Die Evangelikalen haben viele Themen, über die sie nicht nur verschiedener Meinung sind, sondern über die sie streiten. Diese Konflikte werden mit wachsender Intensität ausgetragen. Einige Brüder erheben eine warnende Stimme und sehen sich als Wächter, die die Christen vor verschiedenen Einflüssen warnen und schützen müssen.
Die unbiblischen Einflüsse in den Gemeinden sind einerseits wirklich ein Problem. Andrerseits entstehen durch den Umgang und Weitergabe von Informationen zu strittigen Themen viel Uneinigkeit, Streit, schlechtes Reden und Schreiben und Spaltungen.1
Fragen, die sich deswegen ergeben: Welche Richtlinien gibt uns das Wort Gottes für die Ausübung des Wächterdienstes? Worüber soll aufgeklärt werden, wie, durch wen? Wie können wir sicherstellen, dass unsere Aufklärung zum Aufbau der Gemeinden beiträgt, nicht zu Polarisierung und Spaltung?
Richtlinien und Vorschläge zum Hirten- und Wächterdienst
Im Grundsätzlichen Gleichheit, im Wichtigen Einheit, in Nebensächlichkeiten Freiheit, in allem aber die Liebe
Proportionen. Verschiedene Themen in Gottes Wort sind unterschiedlich wichtig, wie auch der Herr betont (Mt 5,19; Mt 23,23). Wir können die Themen in drei Kategorien einteilen: Grundsätzliches (zum Beispiel: die Gottheit von Jesus, Rettung durch Gnade), Wichtiges (worüber die Schrift lehrt, z. B. Taufe) und Nebensächliches (wo die Schrift Freiheit gibt, z. B. Halten des Sabbat). Der Umgang mit Nebensächlichen wird z. B. in Römer 14 behandelt. Ein Merksatz dazu: Im Grundsätzlichen Gleichheit, im Wichtigen Einheit, in Nebensächlichkeiten Freiheit, in allem aber die Liebe.2
Liebe. Sie soll den Umgang untereinander prägen (Joh 13,34f.). Liebe ist die Vorraussetzung, um etwas zu prüfen, zu erkennen und zu beurteilen (Phil 1,9-11). Ohne Liebe können wir nicht richtig beurteilen. Liebe ist die Grundlage von gesunder Beurteilung und sie ist notwendig, um anderen zu helfen, um andere von ihrem Splitter im Auge zu befreien (Mt 7,1-12). Wir brauchen Barmherzigkeit im Umgang mit andren.
Aufklärung. Aufklärung ja, aber wie? Eine gewisse Aufklärung ist erforderlich, die Leiter der Gemeinde sind als Hirten dafür verantwortlich. Andere begabte Personen haben einen überörtlichen Dienst. Wir können nicht zulassen, dass alle Strömungen kommentarlos über die Geschwister hereinbrechen. Die Aufklärung sollte aber alle Aspekte des geistlichen Lebens umfassen und das Wachstum der Geschwister fördern. Deswegen ist es notwendig, viel mehr über Christus zu sprechen als über die Missstände oder die falsche Lehre. Es muss manchmal sein, dass Personen im negativen Zusammenhang genannt werden (wie in 2Tim 2,16f.) oder dass die falsche Lehre erwähnt wird (wie in Kol 2,16-23). Wie man aufklären und warnen kann, sehen wir auch im NT. Der 1. Johannesbrief ist eine Reaktion auf Irrlehren. Es geht darin hauptsächlich um Christus und unser Leben mit ihm! Die Irrlehren werden darin nur angedeutet, selbst heute wissen wir nicht genau, worin sie bestanden. Matthias Grassl sagt dazu:
„Im 1. Johannesbrief haben wir ein Beispiel von positiver Apologetik.“
Im Kolosserbrief dreht sich alles um Christus und wie sich unsere Beziehung zu ihm auswirkt. Die falschen Lehren werden nur kurz umrissen (Kap 2,16ff.). David Gooding meint, dass dies absichtlich so sei. Denn Christus ist das Gegenmittel gegen die falschen Lehren.
„Das Ziel von guter, biblischer Apologetik ist die Abwehr von Gefahren und gleichzeitig eine Orientierungshilfe und Glaubensstärkung für die Gemeinde zu geben.“3
Lob. Es ist wichtig, dass wir das Gute sehen und ansprechen. Tadel und Vorschläge werden leichter angenommen, wenn man das Gute hervorhebt und lobt. Paulus macht das in seinen Briefen (vgl. 1Kor 1).
Beide Seiten bringen. Es ist gut, beide Seiten zu sehen. Wer nicht beide Seiten anhört, ist ein Narr (Spr 18,13.17). Wir sollten die Vorteile und Nachteile einer Sache erklären. Was spricht dafür, was spricht dagegen. Die Geschwister müssen lernen, sich selbst ein Urteil zu bilden.
Gottes Wort. Was sagt die Bibel dazu? Es wäre gut, zu zeigen, was und wo die Schrift über diese Themen redet. Oft kann man in der Diskussion über strittige Themen fragen: „Wie würde man das aus der Bibel begründen? Ist das wirklich die Bedeutung?“ Es ist besser, von der Bibel her zu argumentieren als von unsicheren Quellen aus. Zum Beispiel ist es besser zu zeigen, was die Bibel über die Katholische Kirche sagt, als Hyslops Informationen zu verwenden, die sich teilweise als falsch erwiesen haben.4
Anwendung erklären. Es ist nicht nur wichtig, welche Information wir weitergeben. Wir sollten auch Rat geben, wie man mit der Information umgehen soll. Zum Beispiel ist es interessant, etwas über den Hintergrund des Filmes „Die Passion Christi“ zu hören oder darüber zu reden. Dann könnte man zum Beispiel folgende Punkte erklären: „Ich habe keine Angst, dass deswegen die Zuschauer die heilige Monika verehren werden. Allerdings zeigt der Film viel Gewalt, wie eben eine Folterung und Kreuzigung war. Wer das nicht sehen kann, sollte vielleicht nicht in den Film gehen. Nutzt die Gelegenheit mit Eurem Bekannten über den Herrn zu reden. Fragt nach, was sie davon halten.
Erklärt, warum Jesus gelitten hat, und was seine Kreuzigung und Auferstehung für euch bedeutet …“
Wir müssen auch Rat geben, wie mit der Information umgegangen werden soll
Menschen abholen, wo sie sind. Paulus holt die Zuhörer dort ab, womit sie sich beschäftigen und führt sie einige Schritte weiter (z.B. Predigt in Athen, Apg 17). Die Menschen stehen in einem Prozess, und der Herr macht uns darauf aufmerksam, dass es wie von der Saat bis zur Ernte eine gewisse Zeit und verschiedene Arbeiten braucht, bis sie alles verstehen (Joh 4,35ff.). Wenn wir Menschen erreichen wollen, müssen wir verstanden werden. Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass wir uns herumstreiten und mit Haarspalterei beschäftigen. Mit dem Lehrer meiner Kinder, der von Harry Potter begeistert ist und es als Schullektüre verwendet oder den Film mit den Kinder ansieht, werde ich anders reden als mit einem Jungbekehrten, der dem Herrn gehorchen will, und der die Gefahren von Okkultismus versteht.
Menschen gewinnen. Wir sollten lernen und anderen beibringen, wie sie Menschen gewinnen können, wie sie anderen weiterhelfen, wie sie einen Durst nach der Wahrheit wecken, ohne sich selbst in Gefahr zu begeben. Es ist wichtig, aktiv zu sein und Beziehungen aufzubauen. Man muss sich auf die Themen vorbereiten! Bist du geistlich fit und thematisch vorbereitet, um mit anderen zu reden, zum Beispiel über Weihnachten, Narnia, Passion, Sakrileg. Die Geschwister müssen die missionarischen Möglichkeiten erkennen und lernen, sie zu nutzen.
Heiligkeit besteht nicht aus einer Reihe von Geboten und Verboten, sondern in einer Beziehung zum Herrn Jesus. Wir wollen ihm gehorchen. Wir sind in der Welt, aber nicht von der Welt. Diese Beziehung soll wachsen. Was trägt dazu bei? Was ist eine Gefahr?
Wächter sollten in einem Team arbeiten und auf Rat hören
Anforderungen an die Wächter. Sie sollten in einem Team arbeiten (Spr 27,17; Pred 4,9-11). Sie sollen auf Rat hören. Wenn sie nicht selbst viel Erfahrung haben in Evangelisation, Nacharbeit und Hirtendienst, sollten sie diese Brüder zu Rate ziehen und überlegen, wie sich ihre Informationen auswirken.
Hilft es zu wachsen? Führt es zu Spaltungen? Sie sollten an ihrem eigenen Charakter arbeiten. Auch dazu ist Korrektur von anderen nötig.
Beurteilen der Wächter und der Informationen. Wir sollten den Geschwistern beibringen, wie sie entscheiden können, wem sie vertrauen sollen. Sind die Leute qualifiziert oder erfüllen sie die geistlichen Voraussetzungen für ihren Dienst (z. B. 1Tim 3)? Auch ein angesehener Lehrer oder ein geistlicher Mann kann sich irren. Die Geschwister müssen lernen, wie sie Behauptungen mit Gottes Wort vergleichen können. Nur wenn sie das Wort Gottes selbst kennen und im Dienst mitarbeiten, werden sie gewappnet sein, und werden nicht von jedem Wind der Lehre hin und her geworfen werden (Eph 4,11ff.). Es besteht die Gefahr, dass die Geschwister von jemand beeinflusst werden, der kein Gemeindeleben hat, der an der Wirklichkeit vorbei lebt. Ist der Wächter selbst aktiv und erfolgreich in Evangelisation und Gemeindebau beschäftigt? Hat er Erfahrung, andere zu fördern?
Der Vortrag wurde auf einer Tagung des BSK (Bibel-Studien-Kreis) vom 15.–18. Juni 2006 in Lahnstein (Tagungshotel) gehalten.
Problemstellung und Fragen aus einem Brief von Marco Vedder, Sambia. ↩
Das Thema der Proportionen wird behandelt in „Achte auf den Unterschied“ von William MacDonald im Kapitel: Grundsätzliches, Wichtiges und Nebensächliches. ↩
Matthias Grassl. ↩
Autor von The Two Babylons. Woodrow bezog sich in seinem Buch „Mysterien Religion Babylon“ oft auf Hyslops Buch. Als Woodrow entdeckte, dass Hyslop seine Quellen oft falsch zitiert hat und oft seiner Phantasie freien Lauf lies, zog er sein Buch vom Markt zurück und schrieb verschiedene Artikel um seine Fehler einzugestehen und klarzustellen (Christian Research Journal, Vol 22, Number 2, Seite 54-56, Artikel als Kopie bei A.L. erhältlich). ↩