Freiheit ist für den modernen Menschen ein durch und durch positiv besetztes Wort. Der Staat soll persönliche Freiheiten garantieren, für Freiheit werden Kriege geführt, Freiheit als absolute Unabhängigkeit von äußerem Zwang scheint vielen das höchste erreichbare Ziel.
Freiheit und Zeitgeist
Diese Hochschätzung der Freiheit hat in Europa eine lange Tradition. Freiheit ist für die politische Philosophie seit Aristoteles eines der wichtigen Wesensmerkmale, die den Menschen vor den Tieren auszeichnen.
In der Aufklärung1 wird der Gedanke der Freiheit für und in dem Staatswesen geformt. In dieser Entwicklung kommt es zur Menschen- und Bürgerrechtsdeklaration2 Die hier gemeinten politischen Freiheiten als Ermöglichungsgrund der persönlichen Freiheiten umfassen Gedanken-, Religions-, Gewissens-, Kultus-, Berufs-, Meinungsfreiheit und ähnliches mehr. Formuliert wird diese gesellschaftlich prägende Freiheit in folgenden einzelnen Elementen:
- Freiheit als Selbstbestimmung: Der Mensch als Person gibt seinem Tun selbst einen Inhalt. Selbstbestimmung ist allerdings nicht absolut. Jede Handlung, auch die gesamte Lebenspraxis des endlichen Lebewesen Mensch, ist begrenzt, konkret, endlich. Die Selbstbestimmung wird stets durch die hinter dem Menschen liegende Geschichte und das ihn umgebende Geschehen mit bestimmt.
- Freiheit als Unabhängigkeit: Der Mensch will in seinen Entscheidungen und Handlungen unabhängig von äußerem Zwang oder unrechtmäßiger Gewalt sein. Allerdings kann auch diese Freiheit nur relative Freiheit sein, weil eine solche Unabhängigkeit immer an den Grenzen fremder Freiheit endet und weil die Regelungen der Gruppe erst die Voraussetzungen zur Freiheit des Einzelnen und zur Begegnung der freien Individuen schafft.
- Freiheit als Sittlichkeit: Freiheit als Aufgabe ist Freiheit für andere und das Freisein für fremde Freiheit. Soll nicht Totalitarismus oder Anarchie herrschen, müssen die wechselseitigen Ansprüche der Personen aufeinander berücksichtigt werden. Die mir genommene Freiheit muss auch dem Anderen gewährt und ermöglicht werden.
- Freiheit als Partizipation: Frei ist eine Person in diesem Sinn erst dann, wenn sie die Möglichkeit der Mitwirkung, der Einflussnahme und der Anteilhabe am gemeinsamen Leben bekommt. Daneben sollte eine Person auch die Freiheit haben, in bestimmten Situationen und gegenüber quantitativ und qualitativ unangemessenen Zumutungen von ihrem individuellen Freiraum Gebrauch zu machen.
- Freiheit als Wahl- und Entscheidungsfreiheit: Freiheit in diesem Sinne ist erst vorhanden, wenn eine Person zwischen mindestens zwei zu verwirklichenden Möglichkeiten auswählen kann. Freies, verantwortbares Handeln fordert die prinzipielle Möglichkeit auch anders entscheiden und handeln zu können. Allerdings stehen dem endlichen Lebewesen Mensch nie schlechthin alle Möglichkeiten offen. Durch die Wahl seiner Entscheidungen bestimmt er zunehmend die Richtung seines weiteren Handelns, sodass nur noch ein eingegrenzter Umkreis von Möglichkeiten offen bleibt.
Interpretationen der Freiheit
Das Wesen der erstrebten Freiheit wurde in der Vergangenheit allerdings unterschiedlich beschrieben:
Epiktet schreibt dazu:
„Ein Freier ist der, der lebt wie er will, der nicht genötigt, noch gehindert, noch gezwungen wird, dessen Triebe nicht unbehindert, dessen Bestrebungen erfolgreich sind und der dem, was er vermeiden will nicht verfällt.“3
Für die Stoiker ist die wahre Freiheit unabhängig von äußeren Umständen, sie wurzelt im Inneren des Menschen und kann deshalb auch von Sklaven bewahrt werden. Da dem Menschen die äußeren Dinge wie Leib, Geld, Ehre und politische Freiheit nicht real verfügbar sind, solle sich der Mensch konsequent aus dieser Scheinwirklichkeit der Welt zurückziehen, um reale geistige Freiheit zu gewinnen.
Die Humanisten sahen in der lutherischen Rechfertigungslehre allein aus Gnade eine tödliche Infragestellung der Willensfreiheit des Menschen
Die Humanisten des 16. Jahrhunderts sahen in der lutherischen Rechfertigungslehre allein aus Gnade eine tödliche Infragestellung der Willensfreiheit des Menschen. Für Erasmus von Rotterdam ergab sich aus der Möglichkeit des Menschen, losgelöst von Bedürfnissen und Instinkten, eine rational begründete Wahl über das eigene Verhalten zu treffen, seine natürliche Freiheit.
Luther befürchtete dadurch die Infragestellung der Universalität des Sündenfalls und damit der Lehre von der Alleinwirksamkeit der Gnade Gottes, weshalb er sich mit scharfen Worten gegen Erasmus wandte und für die Unfreiheit der menschlichen Willen eintrat.
Rousseau sieht die staatliche Freiheit in einer unmittelbaren, plebiszitären Demokratie, die alle Individuen ohne Unterschied in einem Gemeinwillen zusammenschließt. Freiheit, Sittlichkeit, Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit des Einzelnen gehen darin auf.
Für Hegel muss die wahre Freiheit von einer Erneuerung unseres innersten Willens ausgehen. Er interpretierte die Geschichte als eine Entwicklung, die zu immer höherer Freiheit hin tendiert.
Karl Marx :
„Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört … Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann.“4
Sartre deklariert die menschliche Freiheit als den höchsten und einzigen realen Wert. Die Welt der Ideen und Werte kann nur durch den freien Entwurf menschlicher Freiheit entstehen. Die durch Kultur und Gesellschaft vorgegebenen Werte müssen erst vernichtet werden, bevor der Mensch an den Aufbau seiner Welt geht.5
Das Ideal einer unbegrenzten persönlichen Freiheit wird im marxistischen Kommunismus und der modernen Emanzipatiostheorie der Kritischen Theorie6 aufgenommen und weiter geführt. Um absolute, durch das ungehinderte Ausleben aller menschlichen Triebenergien verwirklichte Freiheit zu ermöglichen, sollte zuerst die technologisch gesteuerte Produktivität erweitert werden. Sind materielle Versorgung und Absicherung soweit gediehen, dass sie diese individuelle Freiheit ermöglichen, soll das unbeschränkte Lustprinzip an die Stelle des Realitätsprinzips treten.
Die meisten dieser Freiheitskonzepte versuchen nach biblischem Verständnis die souveräne und uneingeschränkte Freiheit Gottes für den Menschen in Anspruch zu nehmen.
Freiheit von was?
Freiheit definiert sich immer als Aufhebung einer irgendwie gearteten Einschränkung. Absolute Freiheit ist undenkbar, da selbst der freiste Mensch der Einschränkung seines Körpers, der Zeit bzw. den Gesetzen der Physik unterworfen ist. Freiheit ist deshalb immer nur auf bestimmte Aspekte bezogen. Schmerzfreiheit ist die Freiheit von Schmerzempfindung, Steuerfreiheit, die Freiheit von der Steuerpflicht usw. Auch die in der Bibel verheißene Freiheit (Röm 8,21) bezieht sich auf bestimmte Bindungen, denen der Mensch unterworfen ist.
Die innere Freiheit bekommt der Mensch geschenkt, seine äußeren Freiheiten erkämpft er selber
Es ist klar, dass die gesellschaftlichen und politischen Freiheiten, so kostbar sie auch sein mögen, keine innere Freiheit geben können. Die innere Freiheit bekommt der Mensch geschenkt, seine äußeren Freiheiten erkämpft er selber.
Selbstverständlich hat jeder Mensch eine gewisse natürliche Freiheit, irdische Dinge, die Natur oder die Gesellschaft zutreffend zu beurteilen, in den grundlegenden Bereichen menschlicher Existenz verfügt der Mensch aber nach der Bibel über keine Freiheit. Er ist gefangen von seiner selbstsüchtigen Revolution gegen Gott.
Freiheit von körperlicher und geistiger Einschränkung
Gott befreit, die sich ihm anvertrauen, von der Macht der Sünde und deren Auswirkungen in der gegenwärtigen und zukünftigen Welt. Dazu gehört auch die Freiheit von unmittelbarer körperlicher Einschränkung.
Gott hat Israel aus der Sklaverei befreit und seinem Schutz unterstellt7 Der Herr befreit aus Gefangenschaft und vor Feinden8 Er hilft dem zu unrecht Benachteiligten, er speist den Hungrigen und schafft dem Bedrückten Recht.9
Jesus löst den Menschen von der Fessel der Krankheit oder das Band der Zunge. Er gibt Freiheit von der Fessel der Krankheit oder Besessenheit. Seinen Auftrag sieht Jesus in der Vermittlung konkreter Freiheit für den Menschen. Jesus errettet vor der manipulierenden Kraft des Zeitgeistes, vom gegenwärtigen bösen Äon und dessen Mächten.10
Unter der Herrschaft Gottes ist der Christ endgültig von Krankheit, Hunger, seelischen Schmerzen und Verfolgung befreit. Die ganze Schöpfung soll von der Knechtschaft der Vergänglichkeit frei gemacht werden zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes.11
Freiheit von geistlicher Gefangenschaft
Der natürliche Mensch steht durch seine Zugehörigkeit zur Welt und durch seine Handlungen unter dem Machtanspruch der Sünde
Sünde: Nach Luther bedeutet die Lehre von der Knechtschaft des ungerechtfertigten Menschen unter der Sünde nicht, dass er zwangsläufig und ständig in Immoralität lebe, dass er überhaupt keine Möglichkeit habe, hier und da das Gute zu wählen. Doch ist der ganze Mensch mit Geist Seele und Leib, mit seiner ethischen Freiheit in die Sklaverei geraten. Der natürliche Mensch steht durch seine Zugehörigkeit zu der gegen Gott rebellierenden Welt und durch seine gegen die Ordnungen Gottes verstoßenden Handlungen unter dem Machtanspruch der Sünde.12 Der natürliche Mensch wird in seiner Unfreiheit regelrecht als Sklave der Sünde bezeichnet. Davon ist der Christ durch den Tod Jesu befreit.13 Zwar muss auch er noch gegen die Sünde kämpfen, aber er steht nicht mehr unter dem Zwang zu sündigen und darf Gott dienen.14
Gericht: Jemand, der über diese Art der Freiheit verfügt, ist für die Anklage des Teufels oder Gottes unangreifbar.
Tod: Auch der zeitliche und ewige Tod, dem der Mensch durch sein Leben entgegen den Ordnungen Gottes verfallen war, ist mit der Beseitigung der Strafe durch Tod und Auferstehung Jesu überwunden. So ist der Christ vom Anspruch des Todes auf sein Leben befreit, auch wenn sein Körper trotzdem der irdischen Sterblichkeit unterliegt.15
Gesetz: Das Gesetz stellt den Menschen vor die für ihn gute Ordnung Gottes. Die Kenntnis des Willens Gottes reizt den Menschen allerdings das Böse zu tun und zeigt dadurch seine ganze Verdorbenheit. Schließlich spricht das Gesetz jeden Menschen vor Gott schuldig. Jesus befreit von dieser Schuld und von dem Druck das Gesetz halten zu müssen, um in den Augen Gottes gerecht zu werden.16 Luther:
„Der Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan“.
Paulus erwähnt insbesondere die Freiheit von der Versklavung unter das Kultgesetz und warnt eindringlich davor, erneut die Einhaltung dieser Vorschriften um Festzeiten und Feiertage (Gal 4,9f.) oder die Beschneidung zu fordern.
Freiheit wodurch?
Keine Selbstbefreiung: Gott sieht den Menschen grundsätzlich als Unfreien17 der keinerlei Möglichkeit hat sich selbst zu befreien und ungebunden über sich zu verfügen.
Heiliger Geist: Der Jesus verherrlichende Heilige Geist ist der Geist der Wahrheit. Der Heilige Geist wirkt im Leben des Christen und ermöglicht ihm ein Leben in Freiheit. Freiheit ist da, wo der Geist des Herrn ist.18
Wahrheit:
„Und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“
Das Evangelium von Jesus Christus ist das Wort der Wahrheit. Die Wahrheit zeigt ihre göttliche Kraft darin, dass sie den in Sünde, Lüge und Selbstbetrug gefangenen Menschen frei macht: zur unverstellten Wahrnehmung der Wirklichkeit und zu einem Wandel in der Wahrheit.19
Freiheit gehört zu den Grundrechten des Menschen, die Jahwe seinem Bundesvolk schenkt und schützt
Gott der Vater: Gott selber schenkt seinem Volk die Freiheit, er ist der Garant für den Fortbestand desselben. Dadurch ist aber auch das Verlassen Gottes mit dem Verlust der ermöglichten Freiheit verbunden, wie es die Geschehnisse der Richterzeit beispielhaft vor Augen führen.
„Nach dem Dekalog gehören Freiheit wie Leben (Ex 20,13), Ehe (V. 16) und Eigentum (V.17) zu den Grundrechten des Menschen, die Jahwe seinem Bundesvolk schenkt und schützt.“20
Auch war es Gottes Plan seinen Sohn zur Befreiung der Menschen von Sünde und Leiden einzusetzen.
Jesus Christus:
„Christus hat uns von dem Fluch des Gesetzes los gekauft“. „Wenn nun der Sohn euch frei machen wird, so werdet ihr wirklich frei sein“.
Jesus Christus hat im Kampf gegen Sündenverfallenheit und Tod dem Christen die Freiheit von denselben ermöglicht.21
Freiheit wozu?
Freiheit zeigt sich immer erst in ihrer Verwirklichung, unabhängig davon ist sie bloßes Gedankenkonstrukt, unwirklich. So hat die Meinungsfreiheit beispielsweise erst Bedeutung, wenn ich beginne meine Meinung entgegen der anderer zu äußern.
„Das freie Wesen ist verpflichtet, seine Freiheit zu gebrauchen!“22
Gebrauchen meint dabei sowohl verwenden, einsetzen als auch im Vollzug abnutzen.
Freiheit in naturgegebener Bindung
Freiheit ist entsprechend der Auffassung abendländischer Denker naturgemäß an Ordnungen gebunden und damit eingeschränkt.23
Freiheit an sich, ohne den Bezug auf eine konkrete Entscheidung, ist ungreifbar und illusionär. Sobald sich diese Freiheit aber im Vollzug einer Entscheidung erwiesen hat, ist sie nicht mehr vorhanden, da der Mensch durch seine Entscheidung nicht mehr frei, sondern festgelegt ist. Demnach ist die angenommene Freiheit entweder durch einen mangelnden Erweis oder durch die eigene Entscheidung eingeschränkt.
Letztlich ist Freiheit nur denkbar als Akt, der in der Entscheidung und dem folgenden Vollzug zu greifen ist. Die Behauptung „Ich bin frei“ wird unfassbar und inhaltslos, wenn sie sich nie in einer Handlung äußert.
Selbst in Sartres absoluter Freiheit gibt es äußere Grenzen, zum einen die zwanghaften, die Auflehnung provozieren, zum anderen die sich in das Leben einfügenden, die erst die Gewissheit der Begründung des eigenen Seins bieten.
Augustinus behauptet sogar, dass Freiheit eigentlich erst durch die Unfreiheit erfahren werden kann.
Verwirklichte Freiheit ist immer auch begrenzte Freiheit
Hegel weist zu Recht darauf hin, dass verwirklichte Freiheit immer auch begrenzte Freiheit ist. Wenn sich beispielsweise zwei Menschen nach den Regeln des Rechts aneinander binden, sind sie von nun an einem gemeinsamen Willen unterworfen.
Grenze der individuellen Freiheit ist immer auch die Freiheit des Anderen. Freiheit ist demnach immer partiell und bindet an Ordnungen, die diese Freiheit erst ermöglichen.
Wirkliche Freiheit erlangt der Mensch nach christlicher Vorstellung nicht in der freien Verfügungsgewalt über sich selber, sondern ausschließlich im Leben mit Gott entsprechend seiner Ordnungen.24
Vollkommene Unabhängigkeit, absolute Freiheit ist illusionär. Immer steht der Mensch mit oder ohne seine partiellen Freiheiten in Bindungen, die seine Freiheit erst ermöglichen, die ihre Grenzen zeigen und die sein Leben im Unterschied zu anderem Leben bestimmen.
Luther:
„Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“.
Der Christ vermag aus sich heraus kein gutes Werk zu vollbringen. Selbst die nützlichen, ethisch vorbildlichen Werke haben aus sich heraus, losgelöst von Gott keinen Wert.
„Er muss selbst für die Entscheidungen um Verzeihung bitten die er frei fällt, denn er muss sich daran erinnern, dass diese Freiheit, so wertvoll sie sein mag letztlich eine nicht vollkommen befreite Freiheit, eine unfreie Freiheit ist.“25
Mit der christlichen Freiheit ist es wie mit der ehelichen Treue: Mann und Frau geloben sich die ewige Treue. Das ist ein freier Willensakt zweier unterschiedlicher Personen. Haben sie diese Entscheidung aber einmal getroffen, kommt ihre Freiheit gerade darin zum Ziel, dass sie auf jede weitere Partnerwahl verzichten, einander treu bleiben. Wer sich nicht dafür entscheidet, schränkt seine Freiheit bewusst ein oder scheut sich vor dem verantwortlichen Gebrauch der zur Verfügung stehenden Freiheit. Auch all unser Bemühen, in der Vielfalt der Situationen, in die wir gestellt werden, frei zu bleiben, ist von einer grundsätzlichen Entscheidung bestimmt.
„Kann sich die Freiheit verwirklichen, ohne sich zu verlieren? Sich engagieren, bedeutet immer, sich an eine oder mehrere Personen, an eine Gemeinschaft oder an eine Aufgabe zu binden. Gebundensein erscheint uns als Gegensatz von Freiheit. Und dennoch, wenn wir uns nicht engagieren, so haben wir eine Freiheit, die zu nichts nütze ist, die ihrer Finalität beraubt ist.“26
Freiheit in Bindung an Gott
Wenn Gott der Schöpfer des gesamten Universums ist, dann ist er auch Eigentümer dieser Welt und damit jedes einzelnen Menschen, über den er somit juristische Verfügungsgewalt hat.
Für den von der Sünde befreiten Christen wird Gott zu dem Stifter des Gesetzes, das die Freiheit bewahrt
Den Willen und die Ordnungen dieses Schöpfergottes zu berücksichtigen ermöglicht erst eine echte Freiheit, die den realen Rahmen der „Naturgesetze“ beachtet, um den sich darin bietenden Freiraum zu nutzen. In diesem Bewusstsein lebten schon die Griechen der Antike. Im griechischen Stadtstaat wird die Freiheit des Bürgers durch das Gesetz der Polis begrenzt.27
Auch die Juden waren sich der Ordnungen Gottes als Ermöglichungsgrund menschlicher Freiheit bewusst. Philo von Alexandrien:
„Die mit dem Gesetz leben, sind Freie“. „Niemand ist frei als wer sich mit dem Studium der Tora befasst“.28
Epiktet sieht erst in der freiwilligen Bindung an den Willen Gottes die unerschütterliche Freiheit verwirklicht:
„Ich bin noch niemals, wenn ich wollte, gehindert worden, noch, wenn ich nicht wollte, gezwungen worden. Aber wie ist das möglich? Ich habe meinen Lebensdrang Gott unterstellt. Er will, dass ich Fieber habe; ich auch. Er will, dass ich etwas begehre, ich auch. Er will, dass ich etwas erlange, ich auch. … Wer kann mich noch hindern oder zwingen gegen mein Gutdünken?“29
Für den von der Sünde befreiten Christen wird Gott zu dem Stifter des Gesetzes, das die Freiheit bewahrt. Sowohl Luther als auch Calvin fordern den Christen auf, nicht mehr aus Angst vor dem Gericht, sondern aus Dankbarkeit Gott gegenüber die Gebote zu halten.
Der Pietismus, wie auch der Aufklärer Kant betonen die pädagogische und gemeinschaftserhaltende Bedeutung des Gesetzes. Die positive Absicht des Gesetzes besteht vor allem darin zu verhindern, dass sich die Sünde des Menschen in all ihrer verheerenden Wirkung entfaltet. So kann das Gesetz nur durch die Begrenzung der Schäden wirken, weder aber erretten noch gerecht vor Gott machen.
Auch für den von Gott befreiten Christen ist das Gesetz nicht prinzipiell aufgehoben, sondern bleibt für ihn Gottes heiliger Wille für ethisch richtiges Verhalten, der in dem Gebot der Liebe zusammengefasst wird.30
Freiheit in Bindung an den Erlöser
Die Befreiung von der Sünde bedeutet Freiheit
Die Sünde wird in der Bibel als Sklaverei und der Sünder als Sklave dargestellt. Die Befreiung von der Sünde bedeutet Freiheit. Durch die mit der Vokabel des Sklavenloskaufs beschriebenen Befreiung des Menschen aus dem Einflussbereich der Sünde und des Teufels geht das Anrecht auf den Menschen von diesem auf den Erlöser, Jesus Christus, über.31 Der Christ ist ein Freigelassener des Herrn, weil dieser ihn von den finsteren Mächten losgekauft hat. Die Folge davon ist, dass der Käufer einen Besitzanspruch auf das hat, was gekauft worden ist. Dies wird auf das Erlösungswerk Christi bezogen. Es liegt die Vorstellung zugrunde, dass Christus uns von der Pflicht, selbst zu bezahlen, befreit hat dadurch, dass er volle Genugtuung für uns darbrachte. Der nun Freie gehört nicht sich selber, sondern dem, der ihn befreit hat.32 Die als Geschenk erhaltene Freiheit ist und bleibt an ihren Geber gebunden:
„Alles ist euer, ihr aber seid Christi.“ „Der Mensch kann nur insofern freiheitlich über sich selbst verfügen, als er in der rechten und angemessenen Weise über sich verfügen lässt.“33
Nach biblischem Ausdruck ist er Sklave Christi geworden.
„Das Charakteristikum des Sklaven besteht darin, dass sein ganzes Leben, seine Entscheidungsfähigkeit und Verantwortungsfähigkeit im Dienste eines anderen stehen. Er verfügt nicht mehr selbst darüber, kann aber innerhalb der von seinem Herrn abgesteckten Grenzen frei Verantwortung ausüben und seine Gaben unter Beweis stellen.“34
Vergleichbar dazu betrachtet Gott Israel im Alten Testament aufgrund seiner Befreiung als ihm verpflichtete Knechte:
„Meine Knechte sind sie, die ich aus Ägypten geführt habe“35
Der Mensch kann sich entscheiden zwischen einer dem heiligen Willen Gottes zustimmenden Freiheit und einer revoltierenden Freiheit, zwischen einer Freiheit des Verzichts, die bestimmte Handlungsmöglichkeiten ausschließt und einer tragischen Freiheit, die der Macht des Bösen freie Bahn lässt. Demnach gibt es für den Menschen nur zwei Alternativen: sich entweder dem Teufel oder Christus zu unterwerfen. Seine Befreiung besteht für Paulus darin, dass er die Unterwerfung unter den Fürsten dieser Welt gegen die Unterwerfung unter Jesus Christus austauscht.
Der Mensch kann sich entscheiden zwischen einer Freiheit des Verzichts, die bestimmte Handlungsmöglichkeiten ausschließt und einer tragischen Freiheit, die der Macht des Bösen freie Bahn lässt
Das Paradox der neuen durch Jesus Christus gewonnen Freiheit des Christen wird in dem sogenannten Gesetz der Freiheit36 formuliert. „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ (2Kor 3,17). Je stärker wir uns der Sache des Evangeliums und der Verkündigung widmen, desto größer wird unsere Freiheit. Beispiel dafür ist Paulus, der die Gegner, die seine Freiheit einschränken wollen, provokativ herausfordert: „Bin ich nicht frei? Bin ich nicht ein Apostel?“ (1Kor 9,1) obwohl er sich doch selbst als unfrei und Sklave Christi beschreibt. Denen, die Christus gehören, wird gesagt: Alles ist euer. Der Sklave Jesu Christi ist der wahrhaft freie Mensch.37
Freiheit in Bindung an den Nächsten
Eine Gefahr besteht darin, die von Gott erhaltene Freiheit aus falscher Frömmigkeit heraus vor aller Augen demonstrieren zu wollen.
„Ein sehr verbreiteter Irrtum ist es auch, wenn man meint, die christliche Freiheit nur dadurch heil und unversehrt erhalten zu können, dass sie auch Menschen zu ihren Zeugen hat.“38
Nach Luther verbinden sich Freiheit und Gehorsam im Glauben miteinander. Luther fordert, dass der mit Christus vereinte Christ sich nun ebenso verhalten müsse wie dieser es getan hat:
„ob er nun ganz frei ist, sich wiederum williglich zu einem Diener machen, seinem Nächsten zu helfen, mit ihm verfahren und handeln, wie Gott mit ihm durch Christum gehandelt hat; und das alles umsonst, nichts darinnen suchen denn göttliches Wohlgefallen“.39
Erst in der Unterwerfung unter den Nächsten gelangt der Christ zur höchsten Form der Freiheit, der Freiheit auf sich selbst zu verzichten und aus der Gefangenschaft des Besitzes sowie des eigenen Seins auszubrechen. Ein ganzes Kapitel widmet Calvin in seiner Institutio der christlichen Freiheit. Für ihn kann die christliche Freiheit auch dahin führen, aus Rücksicht auf die Schwachen das Gesetz zu befolgen.40
„Wir sollen von unserer Freiheit Gebrauch machen, wo es der Erbauung unseres Nächsten dient.“ „Seht aber zu, dass nicht etwa diese eure Freiheit den Schwachen zum Anstoß werde!“
Der rechte Gebrauch der Freiheit besteht im freiwilligen Dienst der Liebe.41 Die christliche Freiheit zeichnet sich dadurch aus, dass gerade der, der allen gegenüber frei ist, es vermag, sich selbst um der Liebe willen allen zum Sklaven zu machen.
„Alles ist erlaubt, aber nicht alles ist nützlich; alles ist erlaubt, aber nicht alles erbaut.“42
Konkret kann sich das darin äußern, dass der Christ aus Rücksicht auf den schwachen Bruder auf sein Recht alle Speisen, sogar Götzenopferfleisch, zu essen verzichtet oder dass die Eheleute nicht nur auf die eigene sexuelle Erfüllung ausgerichtet sind43 oder der Christ ist sogar bereit, sein Leben und Planen für das Wohl eines anderen zu opfern.44
Diese Bindung an den Nächsten ist allerdings eine freiwillige, die den schwachen nicht aber den gesetzlichen Bruder berücksichtigt.
„Die Betätigung unserer Freiheit können wir danach in der Weise unter ein Maß stellen, dass wir auf die Unkundigkeit unserer schwachen Brüder Rücksicht nehmen sollen, dagegen auf die Härte der Pharisäer auf keinen Umständen.“45
Angefochtene Freiheit
Durch die christliche Freiheit kann der Mensch entsprechend seiner eigentlichen Bestimmung leben. Die Entfremdung wird durch das Kindschaftsverhältnis des Menschen zu Gott verhindert. Kommt es zur Sünde, so wird dieses Kindschaftsverhältnis gebrochen: Der Mensch hat kein Vertrauen mehr zu Gott; in ihm keimt der Gedanke auf, Gott könnte böse sein. So nistet sich im Herzen des Menschen ein Gefühl des Misstrauens gegen Gott ein, was die von Gott geschenkte Freiheit gefährdet. Und der Christ sucht eine eigene Interpretation der geschenkten Freiheit. Gefährdet wird die Freiheit des Christen durch die Tendenz dieselbe zu leugnen um sich in neue selbstgeschaffene Abhängigkeiten zu begeben (Gesetzlichkeit) oder sie losgelöst von Gottes Ordnungen absolut zu setzen (Libertinismus).
Der Mensch darf seine Freiheit nicht zur Bestimmung von Gut und Böse benutzen, da Gott allein das schöpferische Wissen dazu besitzt
Libertinismus: „Denn ihr seid zur Freiheit berufen worden, Brüder. Nur gebraucht nicht die Freiheit als Anlass für das Fleisch, sondern dient einander durch die Liebe!“46
„Wo die für wahre Freiheit nötigen Bindungen (z. B. moralisch und sexuell) dahin fallen, entartet Freiheit zur Zügellosigkeit, die nichts anderes als eine Spielart der Leidenschaft und Knechtschaft ist.“47
Bonhoeffer warnt den Christen in seiner Ethik davor, seine Freiheit zur Bestimmung von Gut und Böse zu benutzen. Auf diese Unterscheidung muss der Mensch verzichten, da Gott allein das schöpferische Wissen dazu besitzt. Der Mensch ist lediglich dazu aufgerufen, das, was Gott ihm als das Gute vorlegt, zu erwählen. Außerdem wird die Freiheit des Christen durch seine verpflichtende Unterwerfung unter die von Gott eingesetzte Obrigkeit (Röm 13) eingeschränkt. Diese soll sich nach den Ordnungen Gottes ausrichten, sodass der Christ als Staatsbürger weiterhin an die Erfüllung der Ordnungen Gottes gebunden ist.48
Gesetzlichkeit:
„Für die Freiheit hat Christus uns freigemacht. Steht nun fest und lasst euch nicht wieder durch ein Joch der Sklaverei belasten!“49
„Das ethische Leben ist genau deshalb ständig von einer Entfremdung durch die Gesetzlichkeit bedroht, weil dann an die Stelle der lebendigen Beziehung zum Befreier die Herrschaft eines Prinzips mit Absolutheitsanspruch tritt.“50
Die durch den großen Einsatz Jesu errungene Freiheit für den Christen darf dieser keinesfalls leichtfertig aufgeben, dass würde ihn zurück in die Sklaverei des Gesetzes führen.
Leben in christlicher Freiheit
Generell ist der Christ dem Diktat der Lust, der Sünde und des Gesetzes enthoben. Er kann die Schöpfung Gottes frei benutzen, solange er in seinem Handeln nicht ihrem Wesen als von Gott geschaffenem Lebensraum widerspricht.51
„Gute, fromme Werke machen nimmermehr einen guten, frommen Mann, sondern ein guter, frommer Mann macht gute, fromme Werke; böse Werke machen nimmer einen bösen Mann, sondern ein böser Mann macht böse Werke“52
Damit die christliche Freiheit nicht zum theologischen Gedankenkonstrukt verkommt, muss sie in alltäglichen Entscheidungen und Handlungen eingesetzt werden.
Freiheit unter der Führung Gottes
Freiheit heißt jetzt nicht mehr nur, dass ich tue, was ich will, sondern dass ich will was Gott tut
Nach Calvin ist die christliche Freiheit keine absolute Macht. Trotz der Befreiung des Christen vom Gesetz, den Werken, der Sünde und dem Tod sind wir gegen die Wahrheit Gottes machtlos, ihr können wir uns nur unterwerfen. Weil der Christ weiß, dass der Gott, der ihm Freiheit geschenkt hat auch das Beste für ihn weiß und will, ist er gerne bereit, sich der Führung Gottes zu unterstellen. Dieses Vertrauen drückt sich in folgender Einstellung aus:
„Nicht ein neues Mittel zur vorher misslungenen Selbstbestimmung, sondern eine neue Bestimmtheit des Selbst macht sich geltend. Freiheit heißt jetzt nicht mehr nur, dass ich tue, was ich will, sondern dass ich will, was Gott tut.“53
Den Willen, sich der Führung Gottes anzuvertrauen, drückt der Christ im Gebet um die konkrete Führung Gottes und dem vertrauenden Hören auf das Reden des Heiligen Geistes im Bibel lesen und im alltäglichen Geschehen aus.
Freiheit unter der Prägung Gottes
Der Christ kann und soll die Gaben genießen, die Gott ihm gegeben hat.
„Jetzt sehen wir im wesentlichen, was diese Freiheit für einen Zweck hat: Wir sollen Gottes Gaben ohne Gewissensbedenken, ohne Verwirrung unseres Herzens gebrauchen, und zwar zu dem Gebrauch, zu dem er sie uns geschenkt hat.“54
Damit seine Vorstellungen und Wünsche von der Freiheit, unabhängig von einer konkreten Sachentscheidung, immer mehr mit dem Denken Gottes übereinstimmen, muss sich der Christ von diesem prägen lassen. Er plant regelmäßig wiederkehrende Zeiten ein, in denen er über dem Wort Gottes meditiert und es auf sich wirken lässt. Ferner beginnt er eigensüchtige Wünsche und Vorstellungen zurückzustellen, um dem Heiligen Geist die Möglichkeit zu geben Denken, Fühlen und Wollen umzugestalten.
Freiheit unter Vernunft
Der sich nach dem Willen Gottes sehnende und vom Reden Gottes geprägte Christ muss sich für die konkrete Praxis seiner Freiheit auch des Verstandes bedienen.55 Besonnenheit kennzeichnet jemanden, der seine eigene Freiheit und seine Möglichkeiten durch richtiges Denken begrenzt und Selbstbeherrschung in der rechten Zügelung aller Leidenschaften und Begierden zeigt. Es beschreibt eine Person, die freiwillig ihre Freiheit zugunsten des Dienstes für Gott einschränkt und in diesem Dienst ihren gesunden Menschenverstand einsetzt. Mit dem von Gott geprägten Verstand überprüft der Christ die Motivation für sein Handeln und die möglichen Auswirkungen auf andere Christen und die ihn umgebende Welt. Dazu beitragen kann die Frage, ob und für wen eine Sache hilfreich ist56 und ob die sich genommene Freiheit verallgemeinert werden kann.
Freiheit unter Gottes Ordnungen
Die dem Christen geschenkte Freiheit kann nict der sie erst ermöglichenden Ordnung Gottes widersprechen
Frei sein bedeutet nicht sich romantisierend von jeder Situation frei zu machen oder so zu tun als hätte man das getan, sondern die gegebene Situation im Lichte der Verheißung und Ordnungen Gottes neu zu sehen und zu verstehen. Die dem Christen geschenkte Freiheit kann nicht der sie erst ermöglichenden Ordnung Gottes widersprechen. Wie auch die staatsbürgerliche Freiheit jedes Handeln zulässt, solange es nicht die Grundlagen des Staates, der diese Freiheit ermöglicht, angreift. Deshalb muss man die Freiheit Alkohol zu trinken, Urlaub zu machen, mit vielen Frauen zusammenzuleben auf Übereinstimmung mit dem generellen Willen Gottes überprüfen. Calvin vertritt die Ansicht, dass der Christ grundsätzlich vom Gesetz befreit ist, er aber spontan (freiwillig) all das tut, was das Gesetz befiehlt.
„Die christliche Freiheit liegt hauptsächlich darin, dass wir durch die Gnade Jesu Christi und das Geschenk des Heiligen Geistes vom Zwang des Gesetzes befreit sind: Tun wir freiwillig, was das sittliche Gesetz befiehlt, so müssen wir wissen, dass unsere Gerechtigkeit, die geistlich sein muss, nicht von der äußeren Befolgung des Gesetzes abhängt.“57
Christliche Freiheit will den Menschen vom Zwang der Situation befreien, er ist zwar in der Welt aber nicht mehr von der Welt.58
Freiheit unter Austausch
Eigene Regeln, die nicht dem allgegeinen Willen Gottes für alle Menschen entsprechen, können mir helfen den Missbrauch meiner Freiheit einzuschränken
Da sich viele Christen über die Motive ihres Handelns nicht ganz im klaren sind, kann es hilfreich sein, geistliche Christen zu einer Stellungnahme zu bewegen oder sich prinzipiell nach deren Vorbild zu richten. Im Gespräch können dem Christen neue Aspekte seiner Freiheit deutlich werden. Auch kann er so auf bisher übersehene aber nicht beabsichtigte Auswirkungen seiner Freiheit aufmerksam werden. Dazu gehört auch der Aspekt der Verletzung oder Verunsicherung des Bruders durch den unüberlegten Einsatz meiner Freiheit. Wichtig ist zu beachten, dass meine in Freiheit vollzogenen Handlungen immer auch andere Menschen berühren, die bedacht werden müssen und um deretwillen der Christ manchmal auf den Einsatz seiner Freiheit verzichten muss.
Freiheit unter Verantwortung
Die freie Handlung des Christen muss vor den Maßstäben des Gerichtes Gottes und vor den Menschen, mit denen er zusammen lebt, verantwortbar sein. Ihnen gegenüber muss er Schaden und Nutzen seines Handelns rechtfertigen können. Das Evangelium bleibt auch für den Christen ein ständiger Aufruf zur Buße. Der vor Gott verantwortungsvoll lebende Christ praktiziert seine Freiheit im Dienst für Gott, in der Gerechtigkeit und im Dienst am Mitmenschen.59 Freiheit in Verantwortung soll immer auch den Anderen mit einbeziehen, ist sozusagen eine Freiheit in der Dialogizität.
Freiheit unter eigenen Regeln
Eigene Regeln stehen zwar nicht an Gottes Statt, sie können aber sinnvolle Hilfen zum Umgang mit der persönlichen Freiheit bieten. Weiß der Christ, dass er in seiner Freiheit durch regelmäßigen Fernsehkonsum wichtige, von Gott anvertraute Aufgaben vernachlässigt oder durch unsittliche Darstellungen beeinflusst wird, ist es eine Hilfe sich selbst Regeln zu schaffen, die nicht dem allgemeinen Willen Gottes für alle Menschen entsprechen, mir aber helfen können den Missbrauch meiner Freiheit einzuschränken. Eine Regel könnte darin liegen, generell nicht mehr fernzusehen oder nur noch mit einem anderen geistlichen Christen zusammen vor dem Fernseher zu sitzen. Solche private Regeln können solange eine sinnvolle Hilfe sein, Gottes Wesen zu entsprechen, wie sie an die eigenen Bedürfnisse und Fähigkeiten und dessen Persönlichkeit angepasst werden. Sie drohen zur Gesetzlichkeit zu werden, wenn sie losgelöst von dem individuell pädagogischen Ziel, auf alle Christen bezogen, mit der Erreichung des Heils verbunden oder entgegen den eindeutigen Anweisungen Gottes aufgestellt werden.
Freiheit konkret
An zwei alltäglichen Beispielen soll knapp erläutert werden, wie christliche Freiheit unter den angegebenen Kriterien ausgelebt werden kann.
Gesetzlichkeit schränkt die Freiheit des Christen ein – Libertinismus missbraucht sie
Alkohol: Für den von Jesus befreiten Christen ist der Konsum von Alkohol grundsätzlich möglich.60 Ist die Motivation hinter diesem Konsum61 aber im Widerspruch zu den grundlegenden Werten und Ordnungen Gottes, sollte darauf verzichtet werden. Das kann dann der Fall sein, wenn der Mensch sich dadurch in neue Abhängigkeiten begibt, also die von Gott geschenkte Freiheit verlässt, wenn er sein Vertrauen auf den Alkohol statt auf Gott setzt oder wenn er die Kontrolle und damit die Verantwortlichkeit über sich verliert. Dadurch beginnt der Alkohol sein Leben zu bestimmen und verführt ihn zu anderen widergöttlichen Verhaltensweisen.62 Verzicht auf Alkohol kann auch geboten sein, wenn dadurch andere von Gott gebotene Handlungen unterlassen werden, z. B. Geldspenden (keines mehr da), Bibel lesen (keine Konzentration oder Zeit mehr), evangelistische Gespräche (Motivation fehlt) usw. Alkoholverzicht kann auch in der individuellen Führung Gottes begründet sein.63 Wird ein Bruder – kein Pharisäer – durch meinen Konsum in seiner Beziehung zu Gott geschädigt, weil er alkoholabhängig war oder zu der geistlichen Überzeugung gekommen ist Alkohol schade ihm in seinem Christenleben, ist es richtig auf den Alkoholkonsum zu verzichten64 – Die Freiheit des Christen einschränkende Gesetzlichkeit bestünde an dieser Stelle darin, Alkoholkonsum an sich als Sünde zu erklären und deshalb absolute Abstinenz zu fordern. Die Freiheit des Christen missbrauchender Libertinismus bestünde darin jeglichen Alkoholkonsum für akzeptabel zu halten und höchstens an dem privaten Belieben, dem persönlichen Geschmack oder der Lust festzumachen.
Fernsehen: Für den von Jesus befreiten Christen ist Fernsehen grundsätzlich möglich. Ist die Motivation hinter diesem Konsum65 aber im Widerspruch zu den grundlegenden Werten und Ordnungen Gottes, sollte darauf verzichtet werden. Das kann dann der Fall sein, wenn der Mensch sich dadurch in neue Abhängigkeiten begibt, also die von Gott geschenkte Freiheit verlässt; wenn er sich durch widergöttliche Denk- und Verhaltensweisen prägen und möglicherweise zu widergöttlichen Handlungen verleiten lässt. Dadurch misstraut der Christ Gott in der Praxis und verdrängt dessen gute Ordnungen (gewissenhafte Selbstprüfung ist notwendig). Verzicht auf Fernsehen kann auch geboten sein, wenn dadurch andere von Gott gebotene Handlungen unterlassen werden, z.B. Geldspenden (keines mehr da), Bibel lesen (keine Konzentration oder Zeit mehr), evangelistische Gespräche (Motivation fehlt), Erziehung der Kinder (Zeit fehlt, Fernsehen widerspricht den zu vermittelnden Werten) usw. Nicht akzeptabel ist es für einen Christen auch Spott über Gott, Verhöhnung seiner Ordnungen, Verherrlichung von Gewalt usw. durch Anschauen (Fernsehquote) oder finanzielle Gebühr zu unterstützen. Wird ein Bruder – kein Pharisäer – durch meinen Konsum in seiner Beziehung zu Gott geschädigt, weil er Fernsehsüchtig war oder zu der geistlichen Überzeugung gekommen ist, das Fernsehen schade ihm in seinem Christenleben, ist es richtig auf den TV-Konsum zu verzichten. – Die Freiheit des Christen einschränkende Gesetzlichkeit bestünde an dieser Stelle darin, Fernsehen an sich als Sünde zu erklären und deshalb absolute Abstinenz zu fordern. Die Freiheit des Christen missbrauchender Libertinismus bestünde darin, jeglichen Fernsehkonsum für akzeptabel zu halten und höchstens an dem privaten Belieben, dem persönlichen Geschmack oder der Lust festzumachen.
Christen sind prinzipiell frei, unterstellen sich aber freiwillig der guten Ordnung Gottes weil sie wissen, dass echte Freiheit nur so erhalten werden kann
Auch wenn die angeführten Beispiele nicht in jedem Aspekt befriedigend besprochen werden konnten sollte deutlich geworden sein, dass Christen prinzipiell frei sind, sich aber freiwillig der guten Ordnung Gottes unterstellen weil sie wissen, dass echte Freiheit nur so erhalten werden kann. In Bindung an den allgemeinen und den individuellen Willen Gottes, den Erlöser und den Nächsten, unter der beständigen Prägung des Geistes Gottes, dem Bewusstsein des Gerichts und der Verantwortung vor Gott und Menschen, der Gemeinschaft der Gläubigen und der Prüfung des geistgeleiteten Verstandes soll der Christ das Geschenk seiner Gott gewollten Freiheit genießen.
„Alles ist erlaubt, aber nicht alles ist nützlich; alles ist erlaubt, aber nicht alles erbaut.“ (1Kor 10,23.)
Insbesondere durch Montesquieu, Kant, Alexis de Tocqueville und John Stuart Mill. ↩
In der Bill of Rights in Virginia 1791, der Verfassung der USA 1787, der französischen Verfassung von 1791, der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen 1948 und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte des Europarates 1950. ↩
Diss. VI,1,1. ↩
MEW XXV, 828. ↩
Les chemins de la liberte 1945/1949. ↩
Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse. ↩
2Mo 20,2; 5Mo 7,8. ↩
Ps 149,7; Ps 18,49. ↩
Hi 29,12; Ps 149,7. ↩
Lk 13,16; Mk 7,35; Mk 7,35; Lk 13,16; Lk 4,28; Mt 17,18; Lk 13,16; Gal 1,4; Eph 6,12; 1Pt 5,8. ↩
Mt 5,1-12; Offb 21,4; Röm 8,21. ↩
Röm 6,18-22; 8,2-4; Joh 8,31-36. ↩
Röm 6,20; 7,14; Röm 6,18.22; 8,2. ↩
Röm 6,12.19; 1Kor 6,18f.; Eph.6,10ff.; Röm 6,14.18; Jak 1,25; 2,12. ↩
Röm 6,21.23; 7.10f.; 1Kor 15,56; Röm 8; 1Kor 15,26; 1Kor 15,55. ↩
Röm 7,10; 10,5; Röm 7,7-13; Röm 5,20; 7,10; Gal.3,10. 19; Röm 3,9ff. 23; 1Kor 10,29. ↩
Röm 6,20; 2Pt 2,19; Joh 8,39. ↩
Joh.14,17; 16,13f.; Röm 8,1ff.; 14; 2Kor 3,6. 17; Gal 5,18; 2Kor 3,17. ↩
Joh 8,32; Eph 1,13; Kol 1,5; Joh 8,32; Gal 2,14; 2Joh 4. ↩
E. Fahlbusch, Art. Freiheit, EKL Bd.1, Sp.1374. ↩
Gal 3,13, vgl. 5Mo.21,23; Joh 8,36; Joh 8,36; Gal 3,13; Gal 2,4; 5,1. ↩
J. M. Aubert; Loi et Evangile, Genf 1981, 225. ↩
Für Aristoteles bedeutet Freiheit teilweise beherrscht werden und teilweise herrschen. ↩
Mt 16,24; Röm 6,22; Gal 5,1.13; 1Pt 2,16. ↩
TRE S. 520. ↩
TRE S. 529. ↩
Plato nennt die in dem Staat Herrschenden sogar Sklaven des Gesetzes (leg. IV, 715d). ↩
ProbLib 45; Av. 6,2. ↩
Diss. IV, 1,1,89f. ↩
Mt 5,17; Röm 3,31; 6,15; Mt 5,18; Röm 7,12.14; Joh 13,34f.; Gal 5,13f. Allerdings richtet er sich nicht mehr nach den Geboten Gottes, um dadurch vor Gott gerecht zu werden (Gal 2,18), auch fallen für ihn Reinigungs- und Opfergebote aus dem Verhaltenskodex seines persönlichen Lebens, weil sie ein für alle mal durch Jesus Christus erfüllt wurden. ↩
Joh 8,34; Röm 6,17.20; 2Pt 2,19; vgl. Joh 8,33.36; Röm 8,21; Gal 5,1; Mk 10,45; Mt 20,28; 1Tim 2,6; Röm 8,15.21; Gal 4,24; 5,1; Hebr 2,15. ↩
2Pt 2,1; Offb 5,9; 14,3.4; Gal 3,13; 1Kor 6,19; 9,19; 1Pt 2,16; Röm 6,18.22; 2Kor 5,15; Gal 5,1. ↩
1Kor 3,21ff.; Schlier ThWb II, S. 492. ↩
Roger Mehl, TRE S. 519. ↩
Lev 25,55. ↩
Jak 1,25; 2,12. ↩
1Kor 3,21-23; Röm 1,1 mit 1Kor 9,1. ↩
Inst.3,19,10. ↩
WA 7,65. ↩
CR 33,548. ↩
Inst. 3,19,12; 1Kor 8,9; Gal 5,13-16.22f. ↩
1Kor 9,19; 10,23. ↩
1Kor 10,23-29. „Die Frau verfügt nicht über ihren Leib, sondern der Mann. Ebenso verfügt der Mann nicht über seinen Leib, sondern die Frau.“ 1Kor 7,4. ↩
Joh 15,13. ↩
Inst. 3,19,11. ↩
Gal 5,13; vgl. 1.Petr 2,16. ↩
H. Beck, Art. Freiheit – Verkündigung, S. 368. ↩
Alles ist erlaubt, aber nicht alles ist nützlich; alles ist erlaubt, aber nicht alles erbaut. (1.Kor 10,23). ↩
Gal 5,1; vgl. Gal 2,4. ↩
TRE S. 529. ↩
„Wer aber in das vollkommene Gesetz der Freiheit hineingeschaut hat und dabei geblieben ist, indem er nicht ein vergesslicher Hörer, sondern ein Täter des Werkes ist, der wird in seinem Tun glückselig sein.“ (Jak 1,25). ↩
WA 7,61. ↩
E. Fuchs, Art. Freiheit I. Im NT, RGG3, Bd.2, Tübingen 1958, Sp. 1103. ↩
Inst. 3,19,8. ↩
1Tim 3,2; Tit 1,8; 2,2.5. ↩
1Kor 10,23. ↩
Zusammenfassung aus den Akten von Regensburg 1541. ↩
Joh 17,15f. ↩
1Thes 1,9; Rom 6,18ff.; 1Kor 9,19; Jak 1,25; 2,12. ↩
Pred 9,7; Mt.26,27ff.; Joh 2,3ff.; 1Tim 5,23; Kol 2,16. ↩
Z. B. Rausch (Hos 4,11), Vergessen von Problemen (Spr 20,1), Erheiterung. ↩
1Pt 4,3; Jes 28,1.7; Apg 2,13; Röm 13,13. ↩
Ri 13,4; Mi 6,15; Lk 7,33. ↩
Röm 14,21. ↩
Z. B. Freude an Gewalt, Vergessen von Problemen, Suche nach sexueller Lust. ↩