Zum erstenmal wurde nachweislich eine Xenotransplantation im Jahr 1905 vorgenommen. Ein französischer Arzt verpflanzte Teile von Kaninchennieren in den Körper eines schwer nierenkranken Kindes. Der junge Patient überlebte diese Operation nur zwei Wochen. Erst Jahrzehnte später begriff man den Grund für das Scheitern derartiger artübergreifender Transplantations-Unternehmungen. Die Ursache lag im menschlichen Abwehrsystem: Im Blut zirkulieren Eiweißverbindungen (sogenannte „Antikörper“), die dazu dienen, Viren oder Bakterien zu bekämpfen. Diese Antikörper erkennen die Zellen des verpflanzten Organs als Eindringling, so dass dann das Immunsystem das Implantat angreift und dessen Blutgefäße zerstört.
Zur Zeit wird mit Hochdruck daran geforscht, Tierorgane genetisch so zu verändern, dass der menschliche Organismus die Fremdorgane nicht mehr abstößt. Amerikanischen und schottischen Wissenschaftlern gelang dazu vor kurzem ein wichtiger Schritt, indem sie das Erbgut von Schweinen gezielt änderten. Doch noch ist das Ziel nicht erreicht; der Wettlauf unter Wissenschaftlern geht weiter. In China beschäftigen sich bereits etwa sechshundert hochspezialisierte Forscher mit mehreren tausend Labormitarbeitern mit der Kreuzung von tierischem und menschlichem Genmaterial. Das „Land der Mitte“ hat dieses Forschungsfeld zur Schlüsseltechnologie erklärt und stellt Geldmittel zur Verfügung. In Europa arbeitet vor allem der multinationale Schweizer Konzern Novartis/Imutran daran, tierische Organe für den Menschen brauchbar zu machen. Genmanipulierte Schweine-Lebern sollen todkranken Menschen eingepflanzt werden. Novartis kalkulierte schon seine Gewinnaussichten: Der Weltmarkt für Schweineorgane werde bis zum Jahr 2010 sechs Milliarden Dollar betragen; über die Hälfte dieses Marktes wolle man selbst besetzen.
Ethische Bedenken bei der Übertragung von Tierorganen auf den Menschen gibt es immer weniger. Von staatlichen Ethikkommissionen wird die Xenotransplantation meistens so beurteilt, wie es in einer Veröffentlichung der französischen Ethikkommission zu diesem Thema zu lesen ist: Im Prinzip wird die Verpflanzung von Tierorganen auf den Menschen für gut geheißen. Allerdings müsste die Forschung so weit vorangeschritten sein, dass man die Möglichkeit ausschließen könne, dass tierische Krankheiten auf den Menschen übertragen werden. In Deutschland kam eine im Auftrag des Kirchenamtes der Ev. Kirche Deutschlands (EKD) und des Sekretariats der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz einberufene Arbeitsgruppe von Theologen, Medizinern und Psychologen zu dem Ergebnis: Angesichts des Mangels menschlicher Organe, die für eine Transplantation zur Verfügung stehen, könne die Übertragung von Organen und Geweben gentechnisch veränderter Tiere auf den Menschen als „Notlösung“ akzeptiert werden. Die Identität des Menschen werde durch eine Xenotransplantation nicht beeinträchtigt, wenn es auch für den Träger tierischer Organe zu schweren seelischen Problemen kommen könne. Ein Ende letzten Jahres veröffentlichtes Dokument des Vatikan in Bezug auf die Tier-Mensch-Transplantationen kommt zu einer ähnlichen Einschätzung. Doch wie ist die Xenotransplantation aus Sicht der Bibel zu bewerten? TOPIC bat den Theologen Dr. Jürgen Burkhard Klautke, Dozent für Ethik an der Akademie für Reformatorische Theologie (ART) in Marburg, um eine Einschätzung:
„Gegenwärtig ist ein Übertragen von Tierorganen auf den Menschen medizinisch-technisch nicht möglich. Nach wie vor besteht das Problem der Abstoßung des als körperfremdes Gewebe identifizierten Organs. Abgesehen von diesen medizinischen Risiken besteht auch große Unsicherheit über die Effektivität der Xenotransplantation. Es ist zwar richtig, dass eine Niere in einem Schwein weitgehend dasselbe verrichtet wie eine Niere im Menschen, aber insgesamt unterscheiden sich die körperlichen Funktionen des Schweins von denen des Menschen gravierend. Damit erhebt sich die Frage, ob eine Schweineniere die Funktion einer Niere im Menschen überhaupt zu übernehmen vermag. Bei einer Leber, die noch stärker artspezifisch funktioniert als eine Niere, ist diese Frage noch dringlicher. Aber selbst wenn dieses Problem einmal gelöst sein wird, bleibt noch das Risiko bestehen, dass der Mensch mit im Tierorgan schlummernden Viren oder Bakterien infiziert werden kann. Es geht hier nicht um Vireninfektionen, die das Tier von außen empfangen kann und dann auf den Menschen übertragen könnte, sondern um – für den Menschen – schädliche Viren, die sich im Erbmaterial des Tierorgans selbst befinden. Abgesehen von den bisher genannten Problemen, ergeben sich im Blick auf die Xenotransplantation ethische Anfragen.
Zum einen ist auf das biblische Verständnis vom Menschen zu weisen. Generell ist das Aufkommen der Transplantations-Medizin nicht zu verstehen ohne eine Sichtweise auf den Menschen, nach der der Mensch aus einem menschlichen Körper besteht, der wie eine komplizierte Maschine funktioniert, bei der im Prinzip die Einzelteile austauschbar sind. Dieser menschliche Körper wird verstanden als ein Behälter der Seele. Im Licht der Heiligen Schrift ist jedoch der menschliche Körper keineswegs das – austauschbare – Vehikel der Seele. Auch wenn es zutrifft, dass im Unterschied zum Leib die Seele unvergänglich ist, so gehören Leib und Seele zusammen (siehe: Mt 10,28). Aus diesem Grund darf auch der Mensch, das Ebenbild Gottes, leiblich nicht geschändet werden (siehe z. B.: 1Mo 9,6). Bei der Xenotransplantation erhebt sich die Frage, ob die Gottebenbildlichkeit des Menschen nicht verletzt wird, wenn durch das Implantieren genetisch veränderter Tierorgane die Grenze zwischen Mensch und Tier aufgeweicht wird. Gerät so auch nicht die Hoffnung auf unsere Auferstehung, auch des Leibes (!), immer mehr aus unserem Blickfeld zugunsten eines Verständnisses des Leibes im Sinn der Behältertheorie?
Ein zweiter ethischer Vorbehalt gegen die Organtransplantation im Allgemeinen und gegen die Xenotransplantation im Besonderen ergibt sich aus der häufig darin zum Ausdruck kommenden neuzeitlichen Lebensauffassung: Die Moderne ist davon überzeugt, beliebig über die Natur, einschließlich der menschlichen Natur, verfügen zu können und mit allen erdenklichen Mitteln das irdische Leben festhalten zu dürfen. Die Erwartung auf das Kommen des Reiches Gottes ist verweltlicht zu einem Zukunftsszenario eines Gemeinwesens, dessen Zweck darin besteht, alle medizinisch-technischen Möglichkeiten anzuwenden, um ein gesundes und glückliches Leben zu haben.
Es ist ethisch auch nicht fragwürdig, einen Teil des Lebens zur Erhaltung des Nächsten einzusetzen
Auch aus der Perspektive einer Tierethik sind Vorbehalte gegen die Xenotransplantation anzuführen. Um die starke immunologische Abstoßung durch den Empfänger zu verringern, müssen die ‚Organspendetiere‘ zuerst genetisch manipuliert werden. Nicht auszuschließen ist, dass zur Optimierung der Eignung von Organen sogar eine Art von Klonen praktiziert werden muss, also eine Zellverschmelzung zwischen Tier und Mensch. Außerdem darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Organspende-Tiere konsequent steril gehalten werden müssen. Wird mit diesen Praktiken, die alles andere als tierfreundlich sind (vgl. Spr 12,10), nicht eine moralische Grenze überschritten, so dass zu befürchten ist, dass durch die Xenotransplantation insgesamt mehr Probleme verursacht als gelöst werden? Andererseits wird man nicht vergessen dürfen, dass der Mensch den Höhepunkt der Schöpfung Gottes bildet: Die gesamte Schöpfung soll dem Menschen dienen, damit der Mensch Gott dient (Ps 8). Von daher hat der Mensch eine einzigartige, dem Tier überlegene Würde.
Wenn es gemäß der Heiligen Schrift erlaubt, ja geboten ist, das eigene menschliche Leben zugunsten seines Nächsten einzusetzen (Röm 5,7; 1Joh 3,16), ist es – argumentiert vom Größeren zum Geringeren – auch ethisch nicht fragwürdig, einen Teil des Lebens zur Erhaltung des Nächsten einzusetzen, also zum Beispiel ein Körperorgan oder ein Körperteil (vgl. Gal 4,15). Da das Tier gemäß der biblischen Schöpfungsordnung unter dem Menschen steht, ist es ethisch nicht grundsätzlich verwerflich, es für Menschen einzusetzen.
Zusammenfassend kann gesagt werden: Abgesehen von der augenblicklichen medizinisch-technischen Unmöglichkeit, kleben an der Xenotransplantation zahlreiche ethische Vorbehalte, so dass sie sehr zurückhaltend zu beurteilen ist. Unter der Voraussetzung, dass die medizinischen Risiken kalkulierbar sind, erscheint sie mir als letztes Mittel jedoch denkbar.“