal 8: Liebevolle Beziehungen

Es versteht sich von selbst, dass glaubwürdig gelebte Liebe eine große Ausstrahlungskraft besitzt. Ob sich der „Liebesquotient“ allerdings so messen lässt, wie Schwarz es meint, ist eine andere Frage.

Die Minimumstrategie

Im zweiten Teil seines Buches (S. 49-60) führt der Autor aus, dass eine Gemeinde an allen acht (sind es wirklich nur acht?) Qualitätsmerkmalen arbeiten sollte, in der Priorität aber mit dem schwächsten Punkt – Minimumfaktor genannt – beginnen sollte. Diese Methodologie belegt Schwarz mit Analogien aus dem Bereich der landwirtschaftlichen Mineraliendüngung. In seinem Buch „Praxis des Gemeindeaufbaus“ hatte Christian Schwarz 1987 noch die Ansicht vertreten, dass sich eine Gemeinde eher auf ihre Stärken konzentrieren sollte.27

Weshalb übernimmt Schwarz Gedanken, Begriffe und Skizzen aus einer suspekten Karriere- und Managementlehre?

Wie kam es zu diesem bemerkenswerten Sinneswandel? Schwarz machte offensichtlich Anleihen bei der „Kybernetischen Managementlehre“ (EKS) von Wolfgang Mewes. Was der Biologe und Chemiker Justus von Liebig im Bereich der landwirtschaftlichen Düngung entdeckte, wandte Mewes auf wirtschaftliche und soziale Systeme an. Er nannte sein Prinzip „Engpass-konzentrierte Strategie“ (EKS). Den Begriff „Minimumfaktor“ übernahm Schwarz wortwörtlich von Mewes.28 Wenn die Schrift nicht alleinige Grundlage ist, müssen andere Quellen herhalten – selbst wenn es in einen „gemeindlichen Natur-Darwinismus“ führen sollte.29 Bleibt die Frage offen, warum Schwarz Gedanken, Begriffe und Skizzen aus der suspekten Karriere- und Managementlehre von Mewes übernimmt, ohne deren Quelle anzugeben. Die Seiten 54-55 in der Natürlichen Gemeindeentwicklung von Schwarz gleichen den Seiten 20-21 in Mewes“ Pamphlet wie ein Ei dem anderen. Wo bleibt hier der wissenschaftliche Anspruch?

Biotische Prinzipien

In Teil 3 des Buches (S. 61-82) entfaltet der Autor sechs biotische Prinzipien, nämlich Vernetzung, Multiplikation, Energieumwandlung, Mehrfachnutzung, Symbiose und Funktionalität. Zu jedem dieser Begriffe müssten Anmerkungen gemacht werden; aber das würde den Rahmen dieses Vortrags sprengen.

Kritische Anfragen und grundsätzliche Bedenken

Das statistische Material

Mark Twain schlug einmal folgende Steigerungsformen des Lügens vor:

„Erstens: nobel gemeinte Notlügen; zweitens: gewöhnliche Lügen und drittens: Statistik.“30

Was Twain spaßhaft verstanden wissen wollte, hat durchaus eine ernste Seite. Die plakative Betonung der gigantischen Zahlen – 1000 Gemeinden in 32 Ländern der Erde auf fünf Kontinenten – fasziniert zunächst stark. Es entsteht der Eindruck, dass es sich doch wohl um eine exakte, wissenschaftliche Untersuchung handeln muss. Überprüft man jedoch die Vorgehensweise genauer, entstehen erhebliche Zweifel an der Objektivität der Studie. Vor allem die Größenordnung des Zahlenmaterials lässt an der Aussagekraft des Projekts zweifeln. Nach statistischen Gesichtspunkten, ist für die Aussagekraft eines Mittelwertes, eine Datenmenge von mindestens 30 Daten die absolute untere Grenze. Bei weniger Daten ist es wissenschaftlich indiskutabel, von Signifikanz zu sprechen. Genaugenommen spricht man erst ab 100 Daten von echter Signifikanz. Damit meint man, dass sich der Mittelwert nicht merklich verschieben würde, wenn man noch mehr Daten erheben würde. Beispiel: Werden in einer Gemeinde 30 Mitglieder befragt, und ergibt die Auswertung der Fragen für ein Qualitätsmerkmal einen bestimmten Mittelwert, dann ist dieser Wert nicht besonders aussagekräftig, denn es ist nicht unwahrscheinlich, dass wenn man 100 Personen gefragt hätte, der Mittelwert sich deutlich verschieben könnte, was für die Aussage über die Qualität der Gemeinde in diesem Merkmal natürlich einen echten Unterschied machen würde. Genauso steht es mit der Standardabweichung (die besagt, dass wenn man eine Stichprobe machen würde, mit 68,3% Wahrscheinlichkeit das Ergebnis innerhalb von Mittelwert plus / minus Standardabweichung liegen würde). Die suggerierte „Mächtigkeit“ des Projekts steht unter diesem Gesichtspunkt in einem ganz anderen Licht da. Es wurden pro Gemeinde 30 Personen befragt. Pro Land waren teilweise deutlich unter 30 Gemeinden beteiligt. Nur in Deutschland und den USA waren es über 30 Gemeinden. Das heißt, die Mittelwerte (jeweils für ein Qualitätsmerkmal), die man für eine Gemeinde bestimmt, und der Mittelwert für ein Land sind in ihrer Aussagekraft bei weitem nicht in der Weise wissenschaftlich hoch signifikant, wie Schwarz das in seinen Büchern und Seminaren verkauft.

Überprüft man die Vorgehensweise genauer, entstehen erhebliche Zweifel an der Objektivität der Studie

Innerhalb der sozialwissenschaftlichen Methode ist es zum Teil an der Tagesordnung, mit kleinem Datenmaterial zu arbeiten – oft einfach aus Kostengründen. Die Mängel, die daraus entstehen, versucht man dann durch mathematische Verfahren auszugleichen. Man sollte sich aber vergegenwärtigen, dass diese Verfahren auf Annahmen der Psychologie und Sozialwissenschaft beruhen, deren sich die Öffentlichkeit, die mit den scheinbar rein wissenschaftlichen Resultaten konfrontiert wird, zum großen Teil nicht bewusst ist.

Schwarz und Schalk realisieren anscheinend nicht, dass auch in den Köpfen vieler Christen „Wissenschaftsgläubigkeit“ herrscht. Es geht uns nicht um Unmündigkeit, sondern wir wollen die Frage stellen, wieso sie kein Wort über die Grenzen der Methode, die kritische Menge des Datenmaterials und die Grenzen der Darstellung verlieren.

Die tendenziöse Auswahl der 1000 Gemeinden

Auf die Frage, nach welchen Kriterien er die Gemeinden ausgewählt habe, antwortete Christian Schwarz folgendermaßen:

„Es mussten evangelikale Gemeinden sein, die aber offen sind für charismatische Elemente, oder charismatische Gemeinden, die wiederum die Bereitschaft haben, von evangelikalen Gemeinden zu lernen.“31

Wir sind uns darüber im Klaren, dass ein großer Teil der heutigen Christenheit in diesen Rahmen passt. Aber eben nur ein Teil. Die großartigen Gemeindegründungsbewegungen, die der Herr beispielsweise in den letzten zwanzig Jahren in Belgien oder im Salzburger Land geschenkt hat, sind somit den Selektionskriterien zum Opfer gefallen.

Hinzu kommt die Tatsache, dass in jeder Gemeinde (ob sie nun zweihundert oder zweitausend Glieder hat) nur 30 Glieder an der Befragung teilnehmen durften. Wer garantiert, dass auf eine ausgewogene Zusammensetzung dieser Gruppe geachtet wurde? Judith Bork kommentiert diesen Sachverhalt folgendermaßen:

„Nimmt nur ein kleiner Prozentsatz an der Befragung teil, so besteht die Gefahr, dass man die ‚Qualität‘ bzw. den ‚Stand‘ einer kleinen ‚Elite‘ der Gemeinde misst und kein umfassendes Bild von der Gesamtgemeinde bekommt.“32

Die Reduktion des Gemeindewachstums auf acht Merkmale

Spielt das Vorhandensein einer gesunden, systematischen Lehre und Verkündigung für Gemeindewachstum keine Rolle?

Ich betonte bereits, dass Christian Schwarz in der Beschreibung dieser acht Bereiche sehr wertvolle Gedanken entfaltet hat. Aber warum reduziert er das komplexe Geschehen des Gemeindewachstums bereits in der einseitigen Ausrichtung der Fragebögen auf acht Bereiche? Mir fehlen da einige unverzichtbare Faktoren: Spielt etwa das Vorhandensein einer gesunden, systematischen Lehre und Verkündigung für Gemeindewachstum keine Rolle? Ist ein Netz gut ausgebildeter Seelsorger etwa unwesentlich? Sollte die Komponente von bewusst praktizierten Jüngerschaftsbeziehungen etwa nur als Unterkategorie auftauchen? Müssten nicht auch die Faktoren „Gebet“ und „Gelebte Verbindlichkeit“ als Extra-Bereiche geführt werden? Wird Gemeindewachstum letztlich nicht auch durch äußere Umstände wie Religionsfreiheit begünstigt oder beispielsweise durch Verfolgung behindert? Könnte es nicht sein, dass eine ganze Reihe von weiteren Faktoren für Gemeindewachstum signifikant sind, und dass diese in der Schwarz“schen Untersuchung nicht vorkommen, weil sie seinem theologischen Vorverständnis zum Opfer fielen?

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Helge Stadelmann. Unter der programmatischen Überschrift: „Nehmt den Bibelfaktor ernster!“ schreibt er:

„Die acht Basisprinzipien wachsender Gemeinden, wie immer sie zustande gekommen sein mögen, sind ergänzungsfähig. Wenn ich Gemeinden – und wenn es Tausende sind – wissenschaftlich genau auf diese acht Prinzipien hin befrage, werde ich auch nur Antworten zu diesen acht Punkten (und ihrem jeweiligen Minimumfaktor) bekommen.“33

Judith Bork, die sich im Rahmen einer Wissenschaftlichen Hausarbeit mit Christian Schwarz befasste, kommt in ihrer Untersuchung im Blick auf die damaligen „Acht Basisprinzipien wachsender Gemeinden“ des Vorgängermodells „Der Gemeinde-Test“ zu dem exakt gleichen Ergebnis:

„Die von Schwarz durchgeführten Umfragen per Fragebogen dienten nicht dazu, die Merkmale einer gesunden, und damit wachsenden Gemeinde, umfassend zu erfassen, sondern lediglich, die vorhandenen Prinzipien zu bestätigen und zu verfestigen.“34

Dr. Ken Hemphill beschreibt in seinem Buch „Der Antiochia-Effekt“ ebenfalls acht hoch effektive Merkmale wachsender Gemeinden, aber interessanterweise sind es andere Kennzeichen als bei Christian Schwarz. Hemphill35 nennt folgende:

1. Übernatürliche Kraft; 2. Christus verherrlichende Anbetung; 3. Kraftvolles Gebet; 4. Dienende Leiter; 5. Familiäre Beziehungen in der Gemeinde; 6. Eine gottgemäße Vision; 7. Leidenschaft für Verlorene; 8. Das Hinführen der Gläubigen zur Reife (Jüngerschaft).

Wer andere Fragen stellt, kommt offenbar zu anderen Ergebnissen

Kam Dr. Hemphill etwa zu einem unterschiedlichen Ergebnis, weil er andere Fragen stellte?

Ich erwähnte, dass Christian Schwarz eine Zeit lang am Fuller Seminary studierte. Ein Mann namens James Hunter legte bereits 1982 eine Langzeitstudie vor. Er hatte die geistliche Entwicklung des Seminars über 30 Jahre hinweg verfolgt. Unter anderem ging es um die Zuverlässigkeit der Heiligen Schrift. In den Anfangsjahren konnten noch 75 % der Absolventen der folgenden Aussage zustimmen:

„Die Bibel ist das inspirierte Wort Gottes, fehlerfrei in ihren Aussagen und Lehren, und sie muss wörtlich genommen werden, Wort für Wort.“

30 Jahre später konnten diesem Statement nur noch 15 % der Absolventen zustimmen. Ist das nicht erschütternd? Ich weiß nicht, wie es heute aussieht.36

Die einseitige Fragestellung auf den Fragebögen

Bezeichnenderweise bezieht sich von 91 Fragen keine einzige auf Lehrinhalte

Es ist hier nicht der Raum, um die Fragebögen in jeder Hinsicht systematisch zu besprechen. Damit ein sogenanntes Gemeindeprofil erhoben werden kann, müssen ein Fragebogen vom Pastor und maximal 30 Exemplare von Mitarbeitern der Gemeinde ausgefüllt werden. Bezeichnenderweise bezieht sich von 91 Fragen keine einzige auf Lehrinhalte der Gottesdienste, Kleingruppen oder Sonntagsschulgruppen, wohl aber ein Großteil der Fragen auf soziologische Aspekte. Etwa 15-mal wird danach gefragt, wie sich der Mitarbeiter in bestimmten Gruppen fühlt, wie er gewisse Veranstaltungen erlebt, was ihm Spaß macht und ob er etwas spürt.37 Wen wundert es, dass bei dieser Akzentuierung der Fragen die Ergebnisse so aussehen, wie sie aussehen!

Die Einstichstelle des Zirkels

Obwohl Schwarz auf der einen Seite den Ansatz der Gemeindewachstumsbewegung „Wie bekommen wir mehr Menschen in den Gottesdienst?“ als pragmatisch bezeichnet,38 und quantitative Wachstumsziele in einem Kapitel des Buches sogar untauglich nennt,39 verfällt er doch bei der Bestimmung des Außenkriteriums seiner Untersuchung in den gleichen Fehler: Er wählt willkürlich das Wachstum der Gottesdienstbesucherzahl, obwohl es ihm sonst erfreulicherweise oft um die Qualität die Gemeindelebens geht. Schwarz begründet seine Vorgehensweise wie folgt:

„Was wir am Anfang brauchten war ein einigermaßen objektiv feststellbares Außenkriterium, ähnlich wie bei der Entwicklung des Intelligenzquotienten etwa die Schulzensuren als Außenkriterium herangezogen werden. Dadurch sollte verhindert werden, dass wir aufgrund unseres Bibelverständnisses selbst festlegen, was wir für die Qualität einer Gemeinde halten …“40

Die Qualitätskriterien einer Gemeinde sollten nach Schwarz ganz bewusst nicht vom Neuen Testament her bestimmt werden (unser Bibelverständnis könnte ja „spiritualistisch“ oder „technokratisch“ gefärbt sein.41 Aber zum Glück gibt es ja die empirische Sozialforschung des Christian A. Schwarz, die uns nun endlich mit wissenschaftlicher Genauigkeit zeigen kann, was die universell gültigen Qualitätsmerkmale einer christlichen Gemeinde sind! Diese Sicht ist nicht nur falsch, sondern auch im höchsten Grade anmaßend. Außerdem gilt es zu bedenken, dass es sich bei Schwarz um einen Theoretiker handelt, der sich nie in der rauhen Wirklichkeit des Gemeindeaufbaus seine Sporen verdienen musste.

Ich bin davon überzeugt, dass eine Gemeinde letztlich mit verbindlichen Gliedern gebaut wird – nicht mit Besuchern

Weiterhin sehe ich in der Wahl des Gottesdienstbesucherwachstums ein unbewusstes Rudiment der pragmatisch geprägten Gemeindewachstumsbewegung. Warum wird der Zirkel bei der quantitativen Steigerung der Besucherzahlen eingestochen und nicht vielmehr bei der Zunahme der verbindlichen Glieder (oder Mitglieder) einer Gemeinde? Ich bin davon überzeugt, dass eine Gemeinde letztlich mit verbindlichen Gliedern gebaut wird – nicht mit Besuchern. Menschen sollen zuerst für Christus gewonnen werden und dann in einem Prozess der Jüngerschaft getauft, gelehrt und zur Mitarbeit zugerüstet werden. Das ist qualitatives Wachstum. Weil Christian Schwarz aber den Zirkel bei einem quantitativen Faktor einsticht, ergibt sich meines Erachtens a priori eine ganz erhebliche Akzentverschiebung.

Meine größte Sorge

Erst auf den letzten Seiten wird deutlich, worauf das Buch beim Leser abzielt. Wenn sich eine Gemeinde entschließt, ein Schwarz’sches Gemeindeprofil zu erheben, dann ist das keine einmalige Sache. Es wird empfohlen diesen Test im Abstand von sechs Monaten mehrmals zu wiederholen, um die Tendenz abschätzen zu können.

„Natürliche Gemeindeentwicklung ist keine einmalige Aktion mit einem statischen Anfangs- und Endpunkt. Vielmehr geht es um einen Prozess, der das gemeindliche Leben langfristig prägt.“42

Dieser Umstand ist zur Beurteilung des Gesamtkonzepts nicht unerheblich.

Am Ende eines Seminars in Stuttgart-Ditzingen fragte ich Christian Schwarz öffentlich, ob er nicht die Gefahr sehe, dass die Gemeinden, die sich auf sein Programm einlassen, in einem schleichenden Prozess von den Maßstäben des Neuen Testaments weggeführt werden könnten – hin zur Optimierung eines Computer-Ergebnisses. Ich fragte, ob nicht die Heilige Schrift unbewusst und sukzessive durch die Normen menschlich-selektiver Kriterien ersetzt wird. Und schließlich wollte ich wissen, ob jene Gemeinden durch die intensive Zusammenarbeit mit dem Institut für natürliche Gemeindeentwicklung nicht gar in eine gewisse Abhängigkeit zu den Machern eines sozial-empirischen Forschungsprogramms geraten. Auf diese dringenden Fragen konnte Christian Schwarz keine befriedigende Antwort geben. Übrigens, meine Bibel hätte ich an jenem Tag zu Hause lassen können; sie wurde nicht gebraucht.

Man wird sich entscheiden müssen zwischen einem Gemeindebau nach neutestamentlichen Grundsätzen oder nach der sozial-empirischen Statistikforschung des Christian Schwarz

Damit ich nicht missverstanden werden: Ich bin voll und ganz für Gemeindegründung, Gemeindeaufbau und Gemeindewachstum – nach den Grundsätzen des Neuen Testaments. Ich will Christian Schwarz nicht sein aufrichtiges Anliegen sprechen. Er möchte sicherlich den Gemeinden zum Wachstum verhelfen. Viele seiner Aussagen mögen richtig sein. Mündige Christen, die Literatur nach biblischen Kriterien zu beurteilen imstande sind (Apg 17,11), können aus den Büchern über „Die natürliche Gemeindeentwicklung“ gewiss manche gute Anregung entnehmen. Die ehrliche Motivation des Autors – die ich ihm voll und ganz zugestehe – schützt allerdings nicht vor Irrtümern und Akzentverschiebungen. Man wird sich selbst entscheiden müssen zwischen einem Gemeindebau nach neutestamentlichen Grundsätzen oder nach der sozial-empirischen Statistikforschung des Christian Schwarz.

Ein dritter Trend der Gemeindewachstumsbewegung findet sich heute in den „besucherfreundlichen Gemeinden“.

3. Die besucherfreundlichen Gemeinden am Beispiel der Saddleback-Gemeinde (Pastor Rick Warren)

Von Donald McGavran, dem Vater der Gemeindewachstumsbewegung, geht eine direkte Linie zu Rick Warren. Letzterer hat zwar nicht wie Schwarz am Fuller Seminary studiert, aber er beschreibt in seinem Megabestseller „Kirche mit Vision“ wie er im Jahr 1974 zum ersten Mal auf den Namen McGavran stieß:

„Als ich dort saß und diesen Artikel über Donald McGavran las, hatte ich keine Ahnung davon, wie dramatisch er die Richtung meines Dienstes beeinflussen würde …“43

Rick Warren begann vor zwanzig Jahren mit seiner Frau Kay im Saddleback-Tal, südlich von Los Angeles gelegen, eine Gemeindearbeit. Heute trifft sich dort eine der größten christlichen Gemeinden der westlichen Hemisphäre. Der Gründer dieser Gemeinde ist ein Visionär.

Am 30. März 1980 träumte Rick Warren in seiner ersten Predigt von einer 20.000-Seelen-Gemeinde, Hunderten von ausgesandten Missionaren und einem großen Grundstück mit vielen schönen Gebäuden. Er und seine Mitarbeiter arbeiteten über zwei Jahrzehnte unglaublich hart an der Verwirklichung dieser Ziele. Ein Teil ihres Traumes wurde bereits Wirklichkeit.

Saddleback boomt

Der Schwerpunkt der Gemeindeaktivitäten liegt auf den Wochenendgottesdiensten. Zwei finden am Samstagspätnachmittag statt. Am Sonntagmorgen sind es gar drei. Sie werden Woche für Woche von vielen Menschen besucht. Diese Gottesdienste sind auf Nichtchristen ausgerichtet. Der Musikstil ist modern – und laut. Die Kleidung ist leger. Rick Warrens Ansprachen sind thematisch und relevant. Seine aktuelle Reihe lautet: „Vom Burnout zur Balance“. Die Kirche bietet 150 verschiedene Dienste an. Es existieren Hunderte von Kleingruppen und eine ausgedehnte Jugendarbeit.

Saddleback hat Modellcharakter.

Saddleback ist Trendsetter. Das Modell der „Purpose Driven Church“ (Auftragsbestimmte Gemeinde) wurde vor allem durch Rick Warrens gleichnamiges Buch bekannt. Inzwischen wurden weltweit mehr als eine Million Exemplare in 14 Sprachen verkauft. Nach dem Geheimnis des Erfolgs befragt, antwortete der Autor:

„Das ist das Geheimnis meines Buches: Es ist sozusagen der ‚Intel-Chip‘ des Gemeindeaufbaus!“44

Mit Verlaub gesagt, diese Aussage ist an Vermessenheit kaum noch zu überbieten.

Darüber hinaus veranstaltet die Gemeinde Pastorenkonferenzen. Mehr als 150.000 Pastoren und Leiter aus 80 Denominationen besuchten bereits „Purpose-Driven-Schulungen“. Die Multiplikation des Angebots via Internet tut ein Übriges. Saddleback versteht sich selbst als Gemeinde der Zukunft.

Rick Warren spricht nicht nur von Gemeindewachstum. Er betont Gemeindegesundheit. Darunter versteht er die Balance zwischen Evangelisation nach außen und Wachstum der Gläubigen. Zuerst sollen Menschen in den Gästegottesdiensten für Christus gewonnen werden. Dann sollen diese in vier verschiedenen Kursen zur Reife geführt werden. Die Stationen lauten: Hingabe zur Mitgliedschaft (1), Hingabe zur Reife (2), Hingabe zum Dienst (3) und Hingabe zur Mission (4). Diesen Prozess versteht Warren als Kern einer auftragsorientierten Gemeinde. In dieser Ausgewogenheit liegt ohne Zweifel die Stärke der Saddleback-Gemeinde.45 Rick Warren ist übrigens „offizieller Berater für natürliche Gemeindeentwicklung“. Im März 1998 nahm er an einer Schulung für „Natürliche Gemeindeentwicklung“ teil.46

Darf man Saddleback überhaupt kritisieren?

Wer es wagt, eine prosperierende Megachurch zu kritisieren, muss mit einer Welle der Entrüstung rechnen

Wer wagte es, eine prosperierende Megachurch zu kritisieren? Würde er doch umgehend gefragt, was denn er vergleichsweise vorzuweisen habe. Prof. Stadelmann – den ich sehr schätze – wagte es leider nicht. Auf der Rückseite von „Kirche mit Vision“ ist seine Empfehlung zu lesen:

„Dies wird für die nächsten Jahre das wichtigste Buch zum Thema ‚evangelistischer Gemeindebau‘ werden.“

Nur ein Tor könnte es wagen, Saddleback zu kritisieren. Er müsste wohl mit einer Welle der Entrüstung rechnen. Nun, ich bin bereit, der Narr zu sein. Um Gottes willen.

Saddlebacks Pragmatismus

Bei Rick Warrens Ansatz wird aus dem Heiligtum ein Vorhof gemacht

Wir Europäer haben den Hang zum Theoretisieren. Rick Warren fällt als Amerikaner auf der anderen Seite vom Pferd. Er denkt und arbeitet ungehemmt pragmatisch. Pragmatismus – nicht zu verwechseln mit Praxisorientierung – ist einfach Zweckmäßigkeitsdenken. Dieses findet sich in „Kirche mit Vision“ besonders ab Teil 4: Wie bringt man eine Menge von Leuten in die Gemeinde? Hier liegt offensichtlich ein Gemeindeverständnis zugrunde, das gar nicht mehr fragt: Wie sah die neutestamentliche Gemeinde aus? Haben die Apostel „Gästegottesdienste“ veranstaltet (Apg 5,13)? Haben die ersten Christen „innerhalb“ der Gemeinde evangelisiert oder nicht viel mehr „außerhalb“, um dann die gläubig gewordenen in die Gemeinde zu bringen? Bei Rick Warrens Ansatz wird m.E. aus dem Heiligtum ein Vorhof gemacht. Wer A sagt, muss auch B sagen. Wer seine Veranstaltungen nach dem Geschmack der Nichtchristen ausrichtet, der muss zwangsläufig Rockmusik, Theaterstücke, thematische Predigten u.a.m. einsetzen. Das Motto lautet ja: Hauptsache, ich bekomme so viel wie möglich Besucher in meine Veranstaltung.

Erinnern Sie sich an McGavrans These vom Beibehalten der Kultur? Diese Sicht hat Rick Warren offenbar voll und ganz verinnerlicht. Denn der besucherfreundliche Ansatz besagt im Kern: Wir wollen den Nichtchristen alle Hindernisse – das Ärgernis des Kreuzes ausgenommen – aus dem Weg räumen. Sie sollen sich an nichts stören. Weder am Gebäude, noch am Musikstil; weder an der Kleidung, noch an einer zu langen Predigt.

Fred Colvin schreibt in einem noch unveröffentlichten Artikel über das Thema „Wachstum nach Prinzipien“:

„Die (demographischen) Studien zeigen, dass viele gern am Sonntag zur Gemeinde gehen. Weiterhin wird ein bestimmter Prozentsatz wiederkommen, wenn wir einen guten Ersteindruck auf sie machen. Besucherorientiertes Handeln ist eine bewährte Methode des Gemeindewachstums. Wenn die Leute glücklich sind und weiterhin herkommen, sind die Prozentsätze auf unserer Seite. Und heute, in den Tagen der abnehmenden Loyalität Grundsätzen gegenüber, springen Christen sowieso hin und her. Wenn sie unsere Programme mögen, dann können wir ihnen vielleicht ein neues gemeindliches ‚Zuhause‘ bieten. Der Kunde ist König. Der ‚Tag des HERRN‘ kann zum ‚Tag der Menschen‘ werden. Wir haben vielleicht unwissentlich das Motto ‚vox populi‘ oder das Gesetz der Volksstimme angenommen. Studien zeigen, dass in diesem Jahr mehr Frauen mit Universitätsabschluss als Männer in die Arbeitswelt eintreten. Da draußen sind eine Menge Feministinnen, die auch Christus brauchen. Wir wollen sie doch nicht vergraulen, oder? Es ist höchste Zeit, die Rolle der Frau in der Gemeinde zu überdenken. Studien zeigen, dass 56% der erwachsenen Amerikaner Rockmusik mögen. Geben wir ihnen also Musik mit ‚Beat‘. Anspiele sind ‚in‘, deshalb planen wir sie ein. Weil die Leute längeres Zuhören nicht mehr gewöhnt sind, haben wir die Predigt gekürzt. Studien zeigen, dass die Leute nicht wiederkommen, wenn der Prediger ein Langweiler ist. Also laufen wir zur Höchstform auf. … Wir finden heraus was die Leute hören wollen. Das predigen wir. Das ist relevant! Die Konkurrenz ist groß. Die Messlatte liegt hoch. Wir proben das Ganze besser noch mal! Alles noch mal von Anfang an!“

Saddlebacks Zahlenfieber

In Saddleback wird sehr viel gezählt. An jedem Wochenende zählt man fünfzehntausend Besucher. An Ostern sollen es gar 35.000 gewesen sein. Jeder neue Zuhörer wird am Ende des Gottesdienstes aufgefordert, eine Karte auszufüllen. So wurde nach den Feiertagen bekannt gegeben, dass sich am Osterwochenende 1704 Besucher für Christus entschieden hätten.47 Als ob es so einfach wäre, dem Satan Menschen zu entreißen! Aber Rick Warren ist ja davon überzeugt, dass er jeden Menschen zum Christen mache könne, wenn er nur dessen Bedürfnisse stillte.

Saddlebacks psychologisiertes Evangelium

Auch wenn Dr. Warren hundert Mal betont, er wolle das Evangelium nicht verwässern – meiner Ansicht nach tut er es doch! Im Mittelpunkt der Verkündigung steht der Mensch mit seinen ungestillten Bedürfnissen nach Liebe, Anerkennung, Geborgenheit und Selbstwertgefühl. Darum sind die Predigten bedürfnisorientiert. Rick Warrens Liebe zu den Verlorenen ist allerdings echt. Seine Opferbereitschaft ist vorbildlich. Seine Motivationsgabe ist einmalig. Doch im Blick auf die Verkündigung steht er in Gefahr, unbequeme Wahrheiten zu unterschlagen. In seiner Osterpredigt kamen Begriffe wie „Sünde“ oder „Heiligkeit Gottes“ nicht vor. Da fragt man sich, wie sich 1704 Menschen bekehren konnten?

Erfolg ist kein letzter Gradmesser

Saddleback ist sehr erfolgreich. Aber Erfolg ist in der Bibel kein Gradmesser. Das muss der gesamten Gemeindewachstumsbewegung immer wieder gesagt werden.

„Hauptsache, es funktioniert“ ist kein Satz aus der Bibel

In 4Mo 20 wird berichtet, dass Mose zu dem Felsen in der Wüste reden sollte. Doch Mose schlug den Stein. Das hatte Jahre zuvor schon einmal funktioniert (2Mo 17). Der Erfolg stellte sich ein. Obwohl Mose im Ungehorsam handelte, floss das Wasser in Strömen. Der sichtbare Erfolg war da. Doch Mose und Aaron durften nicht ins verheißene Land. Diese Passage warnt vor pragmatischem Erfolgsdenken. „Hauptsache, es funktioniert“ ist kein Satz aus der Bibel. Allein die Schrift ist die Norm für Gemeindebau.

Mein nicht ganz amerikanischer Traum

Ganze Denominationen und evangelikale Werke schwören heute auf das Willow-Creek-Modell. Andersdenkende innerhalb und außerhalb der eigenen Reihen werden ausgegrenzt oder als „Ewig Gestrige“ und „Schlusslichter des Mittelalters“ verunglimpft. Ich fürchte, dass als nächstes die Saddleback-Welle über die Gemeinden Europas hinweg branden wird. Dass sich „Kirche mit Vision“ im deutschen Sprachraum außerordentlich gut verkauft, beweist meiner Ansicht nach der durch Willow Creek vorbereitete Ackerboden. Saddleback – das ist auch gestylte Gemeinde, ausgerichtet am „mainstream“ des zeitgenössischen Geschmacks.

Ich wünschte, wir modellgläubigen Deutschen würden uns mehr an den schlichten Grundsätzen des Neuen Testaments orientieren

Ich mache keinen Hehl daraus, dass mir persönlich die „Grace Community Church“, in der John MacArthur lehrt (ebenfalls Los Angeles), viel näher steht. Sie wuchs vor allem durch kompromisslose Wortverkündigung. Aber es würde mir nicht im Traum einfallen, diese Gemeinde zu einem weltweit gültigen Modell zu erheben. Selbstverständlich kann man von anderen Gemeinden lernen. Doch wünschte ich, wir modellgläubigen Deutschen würden uns mehr an den schlichten Grundsätzen des Neuen Testaments orientieren. Dort ist uns der wahre „Intel-Chip“ gegeben. Ich liebe die neutestamentliche Gemeinde. Das ist nämlich die Gemeinde der Zukunft.

Schriftgemäßes Gemeindewachstum

Ich begann mein Referat mit dem Hinweis auf die erste, biblische Gemeindewachstums-bewegung. Gott schenkte im 1. Jahrhundert Gemeindewachstum. Und ich bin davon überzeugt, dass er auch im 21. Jahrhundert Gemeindewachstum schenken möchte. Darum dürfen wir uns auf keinen Fall mit der kritischen Distanz zu den aufgezeigten Fehlentwicklungen begnügen. Wir sind für echtes Gemeindewachstum. Darum will ich mit einigen Thesen schließen.

  1. Gott allein wirkt das Wachstum seiner Gemeinde (Apg 2,47; 1Kor 3,6-7; Eph 4,16).
  2. Klare Verkündigung des Evangeliums von Kreuz und Auferstehung fördert das Wachstum der Gemeinde (Apg 2).
  3. Gebet fördert das Wachstum der Gemeinde (Apg 4,23-31).
  4. Einmütigkeit fördert das Wachstum der Gemeinde (Apg 4,32-35).
  5. Reinerhaltung der Gemeinde fördert Wachstum der Gemeinde (Apg 5,1-13).
  6. Sinnvolle Strukturen fördern das Wachstum der Gemeinde (Apg 6,1-7).
  7. Sowohl Verfolgungs- als auch Friedenszeiten fördern das Wachstum der Gemeinde (Apg 8,1.4; 9,31).
  8. Weise Prinzipien fördern das Wachstum der Gemeinde (Apg 16,4-5).
  9. Das Einbringen vieler Gaben (Priestertum aller Gläubigen) fördert das Wachstum der Gemeinde (1Petr 2,9; 1Kor 12).
  10. Gemeindewachstum verherrlicht den Herrn (Apg 11,18; Eph 3,21).

Gebe doch der HERR, dass wir alle einen aktiven Beitrag zum Wachstum seiner Gemeinde leisten!


  1. Donald McGavran: Gemeindewachstum verstehen, Wolfgang Simson Verlag, Lörrach 1990, S. 7-11. 

  2. Ebd. S. 9. 

  3. Ebd. S. 10. 

  4. Donald McGavran: Bridges of God, Friendship Press, New York 1955, S. 23. 

  5. Donald McGavran: Gemeindewachstum verstehen, Wolfgang Simson Verlag, Lörrach 1990, S. 196. 

  6. Ebd. S. 10. 

  7. Ebd. S. 202. 

  8. Ebd. S. 11. 

  9. Peter Wagner: Your Church Can Grow, Regal Books, Ventura USA, 1976, S. 38. 

  10. Wolfgang Bühne: Die Propheten kommen, CLV Bielefeld, 2. Aufl. 1995, S. 71. 

  11. C & P Infobrief Nr. 1, Herbst 1997. 

  12. Christian A. Schwarz / Christoph Schalk: Die Praxis der natürlichen Gemeindeentwicklung, C & P Verlag Emmelsbüll 1997. 

  13. Donald A. McGavran: Gemeindewachstum verstehen Wolfgang Simson Verlag Lörrach, 1990, S. 24: „Der Ansatz, gültig über Gemeindewachstum nachzudenken, ist theologischer Natur … Die Wurzeln der Theologie des Gemeindewachstums bestehen in unerschütterlichen theologischen Grundüberzeugungen.“. 

  14. Christian A. Schwarz: Die natürliche Gemeindeentwicklung, C & P Verlag Emmelsbüll 1996, S. 14. 

  15. Christian A. Schwarz: Die natürliche Gemeindeentwicklung, C & P Verlag Emmelsbüll 1996, S. 14. 

  16. Donald McGavran & Winfield C. Arn: Ten Steps for Church Growth, Harper & Row, San Francisco 1977, S.13 zitiert bei Judith Bork: Die acht Basisprinzipien wachsender Gemeinden, Wissenschaftliche Hausarbeit der Freien Theologischen Akademie, Gießen 1995, S. 53. 

  17. Peter C. Wagner: Your Church Can Grow: Seven Vital Signs of a healthy Church, überarb. Aufl. (Ventura: Regal Books, 1984), S. 48 zitiert ebd. S. 55. 

  18. Christian A. Schwarz: Der Gemeindetest: kybernetisch Gemeinde bauen, C&P Verlag Emmelsbüll 1991. 

  19. Christian A. Schwarz: Die natürliche Gemeindeentwicklung, C & P Verlag Emmelsbüll 1996, S. 24. 

  20. Ebd. S. 26-27. 

  21. Ebd. S. 28-29. 

  22. Ebd. Teil 4 – Ein neues Denkmodell – S. 83-102 Technokratisch ist bei Schwarz antithetisch zu ‚spiritualistisch‘. Die Synthese heißt ‚biotisch‘ (früher: kybernetisch). 

  23. Ebd. S. 100-102 Es ist nur schwer verständlich, wie Christian Schwarz unter der Überschrift ‚Warum Pragmatismus in die Sackgasse führt‘ auf Seite 100-102 in sehr scharfsinniger Weise ‚Sechs Gefahren des Pragmatismus‘ anführen kann, aber auf der anderen Seite offensichtlich pragmatisch denkt und argumentiert. 

  24. Christian A. Schwarz: Die natürliche Gemeindeentwicklung, C & P Verlag Emmelsbüll 1996, S. 35. 

  25. Christian Schwarz wörtlich beim Seminar in Stuttgart / Ditzigen am 17.1.98. 

  26. Christian A. Schwarz: Die natürliche Gemeindeentwicklung, C & P Verlag Emmelsbüll 1996, S.83-102. 

  27. Christian A. Schwarz: Praxis des Gemeindeaufbaus: Gemeindetraining für wache Christen. 

  28. Wolfgang Mewes: Die kybernetische Managementlehre (EKS), W. Mewes Verlag, Frankfurt a.M. 1985, S.20. 

  29. Zu Christian Schwarz‘ historisch-kritischem Schriftverständnis vgl. die Buchrezension „Die dritte Reformation – Paradigmenwechsel in der Kirche“ in ‚Gemeindegründung‘ (KfG) Nr. 46, S. 26-29. 

  30. Igor Uszczapowski: Optionen und Futures verstehen, Beck-Wirtschaftsberater im dtv, 1995 S.24. 

  31. Beim Seminar in Ditzingen / Stuttgart am 17.1.98. 

  32. Judith Bork: Die acht Basisprinzipien wachsender Gemeinden, Wissenschaftliche Hausarbeit der Freien Theologischen Akademie, Gießen 1995, S. 91. 

  33. Dr. Helge Stadelmann in Praxis (dessen Schriftleiter Christian Schwarz damals noch war), Heft 61, 2/95, S. 9. 

  34. Judith Bork: Die acht Basisprinzipien wachsender Gemeinden, Wissenschaftliche Hausarbeit der Freien Theologischen Akademie, Gießen 1995, S. 77. 

  35. Dr. Ken Hemphill: The Antioch Effect, Broadman + Holman Publishers Nashville, TN 1994. 

  36. James D. Hunter: The Evangelical Academy Project, S. 302 zitiert in Georg Marsden: Reforming Fundamentalism, Erdmans, Grand Rapids, 1987. 

  37. Gemeindeprofil – Fragebogen für Mitarbeiter, C&P Verlag, Emmelsbüll. 

  38. Christian A. Schwarz: Die natürliche Gemeindeentwicklung, C & P Verlag Emmelsbüll 1996, S. 15. 

  39. Ebd. S. 44-45. 

  40. URL: http://www.CundP.de/backgrounds/f13.htm vom 25. März 1998. 

  41. Siehe Fußnote Nr. 22. 

  42. Christian A. Schwarz / Christoph Schalk: Die Praxis der natürlichen Gemeindeentwicklung, C & P Verlag Emmelsbüll 1997, S. 23. 

  43. Dr. Rick Warren: Kirche mit Vision, Projektion J Verlag, Asslar 1998, S. 31. 

  44. Ebd. S. 10. 

  45. ebd. S. 140. 

  46. Zeitschrift „Praxis“, Nr. 74, S. 6. 

  47. Diese Zahl wurde von Pastor Tom Holladay im Wochenmitte-Gottesdienst am 26.04.00 bekannt gegeben.