Geht es darum, den freien Fall unter idealisierten Bedingungen zu beschreiben, dann gelingt das bereits mit einer einfachen Formel. Versucht man sich jedoch eine Vorstellung vom Aufbau der Atome, besonders von der Struktur der Atomhülle zu verschaffen, dann ist dies wegen der Komplexität des Atombaus nicht so leicht möglich, wie die historische Entwicklung gezeigt hat. Bis zum Jahr 1897, dem Jahr der Entdeckung des Elektrons, wurden Atome als homogene, vollkommen elastische Kugeln ohne innere Struktur (Daltonsches Atommodell) dargestellt. Dieses Modell wurde durch das Thomsonsche Atommodell abgelöst. Weitere Erkenntnisse führten dann zum Rutherfordschen Atommodell und 1913 zum Bohrschen Atommodell, indem Bohr die Plancksche Quantentheorie auf das Atommodell von Rutherford anwendete. Das spätere Bohr-Sommerfeldsche Atommodell berücksichtigte auch relativistische Effekte. Die heutigen quantenmechanischen Atommodelle beruhen nicht mehr auf anschaulichen Analogien zu makroskopischen Systemen (z. B. Schalenmodell des Atoms, Thomas-Fermi-Modell).
Diese kurze historische Schilderung bezüglich der Atommodelle lehrt uns Folgendes:
- Es gibt Aussagen in der Wissenschaft, die gar nicht anders darstellbar sind als in Form von Modellen.
- Modelle sind nie als absolut und endgültig anzusehen.
- Durch fortschreitende Erkenntnisse werden Modelle erweitert und verbessert. Da bei jedem Modell Annahmen gemacht werden müssen, kann es sich in der weiteren Entwicklung zeigen, dass die ursprünglichen nicht mehr haltbar und durch besser gesicherte zu ersetzen sind.
Drei Arten von Modellen sind grundsätzlich zu unterscheiden:
Modellart 1: Es gibt zwar hinreichende Kenntnis über einen realen Prozess, aber eine einfachere Darstellung wird gewünscht: In Physik und Technik können häufig aufgrund der bekannten Naturgesetze alle Gleichungen formuliert werden, um z. B. den zeitlichen Ablauf eines dynamischen Vorgangs zu beschreiben. Oft sind die sich so ergebenden Formeln aber analytisch nicht mehr lösbar und derart kompliziert, dass ihr praktischer Gebrauch an der Handhabbarkeit scheitert. In solchen Fällen ist es zweckmäßig, den Prozess durch geeignete Näherungen darzustellen. Wir haben es dann statt mit der exakt beschriebenen Wirklichkeit nur noch mit einem Modell zu tun. So vereinfacht sich z. B. die Schwingungsgleichung für ein Pendel erheblich, wenn man nur kleine Winkelausschläge betrachtet .
Modellart 2: Mehrere Zusammenhänge eines Vorgangs sind bekannt, aber das Gesamtwissen bleibt dennoch begrenzt: In den operationalen Wissenschaften1 können Experimente und Beobachtungen ständig wiederholt werden und durch Verbesserung der Instrumente und Auswertemethoden neue Erkenntnisse hinzukommen. Die vorhandenen Kenntnisse über den betrachteten Sachverhalt bleiben dennoch oft so begrenzt, dass es nicht möglich ist, sich ein vollständiges und in sich abgeschlossenes Bild von der Realität zu machen. Hier helfen Modelle, die die bereits bekannten Fakten integrieren. Treten im Rahmen weiterer Forschung neue Aspekte auf, die von dem alten Modell nicht beschrieben wurden, dann muss ein neues Modell entworfen werden.
Bei den Modellen der 2. Art können zwar exakte Berechnungen mit Hilfe von Naturgesetzen ausgeführt werden, dennoch kann es sein, dass zur Zeit noch unbekannte Teilaspekte (z. B. Anfangs- und Randbedingungen) nicht erfasst werden. Das oben geschilderte Atommodell ist ein typisches Beispiel für Modelle dieser Art. Ein für Schöpfungswissenschaftler wichtiges Beispiel für ein Modell der 2. Art ergibt sich z. B. aus der Frage, warum wir in einem jungen Universum weit entfernte Sterne sehen können.
In den Naturwissenschaften, bei denen historische Fragestellungen diskutiert werden, gibt es immer nur einen bestimmte Anteil bekannten Wissens
Modellart 3: Das vorhandene Wissen ist lückenhaft, manchmal nur bruchstückhaft und vage, und neue Erkenntnisse können oft nur als mosaikartige Bausteine gewonnen werden. Von einer vollständigen Erklärung bleiben wir darum immer ein Stück entfernt. Den Modellen der 3. Art haften darum naturgemäß Vorläufigkeit, Unsicherheit und Subjektivität an: Dieser Fall begegnet uns in den historischen Wissenschaften (z. B. Archäologie, Geschichte, Historische Geologie, Paläontologie, zum Teil auch in Astronomie und Biologie). In den historischen Wissenschaften sowie in jenen Naturwissenschaften, bei denen historische Fragestellungen diskutiert werden, gibt es immer nur einen bestimmten Anteil bekannten Wissens. Um sich aber ein gewünschtes Gesamtbild zu verschaffen, müssen die Lücken durch möglichst plausible Annahmen, durch Schlussfolgerungen, manchmal sogar durch Spekulationen ergänzt werden.
Bei den Modellen der 3. Art sind einige grundlegende Aspekte zu beachten, die bei der Modellkonstruktion eine Rolle spielen, aber auch bei ihrer späteren Bewertung:
Zu wenig Daten: Historische Quellen stehen nur in begrenztem Umfang zur Verfügung. Gab es z. B. in einer vergangenen Kultur keine schriftlichen Aufzeichnungen, so können aus den wenigen Fundstücken wie Grabbeigaben oder Tonscherben nur sehr vage Schlussfolgerungen gezogen werden.
Angestrebt wird ein Modell, das die meisten Befunde erklären kann
Viele Daten: In manchen Bereichen stehen weltweit viele Daten zur Verfügung (z. B. Geologie). Alle jedoch in einem Modell zu erfassen, ist geradezu unmöglich. Angestrebt wird dennoch ein Modell, das die meisten Befunde erklären kann. Damit es aber nicht zu kompliziert wird, können nicht alle berücksichtigt werden. Welche aber sind für die Entwicklung eines Modells wichtig, und welche sind in diesem Zusammenhang unbedeutend? Je nach Auswahl werden die Modelle unterschiedlich ausfallen.
Mehrdeutigkeiten: Schlussfolgerungen sind nicht immer in der gewünschten Klarheit zu ziehen. So sind neue Erkenntnisse nicht immer eindeutig, manchmal sind sie recht vage oder treffen nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zu.
Probleme im Detail: Zunehmendes Detailwissen liefert zwar zusätzliche mosaikartige Bausteine, aber ihre Einordnung in ein Gesamtmodell kann dadurch auch erschwert werden.
Bestand bei den Modellen der 2. Art die prinzipielle Möglichkeit, durch neue und aufwendigere Experimente an weitere gesicherte Messwerte und Fakten zu gelangen, so ist dies hier aus den oben genannten Gründen nur begrenzt möglich.
Die Modelle der 2. und 3. Art unterscheiden sich also grundlegend voneinander. Konnte bei den Modellen der 2. Art ein Vorgängermodell als Ausgangspunkt für eine verbesserte Version dienen, so ist dies hier in viel geringerem Maße möglich. Daher ist es verständlich, dass bei gleicher Fragestellung, je nach Autor, bei den Modellen dieser 3. Art durchaus unterschiedliche Versionen existieren können. Sie haben dennoch ihre Berechtigung, wenn nur die jeweiligen Annahmen und der Zweck klar beschrieben werden. So sind verschiedene Modelle der 3. Art zum gleichen Themenkreis geeignete Kandidaten in folgendem Wettbewerb:
Welches Modell ist möglichst anschaulich und kann die meisten Befunde erklären? Welches Modell kann ein ganz bestimmtes augenfälliges Phänomen besonders einsichtig erklären? Welchem Modell wird durch sonstige Daten möglichst wenig widersprochen? Ein absolut widerspruchsfreies Modell ist kaum zu erwarten – das bleibt den Naturgesetzen vorbehalten.
Zu den Fragen, die nur mit einem Modell der 3. Art zu beantworten sind, gehören beispielsweise: Welche Mechanismen haben nach dem Sündenfall die Pflanzen- und Tierwelt verändert? In welchem Zusammenhang stehen geologische Schichten und Sintflut?
Die Bibel sagt uns nicht, wie wir die beobachteten Fakten in der Geologie oder Biologie zu deuten haben
Geht es um Fragen der Schöpfung oder der Folgen des Sündenfalles und der Sintflut, dann liefert uns die Bibel zwar absolut zuverlässige Information, aber sie sagt uns nicht im Detail, wie wir z. B. die beobachteten Fakten in der Geologie oder Biologie zu deuten haben. Hierbei haben wir es in den meisten Fällen mit der Modellart 3 zu tun, nur manchmal mit Modell 2 und fast gar nicht mit Modell 1. In der Schöpfungswissenschaft sind sowohl fundierte wissenschaftliche Forschung als auch eine sorgfältige Bibelexegese erforderlich, um die anstehenden Fragen zu beantworten. Gegenüber den Vertretern der Evolutionslehre haben Schöpfungswissenschaftler den Vorteil, dass die Basisaussagen aus der Bibel stammen und darum wahr sind (z. B. es gab ein weltweites katastrophales Ereignis, die Sintflut). Damit ist noch nicht garantiert, dass das so gewonnene Modell auch immer richtig ist. Vielmehr gilt hier der von den Autoren dieses Buches formulierte Grundsatz: „Modelle kommen und gehen, aber das Wort Gottes bleibt!“ Der Wert und Nutzen eines aus der Bibel hergeleiteten wissenschaftlichen Modells ist dennoch sehr hoch: Es kann hiermit gezeigt werden, dass unter Einbeziehung allen zur Zeit bekannten Faktenwissens die Bibel die beste Erklärungsbasis liefert.
Vergleichsbild für Modelle
Modelle sind wie Sandburgen am Strand. Schlägt eine Welle dagegen, ist der Sandwall dahin. Dann werden neue Sandburgen gebaut, die weiter vom Wasser entfernt sind und vorläufig nicht von den Fluten erreicht werden. Wie man Sandburgen flicken und ihre Wälle erhöhen kann, damit sie besseren Schutz gegen den Angriff von Wind und Wellen bieten, so lassen sich Modelle bei neuerer Erkenntnis zwar verbessern, aber nie ist man sicher, die endgültige Erklärung gefunden zu haben. Kommt gar eine Sturmflut, dann muss der Burgenbau ganz eingestellt werden. Übertragen heißt dies, das aufgestellte Modell muss aufgrund neuer Fakten oder erkannter Widersprüche zu Naturgesetzen ganz aufgegeben werden.
Widerlegung von Modellen
Bei den Modellen der 3. Art ist eines nicht in der Lage, ein anderes zu widerlegen. Daher ist es im Grenzfall sogar möglich, dass zwei Modelle sich diametral gegenüber stehen, dennoch koexistieren sie – wenn auch leider nicht immer friedlich – parallel nebeneinander. Wir entscheiden uns nicht immer für ein vergleichsweise qualifizierteres Modell, sondern oft aufgrund unserer Vorprägung, unserer Weltanschauung, unseres Glaubens oder einfach aufgrund unserer subjektiven Empfindung, welchem Modell wir das größere Vertrauen schenken. So darf es uns auch nicht wundern, wenn es im Bereich der Schöpfungswissenschaft durchaus verschiedene Modelle geben kann. In den historischen Wissenschaften gibt es stets einen Mangel an Daten. Um dennoch eine Modellvorstellung zu entwickeln, müssen zu Beginn Annahmen getroffen werden. Eine gute wissenschaftliche Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass diese dem Leser mitgeteilt werden. Die weitere Forschung muss dann zeigen, ob diese Annahmen gerechtfertigt waren. Stellen sie sich später als falsch heraus, muss das Modell korrigiert oder gar ganz verworfen werden.
Sollten wir in der uns verfügbaren Literatur zur Schöpfungsthematik auf verschiedene Modelle zur gleichen Fragestellung stoßen, die miteinander nicht (oder zur Zeit noch nicht) harmonisierbar sind, so ist damit nicht das Wort Gottes in Frage gestellt. Modelle sind von Menschen erdacht und formuliert. Die Bibel hingegen ist von Gott autorisiert (Johannes 17,17). Aufgrund unserer begrenzten wissenschaftlichen, aber auch biblischen Erkenntnis wäre es unangemessen, wenn ein Autor sein Modell über das des andern stellt.
Als operationale Wissenschaften bezeichnen wir hier all jene, in denen man durch heute ausführbare Experimente zu gesicherten Schlussfolgerungen kommt. Diese lassen sich oft in Nutzanwendungen überführen. So gehört z. B. Physik, Chemie und Technik zu dieser Wissenschaftskategorie. ↩