Auch Evangelikale schaffen Geld am Fiskus vorbei, behauptet Professor Thomas Schirrmacher, Bonner Theologe und Rektor des Martin Bucer Seminars, im NEUES LEBEN – Gespräch.
Neues Leben: Herr Dr. Schirrmacher, was ist eigentlich so ‚schwarz‘ an der Schwarzarbeit?
Schirrmacher: Schwarz ist es im rechtlichen Sinne, Einkommen zu verschweigen, um Steuern und Sozialversicherungen zu sparen.
Neues Leben: Empfinden die meisten Deutschen Schwarzarbeit überhaupt noch als Unrecht?
Schirrmacher: Wenn der Rechtsanwalt erzählen würde, er habe seine Büromöbel gestohlen, würden die meisten den Anwalt wechseln. Wenn der Rechtsanwalt dagegen sagt, er habe etwas schwarz gemacht, würde das die große Masse nicht mehr berühren. Die meisten Menschen gehen davon aus, dass er das tut.
Neues Leben: Worin sehen Sie die Ursache dafür, dass Schwarzarbeit immer mehr praktiziert und toleriert wird?
Schirrmacher: Es sind mehrere Faktoren die dazu beitragen, dass Schwarzarbeit in unserem Staat immer mehr zunimmt. Erstens sind die Steuer- und Sozialversicherungsabgaben zu hoch. Zweitens glauben viele Bürger nicht, dass der Staat das Geld richtig verwaltet und einsetzt. Und drittens ist unser Steuersystem so chaotisch, das selbst Experten es nicht mehr überblicken.
Neues Leben: Was heißt das im einzelnen?
Schirrmacher: Zum ersten Problem: Schwarzarbeit steigt immer dort, wo der Anteil der Abgaben zu hoch ist. In Deutschland verdient ein Schwarzarbeiter faktisch das Doppelte vom legalen Lohn. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Da sind sich die Experten einig.
Auch in der Bibel findet man übrigens sehr deutliche Warnungen an den Staat, nicht zu hohe Abgaben zu erheben.
‚Ein König gibt durch das Recht dem Land Bestand, aber wer nur Abgaben fordert, zerstört es‘ (Sprüche 29,4).
Das Entscheidende ist natürlich unser Prinzip des Rechtsstaates. Erst dieses Recht gibt unserem Land Bestand. Aber es reicht eben nicht, die Kriterien zu erfüllen, die ein Land aufblühen lassen. Um den guten Zustand zu erhalten, müssen gleichzeitig die Probleme beseitigt werden, die es zerstören. Deshalb folgt in der Bibel gleich der Satz: ‚Aber wer nur Abgaben fordert, zerstört es.‘ Der Rechtsstaat kann Schwarzarbeit nicht wirkungsvoll durch Gesetze einschränken, wenn sie wegen der hohen Abgaben zu interessant ist.
Neues Leben: Was also löst das Problem der Schwarzarbeit?
Schirrmacher: Eine Lösung sehen wir z. B. in Australien und England. Sobald die Abgabenbelastung abnimmt, verschwindet der größte Teil der Schwarzarbeit. Denn überall fürchten Schwarzarbeiter Bestrafung. Für 20 Mark gehen weniger Menschen das Risiko ein als für 50 Mark. In Deutschland ist Schwarzarbeit momentan viel zu lukrativ, als dass man sie wirkungsvoll bekämpfen könnte.
Neues Leben: Welche Rolle spielen die anderen Faktoren, die Sie genannt haben?
Schirrmacher: Das sind eher subjektive Faktoren. Der Bürger hat das Empfinden, die Steuern werden verschwendet. Ein Blick auf die Liste des Bundesrechnungshofes reicht, um diesen Eindruck zu gewinnen: Der Bundesrechnungshof ist von unserem Gesetz her verpflichtet, zu kontrollieren, wie sinnvoll die Steuern ausgegeben werden. Die dortigen Prüfer kritisieren so viel, dass man nicht weiter auf die Suche gehen muss.
Auch das Steuerchaos frustet den Bürger. Trotzdem ist der Frust subjektiv und keine Entschuldigung, nicht zu zahlen. Aber er steigert die Lust, die Quittung wegzuwerfen.
Neues Leben: Wie stuft Gott Ihrer Meinung nach Schwarzarbeit ein?
Schirrmacher: Der Gedanke eines nackten Kapitalismus ‚Was ich mir verdient habe, gehört mir!‘ ist der Bibel völlig fremd. Er sollte auch jedem gesellschaftlichen und ethischen Denken fremd sein. Gott hat den Menschen so geschaffen, dass er unter normalen Umständen viel mehr erwirtschaftet, als er selbst braucht. Auf diesen Rest hat die Familie – die man unbedingt zuerst nennen muss – einen Anspruch, aber auch der Staat, die Gemeinde und die Menschen in Not.
Neues Leben: Wenn man anhand der Bibel über Schwarzarbeit nachdenkt, muss man sich also fragen, wie verteile ich meinen Gewinn?
Schirrmacher: Ja, und die Bibel legt klar fest: Wenn ich hundert Mark verdiene, darf ich nicht alles für mich ausgeben. Natürlich gibt es in der Heiligen Schrift keine Beispiele dafür, dass jemand Sozialkosten vermieden hat, denn die wurden erst im letzten Jahrhundert eingeführt. Aber es gibt durchaus Texte, die uns ermahnen, Steuern zu zahlen. Nach biblischem Verständnis hängt meine Pflicht, Steuern zu zahlen, weder davon ab, wie viel der Staat verlangt, noch davon, was er damit macht.
Neues Leben: Verstehen das die meisten Christen?
Schirrmacher: Theoretisch würden die meisten evangelikalen Christen zustimmen, dass die Bibel von ihnen fordert, ihre Steuern zu zahlen. Die Praxis sieht aber oft anders aus. Überzeugte Christen lassen sich sicher nicht so stark auf Schwarzarbeit ein wie andere. Aber ich würde mich nicht der Illusion hingeben, dass es in christlichen Kreisen ein völlig unbekanntes Thema ist.
Neues Leben: Können Sie in dem Zusammenhang konkrete Zahlen nennen?
Schirrmacher: Die Schätzungen, wie viel Erwirtschaftetes in Deutschland nicht bei Finanzämtern angegeben wird, gehen weit auseinander. Die verlässlichsten Annahmen liegen bei einem Viertel.
Da es keine Zahlen darüber gibt, inwieweit Christen schwarz arbeiten oder arbeiten lassen, möchte ich es mit der Scheidungsrate vergleichen. Der Prozentsatz der evangelikalen Christen, die sich scheiden lassen, liegt etwas unter dem Durchschnitt. Aber er liegt nicht so stark unter dem Durchschnitt, dass sich Christen wesentlich von der Masse unterscheiden. Das würde ich auch bei der Schwarzarbeit vermuten. Da es aber keine Zahlen gibt, kann es nur eine Vermutung sein.
Neues Leben: In der Theorie klingt das alles einleuchtend. Wie aber überzeugen Sie einen Arbeitslosen, dass Schwarzarbeit nicht in Ordnung ist?
Schirrmacher: Arbeitslosigkeit ist nie einfach. Ich bin selbst einmal eineinhalb Jahre arbeitslos gewesen, mein Bruder gerade drei Jahre. Deshalb erzähle ich nicht nur theoretisch davon. Zuerst würde ich ihm erklären, was die Bibel zu diesem Thema sagt. Ich würde ihm zustimmen, dass unsere Steuerbelastung tatsächlich zu hoch ist. Aber ich würde auch über das Thema Dankbarkeit sprechen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir eine Straße mit Beleuchtung haben, Kehrdienst und vieles andere. Dafür könnte der einzelne schlecht sorgen. Deshalb zahle ich Steuern, auch wenn ich weiß, es wird ein Teil veruntreut.
Neues Leben: Hätten Sie in keinem Fall Verständnis, wenn ein Arbeitsloser schwarz arbeitet?
Schirrmacher: Für richtig halte ich es in keinem Fall. Verständnis könnte ich für einen Arbeitslosen haben, der viele Kinder versorgen muss, und die Steuer sparen will, weil er das Geld braucht. Das ist allerdings nicht sehr häufig. Ich würde einen Arbeitslosen immer ermutigen, jede legale Möglichkeit zu nutzen, um Steuer – und Abgabenbelastung zu reduzieren.
Außerdem sollte er sich genauestens informieren, wie viel er nebenher arbeiten darf. Wenn sich ihm die Möglichkeit bietet, das Haus eines Freundes zu renovieren, sollte er mit dem Arbeitsamt über eine sinnvolle Lösung nachdenken. Viele sind sehr phantasielos. Sie wollen es an einem Stück machen. Warum renovieren sie nicht jede Woche zwei Stunden? Das dauert zwar länger, ist aber völlig legal! Verdient ein Arbeitsloser allerdings so viel nebenher, dass er seine ganze Arbeitslosenversicherung verlieren könnte, hat er eine richtige Arbeit. Er nutzt den Sozialstaat aus.
Neues Leben: Beraten Arbeitsämter tatsächlich so gut?
Schirrmacher: Ich habe gute Erfahrungen gemacht. Die Beamten – auch wenn man das nicht pauschal sagen kann – sind nicht daran interessiert, soviel Geld wie möglich für den Staat zu gewinnen. Als ich arbeitslos war, konnte ich oft als Theologe eine Predigt ‚nebenbei‘ halten. Die Anregungen, wo die Grenzen sind, habe ich vom Arbeitsamt erhalten. Ich habe alles vorher besprochen. Nach etwas mehr als einem Jahr hat mir das Arbeitsamt vorgeschlagen, mich selbständig zu machen – mit entsprechender finanzieller Unterstützung. Diese Idee habe ich mit deren Hilfe umgesetzt und es nicht bereut. Die Tipps kamen alle direkt vom Arbeitsamt.
Neues Leben: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Ines Weber.