Wer etwas über Gott erfahren will, soll keine Märchen lesen. Fabeln und Legenden mögen viel über die Phantasie ihrer Verfasser aussagen, über Gott können sie keine Auskunft geben. Der Gott, von dem die Bibel spricht, ist keine mythologische, im Nebel der Geschichte verschwimmende Gestalt. Er hat vielfältig und auf unterschiedliche Weise, aber konkret fassbar zu wirklichen Menschen gesprochen. Diese Menschen befanden sich an bestimmten Orten, die man meist genau beschreiben und heute noch aufsuchen kann. Sie lebten zu bestimmten Zeiten, unter der Regierung von Königen, die uns auch sonst aus der Geschichte bekannt sind, von denen wir Inschriften haben und deren Baudenkmäler wir zum Teil heute noch bewundern. Die Menschen der Bibel existierten nicht getrennt von ihrer Umgebung. Sie hatten Nachbarn und Freunde, sie waren Verwandte, feierten Feste und ärgerten sich über Behörden. Kurz, es waren Menschen von Fleisch und Blut, denen Gott sich offenbarte, die er beauftragte und als seine Knechte und Mägde zum Einsatz brachte. Manchmal erlebten sie wunderbare Dinge dabei, meist waren sie einfach gehorsam. Einige von ihnen gebrauchte Gott dazu, das, was er ihnen oder anderen geoffenbart hatte, aufzuschreiben. Das Ergebnis davon ist die heilige Schrift, die wir Bibel nennen, das Buch.
Wer die Menschen der Bibel verstehen will, muss sich ihre Umwelt ansehen und sich mit ihrer Geschichte beschäftigen, er darf nicht nur auf die Wunder blicken, die bisweilen Raum und Zeit durchbrachen. Diese Begebenheiten waren wichtig, füllten aber nicht das ganze Leben der Menschen aus. Viele Jahre ihres Lebens waren Zeiten ohne Wunder (wenn man einmal von dem Wunder der täglichen Fürsorge Gottes absieht). Selbst das Reden Gottes erfuhren sie nicht jeden Tag. Deswegen haben sie uns manchmal sogar das Datum solcher besonderen Erfahrungen überliefert. Die meiste Zeit verbrachten die Menschen der Bibel in ihrem alltäglichen Umfeld, so wie wir. Wenn wir also ihre Umwelt verstehen, können wir auch ihre Entscheidungen verstehen und manchmal sogar ihre Beweggründe nachvollziehen. Je besser wir ihre Lebensumstände kennen, desto besser lernen wir die Menschen verstehen und desto näher kommen sie uns. Das ist eine spannende Geschichte, besonders dann, wenn Gott durch diese einfachen Leute auf einmal zu uns redet.
Galiläische Wurzeln
Die Eltern
Josef, der Vater1 des Jakobus, war ein Bauhandwerker, allerdings kein Zimmermann im heutigen Sinn, denn diesen Beruf gab es damals noch nicht. Holz war im ersten Jahrhundert in Israel eine ausgesprochene Mangelware und die vorhandenen Holzarten, wie z.B. der Ölbaum, waren zum Bauen ungeeignet, man konnte nicht einmal Möbel daraus machen2 Josef baute also Häuser aus Lehmziegeln und Stein, deckte ihre flachen Dächer mit Balken und Zweigen und dichtete sie mit Lehm ab, er machte Höhlen bewohnbar und versah sie mit Vorbauten, er schlug Treppen in den Fels und bearbeitete Steine. Er stammte aus Bethlehem, der Stadt der Steinmetzen und Bauleute. Dort war es üblich, dass die unverheirateten Handwerker auf Wanderschaft gingen und auf einer der vielen Baustellen des Landes Arbeit suchten.
So war Josef nach Nazareth in Galiläa gekommen. Hier hatte er nicht nur Arbeit gefunden, sondern auch ein Mädchen kennen gelernt, das ihm ausnehmend gut gefiel. Wahrscheinlich hatte auch Maria an dem jungen Handwerker Gefallen gefunden. Um heiraten zu können, mussten nach damaliger Sitte aber erst Verhandlungen mit den Eltern geführt werden, die in einen Ehevertrag einmündeten. Mit Abschluss dieses Vertrags galt das Paar als verlobt. Beide wurden jetzt schon als Mann und Frau bezeichnet, doch blieben sie noch ein Jahr getrennt, um festzustellen, ob die Frau wirklich Jungfrau war. Wenn sich ihre Reinheit nach einem Jahr erwies, nahm der Mann sie zu sich.
Doch mitten in dem Probejahr der Verlobung wurde Josef in einen großen inneren Konflikt gestürzt. Josef war ein zaddik , ein Gerechter3 In der jüdischen Gemeinschaft galten „gerechte“ Menschen als besonders gesetzestreu. Für sie war das Gesetz Gottes immer Maßstab ihres Handelns. Zu Josefs Entsetzen hatte sich nämlich herausgestellt, dass seine Verlobte schwanger war, natürlich nicht von ihm4 Er musste annehmen, dass sie fremd gegangen war. Was sollte er tun?
Eine Verlobung konnte damals nur durch eine Scheidung rückgängig gemacht werden
Eine Verlobung konnte damals nur durch eine Scheidung rückgängig gemacht werden. Das hätte er unter der römischen Besatzungsmacht zur großen Schande Marias öffentlich ablaufen lassen können, oder er hätte sie heimlich entlassen müssen. Dass er keines von beiden tun musste, verdankte er dem Bescheid eines Boten Gottes, der ihm das Unvorstellbare klar machte, dass nämlich Gott seine Verlobte erwählt hatte, den Messias zu gebären. Er sollte sich nicht fürchten, seine Frau zu sich zu nehmen. Als der Engel ihm dann auch noch erklärte, dass sich mit diesem Geschehen die Schrift erfüllen würde, zögerte er keinen Augenblick mehr. Gern führte er jetzt Maria in sein Haus, aber er hatte noch keine geschlechtliche Gemeinschaft mit ihr, bis sie den erwarteten Sohn geboren hatte. (Vgl. Mt 1,20-25.)
Als die Steuerschätzung im Gebiet von Israel begann, kam es dort zu einem Aufstand, den auch die Apostelgeschichte erwähnt
Im Jahr 8 v.Chr. führte eine Verordnung des römischen Kaisers Augustus zu einer Volkszählung und Steuerschätzung in Ägypten und Syrien. Das nahm einige Zeit in Anspruch. Als die Steuerschätzung im Gebiet von Israel begann, kam es dort zu einem Aufstand, den auch die Apostelgeschichte erwähnt.5 Ein gewisser Judas aus Gamala wiegelte zusammen mit einem Pharisäer namens Sadduk das Volk auf. Sie behaupteten, die Schätzung bringe offenbare Knechtschaft mit sich. Man dürfe den Römern keine Abgaben mehr entrichten weil man auf diese Weise sterbliche Menschen als Gebieter anerkennen würde. Damit würde man sich aber die Hilfe Gottes verscherzen.
„Derartige Reden wurden mit größtem Beifall aufgenommen und so dehnte sich das tollkühne Unternehmen bald ins ungeheuerliche aus. Kein Leid gab es, von dem infolge der Hetzarbeit jener beiden Männer unser Volk nicht heimgesucht worden wäre. Ein Krieg nach dem anderen brach aus… Räuber machten das Land unsicher und viele der edelsten Männer wurden ermordet, angeblich um der Freiheit willen, in Wahrheit aber nur aus Beutegier. So kam es zu Aufständen und öffentlichem Blutvergießen.“6
In dieser Zeit musste Josef mit seiner inzwischen hochschwangeren Frau nach Bethlehem ziehen, um sich in seiner Heimatstadt in die Steuerlisten eintragen zu lassen. Dort in einer Stallhöhle am westlichen Abhang des Stadthügels wurde ihr erstes Kind geboren, das sie nach göttlichem Befehl „Jesus“ nannten. Das geschah nach unserer Zeitrechnung wahrscheinlich im Jahr 7 v.Chr.
Der König
Etwa ein Jahr später, sie wohnten jetzt in einem Haus7 waren Sterndeuter aus Babylon zu ihnen nach Bethlehem gekommen, hatten dem Kind wie einem König gehuldigt und ihm wie einem Gott wertvolle Geschenke geopfert. Diese weisen Männer hatten sich zuvor in Jerusalem nach einem neugeborenen König erkundigt. Das hatte dort ein großes Erschrecken ausgelöst8 denn der damals 66jährige König Herodes war von unerträglichem Argwohn erfüllt. Er fürchtete jeden, der ihm eventuell seinen Thron hätte streitig machen können.
Eigentlich war Herodes ein großer Herrscher gewesen, kühn, gewandt und stark. Er hatte bedeutende Bauwerke errichtet: Paläste und Festungen, darunter die später berühmte Befestigungsanlage von Masada. Im Jahr 1996 wurde dort erstmalig eine Inschrift ihres Erbauers gefunden. Die Tonscherbe mit der Aufschrift: „Herodes der Große, König der Juden“ kann auf etwa 19 v.Chr. datiert werden.9 Zu seinen Tempelbauten gehörte auch der in Jerusalem, den er mit großem Aufwand bei vollem Betrieb hatte umbauen lassen. Durch das riesige Bauprogramm im ganzen Land war der Handel aufgeblüht. Die wirtschaftlichen Bedingungen hatten sich im großen Stil verbessert. Die Militäranlagen hielten das Land von fremden Invasionen frei. Der Friede brachte Wohlstand. In Zeiten von Hungersnöten hatte Herodes sogar in die eigene Tasche gegriffen und dem Volk geholfen.10 Trotzdem war es ihm nie gelungen, die Freundschaft der Juden zu erlangen.
Der Religion nach war Herodes ein Jude, obwohl er als Sohn eines Idumäers und einer Araberin natürlich keine jüdische Abstammung vorweisen konnte
Der Religion nach war Herodes ein Jude, obwohl er als Sohn eines Idumäers11 und einer Araberin natürlich keine jüdische Abstammung vorweisen konnte. Aber hin und wieder besuchte er den Tempel, obwohl er die Priesterschaft sonst hauptsächlich für seine politischen Pläne benutzte. Auch machte er keinen Hehl daraus, dass er sich den Griechen näher verwandt fühlte als den Juden. So hatte er auch heidnische Städte mit verschwenderischer Pracht ausgestattet, „in der einen Bäder und Theater, in der anderen Tempel und Säulenhallen“ errichtet.12
Aber in seinem Ehrgeiz und seiner Herrschsucht war er bedenkenlos in der Wahl seiner Mittel. Selbst eigene Angehörige fielen seinen Zielen und zuletzt seinem krankhaften Misstrauen zum Opfer. Ein Jahr vorher hatte Herodes seine Söhne Alexander und Aristobul hinrichten lassen, weil sie sich angeblich gegen ihn verschworen hatten. Sein Sohn Antipater, der die Halbbrüder beim Vater beschuldigt hatte, wurde drei Jahre später selbst hingerichtet, weil er nach Meinung von Herodes vorzeitig den Thron besteigen wollte. Der jüdische Historiker Josephus13 urteilt über Herodes:
„Er war ein Mann, der gegen alle ohne Unterschied mit gleicher Grausamkeit wütete, im Zorn kein Maß hatte und sich über Recht und Gerechtigkeit erhaben dünkte, dabei aber die Gunst des Glücks wie kein anderer erfuhr. Denn aus niedrigem Stand zur Königswürde erhoben und von zahllosen Gefahren bedroht, entging er allem äußeren Unheil und starb erst im vorgerückten Alter. Was indes seine häuslichen Verhältnisse und besonders die Beziehungen zu seinen Söhnen angeht, so war er zwar auch hierin, wie er selbst glaubte, völlig glücklich, da er in seinen Söhnen seine Feinde überwunden zu haben glaubte, meiner Meinung nach aber ein höchst unglücklicher und bedauernswerter Mensch.“14
Herodes hatte die Schriftgelehrten in Jerusalem nach den biblischen Prophezeiungen befragt und herausbekommen, dass der gesuchte König in Bethlehem geboren werden würde. Daraufhin hatte er die Weisen dorthin geschickt. Als sie dann aber nicht zu ihm zurück kamen, ließ er in den Familien der Stadt und der ganzen Umgebung alle männlichen Kleinkinder im Alter von zwei Jahren und darunter töten. Das entsprach dem Zeitpunkt, den er von den Sterndeutern in Erfahrung gebracht hatte.15
Zwischenspiel in Ägypten
Josef war kurz vorher auf göttlichen Befehl hin mit seiner Frau Maria und ihrem erstgeborenen Sohn Jesus nach Ägypten geflohen. Die Flucht führte sie über Hebron nach Beerscheba und dann durch die Wüste, die bis heute nichts von ihrer Gefährlichkeit eingebüßt hat. Erst am Mittelmeer an der ägyptischen Grenze waren sie in Sicherheit. Mindestens 20 Tage werden sie für diese Strecke gebraucht haben.
Zur Zeit Jesu lebten etwa eine Million Juden in Ägypten, davon allein in Alexandria am Mittelmeer 200.000
Obwohl Ägypten vor der Zeit des Mose das Land der Unterdrückung war, haben Juden in späterer Zeit immer wieder dort Zuflucht gesucht. Schon 586 v.Chr. versuchte ein Teil des Volkes sich dort in Sicherheit zu bringen (Jer 40-42).
Auch außerbiblisch ist für den Anfang des 5. Jahrhunderts v.Chr. eine jüdische Kolonie in Syene (Assuan) bezeugt. Aus dem Jahr 410 v.Chr. sind Briefe von Juden aus Elephantine16 an den Hohenpriester Jonathan in Jerusalem erhalten geblieben. Um 160 v.Chr. flüchtete der Hohepriester Onias vor den Syrern nach Ägypten und gründete in Leontopolis17 nach dem Vorbild des Jerusalemer Tempels einen eigenen Tempel. Zur Zeit Jesu lebten etwa eine Million Juden in Ägypten, davon allein in Alexandria am Mittelmeer 200.000. Auch in der Stadt Hierapolis, 30 km südlich von Leontopolis, befand sich eine große jüdische Kolonie mit Synagogen, Schulen und allem anderen, was die Fremde zur Heimat machen konnte.18
Irgendwo bei ihren Landsleuten werden auch Josef und Maria Unterschlupf gefunden haben. Etwa zwei Jahre später waren sie dort vom Tod des Königs Herodes benachrichtigt worden19 und hatten daraufhin die Rückreise angetreten.
Turbulenzen in Judäa
Durch ihre Flucht nach Ägypten wurden Josef und Maria mit ihrem erstgeborenen Sohn nicht nur vor dem Kindermord bewahrt, sondern auch vor den turbulenten Ereignissen des Jahres, in dem Herodes starb.
Kurz vor dem Tod des Herodes hatten Judas und Matthias, zwei Rabbiner, die hohes Ansehen beim Volk genossen, zusammen mit einigen Anhängern den römischen Adler am Tempel entfernt. Herodes befahl, die beiden Gesetzeslehrer hinzurichten.
Als nach dem Tod des Herodes sein Sohn Archelaus als der künftige König das Volk in Jerusalem begrüßte, forderte das sogleich neben Steuerermäßigungen und Abschaffung der Zölle Rache für die getöteten Gesetzeslehrer. Archelaus zögerte. Es war kurz vor dem Passahfest. Immer mehr Menschen kamen in die Stadt. Die Anführer hielten sich unter beständiger Klage im Tempel auf und betrauerten die getöteten Rabbis. Archelaus befahl, sie festzunehmen. Die Rädelsführer aber hetzten das Volk gegen die Soldaten auf. Es kam zu blutigen Auseinandersetzungen im Tempel. Einige Soldaten wurden getötet. Schließlich setzte Archelaus das Heer ein. Etwa 3000 Menschen bezahlten das mit ihrem Leben.20
Die Juden schickten eine 50-köpfige Delegation zum Kaiser nach Rom, um die Absetzung des Archelaus zu erreichen
Nach dem vorletzten Testament des Herodes hätte Archelaus eigentlich das ganze Reich erben sollten. Doch der König hatte es kurz vor seinem Tod noch einmal geändert. Nun musste es noch vom Kaiser in Rom bestätigt werden. Archelaus nahm deshalb gleich, nachdem er den Aufstand niedergeschlagen hatte, einen Schnellsegler und eilte nach Rom. Doch auch sein Bruder Antipas reiste mit einem anderen Schiff dorthin und selbst die Juden schickten eine 50-köpfige Delegation zum Kaiser. Sie wollten die Absetzung des Archelaus erreichen. 27 Jahre später spielte Jesus in einem Gleichnis auf das Geschehen an:
„Ein hochgeborener Mann zog in ein fernes Land, um ein Reich für sich zu empfangen und wiederzukommen… Seine Bürger aber hassten ihn und schickten eine Gesandtschaft hinter ihm her und ließen sagen: Wir wollen nicht, dass dieser über uns König sei!“ (Lk 19,12.14.)
Nach der Abreise des Archelaus empörte sich das Volk erneut. Der syrische Statthalter Quintilius Varus ließ die Rädelsführer festnehmen und stationierte eine Legion Soldaten unter dem Oberbefehl eines gewissen Sabinus in der Stadt. Sabinus war kaiserlicher Finanzverwalter in Syrien. Er reizte die Bevölkerung, indem er sich der Kastelle zu bemächtigen suchte, in denen die königlichen Schätze verwahrt wurden. Deshalb kam es zum Pfingstfest in Jerusalem erneut zu einem Aufstand, der sich zu einem regelrechten Krieg entwickelte und auf das ganze Land ausweitete. Bei den Auseinandersetzungen in Jerusalem gelang es den Römern, sogar die Tempelschätze zu plündern. Erst Varus schaffte es mit Hilfe von zwei Legionen, die in Syrien stationiert waren, und vieler Hilfstruppen Galiläa, Judäa und Jerusalem zurückzuerobern. 2000 Anführer der Aufständischen ließ er danach ans Kreuz schlagen.
Zweimal wurde an hohen Festtagen in Jerusalem ein Aufstand entfacht, der viele Menschenleben forderte und große Sachbeschädigungen zur Folge hatte. Die Juden werden dieses Jahr nicht so schnell vergessen haben.21
Zur gleichen Zeit nutzten verschiedene Räuberbanden die Abwesenheit eines Königs und machten das Land unsicher. Josephus schreibt zusammenfassend:22
„So war Judäa eine wahre Räuberhöhle, und wo sich nur immer eine Schar von Aufrührern zusammentat, wählten sie gleich Könige, die dem Staat sehr verderblich wurden. Denn während sie den Römern nur unbedeutenden Schaden zufügten, wüteten sie gegen ihre eigenen Landsleute weit und breit mit Mord und Totschlag.“
Durch die Gnade Gottes wurde die Familie des Herrn vor diesen Turbulenzen bewahrt. Josef kam nach Weisung Gottes mit den Seinen erst zurück, als im Land wieder Ruhe herrschte. Allerdings ging er nicht nach Bethlehem zurück, wo Jesus geboren worden war, sondern Kilometer weiter nach Norden und ließ sich mit seiner Familie in Nazareth, dem Heimatort seiner Frau, nieder. Den Grund dafür berichtet Matthäus (2,22f.):
„Als Josef aber hörte, dass Archelaus über Judäa herrschte anstelle seines Vaters Herodes, fürchtete er sich, dahin zu gehen; und als er im Traum eine göttliche Weisung empfangen hatte, zog er hin in die Gegenden von Galiläa und kam und wohnte in einer Stadt, genannt Nazareth; damit erfüllt würde, was durch die Propheten geredet ist: ‚Er wird Nazoräer genannt werden‘“.
Kaiser Augustus hatte sich entschlossen, das Königreich auf die drei Söhne des Herodes aufzuteilen, wie dieser es in seinem letzten Testament gewünscht hatte. Doch keiner der Söhne durfte den Königstitel tragen23 Sie bekamen unterschiedlich wertvolle Gebiete zugeteilt, was aus dem Steueraufkommen für die betreffenden Gebiete hervorgeht.24 Der 18-jährige Archelaus erhielt Judäa, Idumäa und Samaria mit einem Jahreseinkommen von 600 Talenten25 Er durfte auch den Titel „Ethnarch“, d.h. „Volksfürst“ tragen. Antipas erhielt Galiläa und Peräa mit einem Einkommen von 200 Talenten und der dritte überlebende Bruder Philippus erhielt Batanäa, Trachonitis und Auranitis mit einem Jahreseinkommen von 100 Talenten. Sie werden im Neuen Testament „Vierfürsten“ genannt.26
Die genannten Landschaften waren nicht nur von Juden bewohnt, sondern schlossen auch größere Gebiete mit nichtjüdischer Bevölkerung ein. Viele Orte hatten eine gemischte Einwohnerschaft aus Syrern, Griechen und Juden, wie zum Beispiel das zwischen 17 und 20 n.Chr. von Herodes Antipas gegründete Tiberias am See Genezareth.27 Diese neue Hauptstadt des Herodes Antipas wurde das Zentrum der griechische Kultur und Sprache in Galiläa.
Die galiläischen Dörfer aber waren alle von Juden bewohnt.
Nazareth
Nazareth war so klein, dass es weder im Alten Testament noch irgendwo in der damaligen Literatur erwähnt wird
Jakobus, der später von den Juden „der Gerechte“ genannt wurde, erblickte im südlichen Galiläa das Licht der Welt.28 Von seinen Eltern bekam er den hebräischen Namen „Jaqob“ („Gott hat geschützt“). Sein Geburtsort Nazareth war so klein, dass er weder im Alten Testament noch irgendwo in der damaligen Literatur erwähnt wird. Trotzdem wird Nazareth im Neuen Testament sogar eine „Stadt“ genannt29 Das weist zumindest darauf hin, dass der Ort nicht das Eigentum eines Großgrundbesitzers war, sondern von freien Männern bewohnt wurde.30 Allerdings dürften kaum mehr als 100 bis 150 Menschen dort gelebt haben.31
Nazareth hat seinen Namen wahrscheinlich von einer davidischen Großfamilie erhalten, die um 120 v.Chr. nach Galiläa eingewandert war. Die ursprüngliche Siedlung, deren Namen wir nicht kennen, wurde im Zusammenhang mit der assyrischen Gefangenschaft um das Jahr 733 v.Chr. von dem Großkönig Tiglat-Pileser III. erobert. Er deportierte die meisten Einwohner nach Assur32 und siedelte in Galiläa fremde Völker an.33 Damit war Galiläa schon damals ein Galiläa der Nationen34 geworden. Ausgrabungen in Nazareth bestätigen, dass die Siedlung um diese Zeit verlassen wurde35 Noch zu Anfang des makkabäischen Freiheitskampfes um 150 v.Chr. finden wir nur vereinzelte jüdische Gruppen in Galiläa. Das änderte sich drastisch mit dem Sieg der Makkabäer und der Eroberung des Gebietes durch Johannes Hyrkan um 120 v.Chr. Er stellte die nichtjüdischen Bewohner der eroberten Gebiete vor die Wahl, entweder das Judentum durch Beschneidung anzunehmen oder ins Gefängnis zu kommen bzw. ausgewiesen zu werden. Das Judentum gewann im Land Israel wieder stark an Bedeutung. In dieser Zeit kam es dann auch zu einer starken Rückwanderungsbewegung von Juden aus Babylonien und Persien. Unter den Rückwanderern gab es eine Großfamilie, die ihre Abstammung auf David zurückführte und sich nach einer Weissagung aus dem Propheten Jesaja „Nazoräer“ nannte. Ein Teil von ihnen ließ sich in Galiläa nieder und gab ihrer Gründung den Namen „ Nazara „, also Nazareth, was von Nezer , d.h. Zweig oder Spross, abgeleitet ist:
„Und ein Spross (hebr. Nezer) wird hervorgehen aus dem Stumpf Isais, und ein Schössling aus seinen Wurzeln wird Frucht bringen.“ (Jes 11,1.)
Mit dieser Entdeckung wurde eine alte Streitfrage entschieden
1962 wurde in Caesarea am Meer das Stück einer Marmortafel gefunden, auf der in hebräischer Sprache Namen von Priesterfamilien standen. Auch der Name des Ortes Nazareth konnte darauf entziffert werden. Eine dieser Priesterklassen hatte sich um 135 n.Chr. dort niedergelassen. Mit dieser Entdeckung wurde eine alte Streitfrage entschieden, denn von der griechischen Schreibweise des Namens Nazareth her war nicht klar, ob sich der Begriff von „Nasiräer“ oder von „Nezer“ ableitete. Nasiräer hieß ein Israelit, wenn er sich durch ein Gelübde Gott weihte und als Zeichen dafür seine Haare lang wachsen ließ und keinen Alkohol trank.36 Auf Hebräisch schrieb sich Nazareth mit „Z“ (hebr. Zade) und nicht mit „S“ (hebr. Sajin), wie manche vermuteten. Nun ist klar, dass der Begriff „Nazoräer“ nicht von „Nasiräer“ abgeleitet werden darf. Die vielen Bilder, die Jesus mit langen Frauenhaaren darstellen, sind also auch von daher falsch.
Wenn unser Herr später „Nazoräer“ genannt wurde, ist damit einerseits ein deutlicher Hinweis auf die Weissagung des Jesaja verbunden, die sich in ihm erfüllt hat, andererseits auf seine Familie, die von dem König David abstammte und zum dritten auf den Ort, wo er aufgewachsen war.
„Josef kam und wohnte in einer Stadt, genannt Nazareth; damit erfüllt würde, was durch die Propheten geredet ist: ‚Er wird Nazoräer genannt werden‘.“37
Nazareth war, obwohl sehr klein, doch nicht abgelegen. Der Ort schmiegte sich an den südöstlichen Abhang des Dschebel en-Nebi Sa’in, der 450 m hoch ist. Wenn der junge Jakobus auf den Berg stieg, sah er seinen Geburtsort in ein herrliches Panorama eingebettet. Rechter Hand in westlicher Richtung konnte er den Karmel und das Blau des Mittelmeeres erkennen. Nach Süden hin, ein paar Kilometer hinter dem Dorf, fällt der Bergzug erschreckend steil zu der breiten, fruchtbaren Ebene Jesreel ab, die sich damals im Besitz von Griechen befand. Jenseits der Ebene nahm Jakobus die Bergzüge des Gilboa wahr, wo sich mehr als 1000 Jahre zuvor der erste König Israels nach verlorener Schlacht in sein Schwert gestürzt hatte. Ostwärts konnte Jakobus über den Tabor und die Jordan-Senke bis zu den Bergen von Gilead sehen. Wenn er sich vom Ort abwandte und nach Norden blickte, sah er die schneebedeckten Berge des Hermon herüber leuchten.
Varus hatte Sepphoris nach antirömischen Ausschreitungen im Jahr 4 v.Chr. zerstört.
Am Fuß des Tabor verlief eine der wichtigsten internationalen Straßen der damaligen Welt. Es war die Karawanenstraße, die von Damaskus über Cäsarea am Meer nach Ägypten führte und die Landbrücke nach Afrika bildete. Eine Stichstraße nach Sepphoris muss ganz dicht an Nazareth vorbei geführt haben. Die Stadt lag nur sechs Kilometer nordwestlich. Varus hatte sie nach den antirömischen Ausschreitungen im Jahr 4 v.Chr. zerstört. Herodes Antipas baute sie mit römischer Genehmigung als vorläufige Hauptstadt wieder auf und machte aus ihr das, was Josephus die „Zierde Galiläas“ nannte. Er ließ dort Straßen, Häuser, Banken, Archive, Marktplätze, Synagogen, Schulen, Gasthäuser und natürlich einen Palast bauen und schmückte sie außerdem mit dem vierten Theater38 in Israel. Das kürzlich ausgegrabene Halbrund hatte einen Durchmesser von 74m. 5000 Besucher fanden darin Platz, ein Fünftel der ganzen Bevölkerung der Stadt.
Sehr wahrscheinlich hatte Josef irgendwo in Sepphoris Arbeit gefunden, denn in dem winzigen Nazareth hätte er sich kaum seinen Lebensunterhalt verdienen können. Ihren Herrscher wird die Familie aufgrund der räumlichen Nähe gewiss einige Male zu Gesicht bekommen haben.
Josephus berichtet, dass in der Zeit des jüdischen Aufstands um 67 n.Chr. die Römer in Sepphoris 1000 Reiter und 6000 Mann Fußsoldaten stationiert hatten. Beide Abteilungen unternahmen beständig Ausfälle und Streifzüge in die Umgebung und verwüsteten das Land. Bei einer dieser Gelegenheiten wurde gewiss auch das unbefestigte Nazareth dem Erdboden gleichgemacht.39 Jedenfalls eroberten die Römer am 13. Juli des Jahres 67 n.Chr. den befestigten Ort Jafia und metzelten die Einwohner in einem furchtbaren Blutbad nieder. Jafia war nur zweieinhalb Kilometer von Nazareth entfernt und die bedeutendste und älteste40 Siedlung in diesem Teil des galiläischen Berglandes. Doch das alles geschah erst 70 Jahre später. Nazareth muss nach seiner Zerstörung allerdings bald wieder aufgebaut worden sein, denn nach dem nationalen Zusammenbruch des Volkes (135 n.Chr.) siedelte sich dort die oben erwähnte 18. Priesterklasse an.41
Spätestens seit dieser Zeit muss es auch eine christliche Gemeinde in Nazareth gegeben haben, wahrscheinlich aber schon hundert Jahre früher, also bald nach der Auferstehung des Herrn. Die Bezeichnung „Nazoräer“ ging nämlich auch auf diese Judenchristen über. Später nannten die Juden alle, die zu dieser neuen Glaubensrichtung gehörten, „Nazoräer“. Als einen ihrer Anführer betrachteten sie auch den Paulus:
„Denn wir haben diesen Mann als eine Pest befunden und als einen, der unter allen Juden, die auf dem Erdkreis sind, Aufruhr erregt, und als einen Anführer der Sekte der Nazoräer.“ (Apg 24,5)
Die Juden nennen die Christen noch heute die nozrim und der populäre Ausdruck für Christen bei den Arabern ist nassara.42
„Ich bin aus der Stadt Nazareth in Galiläa, ein Verwandter Christi, dem ich von meinen Vorfahren her diene.“
In der Verfolgung unter Decius (249-251 n.Chr.) erlitt ein Christ namens Konon den Märtyrertod in Kleinasien. Beim Verhör vor dem römischen Richter sagte er: „Ich bin aus der Stadt Nazareth in Galiläa, ein Verwandter Christi, dem ich von meinen Vorfahren her diene.“ Außerdem existiert eine Notiz von Julius Africanus aus Jerusalem (gest. nach 240 n.Chr.), die eine Existenz von „Herrenverwandten“ in Nazareth bestätigt. Sie bildeten offenbar den Kern der judenchristlichen Gemeinde dort.43
Die Kindheit
Kehren wir zurück zu Jakobus. Wir müssen annehmen, dass er frühestens nach dem Eintreffen seiner Eltern in Nazareth, spätestens ein oder zwei Jahre danach, geboren wurde, denn vorher wird nur sein drei bis vier Jahre älterer Halbbruder44 Jesus erwähnt. Als Geburtsjahr könnten wir vielleicht das Jahr 3 v.Chr. annehmen. Ebenso, wie bei ihrem Erstgeborenen wird Maria nach seiner Geburt den Reinigungsritus gemäß dem mosaischen Gesetz vollzogen haben. Nach den Vorschriften des 2. Buches Mose brachten die Eltern das Kind nach Jerusalem und weihten es dem Herrn. Sie waren eng mit dem Tempel in Jerusalem verbunden und wir gehen nicht fehl, wenn wir annehmen, dass sie häufig die Wallfahrtsfeste besucht und auch die Abgaben zum Tempel gebracht haben.
Es gab drei große Feste, an denen jeder männliche Israelit in Jerusalem erscheinen musste. Nur Minderjährige, Greise, Kranke und Sklaven waren davon ausgenommen. In neutestamentlicher Zeit nahmen auch viele Juden aus der Diaspora45 an einzelnen Festen teil.46
„Dreimal im Jahr soll alles bei dir, was männlich ist, vor dem Herrn, deinem Gott, erscheinen an der Stätte, die er erwählen wird: am Fest der ungesäuerten und am Fest der Wochen und am Fest der Laubhütten.“47
Eine buchstäbliche Befolgung dieses Gebots war allerdings nicht möglich, wenn jemand weit von Jerusalem weg wohnte. Dann begnügte man sich mit der Teilnahme an einem der Feste, was auch die Eltern des Jakobus taten:
„Und seine Eltern gingen alljährlich am Passahfest nach Jerusalem.“48
Später haben die Juden offenbar festgelegt, dass die Verpflichtung, zu allen drei Festen zu kommen, sich nur auf die bezog, die im Umkreis von etwa 40 km um Jerusalem herum wohnten.49
Das Haus, in dem Jakobus seine Jugend verlebte, war erfüllt von der Frömmigkeit seiner Eltern
Das Haus, in dem Jakobus seine Jugend verlebte, war erfüllt von der Frömmigkeit seiner Eltern. Nach der Sitte der Gesetzestreuen brachte Josef über der Tür seines Hauses eine Mesusa an, ein Kästchen, das einen beschriebenen Pergamentstreifen barg. Auf diesem Streifen stand das Bekenntnis zu dem einzigen Gott, das nach dem ersten Wort „Höre“ das „Sche’ma“ genannt wurde: „Höre, Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist ein Einziger.“ So hatte Josef sein Haus dem einzigen Gott geweiht, wie es das Gesetz vorschrieb.50
„Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollen in deinem Herzen sein. Und du sollst sie deinen Kindern einschärfen, und du sollst davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt und wenn du auf dem Weg gehst, wenn du dich hinlegst und wenn du aufstehst. Und du sollst sie als Zeichen auf deine Hand binden, und sie sollen als Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, und du sollst sie auf die Pfosten deines Hauses und an deine Tore schreiben.“
Als sein Bruder Jesus einmal nach dem wichtigsten Gebot im Gesetz gefragt wurde, zitierte er das „Sche’ma“:
„Höre, Israel: Der Herr ist unser Gott, der Herr allein! Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft“.51
Jedes Mal, wenn Jakobus das Haus verließ oder betrat, berührte er nach dem Beispiel seiner Eltern die Mesusa am Türpfosten mit seinen Fingerspitzen, die er daraufhin küsste. Beim Morgen- und Abendgebet trug er das „Höre, Israel“ auf der Stirn und den Händen, wie Josef es ihn lehrte. Jakobus erlebte in der Geborgenheit des Elternhauses eine Welt, die ganz dem Göttlichen geweiht war. Das Heilige umgab ihn vom Morgen bis zum Abend. Alle Stunden des Tages waren von Segensgebeten begleitet, die der echte Israelit nicht nur mit den Lippen, sondern auch mit seinem Herzen sprach:
„Gepriesen seiest du, Herr, König des Alls.“52
Als Jakobus fünf oder sechs Jahre alt wurde, schickte Josef seinen Sohn in die Dorfsynagoge zur Schule. Damals gab es in Israel kein Dorf und in der ganzen Diaspora keine Gemeinde, die nicht ihre eigene Synagoge hatte. Die Einrichtung der Synagoge bestand schon lange, wahrscheinlich seit der Zeit Esras. Jakobus konnte später davon ausgehen: „Mose hat von alten Zeiten her in jeder Stadt solche, die ihn predigen, da er an jedem Sabbat in den Synagogen gelesen wird“ (Apg 15,21). Dabei sprach er nicht von Israel, sondern vom Ausland, der Diaspora. Selbst in Jerusalem, wo doch der Tempel stand, soll es an die 400 Synagogen53) gegeben haben. Auch die Stadt Tiberias am See Genezareth, die doch das Zentrum der griechischen Kultur in Galiläa war, besaß 13 Synagogen.54
Der gläubige Israelit besuchte die Synagoge dreimal in der Woche: am Sabbat, am Montag und am Donnerstag
Synagogen bestanden im wesentlichen aus einem rechteckigen Versammlungsraum. Den Mittelpunkt der Synagoge bildete der heilige Schrein, eine hölzerne Lade, welche die Gesetzesrollen barg. Die Synagoge in Nazareth besaß neben der Thora wenigstens noch eine Rolle des Jesaja. Der gläubige Israelit besuchte die Synagoge dreimal in der Woche: am Sabbat, am Montag und am Donnerstag. Der Gottesdienst setzte sich aus Schriftlesungen, Auslegung und Gebeten zusammen. Es wurden keine Opfer gebracht, obwohl manche Gelehrte später in der Synagoge einen Ersatz für den Tempel sahen.55
Jede Synagoge hatte einen Vorstand, der aus wenigstens drei Mitgliedern bestand. Der Vorsteher zählte zu den angesehensten Männern der Gemeinde. Seine Hauptaufgabe war die Leitung des Gottesdienstes. Er bestimmte die Person, die als Vorbeter oder Schriftleser in Funktion treten sollte und forderte geeignete Männer zum Predigtvortrag auf, wie es auch Paulus und seine Begleiter verschiedentlich erlebt haben.56
Der Synagogendiener hatte die heiligen Schriften dem Thoraschrein zu entnehmen und nach ihrem Gebrauch wieder dorthin zu legen.57 An den Rüsttagen vor dem Sabbat kündigte er durch Trompetensignale den Sabbat an. So lange der Tempel stand, gab er denen das Geleit, welche die Erstlingsfrüchte nach Jerusalem brachten. Außerdem oblag ihm die Aufgabe, die jüdischen Jungen in Lesen und Schreiben zu unterrichten, denn im Zusammenhang mit den örtlichen Synagogen hatten die Juden Elementarschulen eingerichtet. Es gab im Judentum zwar nie eine allgemeine Schulpflicht, doch die jüdische Gemeinschaft sorgte im allgemeinen für eine Unterweisung der Kinder, wie es im Gesetz festgelegt war.58
Der Unterricht in der Synagoge wird auch für Jakobus frühmorgens begonnen und erst bei Sonnenuntergang aufgehört haben, wie es damals üblich war. Wahrscheinlich stammten die ersten Worte, die Jakobus lesen lernte, aus dem 3. Buch Mose, denn mit diesem Buch begann gewöhnlich der Unterricht. Außerdem musste er große Teile des Textes auswendig lernen. Der Unterricht bestand häufig aus feststehenden Fragen und Antworten. Beliebt war es bei den Lehrern, die ersten Worte eines Bibelverses aufzusagen und dann den Schüler fortfahren zu lassen.59
Die Fragen der etwas älteren Schüler bildeten einen wichtigen Teil des Unterrichts
Die Fragen der etwas älteren Schüler bildeten einen weiteren wichtigen Teil des Unterrichts. Sie waren für den Lehrer ein gutes Mittel, Unklarheiten bei den Hörern festzustellen und falsche Auffassungen zu berichtigen. Außerdem konnten auch die anderen Schüler sofort Einwände geltend machen und Gegenfragen stellen. Auf solche Diskussionen wurde viel Wert gelegt, weil sie die Auffassungsgabe fördern und den Geist schärfen würden.60 In dieser Weise sprach der zwölfjährige Jesus mit den Lehrern bei seinem ersten Besuch im Tempel. Seine Eltern hatten ihn nicht dort vermutet und fanden ihn erst nach dreitägiger61 Suche, „wie er inmitten der Lehrer saß und ihnen zuhörte und sie befragte. Alle aber, die ihn hörten, gerieten außer sich über sein Verständnis und seine Antworten.“ (Lk 2,46f.)
Ferien gab es nur zu den Feiertagen. Doch selbst am Sabbat konnte es passieren, dass der gewissenhafte Josef seinen Sohn nach dem Gelernten abhörte. Machte der Schüler Fortschritte, wurde er in der damals noch mündlich überlieferten Auslegung des Gesetzes unterwiesen und wenn er sich als klug und aufgeschlossen erwies, konnte er zum Schluss auf eine der Ausbildungsschulen für Schriftgelehrte geschickt werden.62
Jakobus und die anderen Kinder der Familie Josefs lernten zuerst ihre Muttersprache sprechen. Das war das Aramäische. Die Sprache wurde allerdings in dem typisch galiläischen Dialekt ausgesprochen, der so auffiel, dass man in Judäa manchen Galiläern das Vorbeten in der Synagoge verweigerte63 In der Elementarschule lernte Jakobus dann das biblische Hebräisch. Die damalige Weltsprache war aber Griechisch. Jeder einigermaßen Gebildete konnte diese Sprache wenigstens verstehen. Wir können davon ausgehen, dass Jakobus, wie auch sein Bruder Jesus, sich gut in dieser Sprache ausdrücken konnte64
Dazu kam noch das Lateinisch, die Sprache der Eroberer. Nicht umsonst ließ Pilatus später die Tafel über dem Kreuz Jesu in drei Sprachen beschriften, auf hebräisch65 griechisch und lateinisch66
Der galiläische Dialekt fiel so auf, dass man in Judäa manchen Galiläern das Vorbeten in der Synagoge verweigerte
Als Jakobus etwa acht Jahre alt geworden war, wurde der Ethnarch67 Herodes Archelaus, der in Judäa regierte, abgesetzt. Archelaus hatte den schlechtesten Ruf aller Söhne des Herodes. Er führte zwar das Bauprogramm seines Vaters fort, behandelte Samariter und Juden in seinem Herrschaftsgebiet aber so schlecht, dass beide Gruppen eine Abordnung nach Rom schickten, um Augustus vor einer regelrechten Revolte zu warnen, wenn Archelaus nicht entfernt würde. Archelaus wurde nach Rom zitiert und wegen seines tyrannischen Regiments und seiner Misswirtschaft abgesetzt. Anschließend verbannten ihn die Römer nach Vienne in Gallien (Südfrankreich), wo er 18 n.Chr. starb. Sein Gebiet wurde direkt zu einer römischen Provinz gemacht und fortan durch Prokuratoren verwaltet.
Für die Beherrschung ihrer Provinzen hatten die Römer zwei Formen entwickelt. Provinzen, die relativ friedlich und loyal gegenüber Rom waren, wurden von Prokonsuln regiert, wie zum Beispiel Zypern und Achaja (Apg 13,7;18,12). Diese Beamten waren dem Senat in Rom verantwortlich. Unruhigere Provinzen unterstanden der Autorität des Kaisers, der dort oftmals Legionen stationierte. Sie wurden von Prokuratoren verwaltet, die vom Kaiser ernannt wurden und ihm direkt verantwortlich waren.68 Israel wurde von den Römern zu den unruhigen Provinzen gezählt und erhielt also Prokuratoren.
Der erste römische Prokurator für Judäa und Samaria hieß Coponius. Er hatte gerade die Herrschaft angetreten, als Jesus mit seinen Eltern zum Passahfest nach Jerusalem reisen durfte. Jesus war damals zwölf Jahre alt und seine Eltern wollten ihn nach den Vorschriften des Gesetzes an die Erfüllung der Bestimmungen des Passah gewöhnen. Die Reise gehörte also noch zu seiner Ausbildung. Erst mit Vollendung des 13. Lebensjahres war er zur Beobachtung aller Gebote und auch zur Erscheinung bei den Wallfahrtsfesten in Jerusalem verpflichtet.69
Im gleichen Jahr wurde Hannas, der uns in der Leidensgeschichte des Herrn wieder begegnet, von den Römern zum Hohenpriester ernannt. Er musste als erster Hoherpriester das Gewand, das er zu den heiligen Festen trug, nach der Benutzung an die Römer abgeben und bekam es nur zum jeweiligen Fest wieder ausgehändigt70 In der übrigen Zeit wurde das heilige Gewand in der von den Römern besetzen Burg Antonia neben dem Tempel aufbewahrt. Offenbar wollten die Römer ein Druckmittel gegen die Juden in der Hand haben.
Drei Jahre später wurde der Prokurator Coponius von Marcus Ambivius abgelöst. In diesem Jahr zog der syrische Legat Quintilius Varus nach Germanien und verlor die Schlacht im Teutoburger Wald. Varus war auch den Nazarenern kein Unbekannter, denn nach dem Tod von Herodes dem Großen, hatten seine Truppen die Sommerresidenz des Königs im nahen Sepphoris geplündert.71
Inzwischen war unser Herr 15 Jahre alt geworden, erlernte das Handwerk seines Vaters und nahm bei Gott und Menschen an Gunst zu.72 Die Familie des Josef war währenddessen auf wenigstens sieben Kinder angewachsen.
Um die Zusammenhänge in der Familie, in der Jakobus aufwuchs, besser zu verstehen, ist es nützlich, die Angaben über die Verwandtschaft aus dem Neuen Testament zusammenzutragen. Meist fallen diese Beziehungen beim Bibellesen nicht auf. Sie können aber manches besser verständlich machen.
Maria, die Mutter des Jakobus, war mit Elisabeth, der Frau des Priesters Zacharias, verwandt, der Mutter Johannes des Täufers.73 Sie gehörte also zur gleichen Sippe wie diese, denn der Ausdruck „verwandt“ bedeutet im Neuen Testament Familienverwandtschaft, nicht nur Verwandtschaft des Stammes.74 Elisabeth war eine Priestertochter und stammte aus der Linie Aarons, wie Lukas ausdrücklich vermerkt.75 Durch die Verwandtschaft mit Elisabeth gehörte auch Maria mindestens zum Stamm Levi, wahrscheinlich sogar zum Haus Aaron. Dafür spricht auch, dass sie den Namen der Schwester Aarons, Mirjam (=Maria) trug, ein Name, der sonst im Alten Testament nicht erwähnt wird.76 Ihre Eltern werden sie kaum ohne Beziehung auf diese Mirjam so genannt haben.
Es ist also gut möglich, dass Maria die Tochter eines Priesters war77 Dass die alte Elisabeth und die junge Maria sich trotz der großen räumlichen Entfernung so gut kannten, wie Lukas in seinem Bericht voraussetzt (Lk 1,39-56) weist ebenfalls auf eine engere verwandtschaftliche Beziehung hin. Durch die Heirat mit Josef aus dem Haus David wurde Maria nun Angehörige dieses Geschlechts und Jesus, ihr erster ehelich78 geborener Sohn, wurde ein Sohn Davids. So wird auch durch die verwandtschaftlichen Beziehungen angedeutet, dass Jesus Priester (von Aaron her über Maria) und König (von David her über Josef) in einer Person sein sollte, wie Sacharja es vorhergesagt hatte.79
Jakobus und seine Geschwister waren also über ihre Mutter mit Johannes, dem Täufer, dem Sohn der Elisabeth, verwandt. Johannes war nur wenig älter als sie.
Außerdem war Maria eine leibliche Schwester von Salome, der Frau des Zebedäus. Das war die Mutter von Jakobus und Johannes, den späteren Jüngern Jesu. Die Verwandtschaft geht aus einem Vergleich der Aussagen von Matthäus, Markus und Johannes über die Frauen unter dem Kreuz hervor:
„Unter ihnen waren Maria Magdalena und Maria, des Jakobus‘ und Josefs Mutter, und die Mutter der Söhne des Zebedäus .“
„Es sahen aber auch Frauen von weitem zu, unter ihnen auch Maria Magdalena und Maria, Jakobus des Kleinen und Joses‘ Mutter, und Salome .“
„Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und die Schwester seiner Mutter , Maria, des Klopas Frau, und Maria Magdalena.“80
Unter dem Kreuz standen wenigstens drei Frauen mit Namen Maria. Es war Maria, die Mutter Jesu, Maria aus Magdala, die Jesus von schwerer Besessenheit geheilt hatte, und Maria, des Klopas Frau, die wahrscheinlich auch die Mutter von Jakobus dem Kleinen und Joses (=Josef) war81
Zebedäus unterhielt ein Fischereigeschäft und hatte Tagelöhner angestellt
Für unseren Zusammenhang ist vor allem die Tante von Jesus, also die Schwester der Maria, interessant. Wenn wir davon ausgehen, dass in allen drei Evangelien die gleichen Frauen genannt werden und es insgesamt vier Frauen waren82 muss die bei Markus erwähnte Salome, die Schwester der Mutter Jesu, die Mutter der Zebedäussöhne sein (man vergleiche den kursiv gedruckten Text in den obigen Bibelzitaten).
Zebedäus unterhielt ein Fischereigeschäft und hatte Tagelöhner angestellt.83 Seine Frau scheint zeitweise mit den Jüngern mitgezogen zu sein und hat sie vermutlich auch finanziell unterstützt.84 Die Familie war mit dem Hohenpriester bekannt85 was ebenfalls auf einen levitischen Hintergrund in der Verwandtschaft schließen lässt. Jedenfalls waren Jakobus und Johannes, die Söhne von Zebedäus und Salome Cousins von Jakobus und seinen Geschwistern.
Die Familie
Als der Herr einmal in der Synagoge von Nazareth sprach, wunderten sich die Leute über ihn und sagten:
„Ist dieser nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und ein Bruder des Jakobus und Joses und Judas und Simon? Und sind nicht seine Schwestern hier bei uns?“ (Mk 6,3).
Bei einer anderen Gelegenheit suchten seine Mutter und seine Brüder ihn86 Nach der Auferstehung Jesu werden Maria, die Mutter Jesu, und seine Brüder im Zusammenhang mit den Aposteln ausdrücklich erwähnt87 Auch Paulus erwähnt, dass er bei einem Besuch in Jerusalem Jakobus, den Bruder des Herrn , getroffen habe.88
Die Brüder
Wer sind die Brüder Jesu und in welchem Sinn sind sie mit ihm verwandt?
Wer sind die Brüder Jesu und in welchem Sinn sind sie mit ihm verwandt? Prinzipiell gibt es drei Möglichkeiten: Vielleicht stammten die Geschwister aus einer früheren Ehe des Josef und wären demnach Stiefgeschwister Jesu. Nach einer anderen Theorie sollte man „Brüder“ im weiteren Sinn als „Vettern“ verstehen oder man fasst es wörtlich so auf, wie es dasteht: Jakobus stammte wie Jesus von der gleichen Mutter, er wäre sein Halbbruder gewesen.89
Jakobus, ein Stiefbruder?
Der Hauptvertreter dieser Theorie war Epiphanius um 370 n.Chr. Sie wurde aber schon früher in apokryphen Schriften, dem sogenannten Protevangelium des Jakobus, das in der Mitte des 2. Jahrhunderts entstand, vertreten. Dort wird in Form einer Legende erzählt, wie die Priester die junge Maria mit dem Witwer Josef verheiratet hätten.90 Letztlich läuft es darauf hinaus, dass Josef keine Kinder mit Maria hatte, sondern die Brüder Jesu alle aus einer früheren Ehe des Josef stammten.
Als neutestamentliche Belege dafür werden genannt, dass Jesus am Kreuz seine Mutter doch nicht der Fürsorge des Jüngers Johannes anvertraut hätte, wenn sie noch andere Söhne gehabt hätte. Das ist aber nicht stichhaltig, denn die Evangelien sprechen davon, dass seine Brüder ihm zu diesem Zeitpunkt noch nicht gut gesonnen waren. Außerdem war keiner von ihnen am Kreuz anwesend. Wie hätte er ihnen dann seine Mutter anvertrauen können?
Ein anderer Beleg wird in dem gönnerhaften Auftreten der Brüder Jesus gegenüber gesehen, wie man es sich bei älteren Brüdern jüngeren gegenüber vorstellen könnte (Mk 3,21.31-35; Joh 7,1-5). Ihr Verhalten lässt sich jedoch auch so erklären, dass sie sich über ihren älteren Bruder Jesus ärgerten und ihn am liebsten aus dem Verkehr ziehen wollten.
Ein dritter Beleg wird darin gesehen, dass Josef offenbar noch vor dem Beginn der öffentlichen Wirksamkeit Jesu starb. Doch die Möglichkeit, dass Josef älter als Maria war, beweist keineswegs, dass er keine Kinder mit ihr hatte. Außerdem hätte er auch bei einem Unfall ums Leben kommen können.
Die Theorie entspringt dem Wunsch, die lebenslange Jungfräulichkeit Marias nachzuweisen
Letztlich entspringt die Theorie dem Wunsch, die lebenslange Jungfräulichkeit Marias nachzuweisen, was wiederum auf die Neigung der Kirche zurückzuführen ist, welche die Askese verherrlichte und den Wert der Ehe schmälerte.
Jakobus, ein Cousin?
Die sogenannte Vetterntheorie wurde im Jahr 383 von Hieronymus vorgelegt, der behauptete, die Brüder Jesu seien in Wirklichkeit seine Cousins gewesen. Als Beleg dafür bringt er vor, dass die Bezeichnung Apostel nur auf die 12 Jünger zutreffen würde und Jakobus in Gal 1,19 deshalb ein Apostel gewesen sein müsse und nicht sein Bruder gewesen sein könne. Das stimmt aber schon nicht mit der Erwähnung von Paulus und Barnabas überein, die nicht zum Zwölferkreis gehörten und dennoch Apostel genannt wurden.91
Weiterhin behauptet Hieronymus, Jakobus, der Bruder des Herrn, Jakobus, der Sohn des Alphäus und Jakobus, der Kleine, seien miteinander identisch. Seine Beweisführung ist aber nicht schlüssig. Die Theorie war bis zu seiner Zeit völlig unbekannt und wurde offenbar nur vorgetragen, um die Lehre von der lebenslänglichen Jungfrauenschaft der Maria zu stützen. Die Lehre, dass Maria außer Jesus keine Kinder hatte, ist die offizielle Lehrmeinung der katholischen Kirche, die aber mit dem Neuen Testament nicht zu belegen ist.
Jakobus, ein (Halb-)Bruder!
Das ist die einzig sinnvolle Annahme, wenn man die Texte ernst nimmt und nicht etwas beweisen will, was das Neue Testament gar nicht sagt.
Matthäus setzt in seinem Bericht voraus, dass Josef und Maria nach der Geburt von Jesus normale eheliche Beziehungen unterhielten92 Auch Lukas setzt in seinem Evangelienbericht voraus, dass auf die Geburt Jesu noch weitere Kinder folgten, denn er schreibt: „Und sie gebar ihren erstgeborenen Sohn“ (Lk 2,7). Die Bezeichnung „erstgeboren“ ist aber nur sinnvoll, wenn Lukas sagen wollte, dass noch weitere Söhne folgten.
Jakobus war also einer der Brüder von Jesus. Seine Mutter hieß Maria und sein Vater Josef. Ob ihm bewusst war, dass Jesus doch nur sein Halbbruder war, ist uns nicht bekannt. Es scheint, dass Maria nicht viel über die wunderbaren Dinge redete, die sie mit dem Kind Jesus erlebt hatte.93
Josef hatte zusammen mit Maria noch vier Söhne: Jakobus, Josef, Simon, Judas und mindestens zwei Töchter94 Die Familie bestand demzufolge aus mindestens neun Personen.
Die Ausbildungsmöglichkeiten der Heranwachsenden
Mit fünf Jahren zur heiligen Schrift, mit zehn Jahren zur Mischna; mit 13 Jahren zur Ausübung der Gebote, mit 15 Jahren zum Talmud, mit 18 Jahren zum Trauhimmel
Josef und Maria waren gesetzestreue Juden, die ihre Kinder beizeiten an das Halten der Gebote gewöhnten. Für einen Sohn galt folgende Regel:
„Mit fünf Jahren zur heiligen Schrift, mit zehn Jahren zur Mischna; mit 13 Jahren zur Ausübung der Gebote, mit 15 Jahren zum Talmud, mit 18 Jahren zum Trauhimmel.“95
Nachdem ein Knabe im Alter von fünf96 Jahren mit den fünf Büchern Mose, der Thora, das Lesen gelernt hatte und in ihre Gebote eingeführt worden war, lernte er ab seinem zehnten Lebensjahr die damals noch mündlich überlieferte Auslegung des Gesetzes kennen, die aus kurzen Satzperioden bestand und Mischna97 genannt wurde. Wenn der junge Jude mit 13 Jahren zur Erfüllung des ganzen Gesetzes verpflichtet wurde, heißt das nicht, dass die Belehrung jetzt aufhörte. Er konnte weiter studieren und lernte dann die Kommentare und Diskussionen über die Mischna, die man Gemara98 nannte, kennen. Beides zusammen wurde später im sogenannten Talmud zusammengefasst.99
Die Schulen der Schriftgelehrten
Zur Zeit des Jakobus lag die geistige Führung des Volkes wesentlich in der Hand der Schriftgelehrten. Sie teilten sich damals in zwei Schulen auf, die auf die Gelehrten Hillel und Schammai zurückgingen.
Hillel, der um 20 v.Chr. starb, stammte aus einer armen Familie, die in Babylon lebte, ihren Stammbaum aber bis auf David zurückführen konnte. Er war schon 40 Jahre alt, als er nach Israel kam, um sich in Jerusalem dem Studium zu widmen. Seine Armut nötigte ihn, sich als Tagelöhner zu verdingen. Er verdiente aber nur 1/2 Denar täglich. Er soll wie Mose und Rabbi Akiba ein Alter von 120 Jahren erreicht haben. Sein großer Wissensdurst war ebenso berühmt wie seine große persönliche Geduld und Sanftmut. Hillel hatte 80 Schüler. Der größte unter ihnen sei Jonathan ben Uzziel, der Verfasser von Übersetzungen der Propheten, gewesen und der kleinste Rabbi Jochanan ben Zakkai, der nach der Zerstörung Jerusalems noch eine wichtige Rolle bei der Gründung des Lehrhauses von Jamnia spielte und um 80 n.Chr. gestorben ist.100 Als Hillel starb, sagte man von ihm: „Wehe ob des demütigen, wehe ob des frommen Schülers Esras.“101
Von Schammai , der um 30 v.Chr. starb, ist außer seinen Aussprüchen nicht viel bekannt. Heiden, die zum Judentum übertreten wollten, sagten von ihm:
„Das Aufbrausen Schammais wollte uns aus der Welt stoßen, die Sanftmut Hillels hat uns unter die Flügel der Schechina gebracht“.102
Einst kam ein Heide zu Schammai und sagte:
„Mache mich zu einem Proselyten unter der Bedingung, dass du mich die ganze Thora lehrst, während ich auf einem Fuß stehe“. Schammai jagte ihn mit einer Messlatte fort, die er gerade in der Hand hatte. Anschließend lief der mit dem gleichen Ansinnen zu Hillel. Der nahm sich seiner an und sagte: „Was dir unliebsam ist, das tue auch deinem Nächsten nicht.“103 Das wäre nach seiner Meinung die ganze Thora. Das beste Essen, das Schammai im Lauf der Woche bekam, soll er immer für den Sabbat aufgehoben haben, um diesen Tag besonders zu ehren.104
Einmal sei er mit Stock und Ranzen zu Jonathan ben Uzziel, einem Schüler Hillels, gewandert, um mit diesem wegen Nichtbeachtung eines Testaments zu rechten.105
Von diesen beiden Lehrern waren eine Menge Geschichten und Sprüche im Umlauf
Von diesen beiden Lehrern waren eine Menge Geschichten und Sprüche im Umlauf, von denen einige auch dem Jakobus bekannt gewesen sein müssen. Zum Beispiel verlangten die Anhänger Schammais von einem, der das Dankgebet nach dem Essen vergessen hat, dass er an den Platz, wo er gegessen hatte, zurückkommen und es dort nachholen müsse. Die Schüler Hillels verlangten das auch, aber sie sagten: „Er kann es an der Stelle nachholen, wo er sich daran erinnerte, dass er es vergessen hat.“ Nun diskutierten Vertreter beider Schulen miteinander. Die Hilleliten sagten zu ihren Gegnern: „Nach euren Worten müsste also jemand, der oben auf einer Burg gegessen hat und aus Vergesslichkeit herabging, ohne den Lobspruch zu sprechen, auf die Höhe der Burg zurückkehren und dort den Lobspruch sprechen?“ Die Schammaiten waren aber auch nicht dumm und erwiderten: „Nach euren Worten müsste jemand, der den Geldbeutel oben auf einer Burg vergaß, nicht wieder emporsteigen und ihn an sich nehmen. – Der eigenen Ehre halber soll man emporsteigen, nicht viel mehr um der Ehre Gottes willen?“
Ob Jakobus mehr auf Seiten der Schammaiten stand oder mehr zu den Schülern Hillels neigte, ist uns nicht bekannt. Wir wissen nicht einmal, ob er mit 15 Jahren überhaupt weiter studiert hat. Das Gesetz hatte er trotzdem gründlich kennen gelernt.
Ben He-He: „Gemäß der Mühe ist der Lohn.“
Ein nicht in der Bibel erwähnter Zeitgenosse des Jakobus war der Schriftgelehrte Ben He-He, ebenfalls ein Schüler Hillels. Von ihm ist nur der Ausspruch überliefert: „Gemäß der Mühe ist der Lohn.“106 Auch Jonathan ben Uzziel wird Jakobus gekannt haben. Dieser Schriftgelehrte, ebenfalls ein Schüler Hillels, hatte eine Übersetzung der kleinen Propheten vom Hebräischen ins Aramäische angefertigt und trug diese Übersetzungen auswendig vor, wenn die Texte in der Synagoge vorgelesen wurden. Er hatte auch vor, eine Übersetzung der Hagiographien107 anzufertigen, sei aber durch eine himmlische Stimme daran gehindert worden.108
Irgendwann wird Jakobus auch dem Tempelhauptmann Joezer begegnet sein, der ebenfalls ein Schriftgelehrter war und zur Schule Schammais gehörte. Von ihm ist überliefert:
„Ich habe den Rabban109 Gamaliel, den Alten, gefragt, wie er gerade im Osttor des Tempels110 stand und er hat mir geantwortet: Niemals macht Sauerteig vom Hebopfer profanen Teig, in den er gefallen ist, unrein, wenn er nicht genügend ist, die Säuerung zu bewirken.“111
Auch Rabbi Chananja ben Chizqijja ben Garon war damals wohlbekannt. Auf seinem Obersaal standen einmal 18 Fragen zwischen den Ältesten der Schulen Hillels und Schammais zur Diskussion. Die anwesenden Schammaiten, die in der Mehrzahl waren, haben die 18 Fragen gegen die Hilleliten entschieden und Beschlüsse gefasst, die jeglichen Verkehr mit Nichtisraeliten unterbinden sollten.112 Rabbi Chananja wurde auch dadurch berühmt, dass er durch seine Auslegung die scheinbaren Widersprüche zwischen dem Propheten Hesekiel und der Thora beseitigte. Man erzählt, dass man ihm dazu 300 Fass Öl in seinem Obersaal gebracht habe, damit seine Öllämpchen immer genug Nachschub hatten und er so lange studiert hätte, bis er alle beanstandeten Stellen erklärt habe.113
Beide Schriftgelehrtenschulen stimmten aber in den wesentlichen Dingen überein. Durch ihre Verhütungsvorschriften hatten sie das Gesetz wie mit einen Zaun umgeben, um es so vor Übertretung zu schützen. Zum Beispiel fügten sie den zur Ehe verbotenen Verwandtschaftsgraden nach oben und unten noch einen zweiten Grad hinzu.114 Meist deuteten die Hilleliten die Vorschriften erleichternd für die Menschen. In 24 Fällen aber deuteten die Schammaiten die Verhütungsvorschriften im erleichternden Sinn, so dass sie z.B. nicht verlangten, auch vom schwarzen Kümmel den Zehnten zu bezahlen.
Nicht alle Schriftgelehrte waren mit diesen Zäunen um das Gesetz einverstanden
Aber nicht alle Schriftgelehrten waren mit diesen Zäunen um das Gesetz einverstanden. Manche sagten: Jener Tag, an dem die 18 Beschlüsse auf dem Söller des Chananja b. Chizqijja b. Garon gefasst wurden, war für Israel so schlimm, wie der Tag, an welchem das goldene Kalb gemacht wurde. Eliezer, er gehörte zur Schule Schammais und starb um 90 n.Chr., sagte: „An jenem Tage machte man dem Maß einen Haufen.“ Rabbi Jehoschua, ebenfalls um 90 n.Chr. gestorben, Anhänger der Schule Hillels, sagte: „An jenem Tage strich man es ab.“ Rabbi Eliezer sagte zu ihm: „Wenn dem Maß der biblischen Satzungen etwas mangelte und man machte es voll (er meinte durch jene 18 rabbinischen Beschlüsse), so tat man doch recht daran! Gleich einem Fass, das voll von Nüssen ist; soviel Mohn du auch hineintust, es fasst ihn, denn er füllt nur die Lücken zwischen den Nüssen aus, so waren auch jene 18 Bestimmungen eine nützliche Ergänzung der biblischen Satzungen.“ Rabbi Jehoshua sagte zu ihm: „Wenn es voll war und man machte, dass ihm etwas mangelte, das wäre recht? Gleich einem Fass, das voll von Öl ist; soviel Wasser du hineintust, soviel Öl verschüttet es.“ Er meinte, dass auf diese Weise die 18 Bestimmungen die biblischen Satzungen nicht verbessert, sondern verwässert hätten.115
Anhänger der Schriftgelehrten, waren vor allem die Pharisäer, die das Gesetz genau so erfüllen wollten, wie es gelehrt wurde. Damit nahmen sie nicht bloß das biblische Gesetz, die Thora, auf sich sondern auch das ganze traditionelle Gesetz, wie es die Schriftgelehrten im Laufe der Zeit als verbindliche Satzung festgestellt hatten.
Veränderungen in Familie und Umfeld
Kehren wir wieder zu Jakobus zurück. Sicher ist, dass er seit seinem 13. Lebensjahr die vorgeschriebenen Wallfahrtsfeste in Jerusalem besuchte, dass er das Gesetz liebte und seine Vorschriften einhielt. Ob er allerdings als Nasiräer aufgewachsen ist, wie es Hegesipp, ein kirchlicher Schriftsteller des 2. Jh. behauptete, ist nicht sicher.116
Die einzige auffällige Ausnahme in der Familie war Jesus, der unverheiratet blieb
Als Jugendlicher wird er einige Hochzeiten erlebt haben, denn seine Schwestern werden im Zusammenhang mit der Hochzeit zu Kana und dem Umzug der Familie nach Kapernaum nicht mehr erwähnt. Offenbar waren sie schon verheiratet, denn Mädchen heirateten gewöhnlich im Alter von 12-14 Jahren. In Nazareth aber waren sie gut bekannt.117 Auch Jakobus selbst und seine Brüder werden im Alter von etwa 18 Jahren geheiratet haben. Paulus erwähnt später, dass sie ihre Frauen auf den Reisen mitnahmen.118 Die einzige auffällige Ausnahme in der Familie war Jesus, der unverheiratet blieb.
Wann der Vater starb , ist uns nicht bekannt. Das letzte Mal wird er erwähnt, als er mit seiner Frau Maria in Begleitung des zwölfjährigen Jesus nach Jerusalem reiste. Von daher wird der unverheiratete Jesus vielleicht schon als Jugendlicher das Geschäft des Pflegevaters und die Führung der Familie übernommen haben.
Als Jakobus 17 Jahre alt wurde, war in Rom Tiberius Kaiser geworden. Unter seiner Regierung trat ein Mann in den Vordergrund, der im ganzen römischen Reich als glühender Antisemit bekannt wurde: Seianus, der Chef der kaiserlichen Garde. Seianus entsandte sofort einen neuen römischen Prokurator nach Jerusalem, der einen harten Kurs gegenüber den Juden fahren sollte. Die erste Amtshandlung des neuen Statthalters, er hieß Valerius Gratus, war die Absetzung des Hohenpriesters Hannas. Nach Belieben setzte der neue Prokurator nun jedes Jahr einen anderen Hohenpriester ein. Der vierte hieß Josef mit dem Beinamen Kaiphas. Weil der mit Bestechungsgeldern nicht sparte, konnte er seine Stellung 19 Jahre lang behaupten.
Jakobus war damals etwa 20 Jahre alt. Sechs Jahre später wurde Pontius Pilatus fünfter Prokurator für Judäa, Samaria und Idumäa. Zehn Jahre lang würde er dieses Amt ausüben. Er machte den Juden viel Ärger, denn auch er verdankte seine Ernennung dem Seianus. Zum Beispiel ließ Pilatus die Feldzeichen mit dem kaiserlichen Emblem, die seine Vorgänger immer in Cäsarea gelassen hatten, gleich bei seiner ersten Amtshandlung von seinen Soldaten mit nach Jerusalem nehmen. Als daraufhin zahlreiche Juden in Cäsarea protestierten und die Entfernung der Hoheitszeichen forderten, ließ Pilatus sie mit seinen Soldaten umzingeln. Doch sie erklärten sich eher bereit zu sterben als nachzugeben. So blieb Pilatus nichts anderes übrig, als sich dem Starrsinn der Juden zu beugen.
Ein Jahr später erregte ein doppelter Ehebruch im Land großen Anstoß. Herodes Antipas hatte seine Frau, die Tochter von Aretas IV., der in Petra residierte, verstoßen, um Herodias heiraten zu können. Das war aber die Frau seines Halbbruders Philippus (gemeint ist nicht der Vierfürst Philippus) und gleichzeitig seine eigene Nichte.
Im Herbst des selben Jahres begann Johannes der Täufer in der Wüste von Judäa zu predigen und damit überstürzten sich die Ereignisse
Im Herbst des selben Jahres begann Johannes der Täufer in der Wüste von Judäa zu predigen und damit überstürzten sich die Ereignisse. Tausende hörten den Predigten des Johannes zu, der ja mit der Familie Marias verwandt war. Nun ging auch der älteste Sohn der Maria zu ihm und ließ sich taufen. Er war damals wahrscheinlich 33 Jahre alt und immer noch ledig.119
Der große Bruder wird Rabbi
Die Brüder werden den Weg des Ältesten nicht gerade mit Wohlwollen begleitet haben. Der hatte schon im Zusammenhang mit seinem Besuch bei Johannes, dem Täufer, seine ersten Jünger um sich gesammelt. Das bedeutete für die Familie, dass er Rabbi werden wollte, ohne jedoch eine entsprechende Ausbildung zu haben. Um diese Zeit wird er auch das Handwerk seines Vaters aufgegeben und die Brüder allein weiterarbeiten lassen haben.
Zu einem ersten Missverständnis kam es schon auf der Hochzeit zu Kana, als der Wein ausgegangen war. Die Mutter drängte Jesus indirekt, ein Wunder zu tun. „Sie haben keinen Wein mehr“, sagte sie. Doch er wies sie kühl ab. „Frau“, sagte er – er nannte sie nicht einmal Mutter – „was habe ich mit dir zu schaffen?“ (Joh 2,3f.). Das ist eine hebräische Formel, die deutlich Distanz ausdrückt.120
Wir wissen nicht, ob Jakobus den Vorgang mitbekommen hat. Doch es kam kurz danach zu einer ersten Auseinandersetzung mit Jesus, als der beschloss, den Wohnsitz der Familie von Nazareth nach Kapernaum zu verlegen. Als Oberhaupt der Familie nahm er sowohl seine Mutter als auch seine Brüder mit. Dieser Umzug wird von allen Evangelisten erwähnt und ist von großer Bedeutung, denn Kapernaum wurde später der zentrale Ort seines Wirkens, wenn er sich nicht gerade in Jerusalem aufhielt.
„Und er verließ Nazareth und kam und wohnte in Kapernaum, das am See liegt“ (Mt 4, 13).
Matthäus berichtet nur das Ergebnis, die näheren Einzelheiten finden wir bei Johannes.
„Danach ging er hinab nach Kapernaum, er und seine Mutter und seine Brüder und seine Jünger; und dort blieben sie nicht viele Tage“ (Joh 2,12).
Johannes macht deutlich, dass zunächst die ganze Familie nach Kapernaum zog. Seine Bemerkung, dass sie sich nicht viele Tage dort aufhielten, kann sich aber nicht auf Jesus und seine Jünger beziehen, denn Kapernaum wurde seitdem anstelle von Nazareth die Ausgangsbasis für die Reisen unseres Herrn. Auch später kehrte der Herr mit seinen Jüngern immer wieder nach Kapernaum zurück.121 Aber die Familie protestierte. Wahrscheinlich waren seine Brüder von Anfang an gegen seine Tätigkeit als Rabbi gewesen. So kam es in Kapernaum zu einer ersten deutlichen Entzweiung122 Die ganze Familie verließ ihr derzeitiges Oberhaupt und kehrte in den Heimatort zurück. Jakobus als der Zweitälteste wird wohl der Anführer der Opposition gewesen sein.
Etwas später hörte die Familie von skandalösen Ereignissen in Jerusalem, in die Jesus verwickelt war. Kurz vor dem Passahfest hatte er es sich erlaubt, den Tempelvorhof von Geldwechslern, Taubenverkäufern und Viehhändlern zu reinigen. Er hatte sie mit einer Peitsche aus dem Tempel herausgetrieben. Natürlich war es dabei auch zu einem Zusammenstoß mit der jüdischen Tempelaufsicht gekommen. (Joh 2,13-22)
Manches von dem, was sie hörten, machte ihnen Angst und manches verwirrte sie
Auf der Rückreise nach Galiläa hatte er Samaria nicht umgangen, wie es sich für einen rechten Juden ziemte. Ganze zwei Tage hatte er sich in Samaria aufgehalten und sich außerdem mit einer übel beleumdeten Frau abgegeben, die dazu noch zu den Samaritern gehörte, mit denen ein rechter Jude überhaupt nicht verkehrte. (Joh 4,1-43) Dann hörten sie in Nazareth, wie Jesus von Kana aus den Sohn eines Beamten des Herodes, der in Kapernaum krank lag, heilte und wie er dann mit seinen Jüngern durch ganz Galiläa zog. Offenbar wussten sie nicht so richtig, was sie von den Berichten über Jesus halten sollten. Es war für sie Schlimmes und Gutes. Manches von dem, was sie hörten, machte ihnen Angst und manches verwirrte sie.
Anbruch eines neuen Lebens
Viele Menschen glauben, dass man durch Erziehung Christ wird. Die Geschichte des Jakobus und seiner Brüder ist der beste Beleg dafür, dass das nicht stimmt. Erzogen von Maria und Josef, dem Elternpaar, dem auch der Christus geschenkt wurde; aufgewachsen in der Familie, zu der Jesus selbst gehörte; gelebt in der Zeit, in der Jesus seine Werke vollbrachte und seine Reden hielt; dabei gewesen, als er Wunder tat, und trotzdem nicht geglaubt. Dass es in ihrem Leben dennoch zu der entscheidenden Wende kam, haben sie dem Ereignis zu verdanken, ohne das auch unser Glaube heute ein sinnloses und törichtes Experiment wäre: der Auferstehung von Jesus Christus.
Auferstehung des Bruders
Fünfzehn Jahre nach Kreuzigung und Auferstehung unseres Herrn schrieb Paulus einen Brief an die Gemeinde in Korinth. Das ist für uns die älteste schriftliche Bezeugung der Auferstehung von Jesus und gleichzeitig eine der wichtigsten Urkunden über die Entstehung der Urgemeinde.
Das Zeugnis des Paulus
Im 15. Kapitel seines Briefes an die Korinther erinnerte Paulus die Gläubigen zunächst an das Evangelium, das er ihnen gebracht hatte. Er rief ihnen ins Gedächtnis, dass sie dadurch das neue Leben empfangen hatten. Dann fasste er zusammen, worin diese gute Nachricht bestand:
„Christus ist für unsere Sünden gestorben, er wurde begraben und ist am dritten Tag auferweckt worden – so, wie es die heiligen Schriften vorausgesagt haben.“
Anschließend führte er die Zeugen für die Auferstehung auf, wie sie für einen öffentlichen Beweis benötigt wurden. Aus diesem Grund nannte er die zahlreichen Frauen, die Jesus als den Auferstandenen gesehen hatten, hier nicht. Josephus erwähnt, dass das Zeugnis von Frauen und Sklaven damals vor Gericht grundsätzlich keine Gültigkeit hatte.
„Auch soll das Zeugnis der Weiber nicht zulässig sein wegen der ihrem Geschlecht eigenen Leichtfertigkeit und Dreistigkeit. Ferner sollen Sklaven kein Zeugnis ablegen wegen ihrer unedlen Gesinnung; denn es ist wahrscheinlich, dass sie aus Gewinnsucht oder aus Furcht falsch schwören.“123
Paulus nennt drei Einzelpersonen – Kephas, Jakobus und Paulus – und drei Gruppen – die „Zwölf“, mehr als fünfhundert Brüder, alle Apostel – die den Auferstandenen gesehen haben. Das entspricht dem alten biblischen Recht, dass jede Sache auf der übereinstimmenden Aussage von zwei oder drei Zeugen bestehen muss. (5Mo 17,6)
Manche Ausleger haben die Erscheinungen als „Visionen der Gläubigen“ abgetan, die zwar mit den „Augen des Glaubens“, aber nicht wirklich gesehen hätten. Doch Paulus kann erstens auch das Zeugnis zweier Männer anführen, auf die das keinesfalls zutrifft, weil sie vorher nicht glaubten, Paulus und Jakobus.124 Außerdem meint das griechische Wort „er ist gesehen worden“ das Sehen mit den leiblichen Augen.125
Von krankhaften Wahnvorstellungen und Halluzinationen bis hin zu einem unbestimmten mystischen Erlebnis wird sehr vieles in den Text hineingedeutet
Von krankhaften Wahnvorstellungen und Halluzinationen bis hin zu einem unbestimmten mystischen Erlebnis wird sehr vieles in den Text hineingedeutet. Der Text selbst lässt solche Deutungen nicht zu. Er stellt rechtskräftige Aussagen von Zeugen dar, die den Auferstandenen gesehen haben.126 Die Übersetzung „er ist erschienen“ sollte nicht zu anderen Vorstellungen verleiten.
„Er ist Kephas erschienen, dann den Zwölfen. Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten bis jetzt übriggeblieben, einige aber auch entschlafen sind. Danach erschien er Jakobus, dann den Aposteln allen; zuletzt aber von allen, gleichsam der unzeitigen Geburt, erschien er auch mir.“ (1Kor 15,5-8)
Auffällig ist die parallele Struktur: „Kephas … dann den Zwölfen“ und „Jakobus … dann den Aposteln allen.“ Hier werden die beiden ersten Führer der Gemeinde in Jerusalem genannt und in den Kreis der Apostel gestellt.
Kephas ist der Name, den Jesus seinem Jünger Simon gegeben hatte.127 Simon Petrus wird dadurch ausgezeichnet, dass er seinen Herrn nach der Auferstehung als erster der Jünger sehen durfte.
Die Zwölf . Es scheint die offizielle Bezeichnung für die ganze Gruppe zu sein, denn der Verräter Judas war schon tot. (Mt 27,3ff.) Eine Hundertschaft änderte ihren Namen auch nicht, ob sie nun 119 oder nur 86 Soldaten umfasst.128
Fünfhundert Brüder . Dass der Auferstandene von mehr als 500 Brüdern auf einmal gesehen wurde, wird sonst im Neuen Testament nicht berichtet. Es könnte sich aber sehr gut in die Begebenheiten in Galiläa einfügen, wie sie von Matthäus berichtet werden. Paulus erwähnt, dass die meisten von ihnen zum Zeitpunkt der Abfassung des Briefes noch leben. Damit lädt er praktisch zur Nachprüfung ein. Die Auferstehungsbotschaft muss das historische Forschen nicht scheuen; sie erweist sich auch vor dieser Frage als gültig und unbezweifelbar.129
Jakobus . Dass mit dem hier erwähnten Jakobus der Herrenbruder gemeint ist, wird von keinem Ausleger bestritten. Jakobus erhielt die gleiche Auszeichnung wie Petrus. Die judenchristliche Tradition hat diese Erscheinung im sogenannten Hebräerevangelium festgehalten, von dem uns nur Reste erhalten sind. Ein Bruchstück, das durch den lateinischen Kirchenvater Hieronymus auf uns gekommen ist, berichtet, wie der Herr zu Jakobus gekommen und ihm erschienen sei.130 Wir wissen allerdings nicht, welchen Wahrheitsgehalt diese Erzählung besitzt.
Allen Aposteln . Vielleicht meint es die Apostel, einschließlich des Jakobus, der ja nicht von Anfang an dazugehörte. Das würde dann bedeuten, dass er durch den Auferstandenen zum Führer gemacht wurde.131 Es kann auch die Begebenheit der Himmelfahrt meinen, wo eventuell mehr als nur die elf Jünger versammelt waren. Auf jeden Fall meint es alle, niemand fehlte.
Paulus . Er stellt seine Erfahrung auf die gleiche Ebene, wie die der anderen, denn er hat den Herrn ebenso wirklich wie die anderen Zeugen gesehen. Dass er sich dabei als „unzeitige Geburt“ bezeichnet, beweist nur seine tiefe Demut. Der Ausdruck selbst wird verschieden interpretiert.132
Mit seiner Beweisführung hätte Paulus vor jedem weltlichen Gericht bestehen können
Paulus stellt eine beeindruckende Reihe von Zeugen für die Auferstehung vor. Er ist dabei nicht in historischer Reihenfolge vorgegangen, sondern führt die Zeugen so auf, wie es ihm für seine Beweisführung am besten erschien. Damit hätte er vor jedem weltlichen Gericht bestehen können. Kein historisches Ereignis wurde besser bewiesen als die Auferstehung von Jesus Christus133 Es ist durchaus möglich, die zeitliche Reihenfolge der Ereignisse aus den vorhandenen Texten des Neuen Testaments zu rekonstruieren.134
Der Ostersonntag in 16 aufeinanderfolgenden Szenen
Die Geschichte der Gemeinde in Jerusalem begann mit der Auferstehung des Herrn. Wir sollten aber nicht annehmen, dass die verzweifelte Schar seiner Anhänger schlagartig umgewandelt wurde, als die erste Nachricht davon sie erreichte. Die meisten waren so voller Skepsis, dass der Herr viel „Mühe“ aufwenden musste, sie von der Wirklichkeit seiner Auferstehung zu überzeugen.
- Am Sonntagmorgen, als es noch dunkel (Joh 20,1) war, verließ Maria aus Magdala zusammen mit Maria, der Mutter von Jakobus, dem Kleinen, Bethanien, wo sie übernachtet hatten und machten sich auf den Weg zum Grab.
- Unterwegs stieß Salome zu ihnen, mit der zusammen sie schon am Samstagabend wohlriechende Öle gekauft hatten135 die sie als Zeichen ihrer Verehrung zusätzlich über den mit Tüchern eingewickelten Leichnam136 gießen wollten.
- Auf dem Weg zum Grab schlossen sich ihnen noch andere Frauen an, unter denen sich auch Johanna, die Frau des Chuza137 befand. So waren insgesamt mindesten fünf Frauen zum Grab unterwegs. Miteinander überlegten sie, wie sie den Stein vom Grab wegbekommen sollten138 denn sie wussten nicht, dass das Grab inzwischen versiegelt und mit einer Wache gesichert worden war. (Mt 27,62-66) Sie hatten im Gegensatz zu den führenden Priestern und Pharisäern die Sabbatruhe eingehalten.139
-
Vor Entsetzen stürzten die Wächter ohnmächtig zu Boden und flüchteten, sobald sie wieder zu sich gekommen waren, in die Stadt
Plötzlich begann die Erde heftig zu beben. Ein Engel war vom Himmel gekommen und zum Grab getreten. Er wälzte den versiegelten Stein weg und setzte sich darauf. Die Wächter standen Todesängste aus. Vor Entsetzen stürzten sie ohnmächtig zu Boden und flüchteten, sobald sie wieder zu sich gekommen waren, in die Stadt. (Mt 28,2-4.11) Der Engel wurde daraufhin wieder unsichtbar.140
- Als die Frauen am Grab eintrafen, ging gerade die Sonne auf.141 Verblüfft stellten sie fest, dass der große schwere Stein vom Eingang weggerollt war.142) Maria aus Magdala schaute daraufhin nur flüchtig ins Grab und lief zurück in die Stadt, um Petrus und Johannes zu berichten, dass der Leichnam weggenommen worden sei.143
- Die anderen Frauen betraten jetzt die Grabkammer, um nach dem verschwundenen Leichnam zu suchen.144 Da sahen sie auf der rechten Seite einen jungen Mann in weißem Gewand sitzen. Der Engel stand auf und forderte die Frauen auf, sich die Stelle, wo Jesus gelegen hatte, näher anzusehen.145 Als er aufstand, erschien auch der andere stehende Engel. Beide redeten die Frauen an und schickten sie mit der Auferstehungsbotschaft zu den Jüngern. Die Jünger sollten ihren auferstandenen Herrn in Galiläa treffen.146
- Zitternd vor Furcht und Entsetzen verließen die Frauen die Grabkammer und liefen davon. Sie hatten solche Angst, dass sie unterwegs niemand etwas von ihrem Erleben erzählten. Gleichzeitig waren sie auch voller Freude über die Nachricht, dass Jesus auferstanden war.147 So schnell sie konnten, eilten sie in die Stadt zurück und berichteten allen Jüngern, was sie erlebt hatten. Doch die glaubten ihnen nicht.148
- Während die Frauen noch auf dem Weg waren, berichteten einige Soldaten der Wachmannschaft den führenden Priestern, was geschehen war. Die trafen sich sogleich mit den Ältesten zur Beratung und beschlossen, die Wache zu bestechen. (Mt 28,11-15) Johannes glaubte sofort, dass sein Herr wirklich auferstanden war
- Inzwischen waren Petrus und Johannes auf die Botschaft der Maria aus Magdala hin zum Grab gerannt, um sich von dem Gesagten zu überzeugen. Johannes, der als erster an der Grabhöhle war, riskierte zunächst nur einen Blick und sah die Leintücher. Als Petrus auch angekommen war, gingen sie hinein und sahen die Leinenbinden und das Tuch, das man dem Toten um den Kopf gewickelt hatte, extra liegen. Johannes glaubte sofort, dass sein Herr wirklich auferstanden war. Petrus aber konnte das noch nicht und ging nachdenklich wieder nach Hause.149
- Maria aus Magdala, die ihnen langsam gefolgt war, verweilte noch länger an der Grabhöhle und weinte, denn sie glaubte immer noch, dass jemand den Leib ihres Herrn weggenommen hatte. Als sie dann noch einmal ins Grab hinein schaute, sah sie zwei Engel in weißen Gewändern auf der Felsenbank sitzen, wo der Leichnam gelegen hatte. Die fragten sie, warum sie weine. Während sie ihnen Auskunft gab, bemerkt sie hinter sich eine Person und wandte sich kurz nach ihr um, weil sie glaubte, es sei der Gärtner. Erst nachdem Jesus sie mit Namen ansprach, drehte sie sich ganz um und erkannte den Auferstandenen. (Joh 20,10-17) Damit war sie die erste Person, der sich der auferstandene Herr offenbart hatte.150
- Maria ging zu den Jüngern und erzählte ihnen, was Jesus zu ihr gesagt hatte, doch sie glaubten ihr nicht.151
- Am gleichen Tag erschien der Auferstandene auch den anderen Frauen, die am Grab die Engel getroffen hatten. Er wiederholte den Auftrag, den ihnen schon die Engel gegeben hatten, dass die Jünger nach Galiläa kommen sollten.152
- Noch vor dem Abend erschien der Herr auch dem Petrus.153
- Dann erschien der Auferstandene den beiden Jüngern, die gegen Abend nach Emmaus unterwegs waren und erklärte ihnen die messianischen Weissagungen des Alten Testaments. Sie erkannten ihn zunächst nicht, luden ihn aber zu sich nach Hause ein. Als er am Beginn der Abendmahlzeit vor ihren Augen verschwand, brachen sie unverzüglich auf und kehrten wieder nach Jerusalem zurück.154
- Es könnte sein, dass einige der Jünger in Jerusalem inzwischen von der Auferstehung des Herrn überzeugt waren. Als die Emmaus-Jünger nämlich am späten Abend hereinkamen, wurden sie mit den Worten empfangen: „Der Herr ist tatsächlich auferstanden. Er ist dem Simon erschienen.“ Doch einige von den Anwesenden glaubten offenbar auch dann noch nicht, als die beiden aus Emmaus ihre Erlebnisse berichteten.155
-
Er aß vor ihren Augen ein Stück gebratenen Fisch, um ihnen zu beweisen, dass er kein Geist sei
Plötzlich erschien der Auferstandene selbst in ihrer Mitte, obwohl sie die Türen verschlossen hatten und grüßte sie mit „Schalom“. Doch sie waren starr vor Schreck, denn sie meinten, einen Geist zu sehen. Da sagte er zu ihnen: „Wie kommt es, dass solche Zweifel in euren Herzen aufsteigen? Schaut euch meine Hände und meine Füße an: Ich bin es wirklich! Berührt mich und überzeugt euch selbst!“ Dann aß er vor ihren Augen ein Stück gebratenen Fisch, um ihnen zu beweisen, dass er kein Geist sei. (Lk 24,36-43) Er zeigte ihnen seine Hände und seine Seite (Joh 20,20) und schalt sie, weil sie denen nicht hatten glauben wollen, die ihn nach seiner Auferstehung gesehen hatten.156 Da warfen sie sich vor ihm nieder und umfassten seine Füße.157 Der Herr gab ihnen erneut den Auftrag, zusammen mit seinen Brüdern nach Galiläa zu gehen.158
Die Berichte, die wir vom Auferstehungstag besitzen, sind typisch für Darstellungen, die auf Zeugenaussagen zurückgehen, denn jeder Zeuge schildert das Geschehen aus seiner Sicht und gibt das wieder, was ihn am meisten beeindruckt hat. Zum Teil waren die Evangelisten selbst Zeugen. Auf jeden Fall geben sie wieder, was sie „von denen erfahren haben, die von Anfang an als Augenzeugen dabei waren“ (Lk 1,1). Wer sich ein wenig Mühe gibt, wird finden, dass ihre Berichte sich gut ergänzen.
Die Evangelien zeigen keineswegs leichtgläubige Männer und Frauen, die ihrer Sinne nicht mächtig waren oder deren Wünsche sich in Auferstehungsvisionen manifestierten
Weiter fällt auf, dass die Evangelien keineswegs leichtgläubige Männer und Frauen zeigen, die ihrer Sinne nicht mächtig waren oder deren Wünsche sich in Auferstehungsvisionen manifestierten. Nein, sie waren allesamt sehr misstrauisch. Zunächst glaubten die Jünger nicht einmal die Nachricht vom leeren Grab, ganz zu schweigen von den Engelerscheinungen. Sie besaßen offenbar keine hohe Meinung von der Zuverlässigkeit der Frauen. (Lk 24,11) Als die Frauen später mit der Neuigkeit kamen, den auferstandenen Herrn selbst gesehen zu haben, zweifelten sie ernsthaft an deren Glaubwürdigkeit. Selbst als Kleopas mit seinem Sohn Symeon159 spät abends von Emmaus zurück kam, obwohl sie doch gerade erst dorthin aufgebrochen waren und beide von ihrer Begegnung mit dem Auferstandenen berichteten, glaubten einige immer noch nicht. Nicht einmal, als Jesus selbst in ihrer Mitte erschien, glaubten sie sofort. Letztlich waren sie alle ebenso misstrauisch wie Thomas, von dem anschließend berichtet wird. Der Herr hatte viel Mühe damit, sie zu überzeugen. Ja selbst noch Tage später in Galiläa zweifelten einige.
Heute können wir ihnen für diesen hartnäckigen Unglauben nur dankbar sein. Denn ihre natürliche Skepsis, ihre Bereitschaft, eher ihren Sinnen zu misstrauen, als einen auferstandenen Gekreuzigten zu akzeptieren, steigert die Glaubwürdigkeit ihrer Berichte in erheblichem Maß.
Die Engel am Grab hatten den Jüngern über die Frauen ausrichten lassen, sie sollten nach Galiläa gehen. Dort würde der Auferstandene sie treffen. Doch die Jünger hatten das nur als leeres Gerede abgetan. Als der Herr dann den Frauen erschien, gab er ihnen noch einmal den gleichen Auftrag an die Jünger: „Geht und sagt meinen Brüdern, sie sollen nach Galiläa gehen. Dort werden sie mich sehen.“ Schließlich sagte er es ihnen selbst. Erst dann akzeptierten sie den Befehl.
Zwischen Ostern und Himmelfahrt
Sie brachen aber nicht sofort auf, sondern blieben die restlichen fünf Tage des Passahfestes160 selbstverständlich in Jerusalem. Es wäre für einen frommen Juden undenkbar gewesen, dieses Fest zu ignorieren und nach Hause zu gehen. Der auf das Fest folgende Tag war ein Sabbat, an dem man auch nicht reiste. So finden wir die Jünger acht Tage später immer noch in Jerusalem.
Eine Woche,161 nachdem Jesus zu den Jüngern in den verschlossenen Obersaal gekommen war, erschien er ihnen ein zweites Mal. Ihre große Angst vor den Juden war noch nicht geringer geworden. Deshalb hielten sie die Türen weiterhin verschlossen. Und wieder war er plötzlich anwesend, ohne dass sie eine Tür hätten aufmachen müssen. Diesmal war auch Thomas dabei. Als der Herr ihn aufforderte: „Leg deinen Finger auf diese Stelle hier und sieh dir meine Hände an! Reich deine Hand her und leg sie in meine Seite! Und sei nicht mehr ungläubig, sondern glaube!“ fiel Thomas überwältigt vor ihm nieder und sagte: „Mein Herr und mein Gott!“ (Joh 20,24-29) Damit wurde er der erste, der den auferstandenen Jesus als Gott anbetete.
Wenn die Jünger am nächsten Tag, also am Montag, von Jerusalem aufgebrochen waren, müssten sie spätestens am Mittwoch in Galiläa162 angekommen sein. Wahrscheinlich hielten sie sich zunächst in der Nähe des Sees Genezareth auf, denn der Herr hatte ihnen noch nicht gesagt, wo sie ihn treffen sollten. Jedenfalls sagte Petrus am Abend: „Ich gehe fischen.“ „Wir auch!“ sagten sechs andere und verbrachten die Nacht auf dem Wasser. Früh am nächsten Morgen stand Jesus am Ufer, schenkte ihnen durch ein Wunder die Netze voller Fische und lud sie gleich, nachdem sie angelegt hatten, zum Essen ein. Auf einem Kohlenfeuer hatte er schon Fische gebraten und auch Brot bereitgelegt. „Die Jünger hätten ihn am liebsten gefragt: „Wer bist du?“ Aber keiner von ihnen wagte es; sie wussten, dass es der Herr war.“ Auch hier erkennen wir wieder den Faktor der Unsicherheit der Jünger, denn sie wünschten ja von ganzem Herzen, dass er auferstanden sei. Deshalb waren sie so misstrauisch gegen sich selbst.
Das war das dritte Mal, dass Jesus nach seiner Auferstehung einer Gruppe seiner Jünger erschienen war. (Joh 21,1-14) Gleich danach folgte das aufschlussreiche Gespräch mit dem Jünger, der ihn dreimal verleugnet hatte und dessen Zurechtweisung, als er fragte, was aus Johannes werden würde. (Joh 21,15-23)
Wohl erst bei dieser Gelegenheit wird der Herr den sieben Jüngern163 gesagt haben, auf welchem Berg in Galiläa er sich mit den vielen anderen Nachfolgern treffen wollte, denn sonst wären sie bestimmt gleich zu dem Ort gegangen und hätten nicht erst mit Fischen angefangen. Vermutlich ist das von Matthäus berichtete Treffen mit dem Herrn das gleiche, das auch Paulus erwähnt, als er von den mehr als 500 Brüdern schreibt, denen der Herr bei einer Gelegenheit erschien.
Auf einem Berg in Galiläa, den wir nicht näher bestimmen können, begegnete Jesus seinen Jüngern. Alle elf waren vollzählig dabei, dazu auch viele andere.
„Bei seinem Anblick warfen sie sich vor ihm nieder; allerdings hatten einige noch Zweifel“ (Mt 28,17).
„Einige“ muss sich hier nicht auf die elf Jünger beziehen, sondern könnte auch einige von den vielen anderen meinen, die außer den Jüngern noch dabei waren.
Ihr Zweifel war kein Unglaube, sondern eher Unsicherheit und Irritation.
Sie sahen den Herrn wahrscheinlich jetzt das erste Mal als Auferstandenen. Ihr Zweifel war demnach kein Unglaube, sondern eher Unsicherheit und Irritation. Die wurde ihnen aber gleich genommen, als der Herr auf sie zutrat und sagte:
„Mir ist alle Macht im Himmel und auf der Erde gegeben. Darum geht zu allen Völkern und macht die Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und seid gewiss: Ich bin jeden Tag bei Euch bis zum Ende der Welt.“164
Wann Jakobus seinem auferstandenen Bruder begegnete, können wir nicht genau sagen. Auf jeden Fall geschah es erst, nachdem die mehr als 500 Brüder ihn gesehen hatten. (Vgl. 1Kor 15,6f.)
Vielleicht war es noch in diesen Tagen in Galiläa. Doch eines ist sicher: Die Begegnung mit dem Auferstandenen machte aus einem, der meinte, die Herrschaft in der Familie an sich nehmen zu müssen, einen freiwilligen Sklaven von Jesus Christus, wie besonders aus seinem 15 Jahre später geschriebenen Brief deutlich wird.165 Aus der Sorge um den Bruder wurde der Glaube an ihn, aus Empörung wurde Gehorsam.
Ähnlich wird es seinem Bruder Judas gegangen sein, von dem ebenfalls ein Brief an jüdische Christen in Palästina überliefert ist. Auch er war durch die Auferstehung Jesu ein anderer Mensch geworden. Ob er seinem vormaligen Halbbruder, dem auferstandenen Christus, allerdings direkt begegnete, wissen wir nicht. Jedenfalls finden wir nach der Himmelfahrt des Herrn seine leiblichen Brüder zusammen mit Maria und den Jüngern in dem Obersaal wieder, wo sie miteinander beteten.
Nur Paulus berichtet166 von der Erscheinung des Auferstandenen vor seinem Bruder Jakobus. Das beweist aber, dass Jesus nach seiner Auferstehung nicht nur seinen Anhängern begegnete, sondern auch solchen, die gegen ihn standen, wie zum Beispiel auch dem Paulus.167 Doch alle, die ihn nach seiner Auferstehung sahen, kamen zum Glauben an ihn.
„Noch viele Male zeigte sich Jesus nach seinem Leiden und Sterben denen, die er als Apostel ausgewählt hatte, und gab ihnen auf vielfache Weise den Beweis, dass er auferstanden war und lebte. Während vierzig Tagen erschien er ihnen immer wieder und sprach mit ihnen über das Reich Gottes.“ (Apg 1,2b-3 NGÜ)
Diese Zeugen hatten Jesus wirklich als Auferstandenen gesehen, ihn angefasst, mit ihm geredet und sogar mit ihm gegessen
„Der erste Tatbestand in der Geschichte des Christentums ist eine Anzahl von Leuten, die sagen, dass sie die Auferstehung gesehen haben. Wenn sie gestorben wären, ohne jemand anders zum Glauben an dieses „Evangelium“ gebracht zu haben, wären die Evangelien niemals geschrieben worden.“168
Doch diese Zeugen hatten ihren Messias Jesus wirklich als Auferstandenen gesehen, ihn angefasst, mit ihm geredet und sogar mit ihm gegessen.
Es wird uns nicht berichtet, wo diese vielfältigen Begegnungen mit dem Herrn überall stattfanden, offenbar an verschiedenen Orten. Spätestens am Ende der 40 Tage aber finden wir die zentrale Gruppe der Jünger wieder in Jerusalem.
In diesen Tagen nach Ostern bekamen sie nicht nur die Gewissheit über seine Auferstehung, sondern empfingen auch wichtige Unterweisungen über die Bedeutung von seinem Leiden und seinem Triumph über den Tod.169 Er sprach mit ihnen über die Art und Weise seines Messiasseins, er erklärte ihnen das Alte Testament aus der Perspektive der Auferstehung und übertrug ihnen die Verantwortung, in seinem Namen die Völker zur Umkehr aufzurufen, damit sie Vergebung ihrer Sünden empfangen würden. In Jerusalem sollten sie damit beginnen. Und dort sollten sie auch auf die vom Vater verheißene Gabe warten, über die er zu ihnen gesprochen hatte. Er versprach ihnen, dass sie in wenigen Tagen mit dem Heiligen Geist getauft werden würden. (Lk 24,44-49; Apg 1,4-5)
Als die Jünger zum letzten Mal mit Jesus zusammen waren, führte er sie aus Jerusalem hinaus auf den Ölberg. Wahrscheinlich gingen sie durch das goldene Tor170 und stiegen ins Kidrontal hinab. Auf der anderen Seite stießen sie am Garten von Gethsemane auf eine dreifache Weggabelung. Der mittlere Weg geht steil aufwärts, so steil, dass er zum großen Teil mehr eine Treppe als ein Weg gewesen ist, wie es die in den Felsen geschlagenen Stufen noch zeigen. Unterhalb der Kuppel des Ölbergs gabelte sich dieser Weg noch einmal. Der breiteste Weg führte in östliche Richtung weiter nach Bethanien.171 In diese Richtung führte der Herr seine Jünger noch ein Stück bis zu einer Stelle, die einen Sabbatweg, also etwa 1400m, von der Stadt entfernt war172 und von wo aus man die Stadt nicht mehr sah. Deswegen schreibt Lukas in seinem Evangelium:
„Er führte sie bis in die Nähe von Bethanien.“
Noch einmal sicherte der Herr seinen Jüngern die Sendung des Heiligen Geistes zu:
„Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist; und ihr werdet meine Zeugen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde“ (Apg 1,8).
Die Jünger sahen es mit eigenen Augen, bis eine Wolke ihn verhüllte und seine künftige himmlische Herrlichkeit vor ihnen verbarg
Dann erhob er seine Hände, um sie zu segnen.
„Und während er sie segnete, wurde er von ihnen weggenommen und zum Himmel emporgehoben.“ (Lk 24,51 NGÜ)
Die Jünger sahen es mit eigenen Augen, bis eine Wolke ihn verhüllte und seine künftige himmlische Herrlichkeit vor ihnen verbarg. So trat der Herr von der sichtbaren Welt ganz in die unsichtbare über und setzte sich an die rechte Seite Gottes (Mk 16,19). Das war die Voraussetzung dafür, dass sie den Heiligen Geist empfangen konnten. Apg 2,33:
„Nachdem er nun durch die Rechte Gottes erhöht worden ist und die Verheißung des Heiligen Geistes vom Vater empfangen hat, hat er dieses ausgegossen, was ihr seht und hört.“
Während sie noch zum Himmel starrten, nahmen sie auf einmal zwei Männer wahr, die bei ihnen standen und ganz in weiße Gewänder gekleidet waren. „Ihr Männer von Galiläa“, sagen sie, „was steht ihr da und seht zum Himmel hinauf? Dieser selbe Jesus, der aus eurer Mitte in den Himmel hinaufgenommen worden ist, wird wiederkommen. Ihr habt ihn dorthin gehen sehen, und auf dieselbe Weise wird er auch von dort wiederkommen.“ Da warfen sich die Jünger nieder und beteten Jesus an.173
Warten auf die Verheißung
Den 40 Tagen in denen der Herr seinen Jüngern immer wieder bewiesen hatte, dass er wirklich auferstanden war und lebte, schloss sich eine Zeit von zehn Tagen an, in denen sie in Jerusalem auf den versprochenen Heiligen Geist warteten.
Der Obersaal, in dem sich die Nachfolger des Auferstandenen in dieser Zeit immer wieder zum Gebet trafen, befand sich wahrscheinlich auf dem Zion, im Südwesten der Stadt. Es ist anscheinend der gleiche Saal, den der Herr mit seinen Jüngern schon zum letzten Passah benutzt hatte.
Es war ungewöhnlich, dass ein Mann einen Wasserkrug trug, denn Männer trugen gewöhnlich nur Weinschläuche
Damals hatte er Petrus und Johannes beauftragt:
„Geht in die Stadt! Dort werdet ihr einem Mann begegnen, der einen Wasserkrug trägt. Folgt ihm, bis er in ein Haus hineingeht.“
Es war ungewöhnlich, dass ein Mann einen Wasserkrug trug, denn Männer trugen gewöhnlich nur Weinschläuche. Wasserkrüge wurden von Frauen getragen. Von daher war das ein gutes Kennzeichen für die beiden Jünger. Offenbar wollte der Herr den Ort vor Judas geheimhalten, dass er ihn nicht vorzeitig verraten konnte. Sehr wahrscheinlich hatte der Knecht das Wasser aus dem Teich Siloah geholt, in dem sich das frische Wasser von der Gihon-Quelle sammelte. Über den noch heute vorhandenen langen Stufenweg war er dann in die Oberstadt hinaufgestiegen, wobei er einen Höhenunterschied von mehr als 120 m bewältigen musste. Schließlich war er in ein großes ansehnliches Haus eingetreten, das offenbar einer wohlhabenden Familie gehörte. Es befand sich nicht weit vom Palast des Kaiphas entfernt in der Oberstadt, dem Wohnviertel des Adels und der Priesterfamilien Jerusalems.174
Dem Hausherrn sollten die Jünger sagen:
„Der Meister lässt dich fragen: Wo ist der Raum, in dem ich mit meinen Jüngern das Passahmahl feiern kann?“ (Lk 22,11 NGÜ)
Der Hausbesitzer muss den Herrn gekannt haben und nicht nur das: er war offenbar einer aus der großen Schar seiner Jünger, denn sonst hätte er die Worte von Petrus und Johannes kaum verstanden oder er hätte zurückfragen müssen: „Welcher Meister, welche Jünger?“
Der Hausherr zeigte den Jüngern dann einen großen, mit Polstern belegten Obersaal, der schon für das Festmahl hergerichtet war. Größere Gesellschaften trafen sich gewöhnlich in den Obergeschossen der Häuser, weil sich dort die größten Räume befanden. Die Zimmer in den unteren Stockwerken waren kleiner, weil deren Mauern das Gewicht der Decke und des ersten Stocks mit tragen mussten und die Deckenbalken keinen allzu großen Abstand überbrücken konnten. Auf dem flachen Dach hatte man deshalb oft noch einen Raum aus leichterem Material errichtet, dessen Fußboden die Decke von mehreren der unteren Räume bildete und unter Umständen die ganze Grundfläche des Hauses einnehmen konnte.175
Die Schar derer, die sich nach der Himmelfahrt des Herrn in dem großen Obersaal trafen, wird uns nun ausführlicher vorgestellt. Es handelte sich dabei im wesentlichen um die Personen, die kurze Zeit später den Kern der ersten Gemeinde in Jerusalem bildeten. Die Reihenfolge, in der sie aufgezählt werden, ist hier offenbar die Rangfolge ihrer Bedeutung.
Die Führerpersönlichkeiten
Petrus
Da ist zunächst Petrus, der ursprünglich Simon hieß. Jesus nannte ihn nach dem vierten Evangelium „Sohn des Johannes“ (Johannes 1,42; 21,15-17), nach Matthäus 16,17 aber „Simon bar Jona“. Jona heißt im Hebräischen „Taube“. Das legt die Vermutung nahe, dass er wie Simon Zelotes176 früher zu einer jüdischen Terrorgruppe gehört hatte.
Gehörte Petrus früher zu einer jüdischen Terrorgruppe?
Während der ersten jüdischen Revolte gegen die Römer gab es nämlich eine Gruppe Aufständischer, die versuchten, den Tempelplatz in ihre Gewalt zu bekommen. Sie wurden „BARJONIM“ genannt, was man mit „Söhne der Tauben“ übersetzten könnte. Ihr Führer hieß Abba Siquera.177
Petrus stammte aus Bethsaida, einem kleinen Ort am Einfluss des Jordan in den See Genezareth. Nach seiner Heirat war er nach Kapernaum gezogen, wo er ein Haus besaß, in dem er zusammen mit seinen Schwiegereltern und seinem Bruder Andreas lebte. Er war einer der ersten Jünger, die Jesus nachgefolgt waren und der erste, der in ihm den Messias, den Sohn des lebendigen Gottes, erkannte hatte. Auf dieses Bekenntnis hin hatte der Herr zu ihm gesagt:
Glücklich bist du zu preisen, Simon, Sohn des Jona; denn nicht menschliche Klugheit hat dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Deshalb sage ich dir jetzt: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Gemeinde bauen, und das Totenreich mit seiner ganzen Macht wird nicht stärker sein als sie. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf der Erde bindest, das wird im Himmel gebunden sein, und was du auf der Erde löst, das wird im Himmel gelöst sein.“ (Mt 16,17-19 NGÜ)
Die Worte sind nicht einfach zu verstehen. Jesus hatte gesagt:
„Du bist Petrus (griech. petros) und auf diesen Felsen (griech. petra) will ich meine Gemeinde bauen.“
„Petros“ ist die personifizierte männliche Form des Wortes für Stein, oder Fels im Sinn von Felsbrocken. „Petra“ ist die weibliche Wortform für einen größeren Felsen, Felsmassiv. Daraus kann man schließen: Nicht auf Petrus will er die Gemeinde bauen, sondern auf sich selbst. Dafür spricht, dass das Bild vom Felsen im Alten Testament niemals auf einen Menschen übertragen wird, sondern immer auf Gott. Es bleibt aber die Frage, warum der Herr das nicht deutlicher gesagt hat. Andererseits aber hat auch Petrus nie von sich als dem Fels der Gemeinde geredet, im Gegenteil: Immer wies er in diesem Zusammenhang auf Christus hin.178 Die Gemeinde ist auf die Grundlage der Apostel und Propheten gebaut, wobei Jesus Christus der Eckstein ist, auf den sowohl das Fundament als auch der ganze Bau abgestimmt ist.179
Der Herr versicherte Petrus, dass die Gemeinde alle Angriffe des Totenreiches überstehen würde, also auch die Verfolgung und Ermordung von Gläubigen. Dann versprach er, ihm die Schlüssel des Himmelreichs zu geben. Das war ein Zeichen von Vertrauen und Autorität, denn nur ein vertrauenswürdiger Diener durfte die Schlüssel zu den Besitztümern seines Herrn verwahren. Tatsächlich hat Petrus für andere den Zugang zum Himmelreich geöffnet, zuerst für die Juden in seiner Pfingstpredigt und dann auch für die Heiden, als er bei Kornelius war.
Petrus hat für andere den Zugang zum Himmelreich geöffnet, zuerst für die Juden in seiner Pfingstpredigt und dann auch für die Heiden, als er bei Kornelius war
Was aber das Binden und Lösen bedeutet, sind sich die Ausleger uneins.180 Nach dem rabbinischen Sprachgebrauch bedeuten die Worte: etwas für verboten oder für erlaubt erklären. Doch der Zusammenhang deutet auf wesentlich mehr, deshalb meinen viele Ausleger, dass sich die Worte ausschließlich auf die apostolische Zeit beziehen. Auf diese Zeit beziehen sie sich natürlich in jedem Fall:
„Zum Beispiel hat Petrus die Sünden von Ananias und Saphira auf sie gebunden, so dass sie mit sofortigem Tod bestraft wurden, (Apg 5,1-10) während Paulus den in die Gemeindezucht genommenen Mann in Korinth von den Konsequenzen seiner Sünde löste, weil er bereut hatte. (2Kor 2,10) Andererseits könnte der Vers bedeuten, dass alles, was die Apostel auf Erden binden oder lösen, im Himmel schon gebunden oder gelöst worden sein musste.“181
Wie dem auch sei – Petrus war zweifellos der erste Führer der Gemeinde. Auch die Auferstehungsberichte machen das deutlich. Einer der Engel am leeren Grab sagte den Frauen: „Aber geht hin, sagt seinen Jüngern und Petrus …“ Den beiden Jüngern, die abends aus Emmaus zurückkamen, sagten die anderen: „Der Herr ist wirklich auferweckt worden und dem Simon erschienen.“ (Mk 16,7; Lk 24,34) Der Herr selbst hatte danach am See Genezareth noch einmal ausführlich mit ihm gesprochen und ihm die Sorge für seine Herde anvertraut. (Joh 21,15ff.)
Johannes und Jakobus
Johannes war der jüngere der beiden Zebedäussöhne. Ihr Vater betrieb ein Fischereigeschäft in der Nähe von Kapernaum. Ihre Mutter Salome182 wird schon frühzeitig die Hoffnung auf den Messias in das Herz der Kinder gepflanzt haben. Sie gehörte später selbst zu denen, die dem Herrn nachfolgten. Johannes sehnte sich besonders nach dem Reich Gottes. Aus diesem Grund schloss er sich der Erweckungsbewegung um Johannes den Täufer an und wurde sein Jünger. Die Begegnung mit Jesus und das Zeugnis seines Meisters führte zu seiner „Bekehrung“. Er ist der einzige Jünger, der sogar die Stunde seiner Umkehr zu Jesus berichtet.183 Einige Zeit später – er war mit seinem Bruder wieder bei der täglichen Arbeit am See Genezareth – rief der Herr beide direkt in die Nachfolge. Daraufhin verließen sie zusammen mit Petrus, der ihr Geschäftspartner184 war, den Vater Zebedäus und seine Tagelöhner.185
Sie wollten ein samaritanisches Dorf durch ein Wunder vernichten
Als Jünger waren beide von einem verzehrenden Eifer um die Ehre Gottes erfüllt. Bei einer Gelegenheit zeigte sich das besonders krass. In Erinnerung an die Handlungsweise des Propheten Elia wollten sie ein samaritanisches Dorf durch ein Wunder vernichten, weil die Bewohner dem Herrn die Gastfreundschaft verweigert hatten.186 Jesus nannte sie vielleicht wegen ihres Temperaments „Donnersöhne“. Beide meinten anscheinend auch, eine besondere Stellung im Jüngerkreis innezuhaben.
„Und es treten zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sagen zu ihm: Lehrer, wir wollen, dass du uns tust, um was wir dich bitten werden. Er aber sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich euch tun soll? Sie aber sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken sitzen in deiner Herrlichkeit! Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder mit der Taufe getauft werden, mit der ich getauft werde? Sie aber sprachen zu ihm: Wir können es. Jesus aber sprach zu ihnen: Den Kelch, den ich trinke, werdet ihr trinken, und mit der Taufe, mit der ich getauft werde, werdet ihr getauft werden; aber das Sitzen zu meiner Rechten oder Linken zu vergeben, steht nicht bei mir, sondern [ist für die], denen es bereitet ist.“ (Mk 10,35-40)
Auch die Mutter glaubte offenbar an eine besondere Bedeutung ihrer Söhne, denn Matthäus berichtet die Begebenheit, als ob die Mutter gefragt hätte. Wahrscheinlich spielte sie sich so ab, dass die Mutter mit den Söhnen kam und sich alle abwechselnd am Gespräch beteiligten.187
Die Antwort des Herrn macht deutlich, dass er keine Vetternwirtschaft in seinem Kreis duldete. Auch wenn seine Tante Salome, die Schwester seiner Mutter, die ihn und seine Jünger wahrscheinlich sogar finanziell unterstützte, sich noch so sehr für ihre Söhne einsetzte, konnte ihn das nicht dazu bringen, etwas anderes zu tun, als sein Vater im Himmel bestimmt hatte. Schon früher hatte er unmissverständlich erklärt, dass er nicht gewillt war, Verwandtschaft höher zu bewerten als den Gehorsam gegenüber Gott. (Mt 12,47ff.) Es kam ihm darauf an, dass jemand den Willen Gottes tat, egal, ob er mit ihm verwandt war oder nicht.
Trotzdem gehörten Johannes und Jakobus zusammen mit Petrus zu den Jüngern, denen er besonderes Vertrauen schenkte. Nur diese drei Apostel durften bei der Auferweckung der Tochter von Jairus anwesend sein, nur sie nahm er mit auf den Berg der Verklärung und nur sie wollte er in seiner schwersten Stunde in Gethsemane bei sich haben. (Lk 8,51; Mt 17,1; 26,37) Sie waren die, die ihm am nächsten standen und von denen er am meisten Verständnis erwartete.
Sie waren die, die ihm am nächsten standen und von denen er am meisten Verständnis erwartete
Seinen beiden Vettern, die von einer Sonderstellung im Kreis der Jünger träumten, prophezeite der Herr künftiges Leiden, als er von dem Kelch sprach, den sie trinken würden und von der Taufe, mit der sie getauft werden würden. Tatsächlich sollte Jakobus der erste Jünger werden, der hingerichtet wurde, und Johannes würde noch im hohen Alter eine Verbannung auf die Insel Patmos hinnehmen müssen. (Apg 12,2; Offb 1,9.)
Doch jetzt, nach der Himmelfahrt des Herrn, gehörten sie mit Petrus zu den Führern der entstehenden Gemeinde.
Andreas
Seine Eltern am See Genezareth gehörten nicht zu den frommen Juden , die ihren Kindern nur jüdische Namen gaben.
Sein griechischer Name bedeutet „männlich“ und lässt darauf schließen, dass seine Eltern am See Genezareth nicht zu den frommen Juden gehörten, die ihren Kindern nur jüdische Namen gaben.
Er stammte ursprünglich aus Bethsaida, zog aber später zu seinem Bruder Petrus nach Kapernaum, wo sie ein Fischereigeschäft betrieben, bis sie von Jesus in die Nachfolge gerufen wurden. Andreas gehörte wie Johannes zu den Jüngern des Täufers. Er war es auch, der seinen Bruder zuerst zum Herrn führte. (Joh 1,35ff.). Bei einer besonderen Gelegenheit am Ölberg fragte er zusammen mit seinem Bruder Petrus und dem Brüderpaar Jakobus und Johannes den Herrn nach den Zeichen der Vollendung. Die Antwort des Herrn in seiner Endzeitrede ist vor allem eine Warnung vor der hereinbrechenden Verführung.188
Philippus
Auch seine Eltern scheinen keine besonders gesetzestreuen Juden gewesen zu sein, denn sie gaben ihrem Kind den griechischen Namen Philippus („Pferdefreund“). In der zweisprachigen Stadt Bethsaida, aus der auch Petrus und Andreas stammten, lernte Philippus gut griechisch sprechen und war später der erste Ansprechpartner für die griechischen Festpilger, die Jesus sehen wollten. Wahrscheinlich gehörte er auch zu dem Kreis um Johannes den Täufer, denn Jesus „fand“ ihn in der Gegend, in der Johannes wirkte (Joh 1,43f.). Einmal bat Philippus den Herrn, ihnen zu zeigen, wie man den Vater im Himmel erkennen kann:
„Philippus spricht zu ihm: Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns. Jesus spricht zu ihm: So lange Zeit bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Und wie sagst du: Zeige uns den Vater?“ (Joh 14,8)
Er hatte noch nicht begriffen, dass sein Herr und der Vater im Himmel völlig eins sind.
Thomas
Thomas ist ein aramäischer Name und bedeutet „Zwilling“. Die Jünger nannten ihn gewöhnlich „Didymos“, das bedeutet dasselbe in Griechisch. Die Sprache war ihnen so gut vertraut, dass sie einen der ihren mit seinem griechischen Namen anredeten. Wahrscheinlich taten sie das, um ihn von anderen, die auch Thomas hießen, zu unterscheiden. Sein Zwillingsbruder wird im Neuen Testament nicht erwähnt. Thomas wird oft „Zweifler“ genannt, weil er nicht sofort bereit war, den anderen Jüngern zu glauben, dass sie den Auferstandenen gesehen hätten. Doch zweifelte er nicht mehr als die anderen auch.189 Er war ansonsten mutig, treu190 und lernbereit:
„Thomas spricht zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Und wie können wir den Weg wissen? Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich“ (Joh 14,5).
Thomas erfährt ebenso wie Philippus, dass sein Herr alles ist, was er braucht. Nach der Auferstehung war er der erste, der Jesus als „Herrn und Gott“ anbetete.191
Bartholomäus
Von ihm wird in den Evangelien nichts berichtet. Er erscheint aber in allen Jüngerlisten. Weil er dabei mit einer Ausnahme immer zusammen mit Philippus genannt wird, liegt die Vermutung nahe, dass er mit Nathanael, dem Freund von Philippus (Joh 1,45ff.; 21,2), identisch ist, denn Bartholomäus muss kein Eigenname sein. Es bedeutet nur „Sohn von Talmai“. Der Herr sagte von ihm: „Siehe, wahrhaftig ein Israelit, in dem kein Trug ist!“ (Joh 1,47).
Matthäus
Aus den Parallelberichten der Evangelien folgt, dass er offensichtlich mit dem Zöllner Levi identisch ist, der sich in der Nähe von Kapernaum sein unehrliches Brot verdiente und von Jesus in die Nachfolge gerufen wurde. (Mt 9,9ff.)
Jakobus
Von Jakobus, dem Sohn des Alphäus, ist nur bekannt, dass er einer der Zwölf war, der in allen Jüngerlisten erwähnt wird.
Simon
Die Zeloten waren die Terroristen jener Zeit und ihre radikalste Gruppe, die Sikarier, setzten das Volk durch die Ermordung von Römerfreunden in Angst und Schrecken
Simon, der Eiferer, wird von Matthäus und Markus Kananäer (Mt 10,4; Mk 3,18) genannt. Die Bezeichnung steht wahrscheinlich für eine Partei, die später als Zeloten bekannt war, denn Lukas nennt ihn „Eiferer“.
Die Zeloten waren die Terroristen jener Zeit und ihre radikalste Gruppe, die Sikarier, setzten das Volk durch die Ermordung von Römerfreunden in Angst und Schrecken.
Judas
Es handelt sich nicht um den Verräter, auch nicht um einen der Brüder Jesu, sondern um den Sohn eines Jakobus. Er gehörte zu den Zwölf und wurde auch Thaddäus192) (wird er auch Lebbäus genannt) genannt.
Die übrigen Anwesenden
Die elf Jünger waren nicht allein in dem Obersaal. Es ist bemerkenswert, in welcher Reihenfolge Lukas die übrigen Anwesenden aufzählt. Zuerst erwähnt er die anwesenden Frauen und zuletzt die Familie des Herrn.
Einige Frauen
Bei den Frauen werden wir vor allem an einige von denen zu denken haben, die Jesus auch vorher schon gefolgt waren. Lukas berichtet wiederholt von ihnen:
„Und es geschah danach, dass er nacheinander Städte und Dörfer durchzog, indem er predigte und die gute Botschaft vom Reich Gottes verkündigte; und die Zwölf mit ihm und einige Frauen, die von bösen Geistern und Krankheiten geheilt worden waren: Maria, genannt Magdalena, von der sieben Dämonen ausgefahren waren, und Johanna, die Frau des Chuza, des Verwalters Herodes‘, und Susanna und viele andere, die ihnen mit ihrer Habe dienten.“
„Aber alle seine Bekannten standen weitab, auch die Frauen, die ihm von Galiläa nachgefolgt waren, und sahen dies.“
„Es folgten aber die Frauen nach, die mit ihm aus Galiläa gekommen waren, und besahen die Gruft, und wie sein Leib hineingelegt wurde.“
„Es waren aber die Maria Magdalena und Johanna und Maria des Jakobus , und die übrigen mit ihnen.“193
Dazu kämen eventuell einige Frauen der Apostel oder der Brüder des Herrn. Auf jeden Fall ist bezeichnend, dass den Frauen eine ganz andere Rolle zugeteilt wird als in der Synagoge.
Die Mutter Jesu
Unter den Frauen wird nun auch Maria, die Mutter des Herrn, genannt. Es ist bemerkenswert, dass sie hier nicht besonders hervorgehoben wird. Wir sehen sie nicht in einer Ehrenstellung, sondern mit einem schlichten „und“ den anderen zugesellt.194 Gewiss wäre niemand von den Anwesenden auf die Idee gekommen, zu ihr zu beten. Sie wird auch nicht etwa „Mutter Gottes“ genannt, sondern sie ist die „Mutter Jesu“.
Niemand von den Anwesenden wäre auf die Idee gekommen, sie “Mutter Gottes“ zu nennen
Jesus ist der irdische Name unseres Herrn und es ist von daher völlig korrekt, sie als seine Mutter zu bezeichnen. Die „Mutter Gottes“ war sie nie, denn als Gott existierte Jesus Christus schon vor aller Zeit. Es ist lehrmäßig ungenau und absurd, davon zu sprechen, dass Gott eine menschliche Mutter hat.195 Der Begriff „Mutter Gottes“ wurde Maria erst auf dem Konzil in Ephesus im Jahr 431 n.Chr. zugeordnet.
Maria wird hier das letzte Mal im Neuen Testament erwähnt. Sie spielte in der Gemeinde später keine führende Rolle.
Dass die ‚Brüder‘ Jesu erst nach Maria erwähnt werden, ist ein erneutes Argument dafür, dass es sich bei ihnen wirklich um die leiblichen (Halb-) Brüder Es werden wohl alle vier Brüder Jesu im Obersaal gewesen sein, nämlich Jakobus, Josef, Simon und Judas. Zwei von ihnen würden in der Gemeinde später eine große Bedeutung haben, nämlich Jakobus und Judas. Von beiden besitzen wir auch einen Brief im Neuen Testament.
Dass sie hier anwesend waren und mit den Jüngern gemeinsam beteten, setzt voraus, dass sie alle ihre Einstellung zu ihrem Bruder wesentlich geändert hatten. Offenbar war das im Zusammenhang mit der Auferstehung und Himmelfahrt des Herrn geschehen. Schon in den Ostertagen war er ihrem Bruder Jakobus als Auferstandener begegnet. So war Jakobus zum Glauben gekommen. Wahrscheinlich hatte das eine so starke Ausstrahlung auf die Familie gehabt, dass in kurzer Zeit alle zum Glauben an ihren Bruder Jesus kamen, der jetzt vom Himmel aufgenommen worden war. Denn es wird nirgends berichtet, dass der Herr außer Jakobus noch einem anderen Familienglied als Auferstandener begegnete.
Beziehungen untereinander
Ohne Zweifel waren alle Genannten durch den Glauben an Jesus als ihren Herrn und Messias verbunden. Es ist aber bemerkenswert, dass einige der anwesenden Personen auch vorher schon Beziehungen zueinander hatten oder sogar miteinander verwandt waren. Die beiden Tabellen zeigen die uns bekannten Beziehungen auf:
Brüder | Cousins | Freunde |
Petrus und Andreas, Söhne des Johannes | Jakobus, Sohn des Zebedäus mit Jakobus, Josef, Simon und Judas, den Söhnen des Josef | Philippus mit Nathanael (d.h. wahrscheinlich Bartholomäus) |
Jakobus und Johannes, Söhne des Zebedäus | Johannes, Sohn des Zebedäus mit Jakobus, Josef, Simon und Judas, den Söhnen Josefs | |
Jakobus, Josef, Simon und Judas, die Söhne Josefs. |
Beziehungen: über Johannes den Täufer |
Beziehungen: über den Heimatort |
Beziehungen: über die Landschaft Galiläa |
Johannes und Andreas waren seine Jünger, vermutlich auch Philippus | Bethsaida: Petrus, Andreas, Philippus | Petrus, Andreas, Philippus, Jakobus, Johannes, Matthäus, Simon Zelotes |
Kapernaum: Petrus, Andreas, Jakobus, Johannes, Matthäus (Levi) | Jakobus, Josef, Simon und Judas, die Brüder des Herrn | |
Die Frauen und Maria, die Mutter des Herrn |
Außerdem war wenigstens eine Mutter dabei, nämlich Maria, die Mutter Jesu mit ihren Söhnen, die sie von Josef hatte. Vielleicht war auch ihre Schwester unter den ungenannten Frauen. Dennoch bestimmten nicht die verwandtschaftlichen Beziehungen ihre Zusammengehörigkeit, sondern die Berufung durch den Herrn und der Glaube an ihn.
Versammlungen vor Pfingsten
Nach der Himmelfahrt des Herrn waren die Jünger voll Freude vom Ölberg nach Jerusalem zurückgekehrt und hatten sich in den Obersaal begeben, in dem sie sich aufzuhalten pflegten. Der erste Weg in die Stadt führte sie noch nicht ins Rampenlicht der Öffentlichkeit, sondern zunächst ins Gebet.
Schon nach der Himmelfahrt Jesu erfüllte die Jünger so große Freude, dass sie sich in der Öffentlichkeit des Tempelplatzes zeigten.
Doch sie schlossen sich jetzt nicht mehr ein, denn Lukas berichtet:
„Sie waren von da an ständig im Tempel und priesen Gott.“ (Lk 24,53).
Nach der Auferstehung des Herrn waren sie noch unsicher und ängstlich gewesen. Doch nach seiner Himmelfahrt erfüllte sie so große Freude, dass sie die Juden nicht mehr fürchteten und sich in der Öffentlichkeit des Tempelplatzes zeigten.
Jeden Tag waren sie dort unter Hunderten von Menschen, beteten und lobten Gott. Die Gewissheit, einen lebendigen Herrn zu haben, der wirklich der verheißene Messias war, durchglühte ihre Herzen und bewegte ihre Lippen zu Lobgesängen. Dass sie mit eigenen Augen sehen durften, wie er in den Himmel aufgenommen wurde, betrachteten sie wie Elisa, der die Himmelfahrt des Propheten Elia sehen durfte (2Kö 2,9-12), als ein außergewöhnliches Vorrecht und als Bestätigung dafür, dass Gott das Werk seines Sohnes Jesus bestätigt hatte. Freilich waren sie in diesen zehn Tagen noch nicht missionarisch aktiv. Das begann erst, als sie den Geist empfingen.
Wenn sie nicht im Tempel waren, trafen sie sich im Obersaal und „verharrten einmütig im Gebet“. Jetzt gab es keinen Streit mehr unter ihnen, wer wohl der Größte sei. Alle früheren Spannungen und Unsicherheiten waren vergessen. Sie hatten alle dasselbe im Sinn und flehten den Herrn an, seine Verheißung nach der Sendung des Geistes196 wahr zu machen, die er ihnen bei seiner Himmelfahrt gegeben hatte. Bei diesen Gebetsversammlungen waren natürlich auch die Frauen anwesend.
Die Versammlungen spielten sich nicht nur im kleinen Kreis der genannten Personen ab, deren Zahl die 20 kaum überstiegen hatte, sondern es stießen noch mehr von denen, die an Jesus glaubten, zu ihnen und warteten auf die Verheißung. Im ganzen Land werden es aber nicht viel mehr als 500 Personen gewesen sein, die sich zu den Jüngern zählten. Wer von ihnen zu dieser Zeit in Jerusalem anwesend war, wird sich den Aposteln direkt angeschlossen haben, so dass die Zahl der Anwesenden bei den Gebetsversammlungen auf über 100 stieg. Im Tempel hörte man diese Menschen Gott loben, im Obersaal um die Erfüllung der Verheißung bitten.
Die erste Entscheidung
Bei einer dieser Versammlungen, es waren gerade etwa 120 Personen anwesend, führte Petrus eine erste Entscheidung herbei. Durch das Studium des Alten Testamentes war ihm klar geworden, dass ein Ersatz für den Verräter Judas gefunden werden musste.
Die Geschichte mit Judas wird den Jerusalemern reichlich Stoff gegeben haben, den Gekreuzigten und seine Anhänger lächerlich zu machen
Judas hatte sich erhängt (Mt 27,5). Dabei war entweder der Strick gerissen oder der Ast gebrochen. Jedenfalls war er kopfüber von so großer Höhe abgestürzt, dass der Leichnam zerborsten war und die Eingeweide heraushingen.197 Dieses schreckliche Bild war natürlich allen Einwohnern von Jerusalem bekannt und sie nannten den Acker, der von dem Geld dieses Verräters gekauft worden war, fortan „Blutacker“ (Apg 1,18f.). Die Geschichte mit Judas wird ihnen reichlich Stoff gegeben haben, den Gekreuzigten und seine Anhänger lächerlich zu machen. Was war das für ein Messias, der sich solche Leute aussucht und einen, der sich aus der gemeinsamen Kasse selbst zu bedienen pflegte, zum Finanzverwalter macht? Konnte der Messias nicht voraussehen, dass Judas seinen Herrn für Geld verraten würde? Die Apostel hätten nicht hoffen können, dass die Jerusalemer die Geschichte mit Judas und dem Blutacker jemals vergessen würden.198
Für Petrus und die Gläubigen war es deshalb sehr wichtig zu verstehen, dass der Herr sich bei der Auswahl des Judas nicht getäuscht hatte, und Judas auch nicht einfach gescheitert war. Vieles, was der Herr während seines Wirkens auf der Erde getan hatte, war ihnen in mancher Hinsicht unverständlich geblieben. Wie sollten sie denn alles begreifen, was sie gesehen und erlebt hatten? Als der Herr dann in den Himmel aufgefahren war, blieb ihnen nur noch eine Möglichkeit, um nicht einem Irrtum zu verfallen: das Studium des Alten Testaments.
Die Apostel haben das Alte Testament dabei nicht nur als Beleg für den Wahrheitsgehalt ihrer eigenen Predigten verwendet. Es war für sie noch sehr viel wichtiger. Mit Hilfe des Alten Testaments konnten sie überhaupt erst richtig begreifen, wer Jesus war und welche Bedeutung sein Kommen und sein Wirken hatte. Die Schrift erhellte ihnen viele Zusammenhänge, die sie bislang nicht erkannt hatten.199 Dass sie das Alte Testament studierten, war aber nicht nur eine Sicherheitsmaßnahme, damit sie sich in ihrer Beurteilung der Dinge nicht irrten. Der Herr selbst hatte wiederholt auf die Schrift hingewiesen. Selbst seinen Gegnern hatte er deutlich erklärt:
„Ihr erforscht die Schriften, denn ihr meint, in ihnen ewiges Leben zu haben, und sie sind es, die von mir zeugen“ (Joh 5,39).
Und nach seiner Auferstehung hatte er nichts anderes im Sinn:
„Und von Mose und von allen Propheten anfangend, erklärte er ihnen in allen Schriften das, was ihn betraf“ (Lk 24,27).
Petrus hatte verstanden, dass die Geschichte mit Judas kein Unfall war, sondern dass die Dinge so geschehen mussten, weil sie in den Schriften vorausgesagt waren
Petrus hatte verstanden, dass die Geschichte mit Judas kein Unfall war, sondern dass die Dinge so geschehen mussten, weil sie in den Schriften vorausgesagt waren. In den Königspsalmen 69 und 109, die zwar von David sprachen, aber doch auch prophetisch deutlich auf den Messiaskönig hinwiesen, fand Petrus den Beleg dafür, dass mit Judas alles so geschehen musste. Und wenn schon die Schrift diese Dinge vorausgesagt hatte, dann würde man auch jeden Juden darauf hinweisen können. Das Geschehen um Judas würde ihr Zeugnis von Christus also nicht schwächen, sondern stärken.
Bei seinem Schriftstudium fand Petrus den Hinweis, dass Judas ersetzt werden müsste: „Sein Amt empfange ein anderer“ (Ps 109,8). Das war der Grund für seinen Vorschlag, einen weiteren Zeugen der Auferstehung Jesu den elf Aposteln hinzuzufügen. Damit würden sie auch die Zwölfzahl wieder erreichen, denn der Herr selbst hatte ihnen versprochen:
Wahrlich, ich sage euch: Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, auch ihr werdet in der Wiedergeburt, wenn der Sohn des Menschen auf seinem Thron der Herrlichkeit sitzen wird, auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten.200
In der Bibel ist es das letzte Mal, wo der Wille des Herrn auf diese Weise ermittelt wurde
Alle Anwesenden waren sich gewiss, dass der Vorschlag des Petrus richtig war. Deshalb stellten sie zwei Personen mit der gleichen Qualifikation auf und wollten durch Losentscheid den Willen des Herrn erfahren. Solange der Tempel stand, waren Entscheidungen durch das Los an der Tagesordnung. Die anstehenden Dienste wurden zum Beispiel täglich an die einzelnen Priester verlost. 20201 In der Bibel ist es aber das letzte Mal, wo der Wille des Herrn auf diese Weise ermittelt wurde.202 Nach dem Kommen des Heiligen Geistes wird es nie mehr erwähnt. 20203
Die Qualifikation der beiden Kandidaten bestand darin, von der Taufe des Johannes an bis zur Himmelfahrt des Herrn dabei gewesen zu sein, damit sie auch Zeugen der Auferstehung werden konnten, denn die Bedeutung der Auferstehung des Herrn lag zum großen Teil in dem, was er noch vor seiner Kreuzigung gesagt und getan hatte. Die Augen- und Ohrenzeugenschaft war das notwendige Kriterium für das Apostolat. Schon von daher war die Anzahl der Apostel beschränkt. Dazu kam als hinreichendes Kriterium die Auswahl durch den Herrn, an den sie sich auch jetzt im Gebet wandten. Dieses Gebet ist übrigens das erste uns überlieferte Gebet der Gemeinde, das an den auferstandenen Herrn gerichtet ist.
Der Herr entschied durch das Los und Matthias wurde fortan den Zwölfen zugezählt. Diese Entscheidung wird im Neuen Testament an keiner Stelle hinterfragt.
An drei Stellen seines Werkes gibt Lukas einen zusammenfassenden Überblick über das Ergehen der ersten Gläubigen in Jerusalem. (Die sog. Summarien: Apg 2,42-47; 4,32-37; 5,12-16.) Dazwischen schildert er einzelne wesentliche Einzelereignisse, die für den Fortschritt des Evangeliums wichtig waren. Wir sind von daher recht gut über die frühe Entwicklung der Gemeinde informiert.
Die ersten glücklichen Tage
Das erste dieser Summarien beginnt mit einer Aufzählung von vier Elementen des Gemeindelebens, die alle das gleiche Merkmal tragen: Beständigkeit. Beständigkeit ist ein wesentliches Zeichen von Echtheit. Die Gläubigen „blieben beständig“ oder „hielten fest“ oder „verharrten“ in folgenden vier Elementen: „in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten“.
- Die inspirierte Lehre der Apostel, die für uns im Neuen Testament festgehalten ist, wurde zunächst mündlich von den Aposteln weitergegeben. Sie enthielt zweifellos die Wiedergabe der Worte und Taten Jesu und den Bericht von seinem Leiden und seiner Auferstehung, aber nicht nur das: sie erklärte auch, was dieses Geschehen für die Erlösung der Menschen bedeutete. Diese Lehre der Apostel ist bis heute die allein verbindliche Lehre über Jesus Christus.
- Die Gemeinschaft. Der bestimmte Artikel im Griechischen deutet an, dass sich diese Gemeinschaft von anderen Gemeinschaften im Judentum unterschied. Von den Juden selbst zwar wurden die Gläubigen zunächst für eine der vielen akzeptierten Synagogengemeinschaften gehalten. Man nannte sie die „Synagoge der Nazoräer“ und niemand verwehrte ihnen das Recht, sich im Tempel zu versammeln. Doch die neu entstandene christliche Gemeinschaft war keine dieser jüdischen Synagogengruppen. Obwohl die Gläubigen weder mit ihrer Nation noch mit deren Institutionen brachen, stellten sie sich durch die Proklamation von Jesus als dem verheißenen Messias und Herrn aller Menschen abseits von ihren Volksgenossen.
- Das Brotbrechen kann zwar auch eine gewöhnliche Mahlzeit bezeichnen, bezieht sich hier aber offensichtlich auf das Mahl des Herrn, denn sonst hätte die Bemerkung in diesem Zusammenhang keinen Sinn. (Es wäre an dieser Stelle gewiss nicht nötig gewesen zu vermerken, dass die Gläubigen auch jeden Tag etwas aßen. Später allerdings werden solche Liebesmahle extra erwähnt.) Die Gläubigen feierten regelmäßig das Mahl, das der Herr ihnen zu seinem Gedächtnis befohlen hatte.
- Die Gebete. Der von Lukas gebrauchte bestimmte Artikel deutet im Zusammenhang mit dem Plural an, dass die Christen die jüdischen Gebetstraditionen nicht gleich verwarfen, sondern mit neuem Inhalt füllten. Deshalb nahmen die Gläubigen in Jerusalem auch an den täglichen Gebetsgottesdienstes des jüdischen Volkes im Tempel teil, solange es ihnen ermöglicht wurde.204
Gottesfurcht
Unter den Gläubigen war die Gegenwart Gottes fast mit Händen zu greifen. Das merkten auch die Juden, die sie in der Öffentlichkeit des Tempels beobachteten – und sie fürchteten Gott. Die Haltung der Gläubigen war natürlich besonders von Gottesfurcht geprägt. In allem, was sie taten, brachten die Gläubigen ihrem Herrn liebevolle Ehrfurcht entgegen.
Die Gegenwart des allmächtigen Gottes war so intensiv, dass sich Außenstehende nicht leichtfertig mit ihnen zusammentun oder Glauben heucheln konnten, obwohl sie durch die Wunder angezogen wurden. Viele fürchteten sich, weil sie sahen, wie Halbherzigkeit in der Gemeinde ans Licht kam und von Gott gerichtet wurde.
Wirkliche Gottesfurcht, die mehr ist, als ein Lippenbekenntnis wird immer Auswirkungen nach draußen haben.
Und es kam große Furcht über die ganze Gemeinde und über alle, welche dies hörten … von den übrigen aber wagte keiner, sich ihnen anzuschließen, doch das Volk rühmte sie (Apg 5, 11.13). Die Juden merkten offenbar, dass sie etwas anderes als eine neue jüdische Partei vor sich hatten.
Gütergemeinschaft
Ein auffälliges Merkmal der ersten Gemeinde in Jerusalem war die brennende Liebe zu ihrem Herrn Jesus Christus, die sich außergewöhnlich deutlich in der Liebe untereinander äußerte.
„Sie waren ein Herz und eine Seele und auch nicht einer sagte, dass etwas von seiner Habe sein eigen sei, sondern es war ihnen alles gemeinsam“ (Apg 4,32).
Ihre geistliche Einheit zeigte sich in der spontanen Bereitschaft zum Teilen ihrer Habe. Niemand hatte ihnen das befohlen. Es war eine natürliche Reaktion auf das Wunder ihrer Errettung.
Gütergemeinschaft war keine Bedingung für die Mitgliedschaft in der Gemeinde, wie bei den Essenern
Die Gütergemeinschaft war keine Bedingung für die Mitgliedschaft in der Gemeinde, wie es bei den Essenern der Fall war. Niemand wurde gezwungen, seine Habe zu verkaufen, aber alle waren bereit, das, was sie hatten, mit anderen zu teilen. Lukas sagt auch nicht, dass alle ihren ganzen Besitz verkauft hätten. Sonst hätte die in Kapitel 12 erwähnte Mutter von Johannes Markus auch kein Haus mehr besessen, in das sie die Gemeinde hätte aufnehmen können.
Das Recht auf Privateigentum wurde nicht aufgehoben. Es war offenbar so: Einzelne Grundbesitzer verkauften von Zeit zu Zeit,205 je nach Notwendigkeit, Äcker oder Häuser und brachten den Erlös den Aposteln, die ihn dann einzelnen Bedürftigen zuteilten. Zwei Dinge sind hier bemerkenswert:
- Die reicheren Geschwister teilten das Geld nicht selbst an die Armen aus, sondern übertrugen diese Aufgabe den Aposteln. Dadurch wurde keiner der ärmsten Gläubigen beschämt und sie selbst konnten andererseits nicht in die Versuchung geraten, jemand von sich abhängig machen.
- Die Apostel verteilten das Geld nicht nach dem Gießkannenprinzip wie das heute bei staatlichen Organisationen der Fall ist, sondern nach dem jeweiligen Bedürfnis der betreffenden Gläubigen.
Lukas berichtet noch von dem besonderen Fall des aus Zypern stammenden Leviten Josef Barnabas. Er hatte vielleicht niemals in seinem Leben im Tempel gedient. Aber jetzt, als er sein Feld verkaufte und das Geld den Aposteln übergab, erfüllte er den Geist des Gesetzes, das sagte: „Aber dem Stamm Levi gab Mose kein Erbteil. Der Herr, der Gott Israels, er ist ihr Erbteil, wie er ihnen zugesagt hat“ (Jos 13,33).
Die Apostel verteilten das Geld nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern nach dem jeweiligen Bedürfnis der betreffenden Gläubigen
Diese vorbildliche Haltung der Gläubigen in Jerusalem war durchaus nicht einzigartig. Sie hat sich ebenso bei den Geschwistern in Antiochien und Korinth und bei Millionen von Gläubigen in der ganzen Welt gezeigt. Wenn eine Gemeinde dieses Gefühl für die Wirklichkeit der Errettung und die Gemeinschaft der Familie Gottes verliert, verkrüppelt sie zu einer egoistischen, auf materiellen Besitz ausgerichteten Clique.
Göttliche Beglaubigung
Am Pfingsttag hatte Petrus seine Zuhörer daran erinnert, dass Jesus als Gottes Sohn durch Machttaten, Wunder und Zeichen unter den Juden beglaubigt worden war. In der Folgezeit bestätigte Gott die Gesandten seines Sohnes in gleicher Weise. Gerade den Juden sollte unmissverständlich klar gemacht werden, dass Gott selbst hinter der neuen Bewegung stand. Als Petrus den Lahmen an der schönen Pforte im Namen Jesu geheilt hatte und das Erstaunen der Menge bemerkte, betonte er sogleich, dass er das nicht kraft seiner Frömmigkeit bewirkt habe, sondern der Lahme durch den Glauben an den Namen Jesu wieder gehen könne.
Von der Volksmenge aber wurde besonders Petrus als Mensch angesehen, in dem Wunderkräfte wirkten. Das sprach sich schnell bis in die umliegenden Städte herum. Sofort brachten die Leute ihre Kranken nach Jerusalem in der Hoffnung, dass wenigstens der Schatten des Petrus auf einen von ihnen fallen würde. Aber auch die Obersten fragten aufgeregt: „In welcher Kraft oder in welchem Namen habt ihr dies getan?“ (Apg 4,7). Es war die Kraft dieses Jesus, den sie gekreuzigt hatten und der durch den Heiligen Geist unter den Menschen wirkte und die Jünger Jesu als Apostel bestätigte. Petrus versäumte nie darauf hinzuweisen, dass alles, was er tun konnte, im Namen seines Herrn geschah und dass er und seine Mitapostel nur Kanäle für die Kraft Gottes waren, der die , die an Jesus als ihren auferstandenen Messias glaubten, bestätigte. Die gleiche Kraft wurde auch im Zeugnis der Apostel offenbar und machte ihre Predigt wirksam.
Natürlich spülten die auffälligen Wunder auch Neugierige heran, denn die Geheilten und viele andere rühmten die Gläubigen, doch Lukas macht deutlich, dass diese Leute es nicht wagten, sich der Gemeinde anzuschließen. Nur die wurden hinzugetan, die wirklich an den Namen des Herrn Jesus glaubten (Apg 5,13f.).
Wachstum
Im Vergleich zu den anderen jüdischen Gruppen
Waren mehr als 10% der Jerusalemer Einwohner Christen?
Die Gemeinde war so schnell gewachsen, dass sie in kurzer Zeit etwa 5000 Männer zählte. Die Bevölkerung der Stadt Jerusalem zu dieser Zeit wird meistens auf etwa 50.000 Einwohner geschätzt. 20206 Demnach wären mehr als 10% Jerusalemer Christen geworden. Weil Frauen nicht mitgezählt waren, müssen wir von einer noch höheren Anzahl ausgehen. Die Zahl wird gern bestritten, sie ist aber nicht unglaubwürdig, wenn wir auch die anderen Angaben des Lukas akzeptieren. Lukas spricht von 3000 Seelen, die schon zu Pfingsten gerettet wurden und erwähnt, dass in der Folgezeit täglich Menschen hinzugetan wurden.
Noch in einer anderen Hinsicht ist die Zahl von 5000 Männern auffallend, wenn man nämlich bedenkt, dass die Zahl aller Pharisäer in Israel damals etwa 6000 betrug und die der Essener etwa 4000. 20207 Bemerkenswert ist außerdem, dass die Pharisäer in genossenschaftlich geordneten Gemeinschaften (Chaberut) zusammenlebten, in die jemand erst nach erfolgreich durchlaufener Probezeit aufgenommen wurde. Auch die Essener lebten nach besonders strengen Regeln in Gruppen zusammen und praktizierten Gütergemeinschaft.
Die Gemeinde war eine bedeutende Gruppe in Israel geworden, die man nicht mehr ignorieren konnte. Vom Volk wurde sie hoch geachtet.
Die Priester, die dem Glauben gehorsam wurden
Einen weiteren starken Wachstumsschub beschreibt Lukas in Folge der Neuordnung der Dienste innerhalb der Gemeinde:
„Und das Wort Gottes wuchs, und die Zahl der Jünger in Jerusalem mehrte sich sehr; und eine große Menge der Priester wurde dem Glauben gehorsam“ (Apg 6,7).
Was waren das für Priester? Es kommen zunächst zwei Gruppen dafür in Frage, denn in Judäa wurden die Priester hauptsächlich von den Sadduzäern und den Essenern repräsentiert.
Sadduzäische Priester?
Die Sadduzäer stammten aus dem geistlichen und weltlichen Adel Israels. Sie bildeten praktisch die Partei der Reichen. Da viele von ihnen bedeutende politische Ämter bekleideten, hatten sie sich mit den Römern arrangiert. Deshalb versuchten sie auch, der wachsenden Römerfeinschaft im Volk entgegenzutreten und alles zu vermeiden, was auf einen Konflikt mit der Weltmacht hinauslaufen konnte.208 An der Spitze ihrer Gemeinschaft standen die hohenpriesterlichen Familien. Josephus schreibt:
„Ihre Anhänger sind nur wenige, doch gehören sie den besten Ständen an.“209
Und an einer anderen Stelle:
„Während aber die Pharisäer sich eng aneinander anschließen und zum Wohl der Gesamtheit die Eintracht hochhalten, ist das Benehmen der Sadduzäer gegen ihresgleichen weit unfreundlicher, so dass sie mit ihren Gesinnungsgenossen so abstoßend wie mit Fremden verkehren.“210
Religiös gesehen waren sie konservativ eingestellt, d.h. sie hielten sich ausschließlich an die Thora, die fünf Bücher Moses, und wandten sich schroff gegen die mündliche Ausdeutung des Gesetzes, wie das die Pharisäer taten, bei denen die „mündliche Thora“ allerdings fast die gleiche Verbindlichkeit wie das Wort Gottes erlangte. Die Sadduzäer glaubten aber weder an eine Totenauferstehung, noch an Engel oder Geister. Ihren Namen leiteten sie wahrscheinlich von Zadok ab, dem Hohenpriester zur Zeit Salomos.
Sie waren wesentlich für die Verurteilung des Herrn verantwortlich gewesen, denn der Hohe Rat bestand wenigstens zur Hälfte aus Sadduzäern.211 Aber nicht nur die Sadduzäer des Hohen Rates, sondern die ganze Gruppe der Sadduzäer stand der Gemeinde feindlich gegenüber. Sie wurden neidisch als sie das Wachstum der Gemeinde bemerkten und verhafteten die Apostel wiederholt (Apg 4,1; 5,17f.) Sadduzäer waren später auch für den Tod des Herrenbruders Jakobus verantwortlich. Von daher ist es schwer denkbar, dass die erwähnten Priester aus der Gruppe der Sadduzäer stammten.
Essenische Priester?
In Qumran, war vieles genau so geordnet wie im Tempelgottesdienst, denn die Essener verstanden sich als die wahre Priesterschaft Israels
Wahrscheinlicher ist, dass diese Priester aus der Gruppe der Essener kamen. Ein Großteil der Essener waren nämlich Priester, Nachkommen Zadoks. Sie bildeten mit Leviten und Laien zusammen eine endzeitlich orientierte und von der Welt distanzierte Gemeinde. In ihren Gemeinschaftssiedlungen, wie z.B. in Qumran, war vieles genau so geordnet wie im Tempelgottesdienst, denn die Essener verstanden sich als die wahre Priesterschaft Israels. Dem sadduzäischen Tempelpriestertum warfen sie vor, den Tempel zu verunreinigen. Außerdem beanstandeten sie, dass die Hohenpriester für den Tempelgottesdienst einen Festkalender eingeführt hatten, der nicht mehr auf dem biblischen, sondern auf dem babylonisch-persischen Modell aufgebaut war.212 Allerdings besuchten sie trotzdem den Tempel, weil er ja Gottes Wohnung war. Sie weigerten sich aber, zu opfern. In Jerusalem gab es in der Nähe des Versammlungsortes der Christen ein ganzes Stadtviertel, das von Essenern bewohnt war.213 Es könnten also durchaus Essener gewesen sein, die hier „dem Glauben gehorsam“ wurden. Sicher wissen wir es aber nicht, denn es ist noch eine dritte Möglichkeit denkbar.
Arme Landpriester?
Die Priesterschaft a Tempel war ursprünglich nach den Familienoberhäuptern der Enkel Aarons in 24 Ordnungen (1Chr 24; Lk 1,8) eingeteilt. Weil nach der babylonischen Gefangenschaft aber nur vier Ordnungen mit insgesamt 4289 Priestern (Esra 2,36-39) zurückgekommen waren, wurden aus ihnen wieder 24 Ordnungen gebildet, die auch die Namen der ursprünglichen Familien übernahmen.214 Jede Ordnung hatte der Reihe nach für eine Woche den Dienst am Heiligtum zu verrichten. Diese Dienstwoche wiederum wurde unter den Familien, die zu der Ordnung gehörten, aufgeteilt, so dass jeder Priester in der Woche höchstens zweimal aktiv war. Am Sabbat allerdings hatte die ganze Ordnung Dienst.
Ungefähr die Hälfte der Priester wohnte in Jerusalem auf dem Ophel, der Rest war über das ganze Land verstreut. Wenn wir die oben genannte Zahl zugrunde legen, die damals ungefähr ein Sechstel der Priesterschaft ausmachte, dann gab es vor der babylonischen Gefangenschaft etwa 25000 Priester in Israel. Es ist durchaus möglich, dass diese Zahl zur Zeit des Neuen Testaments wieder erreicht war.
An hohen Festtagen waren manchmal mehr als 500 Priester gleichzeitig im Tempel und verrichteten weißgekleidet ihren Dienst
Auf jeden Fall muss es etliche tausend Priester gegeben haben. An hohen Festtagen waren manchmal mehr als 500 gleichzeitig im Tempel und verrichteten weißgekleidet ihren Dienst.
Nach Beendigung des Tempeldienstes gingen die von außerhalb kommenden Priester in ihre Heimatorte zurück und sorgten für ihre Familien. Wenn jemand von ihnen verhindert war, in seiner Dienstwoche nach Jerusalem zu kommen, musste er während dieser Zeit in der heimatlichen Synagoge beten und fasten.
Die Rabbinen unterteilten die Priester in „gelehrte“ und „ungebildete“. Letztere wurden teilweise von den freiwilligen Gaben an die Priester ausgeschlossen, weil sie angeblich aus Unkenntnis des Gesetzes nicht ermessen könnten, ob sie beim Genuss dieser Gaben in einem Zustand der Unreinheit waren und damit eine Todsünde begingen. Viele von diesen einfachen Landpriestern werden arm gewesen sein. Einfluss auf die Leitung des Tempels hatten sie praktisch keinen. Sie taten den Dienst nach Anweisung ihrer Vorgesetzten, die zu der Jerusalemer Priesteraristokratie der Sadduzäer gehörten.
An der Spitze der Tempelhierarchie stand der Hohepriester. Seine rechte Hand war der Hauptmann des Tempels. Er vertrat den Hohenpriester wenn der verhindert war, handelte ansonsten als sein Helfer und hatte die Oberaufsicht über alle Priester. Er hatte grundsätzlich für die Aufrechterhaltung der Ordnung im Tempel zu sorgen. Dabei standen ihm zwei Aufseher zur Seite, deren Hauptaufgabe ansonsten in der Verwaltung des Tempelschatzes bestand. Deshalb werden sie auch Schatzmeister genannt. Diesen wiederum waren sieben weitere Aufseher untergeordnet, die besonders die Aufsicht über die Tore hatten und drei Hilfsschatzmeister die für die heiligen Gerätschaften und Gewänder verantwortlich waren.
Diese 14 Personen bildeten in dieser Rangfolge den Rat des Tempels. Er war für sämtliche Belange des Tempels verantwortlich. Josef von Arimathia war übrigens einer von ihnen.215 Die Häupter der Ordnungen, die jeweils eine Woche lang Dienst hatten, standen noch eine Rangstufe tiefer. Diesen untergeordnet waren die 15 Aufseher über die Dienstzeiten und erst dann kamen die gewöhnlichen Priester.216
Es lässt sich gut denken, dass viele dieser einfachen Priester zum Glauben kamen und sich der Gemeinde anschlossen
Es lässt sich gut denken, dass viele dieser einfachen Priester von der Botschaft des Evangeliums, das ja im Tempel öffentlich verkündigt wurde, und von der deutlichen Gegenwart Gottes in der Gemeinde so beeindruckt waren, dass sie zum Glauben kamen und sich der Gemeinde anschlossen.
Das wiederum könnte die oben erwähnten scharfen Gegenreaktionen von Seiten der führenden Priester gut erklären, die sich natürlich sehr darüber ärgerten, wenn eine große Zahl von Priestern „dem Glauben gehorsam“ wurde.
Späteres Wachstum
Das Wachstum der Gemeinde in Jerusalem hörte nicht auf als die Verfolgung begann und alle bis auf die Apostel zerstreut wurden. 24 Jahre nach dem Beginn der Verfolgung war Paulus wieder in der Stadt und Jakobus hatte große Sorge wegen der „Myriaden der Juden“, die „gläubig geworden“, aber auch „Eiferer für das Gesetz“ waren. (Apg 21,20). Diese Zahl von Jakobus ist gewiss nicht wörtlich gemeint und beschränkt sich keineswegs nur auf die Gläubigen Juden in der Stadt, macht aber deutlich, dass die Verfolgung nur ein Ausstreuen des Samens bewirkte, der überall neues Leben hervorbrachte, auch in der Stadt Jerusalem selbst.
Die Struktur der Gemeinde
Ihre öffentlichen Versammlungen
Bis zum Kommen des Geistes waren die Jünger immer wieder in dem genannten Obersaal in Jerusalem zusammengekommen. Mit dem explosiven Wachstum der Gemeinde nach Pfingsten, wurde der Saal natürlich viel zu klein, um ihre Glieder alle zu fassen. Doch es gab einen Platz, der für ihre öffentlichen Versammlungen wie geschaffen war: der Tempel.
Die Tempelanlage in Jerusalem war zur Zeit des Neuen Testaments bei weitem die größte Anlage dieser Art in der ganzen damaligen Welt. Sie nahm einen Platz ein, der ungefähr 10% des Stadtgebietes entsprach. Die Umfassungsmauern waren mehr als anderthalb Kilometer lang. Ungefähr 200.000 Menschen konnten sich gleichzeitig auf dem Tempelplatz aufhalten.
Einige Male erwähnt Lukas, dass die Gläubigen sich tatsächlich im Vorhof des Tempels versammelten. Er sagt von der Anfangszeit der Gemeinde: „Täglich verharrten sie einmütig im Tempel.“ Das bedeutet gewiss, dass sie einen Teil des Tempelhofs als Versammlungsstätte benutzten. Es kann aber auch meinen, dass sie weiterhin an den Tempelgottesdiensten teilnahmen. Sie standen dabei, wenn das morgendliche und das abendliche Brandopfer dargebracht wurde, beteiligten sich am Gebet und empfingen den Segen des Priesters. Gerade weil sie durch den Glauben an ihren Messias und Herrn Jesus tatsächlich mit Gott Gemeinschaft bekommen hatten, war es ganz natürlich für sie, an den allgemein anerkannten Gottesdiensten teilzunehmen. Der Gedanke, sich von Israel und seinem Tempel zu trennen, war den ersten Gläubigen überhaupt nicht gekommen.217
Dann berichtet Lukas, dass Petrus in der Säulenhalle predigte, die Halle Salomos genannt wurde (Apg 3,11). Die Säulenhalle Salomos zählte zum Vorhof der Heiden und befand sich an der Ostseite des Tempelplatzes, gegenüber dem Ölberg. In dieser Halle hatte auch der Herr einige Monate vorher seine große Hirtenrede gehalten. (Joh 10,22-30)
Die öffentlichen Versammlungen waren vor allem zur Evangelisation geeignet, weil sich ja immer eine Menge Menschen auf dem Tempelplatz befanden. Es war für die Apostel aber auch möglich, dort die Gläubigen über ihren Herrn Jesus Christus zu belehrten, wie Lukas deutlich macht.218 Das wiederum setzt voraus, dass die Gläubigen sich zu bestimmten Zeiten treffen mussten. Die Zeit des Morgen- oder Abendgebets war dafür gut geeignet.
Die Hauskreise
Neben den öffentlichen Versammlungen hatten vor allem die Hauskreise Bedeutung für die Gemeinde in Jerusalem. Von Anfang an trafen sich die Gläubigen täglich nicht nur im Tempel sondern auch in verschiedenen Häusern. Dort aßen sie miteinander und feierten das Mahl des Herrn.219 So waren in vielen Häusern der Stadt Gläubige in jubelnder Freude beieinander. Im Tempel wäre eine Feier des Brotbrechens bei der riesigen Zahl der Gläubigen und dem öffentlichen Charakter der Versammlungen nicht möglich gewesen.
Später erfahren wir, dass die Apostel die jungen Christen, die man damals noch Nazoräer220 nannte, sowohl im Tempel als auch in den Häusern kontinuierlich belehrten. Das setzt voraus, dass sich in bestimmten Häusern bestimmte Gruppen von Gläubigen trafen, denn wir können nicht annehmen, dass die Apostel in einigen tausend Familien Hausbesuche gemacht hätten. Zu ihrer Belehrung durch die Apostel kamen die Gläubigen zwar auch in den Tempel, das Wesentliche wird aber in den Hauskreisen geschehen sein. Dort konnte die Schulung intensiver und beständiger erfolgen. Lukas berichtet: Die Apostel „hörten nicht auf, jeden Tag … in den Häusern zu lehren und Jesus als den Christus zu verkündigen“ (Apg 5,42). Nach dem Verbot durch den Hohen Rat „hörten“ sie damit „nicht auf“. Daraus folgt natürlich, dass sie das schon vorher beständig getan hatten.
Diesmal wurde die Verfolgung durch den König ausgelöst
Einige Jahre nach der Verfolgung und Zerstreuung der Gemeinde, die durch den Tod des Stephanus entstanden war, kam es erneut zu Verhaftungen, Misshandlungen und sogar zu einer Hinrichtung. Diesmal wurde die Verfolgung durch den König ausgelöst. Es war Herodes Agrippa, der Enkel Herodes des Großen. Er hatte von seinem Freund, dem Kaiser Caligula221 ein großes Gebiet in und um Palästina geschenkt bekommen, dazu auch noch den Königstitel. Sein letztes Opfer war Petrus, der aber durch ein wunderbares Eingreifen Gottes aus dem Gefängnis befreit wurde. In diesem Zusammenhang berichtet die Apostelgeschichte drei bemerkenswerte Dinge:
1. Die Gemeinde betete anhaltend für ihn. Wörtlich: „Von der Gemeinde geschah ein anhaltendes Gebet für ihn zu Gott“ (Apg 12,5). Das meint nicht, dass etwa nur ein Teil der Gemeinde für Petrus gebetet hätte, denn „von“ deutet hier nicht auf eine Auswahl, sondern auf den Urheber des Gebets.222 Die ganze Gemeinde wusste um das Anliegen und alle beteten um die Befreiung des Petrus. Aber sie kamen dazu nicht an einem Ort zusammen, sondern trafen sich in verschiedenen Hauskreisen.
Kurz darauf hatten die Gläubigen ihre Gebetserhörung lebendig vor sich stehen
2. Als Petrus nach seiner wunderbaren Befreiung wieder zur Besinnung kam, fand er sich in der Nähe des Hauses „der Maria, der Mutter des Johannes mit dem Beinamen Markus, wo viele versammelt waren und beteten“ (Apg 12,12). Es waren viele zusammengekommen, aber doch nur ein Teil der Gemeinde, denn alle hätten dort keinen Platz gehabt. Das große Haus der Maria besaß nach den Andeutungen des Lukas einen ummauerten Innenhof und war durch ein eigenes Torgebäude zugänglich.223 Weil dieses Pförtnerhaus bei Nacht aber nicht besetzt war, musste eine der Sklavinnen hinausgehen und nach dem nächtlichen Störenfried schauen, der durch sein Klopfen die Gebete unterbrochen hatte. Kurz darauf hatten die Gläubigen ihre Gebetserhörung lebendig vor sich stehen.
3. Noch in der gleichen Nacht verabschiedete sich Petrus von den Christen, die im Elternhaus des Markus versammelt waren und verließ Jerusalem. Doch bevor er ging, gab er den Zurückbleibenden den Auftrag: „Berichtet dies Jakobus und den Brüdern!“ (Apg 12,17). Es ist nicht ganz sicher, welche Brüder er damit meinte,224 höchstwahrscheinlich aber andere verantwortliche Brüder der Gemeinde, oder wie Kapitel 21,18 die Ältesten. Das könnte darauf hindeuten, dass es nicht nur einen weiteren Hauskreis bei Jakobus gegeben hat, sondern noch einige mehr, die von einzelnen dieser Brüder geleitet wurden. In jedem Fall sollten wir davon ausgehen, dass in dieser Nacht nicht nur die Gläubigen im Haus der Maria um die Befreiung des Petrus gebetet hatten, sondern noch einige andere Gruppen. Dass Jakobus und andere Verantwortliche in dieser Nacht nicht für Petrus gebetet hätten, ist sehr unwahrscheinlich. Aber sie hatten sich anderswo versammelt und deshalb ließ Petrus ihnen die Mitteilung von seiner wunderbaren Befreiung zukommen.
Wir wissen nicht, in wie viel Hauskreise die Gemeinde Jerusalem aufgeteilt war, aber dass sie sich in Häusern versammelte, steht fest. Außerdem kennen wir neben dem Tempel zwei ihrer Versammlungsstätten in der Stadt: Da ist einmal der Obersaal, in dem der Herr mit seinen Jüngern das letzte Passa gefeiert hatte. Dieser Saal befand sich in einem Haus, dessen Herr ein Mann war und das offenbar keinen erwähnenswerten Hof hatte. (Vgl. Lk 22,10-12) Die andere Versammlungsstätte ist das oben beschriebene Haus der Mutter von Markus, in dem sich viele versammeln konnten. Es muss aber noch einige mehr gegeben haben. Bestimmt haben auch die gläubigen Hellenisten, auf die wir weiter unten zu sprechen kommen, einen Hauskreis gehabt.
Dass sich die Christen der ersten beiden Jahrhunderte hauptsächlich in Häusern versammelten, ist bekannt. Das Neue Testament spricht öfter davon225 und auch aus der Kirchengeschichte wissen wir um Hausgemeinden.
Praktisch entstanden alle Gemeinden zuerst als Hauskreise, wie es auch heute geschieht
Praktisch entstanden alle Gemeinden zuerst als Hauskreise, wie es auch heute geschieht. Manchmal haben sich Gemeinden fremde Räume gemietet wie die Schule des Tyrannus in Ephesus (Apg 19,9), oder sie haben Synagogen umfunktioniert, wie aus dem Jakobusbrief226 hervorzugehen scheint. Erst seit dem 3. Jahrhundert haben die Christen in größerem Maßstab angefangen, eigene Häuser für ihre Versammlungen zu bauen, die sie dann Kirchen nannten, d.h. Gebäude, die dem Herrn gehören.227
Oft wird vergessen, dass sich in dieser Zeit größere Gemeinden an einem Ort in mehreren Hauskreisen versammelten, ja aufgrund ihrer Größe versammeln mussten. So war es auch in Rom, wo Paulus eine Gemeinde im Haus von Priska und Aquila (Röm 16,3.5) erwähnt. Es gab gleichzeitig eine Gemeinschaft im Zusammenhang mit Asynkritus, Phlegon, Hermes, Patrobas und Hermas (Röm 16,14), sowie eine Gruppe um Philologus und Julia, Nereus und seine Schwester und Olympas (Röm 16,15). Das sind wenigstens drei. Es könnte sein, dass Paulus bei einigen der anderen erwähnten Personen auch an Hauskreise denkt, z.B. bei Aristobul und Narzissus (Röm 16,10.11) und außerdem selbst einen regelmäßigen Hauskreis um sich versammelte (Apg 28,30f). Auch in Kolossä könnte es mehrere Hauskreise gegeben haben, nämlich den im Haus des Philemon (Phm 1,1f) und den im Haus der Nympha.228
Es passt also gut in den Rahmen des Neuen Testaments, und in den Rahmen des damaligen Judentums (wo jede Gruppe ihre eigene Synagoge hatte), wenn wir uns die Gemeinde in Jerusalem nicht als homogene große Gruppe, sondern als eine in mehrere Hauskreise aufgeteilte Gemeinschaft vorstellen. Dort trafen sich die Geschwister in der Anfangszeit täglich zum gemeinsamen Essen, zum Brotbrechen und zur Belehrung durch die Apostel. Gewöhnlich wird das abends, nach der Arbeit stattgefunden haben, wenn man in Israel die Hauptmahlzeit des Tages einzunehmen pflegte. Nur zu besonderen Gelegenheiten wurde die Gesamtgemeinde extra zusammengerufen, wie zum Beispiel bei der Entscheidung über die Versorgung der hellenistischen Witwen.
Apostel
Beim Lesen der ersten Kapitel der Apostelgeschichte entsteht zunächst der Eindruck, dass der Apostel Petrus selbstverständlich und unangefochten der Führer der ersten Christenheit gewesen ist. In einer Hinsicht stimmt das natürlich. Er ergriff die Initiative bei der Wahl des Matthias, er hielt die Pfingstpredigt, er war der Sprecher bei der Heilung des Lahmen und predigte anschließend dem Volk. Er ergriff das Wort als er zusammen mit Johannes vor dem Hohen Rat stand. Er hinterfragte Hananias und seine Frau als sie heuchlerisch einen Teil ihres Geldes spenden wollten und sprach die Worte, die ihnen den Tod brachten. Er war der Sprecher der Apostel nach ihrer erneuten Verhaftung. Er stellte sich später dem Zauberer Simon entgegen, er heilte den Äneas und erweckte die Dorkas vom Tod, er predigte im Haus des Kornelius. Andererseits aber hat Petrus nie eigenmächtig Entscheidungen getroffen.
In allem, was sie taten, stimmten sich die Apostel miteinander ab
In allem, was sie taten, stimmten sich die Apostel miteinander ab. Als Petrus die Pfingstpredigt hielt, standen die anderen elf geschlossen hinter ihm. Als die Leute dann ins Fragen kamen, antworteten alle Apostel. Alle belehrten die Gläubigen und predigten in der Öffentlichkeit. Durch alle Apostel geschahen Wunder und Zeichen. Gemeinsam verwalteten sie die Gelder, die der Gemeinde gespendet wurden und sorgten dafür, dass die Bedürftigen das Nötige bekamen. Manchmal trafen sie sich zu internen Beratungen. Als sie „gehört hatten, dass Samaria das Wort Gottes angenommen habe, sandten sie Petrus und Johannes zu ihnen“ (Apg 8,14). Gerade diese Bemerkung macht deutlich, dass die Apostel die Verantwortung gemeinsam trugen. Nicht Petrus entschied: „Ich muss mit Johannes nach Samaria gehen und dort nach dem Rechten sehen!“, sondern die Apostel delegierten beide dorthin. Die Apostel sorgten gemeinsam dafür, dass die notwendigen Dienste ordnungsgemäß ausgeführt wurden und beauftragten Einzelne mit besonderen Aufgaben.
Bei einer Gelegenheit musste Petrus sich von seinen jüdischen Brüdern, die an Jesus glaubten, schwere Vorwürfe gefallen lassen
Petrus war in den Augen seiner Mitgeschwister keineswegs der große Führer, dessen Wort man bedingungslos befolgte. Bei einer Gelegenheit musste Petrus sich von seinen jüdischen Brüdern sogar schwere Vorwürfe gefallen lassen, weil er bei einem Nichtjuden eingekehrt war. Außerdem ging die Führung der Gemeinde Jerusalem immer mehr auf Jakobus, den Bruder des Herrn, über. Doch Petrus kämpfte nicht um ein Amt. Es ging ihm schon lange nicht mehr um den ersten Platz. Das hatte er von seinem Herrn gelernt. Von ihm wollte er sich führen lassen und ordnete sich gerade darum vorbildlich in die Schar der Apostel ein.
Ihre eigentliche Verantwortung sahen die Apostel im Gebet, in der Weitergabe des Evangeliums und in der Belehrung der Gläubigen. Gelegentlich riefen sie die Gesamtgemeinde zu besonderen Entscheidungen zusammen.
Auch über die erste Verfolgungswelle im Jahr 33 n.Chr. hinaus blieben die Apostel in der Stadt. In den darauffolgenden neun Jahren festigten sie die Gläubigen und verkündigten das Evangelium in Judäa, Galiläa und Samaria. Doch von diesen Einsätzen kehren sie regelmäßig in die Stadt zurück. Erst nachdem die zweite Verfolgungswelle über die Gemeinde hereingebrochen war und den Tod von Jakobus, dem Bruders des Johannes, mit sich gebracht hatte, verließ wenigstens einer von ihnen die Stadt für längere Zeit.
Wann die anderen Apostel sich von Jerusalem trennten, um anderswo in der Welt das Evangelium zu verkündigen, erwähnt Lukas nicht.229 Auch wohin sie gingen, wird nur von einigen gesagt. Eusebius berichtet in seiner Kirchengeschichte über die Wirksamkeit der Apostel:
„Die heiligen Apostel und Jünger unseres Erlösers aber hatten sich über die ganze Erde zerstreut. Nach der Überlieferung hatte Thomas Parthien als Wirkungskreis erhalten, Andreas Scythien, Johannes Asien, wo er nach längerem Aufenthalt in Ephesus starb. Petrus hatte offenbar im Pontus, in Galatien, Bithynien, Kappadozien und Asien den Diasporajuden gepredigt; schließlich kam er auch noch nach Rom und wurde seinem Wunsch entsprechend mit dem Kopf nach unten gekreuzigt.“ (Eusebius 3,1,1-2)
In der alten Kirche wurden einige Legenden über die Zerstreuung der Zwölf in die zur Missionierung verteilten Länder des Erdkreises erzählt. Deren Wahrheitsgehalt ist aber sehr umstritten. Trotzdem kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die Apostel den Auftrag ihres Herrn, der weit über Jerusalem hinaus reichte, ausführten. Erst zur Zeit des so genannten Apostelkonzils finden wir einige von ihnen wieder in der Stadt.
Älteste
Wenn die Apostel Jerusalem für längere Zeit verlassen wollten, mussten sie sicher sein, dass die Gemeinde während ihrer Abwesenheit geistlich versorgt wurde. Dazu hatten sie nach dem Vorbild des Alten Testaments und der Synagoge Älteste eingesetzt. Wie sie diese auswählten und einsetzten, teilt Lukas zwar nicht mit, doch werden wir nicht fehl gehen, wenn wir uns das ähnlich wie die Bestimmung der sieben Brüder vorstellen, die in Jerusalem die Tische bedienen sollten. Es mussten Männer sein, die einen vorbildlichen Lebenswandel führten, einen guten Ruf in der Öffentlichkeit besaßen, sich im Glauben bewährt hatten und so imstande waren, die geistliche und seelsorgerliche Verantwortung für die Gemeinde zu tragen und die Gläubigen im Sinn ihres Herrn zu unterrichten.230 Bis Männer mit solchen Eigenschaften zu erkennen waren, musste freilich einige Zeit vergehen, obwohl andererseits neben den Aposteln natürlich auch bald „führende Männer unter den Brüdern“ (Apg 15,22) in Erscheinung traten, die genauso wie die Sieben das Vertrauen der ganzen Gemeinde besaßen und zu besonderen Diensten ausgesandt werden konnten. Die Einsetzung der Ältesten müssen wir uns so wie die Einsetzung der Sieben vorstellen. Die Apostel haben vor der Gemeinde für sie gebetet und ihnen als Zeichen, dass sie sich mit ihnen und ihrem Dienst eins machten, die Hände aufgelegt.231
In der Apostelgeschichte werden Älteste direkt erst ab Kapitel 11 erwähnt und zwar im Zusammenhang mit einer Hilfssendung, die von den Christen in Antiochien organisiert worden war.
„Sie beschlossen aber, dass … jeder von ihnen zur Hilfeleistung den Brüdern, die in Judäa wohnten, etwas senden sollte; das taten sie auch, indem sie es durch die Hand des Barnabas und Saulus an die Ältesten sandten“ (Apg 11,29f.).
Das muss um das Jahr 46 n.Chr. herum geschehen sein. Natürlich galt die Hilfesendung nicht nur den Geschwistern in Jerusalem, sondern den Christen in ganz Judäa. Überall waren ja Gemeinden entstanden und vermutlich inzwischen auch Älteste eingesetzt worden. Es ist aber gut denkbar, dass die Aktion doch von den Ältesten der Gemeinde Jerusalem koordiniert wurde, denn Lukas erwähnt, dass Barnabas und Saulus nach Vollendung ihres Dienstes von Jerusalem aus zurückkehrten.
Um diese Zeit muss es praktisch in allen Gemeinden, die älter als ein paar Monate waren, Älteste gegeben haben
Um diese Zeit muss es aber praktisch in allen Gemeinden, die älter als ein paar Monate waren, Älteste gegeben haben, denn Jakobus setzte das in dem Brief voraus, den er in dieser Zeit an judenchristliche Gemeinden in aller Welt schrieb: „Ist jemand krank unter euch? Er rufe die Ältesten der Gemeinde zu sich, und sie mögen über ihm beten und ihn mit Öl salben232 im Namen des Herrn“.233 Daraus können wir drei Schlüsse ziehen:
Die hohe Zeit der spektakulären Heilungen durch die Apostel war offenbar vorbei.234 Es mussten nun gewisse Ordnungen eingeführt werden, die das Verhalten der Gläubigen im Krankheitsfall regelten, denn es war abzusehen, dass die Apostel nicht ständig zur Verfügung stehen würden. Älteste aber würde die Gemeinde immer haben. Die Gemeinde Jerusalem war darüber belehrt worden, dass kranke Gläubige die Ältesten an ihr Lager rufen sollten, denn wenn Jakobus diese Praxis auswärtigen Gemeinden empfahl, musste sie auch in seiner Heimatgemeinde üblich gewesen sein. Es ist undenkbar, dass Jakobus etwas empfahl, von dem er nicht wusste, dass sein Herr das so wollte. Wenn kranke Gläubige die Ältesten rufen sollten, setzt das voraus, dass sie genau wussten, wen sie da ansprechen mussten. Diese Brüder mussten ihnen namentlich als Älteste bekannt gewesen sein.235 In jedem anderen Fall hätte Jakobus eine solche Praxis nicht empfehlen können.
Der zweite direkte Hinweis auf Älteste in der Jerusalemer Gemeinde kommt ebenfalls aus Antiochien:
„Und einige kamen von Judäa herab und lehrten die Brüder: Wenn ihr nicht beschnitten worden seid nach der Weise Moses, so könnt ihr nicht errettet werden. Als nun ein Zwiespalt entstand und ein nicht geringer Wortwechsel zwischen ihnen und Paulus und Barnabas, ordneten sie an, dass Paulus und Barnabas und einige andere von ihnen zu den Aposteln und Ältesten nach Jerusalem hinaufgehen sollten wegen dieser Streitfrage.“ (Apg 15,1-2)
Neben den Aposteln hat es längst Älteste in Jerusalem gegeben, die sogar Autorität über die örtliche Gemeinde hinaus besaßen
Darin wird deutlich, dass es neben den Aposteln längst Älteste in Jerusalem gegeben hat, die sogar Autorität über die örtliche Gemeinde hinaus besaßen, denn sie werden neben den Aposteln ausdrücklich als Schlichter im Streitfall der Gemeinde Antiochien angerufen. Es hätte ja genügt, nur die Apostel zu fragen. Die ständige ausdrückliche Erwähnung der Ältesten von Jerusalem in diesem Zusammenhang muss als Hinweis auf ihre Autorität236 verstanden werden. Der Brief mit dem gefundenen Kompromiss ging dann auch im Namen der Ältesten an die Gemeinde in Antiochien und die anderen heidenchristlichen Gemeinden. (Apg 15,1f.4.6.22f; 16,4)
Das letzte Mal erwähnt Lukas die Ältesten von Jerusalem als Paulus acht Jahre später zusammen mit ihm die Stadt besuchte. Sie wurden von Jakobus eingeladen, der dazu auch „alle Ältesten“ gebeten hatte. Als Paulus die Ältesten
„begrüßt hatte, erzählte er eines nach dem anderen, was Gott unter den Nationen durch seinen Dienst getan hatte. Sie aber, als sie es gehört hatten, verherrlichten Gott und sprachen zu ihm: Du siehst, Bruder, wie viele Tausende der Juden es gibt, die gläubig geworden sind, und alle sind Eiferer für das Gesetz. Es ist ihnen aber über dich berichtet worden, dass du alle Juden, die unter den Nationen sind, Abfall von Mose lehrst und sagst, sie sollen weder die Kinder beschneiden noch nach den Gebräuchen wandeln. Was nun? Jedenfalls werden sie hören, dass du gekommen bist. Tu nun dies, was wir dir sagen: Wir haben vier Männer, die ein Gelübde auf sich genommen haben. Diese nimm zu dir und reinige dich mit ihnen und trage die Kosten für sie, damit sie das Haupt scheren lassen! Und alle werden erkennen, dass nichts an dem ist, was ihnen über dich berichtet worden ist, sondern dass du selbst auch zum Gesetz stehst und es befolgst.“ (Apg 21,18-24)
Dieser Rat, den Juden öffentlich zu beweisen, dass er sich an die Vorschriften des Gesetzes hielt, erwies sich für Paulus allerdings als verhängnisvoll. Er wurde von Diasporajuden aus Asien erkannt und geriet in größte Gefahr, von seinen Landsleuten gelyncht zu werden. Er konnte nur mit äußerster Mühe von Soldaten der römischen Garnison gerettet werden.
Propheten
Propheten sind Menschen, die im Auftrag Gottes göttliche Botschaft weitergeben. Man könnte sie auch als „Sprecher Gottes“ bezeichnen
Im Zusammenhang mit der ersten Erwähnung von Ältesten in Jerusalem treffen wir auch auf die Bezeichnung „Propheten“. Propheten sind Menschen, die im Auftrag Gottes göttliche Botschaft weitergeben. Ob sich diese Botschaft auf die Vergangenheit, die Gegenwart oder die Zukunft bezieht, ist dabei zweitrangig. Wichtig ist, dass die Propheten ihre Botschaft wirklich von Gott empfangen hatten. Man könnte sie deshalb auch als „Sprecher Gottes“ bezeichnen. Als solche waren sie der Gemeinde gut bekannt.
Die Propheten bildeten aber keinen eigenen Stand in der Gemeinde, sondern bestimmte Geschwister237 waren von Gott mit dieser Gabe beschenkt und dienten den Gläubigen innerhalb und außerhalb der Gemeinde damit im Rahmen ihrer sonstigen Aufgaben. Drei von ihnen werden namentlich erwähnt: Agabus, der sowohl die Hungersnot im Römischen Reich als auch die Gefangenschaft des Paulus voraussagte, (Apg 11,27f.; 21,10ff) dann Judas und Silas, führende Männer unter den Brüdern, die bei spätere Gelegenheit die Gläubigen in Antiochien sehr ermutigten. (Apg 15,22.30ff) Wahrscheinlich gehörten die meisten von ihnen zu den Ältesten, wie es auch später in Antiochien der Fall war.
„Es waren aber in Antiochia, in der dortigen Gemeinde, Propheten und Lehrer: Barnabas und Simeon, genannt Niger, und Luzius von Kyrene und Manaën, der mit Herodes, dem Vierfürsten, auferzogen worden war, und Saulus“ (Apg 13,1).
Auf jeden Fall zählten sie zu den Personen, auf deren Wort man hörte. Ihr Dienst vollzog sich hauptsächlich in der Gemeinde, war aber nicht ausschließlich auf den Ort beschränkt. (Vgl. Apg 11,27; 15,32; 21,10.)
Die Juden glaubten damals, dass der Geist der Prophetie sich mit dem letzten Schriftpropheten aus Israel zurückgezogen habe. Allerdings würde das kommende messianische Zeitalter den Geist Gottes erneut hervortreten lassen und auch die Prophetie neu beleben. Und genau das war zu Pfingsten in der Gemeinde Wirklichkeit geworden.
Äußere und innere Konflikte
Einer der größten Fehler, die sich mit dem Begriff „Urgemeinde“ verbinden, ist die Vorstellung von einer in jeder Hinsicht vollkommenen Gemeinde. Man denkt, damals wäre die Gemeinde herrlich und makellos gewesen, fast so wie die ersten Menschen vor dem Sündenfall. Doch schon ein kurzer Blick in die Apostelgeschichte belehrt eines Besseren und ein gründlicheres Studium macht unmissverständlich klar, dass erlöste Sünder und in Christus Geheiligte nicht automatisch zu fehlerlos perfekten Menschen werden. Auch in der sogenannten Urgemeinde gab es Heuchelei, Geldgier, Missverständnisse, Streit, Neid, Eigenmächtigkeit. Natürlich waren das nicht die vorherrschenden Elemente, aber sie waren neben herzlicher Gemeinschaft, Liebe, Opfer, Glauben, Hingabe eben auch vorhanden. Die Heilige Schrift vertuscht die Schwächen ihrer „Helden“ nicht, stellt sie freilich auch nicht groß heraus, sondern belässt sie an dem Platz, wo sie hingehören. Gerade das ist eines der Geheimnisse der Schrift, dass sie uns Menschen von Fleisch und Blut vorstellt, die auch als Erlöste noch mit Problemen zu kämpfen haben, aber dennoch mehr als Überwinder werden, die schwach sind, aber dennoch stark in ihrem Herrn.
Dass die Gemeinde Jesu in dieser Welt nicht überall auf ungeteilte Zustimmung stößt, ist von ihrem Grundcharakter her auch nicht zu erwarten. Der Herr hatte das seinen Jüngern wiederholt deutlich gemacht:
„Wenn ihr von der Welt wäret, würde die Welt das Ihre lieben; weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt. Gedenkt des Wortes, das ich euch gesagt habe: Ein Sklave ist nicht größer als sein Herr. Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen.“
Ein wenig später kündigte er ihnen an:
„Sie werden euch aus der Synagoge ausschließen; es kommt sogar die Stunde, dass jeder, der euch tötet, meinen wird, Gott einen Dienst zu tun.“ (Joh 15,19-20; 16,2)
Schon durch ihre bloße Existenz in dieser Welt erregt die Gemeinde Anstoß. So natürlich auch die Gemeinde in Jerusalem.
Ärger und Verdruss
Anfangs wuchs die Gemeinde sehr stark, weil der Herr ihr täglich Menschen zuführte. Die Gläubigen wurden vor allem vom einfachen Volk hoch geachtet und auf eine Stufe mit den Pharisäern und Essenern gestellt. Es konnte aber nicht ausbleiben, dass eine so auffällige Bewegung mit der religiösen Führung in Konflikt geriet.
Im Tempelareal war selbst die Höhe der Treppenstufen so gewählt, dass man gemessenen Schrittes hinaufsteigen konnte
Als Petrus und Johannes eines Nachmittags zum Gebet in den Tempel gingen, kam es zum ersten Zusammenstoß. Auf dem Weg hatten sie einen gelähmten Mann geheilt, der daraufhin sogleich mit in den Tempel kam, dort voller Freude herum hüpfte und Gott lobte. Das fiel natürlich auf, denn im Tempelareal war selbst die Höhe der Treppenstufen so gewählt, dass man gemessenen Schrittes hinaufsteigen konnte. Die Apostel nutzen die so ausgelöste Aufmerksamkeit der Menge und erklärten, dass der Kranke im Namen des auferstandenen Jesus geheilt worden war. Petrus erinnerte ihre Zuhörer dabei deutlich an die Schuld, die sie unwissend auf sich geladen hatten, als sie im Prozess vor dem römischen Gouverneur den Mörder Barabbas anstelle von Jesus wählten und den Sohn Gottes damit zum Tod verurteilten. Beide Apostel ermahnten die Menge, ihr Leben zu ändern und aufrichtig zu Gott umzukehren.
Während sie in dieser Weise zum Volk redeten wurde es Abend und die priesterliche Wachmannschaft kam, um die schweren Tempeltore zu schließen. Durch die Menge verunsichert, machten sie dem Tempelhauptmann Meldung über den Volksauflauf und die Redner in der Nähe des Tores. Der Tempelhauptmann war nach dem Hohenpriester der zweitmächtigste Mann im Tempel und mit allen Vollmachten zur Aufrechterhaltung der Ordnung ausgestattet. Er wurde von einigen Sadduzäern begleitet, die sich sehr darüber aufregten, dass die Apostel in Jesus die Auferstehung aus den Toten verkündigten, an die sie grundsätzlich nicht glauben wollten. Der Hauptmann, der auch zu den Sadduzäern gehörte, ließ die beiden Apostel und den Geheilten238 sofort verhaften und unter verschärften Bedingungen festsetzen.
Am nächsten Morgen wurde der Hohe Rat zusammengerufen, um über die Verhafteten Gericht zu halten. Der Hohe Rat, das Synedrium, war zu jener Zeit der oberste Gerichtshof Israels. Er bestand aus drei Gruppen:
Die Obersten, das meint den amtierenden Hohenpriester und seine Vorgänger, soweit sie noch am Leben waren, und die anderen Angehörigen der hohenpriesterlichen Familie. Die Ältesten, das waren von allen geachtete Männer aus den führenden Familien, die sich genau im Gesetz auskannten, hauptsächliche Laien aber auch Priester. Die Schriftgelehrten, das waren hauptsächlich Pharisäer.
Zum Hohen Rat gehörten 70 Personen und der amtierende Hohepriester. Zur Beschlussfassung genügte allerdings die Anwesenheit von 23 Personen. Er tagte gewöhnlich in der „Halle der Quadersteine“ im Tempel. Die Versammlungen fanden wahrscheinlich zweimal in der Woche statt, aber niemals nachts, am Sabbat, an Festtagen oder den entsprechenden Vorabenden. Die Sitzordnung war ähnlich wie in einem Theater in Halbkreisen angeordnet. Vorn in der Mitte befand sich der Platz des Hohenpriesters. Alle trugen Talare, den jeweiligen Angeklagten aber wurden Trauergewänder angezogen.
Dieses Gremium, vor dem die Apostel sich verantworten sollten, setzte sich aus den reichsten, mächtigsten und gebildetesten Männern Israels zusammen
Dieses Gremium, vor dem die Apostel sich verantworten sollten, setzte sich aus den reichsten, mächtigsten und gebildetesten Männern Israels zusammen. Es war das gleiche Gericht, das ihren Herrn wenige Wochen vorher zum Tod verurteilt hatte. Und seine Mitglieder waren aufgebracht und empört darüber, dass die Apostel das Volk lehrten. Sie ärgerten sich, dass diese ungebildeten Leute mit dem fürchterlichen galiläischen Dialekt in Jesus die Auferstehung aus den Toten verkündigten und hofften, sie einschüchtern zu können.
Doch Petrus antwortet überraschend klar und nicht ohne Ironie sinngemäß: „Stehen wir hier vor Gericht, weil wir einem kranken Menschen geholfen haben?“ Und dann sagte er, in welcher Kraft und in welchem Namen sie den mehr als vierzig Jahre alten Gelähmten, der jetzt neben ihnen stand, geheilt hatten. Die Apostel erlebten hier zum ersten Mal, was Jesus ihnen versprochen hatte:
„Wenn sie euch aber überliefern, so seid nicht besorgt, wie oder was ihr reden sollt; denn es wird euch in jener Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt. Denn nicht ihr seid die Redenden, sondern der Geist eures Vaters, der in euch redet“ (Mt 10,19f.)
Dem Hohen Rat blieb nichts weiter übrig, als den Aposteln unter Strafandrohung zu verbieten, „in diesem Namen zu irgend einem Menschen“ zu reden. Das konnten diese aber nicht hinnehmen. Sie sagen den mächtigsten Männern ihres Volkes ins Gesicht, dass sie es sich doch selbst überlegen könnten, ob es richtiger wäre auf sie oder auf Gott zu hören. Sie könnten nicht von dem schweigen, was sie gesehen und gehört hatten. Der Rat reagierte hilflos mit noch schärferen Strafandrohungen, musste die Angeklagten aber frei lassen. Fortan würde er ein scharfes Auge auf die Vertreter dieser neuen Sekte haben.
Auf freien Fuß gesetzt suchten die beiden Apostel sogleich die „Ihren“ auf. Der Ausdruck meint aber nicht (nur) ihre Angehörigen, sondern ganz offensichtlich die Gläubigen, die in einem Haus239 versammelt waren – wahrscheinlich um für sie zu beten. Ihnen berichteten die Apostel vom Verlauf und dem unerfreulichen Ergebnis der Verhandlung. Die Geschwister reagierten auf das Redeverbot und die Drohung der Regierung aber nicht mit Lagebesprechung und Diskussion, sondern mit einem bemerkenswerten Gebet, das sie in völliger Übereinstimmung an ihren Gott richteten, den „Herrscher“, der „den Himmel und die Erde und das Meer gemacht“ hat „und alles, was in ihnen ist“.
Unter dem gläubigen Beten wird das Redeverbot zum Durchbruch eines neuen, breiten Stroms der Verkündigung
Lukas gibt wahrscheinlich nur den Hauptinhalt davon wieder, aber der ist bemerkenswert. Zunächst fällt die ausführliche Anrede auf. Sie preisen Gott als den souveränen Schöpfer, gegen dessen Macht die Mächtigsten dieser Welt unbedeutend werden. Gott ist aber nicht nur eine stumme Schöpfermacht, er hat geredet. Er tat es im „Heiligen Geist durch den Mund unseres Vaters, deines Knechtes David“. Es fällt auf, wie die Gläubigen in ihrem Gebet die Schrift gebrauchten. Sie zitierten nicht nur Psalm 2, sondern beteten ähnlich wie Hiskia in einer vergleichbaren Lage. (Jes 37,16-20) Konkret baten sie Gott um Freimut in der Verkündigung des Wortes und um göttliche Beglaubigung der Botschaft durch weitere Machttaten. „Und als sie gebetet hatten, bewegte sich die Stätte, wo sie versammelt waren.“ Vielleicht war das eine Art Erdbeben, auf jeden Fall ein sichtbarer Ausdruck der Gegenwart Gottes. „Und sie wurden alle mit dem Heiligen Geist erfüllt und redeten das Wort Gottes mit Freimütigkeit.“ Das war also nicht nur ein Vorrecht der Apostel; alle dort versammelten Gläubigen werden (erneut) mit dem Geist erfüllt. Und alle nehmen am Weitersagen der Botschaft teil. Unter dem gläubigen Beten wird das Redeverbot zum Durchbruch eines neuen, breiten Stroms der Verkündigung.
Lukas gibt uns nur wenig Hinweise darauf, wie wir uns den Ablauf dieses Gemeindegebets vorzustellen haben. Dass die ganze Gruppe im Chor gesprochen habe, ist kaum vorstellbar. Man müsste in diesem Fall annehmen, dass das Gebet vorher für alle aufgeschrieben worden wäre oder dass alle es auswendig gelernt hätten. Das hätte aber in keiner Weise der Situation entsprochen, denn der Text sagt, dass sie, (gleich) als sie die Nachricht hörten, zu Gott beteten. Außerdem hätte dann Lukas den Plural von „Stimme“ verwenden müssen: „Sie erhoben ihre Stimmen“240 und sich auch den Hinweis auf das „einmütige“ Gebet sparen können, denn einstimmig ist immer auch einmütig. Am einfachsten ist es, wenn wir von der Annahme ausgehen, dass mehrere der Anwesenden gebetet haben („sie … sprachen“), alle Gebete aber dasselbe Anliegen bewegten („erhoben einmütig ihre Stimme“) und von allen durch „Amen“ bestätigt wurden. Dabei kann man sich vorstellen, dass einer der Beter Psalm 2 zitierte und gleich auf die Situation anwandte und dass andere an die Situation des Hiskia erinnert wurden und in dem gleichen Sinn beteten, wie dieser.
Lukas zeigt dann in seinem zweiten zusammenfassenden Bericht, wie das Gemeindeleben sich entwickelte und wie das Leben im Heiligen Geist praktisch aussieht. Er nutzt die Gelegenheit, Barnabas vorzustellen, der später eine wichtige Rolle in der Gemeinde und darüber hinaus spielen sollte.
Selbstsucht und Heuchelei
Die nächste Szene aus dem Leben der Gemeinde Jerusalem wird durch die uneigennützige Handlungsweise des Josef Barnabas eingeleitet. Dieser von der Insel Zypern stammende Levit hatte offenbar in seiner Heimat Grund und Boden besessen. Es ist aber auch möglich, dass das Grundstück seiner Frau gehörte, denn ein Levit durfte nach dem Gesetz241 keinen Landbesitz haben. Jedenfalls verkaufte Barnabas sein Grundstück und „legte“ das Geld „zu den Füßen der Apostel nieder“, das heißt, er stellte es dem Fond für die Armen, der von den Aposteln verwaltet wurde, zur Verfügung.
Die anschließende Begebenheit macht einerseits deutlich, dass die Urgemeinde keinesfalls idealisiert wird, andererseits aber lässt sie ein kleines Stück Gemeindealltag sichtbar werden.
Der Gemeindealltag
Es hat den Anschein, als ob wenigstens in einem der Häuser,242 in denen die Gläubigen sich versammelten, den ganzen Tag über Geschwister anwesend waren. Manche von ihnen waren vielleicht nur eine Zeit dabei, gingen dann wieder nach Hause, wenn sie andere Dinge zu erledigen hatten. Andere kamen später, wie die Frau des Ananias, die mindestens243 drei Stunden nach der ersten Begebenheit eintraf und immer noch viele vorfand. Es werden junge Männer erwähnt, die sofort praktisch tätig werden konnten, als es erforderlich war, und die Apostel, die das Evangelium erklärten und die Gläubigen belehrten. Man konnte sie fragen und miteinander beten. Gewiss wurden auch Psalmen gesungen und neue Lieder gemeinsam gelernt. Keiner behauptete, von den anderen vernachlässigt zu werden. Sie alle waren ein Herz und eine Seele (Apg 4,32).
In diesem Zusammenhang gebraucht Lukas das erste Mal den Begriff „Gemeinde“ (ekklesia). Das Wort müssen wir hier im israelitischen Raum vom Alten Testament her hören. „Ekklesia“ ist „Kahal Jahwe“, das versammelte Volk Gottes. Der Gemeinde wird damals immer mehr bewusst, innerhalb des ablehnenden Israel das eigentliche Volk Gottes zu sein.244
Der Schock
Im frommen Kreis gibt das fromme Verhalten Ansehen und Ehre
Im Gegensatz zu dem vorbildlichen Verhalten des Barnabas wird anschließend die Handlungsweise von Ananias und Saphira geschildert. Das Ehepaar, das sich zu seinem Tun verabredet hatte, wollte als aufopfernde Spender vor den Aposteln und der Gemeinde dastehen, denn im frommen Kreis gibt das fromme Verhalten Ansehen und Ehre.245 Indem sie es öffentlich den „Aposteln zu Füßen legten“, dokumentierten sie, dass sie wie die anderen den ganzen Kaufpreis opfern wollten. Dennoch wollten sie nicht wirklich alles hingeben. Selbstverständlich hätten beide den Erlös aus dem Verkauf ihres Ackers ganz oder teilweise behalten dürfen, niemand hätte sie deshalb gerügt. Aber so machten sie sich praktisch der Unterschlagung schuldig. Sie „beraubten Gott“, wie es Maleachi sagt. (Mal 3,8)
Als Ananias den verabredeten Betrag in die Versammlung brachte, erfuhr er, was bedeutet, dass kein Geschöpf vor Gott unsichtbar ist, „sondern alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben“ (Hebr 4,13). Als Petrus ihn fragte, warum er Gott246 versuchen und belügen würde, begriff er, dass der Apostel auf übernatürliche Weise Einblick in sein Herz bekommen hatte und erschrak so tief, dass er wie vom Blitz getroffen zu Boden stürzte. Die anwesenden Gläubigen konnten nur noch seinen Tod feststellen und fassungslos als Gericht Gottes zur Kenntnis nehmen. Die Strafe für Ananias fiel so schwer aus, weil er ähnlich gehandelt hatte wie einst Achan247 bei der Eroberung des Landes Kanaan und ebenfalls als abschreckendes Beispiel dienen sollte. Gott wollte an ihm ein Exempel statuieren, um die Wirklichkeit der Gegenwart des Heiligen Geistes in der Gemeinde zu verdeutlichen. Die frühe Christenheit erlebte einige Male, wie solch ein Gericht Gottes unmittelbar auf sündige Taten folgte. (1Kor 5,1-11; 11,27-32)
Die ganze Gemeinde war über das offensichtliche Eingreifen Gottes so erschüttert dass sie für ein sofortiges Begräbnis sorgte, wie es einem von Gott gerichteten Sünder zukam. Ohne irgendwelche Zeremonien oder Trauerkundgebungen wurde der Leichnam des Ananias aus der Stadt gebracht und bestattet. Nicht einmal der Ehefrau wurde Bescheid gegeben.
Als diese dann nichtsahnend in die Versammlung kam, wagte niemand, sie über ihr Witwenlos aufzuklären. Statt dessen wurde sie von Petrus gefragt, ob sie wirklich die Summe, die durch Ananias überbracht worden war, für ihr Grundstück erhalten hatten. Die Frau bekam damit die Chance zur Umkehr, die sie aber nicht nutzte. Sie konnte ihren Mann unter den Anwesenden nicht entdecken und blieb bei der verabredeten Lüge.
„Petrus aber sprach zu ihr: Warum seid ihr übereingekommen, den Geist des Herrn zu versuchen? Siehe, die Füße derer, die deinen Mann begraben haben, sind an der Tür, und sie werden dich hinaus tragen … Und es kam große Furcht über die ganze Gemeinde und über alle, welche dies hörten“ (Apg 5,9.11)
Sie verstanden, dass es gefährlich ist auszuprobieren, wie lange Gott sich ausnutzen und herausfordern lässt, oder wie weit man ungestraft gehen kann.
Das Ergebnis dieses Geschehens veranlasste Lukas, einen weiteren zusammenfassenden Bericht über die Wirkungen, die von der Gemeinde ausgingen, einzufügen. Anschließend richtet sich sein Blick wieder auf die Reaktion der Obrigkeit.
Neid und Eifer
Gott sorgte rasch dafür, dass die Gemeinde nicht führerlos blieb
Über der Pause nach dem ersten Zusammenstoß mit dem Hohen Rat lag immer noch die Drohung des Redeverbots. Es war nicht zu erwarten, dass die führenden Priester sich mit der dauernden Übertretung ihrer Befehle abfanden.
Deshalb verhafteten sie auf einen Schlag alle zwölf Apostel und ließen sie in das öffentliche Gefängnis schaffen. Von religiösem Eifer248 erfüllt, ergriff der Hohepriester zusammen mit der sadduzäischen Tempelaristokratie die Initiative und versuchte, die Köpfe der neuen Bewegung in seine Gewalt zu bringen. Jetzt hätte er die früheren Drohungen249 wahr machen können, doch Gott sorgte rasch dafür, dass die Gemeinde nicht führerlos blieb.
Fortsetzung folgt …
Über die verwandtschaftlichen Beziehungen siehe später im Kapitel. ↩
Als die Römer in den Jahren 69/70 vor Jerusalem lagen, mussten sie für ihre Angriffsmaschinen Holz aus dem fernen Libanon heran transportieren. Zohary [69] 56; Thiede [60] 40; Großes Bibellexikon [13] II 723 Wir dürfen uns nicht von bestimmten Gemälden irre führen lassen, die Josef in einer Tischlerwerkstatt zeigen. Die Bezeichnung „Zimmermann“ entstand erst im Mittelalter, als Häuser aus Holzfachwerk gebaut wurden. Das griechische Wort, das Mk 6,3 und Mt 13,55 als Berufsbezeichnung benutzt wird, lautet teknon d.h. Bauhandwerker oder Baumeister. Der Begriff ist bis heute in Architekt erhalten geblieben. ↩
Mt 1,19: „Josef aber, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht öffentlich bloßstellen wollte, gedachte sie heimlich zu entlassen.“ ↩
Mt 1,18: „Als nämlich Maria, seine Mutter, dem Josef verlobt war, wurde sie, ehe sie zusammengekommen waren, schwanger erfunden von dem Heiligen Geist.“ ↩
Apg 5,37: „Nach diesem stand Judas der Galiläer auf, in den Tagen der Einschreibung, und machte Volk abtrünnig hinter sich; auch der kam um, und alle, die ihm Gehör gaben, wurden zerstreut.“ ↩
Josephus [27]18,1,1. Vgl. auch [26]2,8,1 ↩
Mt 2,11: „Und als sie in das Haus gekommen waren, sahen sie das Kind mit Maria, seiner Mutter…“ ↩
Mt 2,3: „Als aber der König Herodes es hörte, wurde er bestürzt und ganz Jerusalem mit ihm.“ ↩
Studium Integrale Journal 4. Jg. Heft 2 vom Oktober 1997 S. 93. ↩
Tenney [58] 52f. ↩
Die Idumäer waren Nachkommen der alttestamentlichen Edomiter, die von Esau abstammten (1Mo 36,1-19). 128 v.Chr. hatte Johannes Hyrkanus, ein Nachkomme der aufständischen Makkabäer, sie besiegt und durch die Beschneidung zum Übertritt zum Judentum gezwungen. ↩
Josephus [27] 19,7,3. ↩
Er lebte von 37 bis 100 n.Chr. ↩
Josephus [27] 17. Buch, Kapitel 8,1. ↩
Mt 2,8: „Und er sandte sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht genau nach dem Kind! Wenn ihr es aber gefunden habt, so berichtet es mir, damit auch ich komme und ihm huldige.“ ↩
Das liegt weit am Oberlauf des Nil, ca. 1000 km südlich vom Mittelmeer. ↩
Das ist im Gebiet von dem Land Goschen, das Israel während der ägyptischen Gefangenschaft bewohnte. ↩
Kroll [30] 68. ↩
Mt 2,19-20: „Als aber Herodes gestorben war, siehe, da erscheint ein Engel des Herrn dem Josef in Ägypten im Traum und spricht: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter zu dir und zieh in das Land Israel! Denn sie sind gestorben, die dem Kind nach dem Leben trachteten.“ ↩
Wander [64] 67f. ↩
Wander [64] 69. ↩
[27] XVII,10,8. ↩
Dass Antipas in den Schriften des NT trotzdem König genannt wird (Mt 14,9; Mk 6,14.22ff.) hängt mit dem damaligen Sprachgebrauch zusammen und ist nur ein Synonym für Herrscher. Erst spätere Herodianer, wie Agrippa I. (Apg 12,1) durften den Königstitel wieder tragen. ↩
Kroll [30] 75. ↩
Ein Talent betrug 6000 Drachmen oder Denare. Die genaue Bestimmung für den Wert einer Drachme ist nicht möglich, weil die Kaufkraft der Münze uns nicht bekannt ist. Der Verdienst eines Tagelöhners betrug allerdings eine Drachme. Zur Umrechnung könnte man vom 20fachen Jahreseinkommen eines Arbeiters ausgehen. Vielleicht ist die Annäherung: 1 Talent = 1Million DM brauchbar. ↩
Griechisch „Tetrarch“, das war ursprünglich Titel eines Fürsten, der über den vierten Teil eines Reiches regierte, später wurde der Begriff überhaupt für Fürsten geringerer Bedeutung verwendet. In Lk 3,1 wird noch ein dritter Tetrarch namens Lysanias erwähnt, von dem aber sonst nichts bekannt ist. ↩
Nach dem Vorbild griechischer Städte bekam Tiberias ein Parlament von 600 Mitgliedern und wurde von einem zehnköpfigen Stadtrat regiert. Großes Bibellexikon [13] III 1554. ↩
Das NT lässt nirgends erkennen, dass er aus einer früheren Ehe des Josef stammte, wie später von einigen angenommen wurde. Genaueres dazu siehe in dem Kapitel „Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.“ ↩
Mt 2,23: „Er kam und wohnte in einer Stadt, genannt Nazareth …“. ↩
Schlatter [54] 27 ↩
Vergleiche Großes Bibellexikon [13] II 1032 und Pixner [46] 47. ↩
2Kö 15,29: „In den Tagen Pekachs, des Königs von Israel, kam Tiglat-Pileser, der König von Assur, und nahm Ijon ein und Abel-Bet-Maacha und Janoach und Kedesch und Hazor und Gilead und Galiläa, das ganze Land Naftali, und führte die Bewohner gefangen fort nach Assur.“ ↩
Siehe auch 2Kö 17,24: „Und der König von Assur brachte [Leute] aus Babel und aus Kuta und aus Awa und aus Hamat und aus Sefarwajim und ließ sie an Stelle der Söhne Israel in den Städten Samarias wohnen. Und sie nahmen Samaria in Besitz und wohnten in seinen Städten.“ ↩
Mt 4,15: „Land Sebulon und Land Naftali, gegen den See hin, jenseits des Jordan, Galiläa der Nationen.“ ↩
Pixner [46] 49. ↩
Vgl. 4Mose 6 und als Beispiel Simson – Ri 13,5.7. ↩
Mt 2,23. Die Weissagung bezieht sich natürlich auf Jesus und nicht auf Josef, vgl. auch Lk 18,37; Joh 18,5. ↩
Die anderen drei Theater befanden sich nach Auskunft von Josephus in den Bevölkerungszentren Jerusalem, Jericho und Cäsarea. Thiede [60] 37f. ↩
Josephus [26] III.4.1 237. ↩
Kroll [30] 82. Sie war schon zur Zeit Josuas bekannt – Jos 19,12. ↩
Kroll [30] 82f. ↩
Pixner [46] 48. ↩
Kroll [30] 88. ↩
Mt 2,21. Über die verwandtschaftlichen Beziehungen der Geschwister zueinander siehe das Kapitel „Die Brüder“ ↩
Das heißt soviel wie „Zerstreuung“ und meint die Juden, die sich in einzelnen Orten im Ausland zu jüdischen Gemeinden zusammengeschlossen hatten. ↩
Rienecker [48] 72. ↩
5Mose 16,16. Dem Fest der ungesäuerten Brote ging das Passah voraus. Das Fest der Wochen wurde auch Erntefest oder Pfingsten genannt. ↩
Lk 2,41, siehe auch Rienecker [48] 72. ↩
Barcley [3] 30 ↩
Kroll [30] 140. 5Mo 6,6-9. ↩
5Mo 6,4, vgl. Mt 22,35ff. ↩
Kroll [30] 140. ↩
Die Zahl dürfte nicht zu hoch gegriffen sein. Heute gibt es immerhin 1072 Synagogen, 65 Kirchen, 72 Klöster und 60 Moscheen in der Stadt Jerusalem. (Israel-Jahrbuch 1997 NAI. ↩
Strack-Billerbeck [43] 117. Nachgewiesen allerdings erst um 300 n.Chr. Siehe auch Apg 24,12, wo Paulus von einer Mehrzahl von Synagogen in Jerusalem spricht. ↩
Strack-Billerbeck [43] 123. ↩
Apg 13,15: „Aber nach dem Vorlesen des Gesetzes und der Propheten sandten die Vorsteher der Synagoge zu ihnen und sagten: Ihr Brüder, wenn ihr ein Wort der Ermahnung an das Volk habt, so redet!“ ↩
Vgl. Lk 4,20: „Und als er das Buch zugerollt hatte, gab er es dem Diener zurück und setzte sich; und aller Augen in der Synagoge waren auf ihn gerichtet.“ ↩
1Mo 18,19: „Denn ich habe ihn erkannt, damit er seinen Söhnen und seinem Haus nach ihm befehle, dass sie den Weg des Herrn bewahren, Gerechtigkeit und Recht zu üben.“ ↩
Großes Bibellexikon [13] I 344f. ↩
Strack-Billerbeck [43] II 150. ↩
Eine Tagereise lang suchten sie ihn in der Reisegesellschaft. Dann mussten sie wieder einen Tag zurückreisen. Schließlich fanden sie ihn einen Tag später im Tempel. Wenn die genannten drei Tage sich auf die Suche in Jerusalem beziehen, könnten es insgesamt fünf Tage gewesen sein. ↩
Tenney [58] 122. ↩
Es waren die Bewohner der Städte Bet-Schean, Bet-Kaifa am Karmel und von Tibeon, westlich von Sepphoris, die in diesem Zusammenhang direkt erwähnt wurden (Strack-Billerbeck [43] I 165f.). Siehe auch Mt 26,73: „Kurz nachher aber traten die Umstehenden herbei und sprachen zu Petrus: Wahrhaftig, auch du bist von ihnen, denn auch deine Sprache verrät dich.“ Mk 14,70: „Er aber leugnete wieder. Und kurz nachher sagten wieder die Dabeistehenden zu Petrus: Wahrhaftig, du bist einer von ihnen, denn du bist auch ein Galiläer.“ ↩
Joh 7,35: „Es sprachen nun die Juden zueinander: Wohin will dieser gehen, dass wir ihn nicht finden sollen? Will er etwa in die Zerstreuung der Griechen gehen und die Griechen lehren?“ Joh 12,20f.: „Es waren aber einige Griechen unter denen, die hinaufkamen, um auf dem Fest anzubeten. Diese nun kamen zu Philippus von Bethsaida in Galiläa und baten ihn und sagten: Herr, wir möchten Jesus sehen.“ Auch die Apostel, einfache Leute aus dem Volk, hatten griechische Namen, wie Philippus und Andreas aus Bethsaida (Joh 1,44). ↩
Der Begriff bezog sich häufig auch auf die Umgangssprache in Israel, um anzudeuten, dass es die Sprache der Juden war, obwohl es offensichtlich Aramäisch war. ↩
Joh 19,20: Diese Aufschrift nun lasen viele von den Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt; und es war geschrieben auf hebräisch, lateinisch griechisch. ↩
D.h. „Volksfürst“. ↩
Tenney [58] 33. ↩
Strack-Billerbeck [43] II 147. ↩
Bronkhorst [7] 127. ↩
Kroll [30] 146. ↩
Lk 2,52: Und Jesus nahm zu an Weisheit und Alter und Gunst bei Gott und Menschen. ↩
Lk 1,36: Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, auch sie erwartet einen Sohn in ihrem Alter … . ↩
Mk 6,4; Lk 2,44; 14,12; 21,16; Joh 18,26; Apg 10,24. ↩
Lk 1,5: Es war in den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa, ein Priester mit Namen Zacharias, aus der Abteilung des Abija; und seine Frau war aus den Töchtern Aarons und ihr Name Elisabeth. ↩
In neutestamentlicher Zeit war der Name allerdings nicht selten, vgl. Mt 27,56; Joh 19,26. ↩
Viele Ausleger verstehen Lk 1,32 und Röm 1,3 aber so, dass Maria auch von ihrer Abstammung her direkt mit dem Haus David verwandt war, also nicht nur durch Heirat in die Verwandtschaft kam. Dafür würde ihre Herkunft aus Nazareth sprechen, das wahrscheinlich von der davidischen Sippe der Nazoräer (nicht zu verwechseln mit „Nasiräer“) gegründet wurde. ↩
Mt 1,24-25: Josef aber, vom Schlaf erwacht, tat, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich; und er erkannte sie nicht, bis sie einen Sohn geboren hatte; und er nannte seinen Namen Jesus. ↩
Sach 6,13: Ja, er wird den Tempel des Herrn bauen, und er wird Hoheit tragen und wird auf seinem Thron sitzen und herrschen. Auch wird ein Priester auf seinem Thron sein; und der Rat des Friedens wird zwischen ihnen beiden sein. ↩
Mt 27,56; Mk 15,40; Joh 19,25. ↩
Andernfalls müssten wir vier Frauen namens Maria annehmen, was aber nicht sinnvoll erscheint, weil offenbar doch die gleichen Personen erwähnt werden. Dass die Mutter Jesu bei Matthäus und Markus weggelassen ist, könnte damit zusammenhängen, dass sie vielleicht schon zusammengebrochen war und nur einen Teil der Vorgänge am Kreuz miterlebte. ↩
Manche nehmen zwar an, dass Johannes nur von drei Frauen spricht und lesen den Vers so: „… und die Schwester seiner Mutter, Maria, des Klopas Frau.“ Doch dann würde die Schwester der Maria auch Maria heißen, was sehr unwahrscheinlich ist. ↩
Mk 1,19-20: Und als er ein wenig weiterging, sah er Jakobus, den des Zebedäus, und seinen Bruder Johannes, auch sie im Boot, wie sie die Netze ausbesserten; und sogleich rief er sie. Und sie ließen ihren Vater Zebedäus mit den Tagelöhnern im Boot und gingen weg, ihm nach. ↩
Von daher wäre auch ihr Begehren in Lk 20,20 verständlich. ↩
Joh 18,15 Simon Petrus aber folgte Jesus und ein anderer Jünger. Dieser Jünger aber war dem Hohenpriester bekannt und ging mit Jesus hinein in den Hof des Hohenpriesters. ↩
Mt 12,46: Als er aber noch zu den Volksmengen redete, siehe, da standen seine Mutter und seine Brüder draußen und suchten ihn zu sprechen. ↩
Apg 1,14: Diese alle verharrten einmütig im Gebet mit Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern. ↩
Gal 1,19: Keinen anderen der Apostel aber sah ich außer Jakobus, den Bruder des Herrn. ↩
Alle drei Theorien werden ausführlich besprochen in [4] 20-26. ↩
Schindler [52] 419ff. ↩
Apg 14,14: „Als aber die Apostel Barnabas und Paulus es hörten, zerrissen sie ihre Kleider.“ ↩
Mt 1,24-25: „Josef aber, vom Schlaf erwacht, tat, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich; und er erkannte sie nicht, bis sie einen Sohn geboren hatte; und er nannte seinen Namen Jesus.“ ↩
Lk 2,19: „Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen.“ Lk 2,51: „Und seine Mutter bewahrte alle diese Worte in ihrem Herzen.“ ↩
Mt 13,55f: „Ist er nicht der Sohn des Zimmermanns? Heißt nicht seine Mutter Maria und seine Brüder Jakobus und Josef und Simon und Judas? Und seine Schwestern, sind sie nicht alle bei uns?“
[Dass] Jesus unter dem Namen „Sohn der Maria“ bekannt gewesen sei (Mk 6,3) und darin der Makel eines unbekannten Vaters steckte, wie Pohl [47] behauptet, dass also Jesus als illegitimer Sohn im ganzen Ort bekannt war, wird durch Vergleich mit Lukas (4,22) und Johannes (6,42) als falscher Schluss entlarvt, denn dort wird er Sohn Josefs genannt. Dass der Name der Mutter bei Matthäus und Markus genannt wird, deutet nur darauf hin, dass der Vater zu dem Zeitpunkt schon gestorben war. ↩Strack-Billerbeck [43] II 146. ↩
Oder auch sechs, wie von anderen angegeben wird Strack-Billerbeck [43] II 146. ↩
Hebr. „Wiederholung“, d.h. das Überlieferte oder Eingeprägte. ↩
Hebr. „Lernstoff“ oder „Vervollständigung“. ↩
Heute versteht man unter dem Talmud ein Werk, in dem das Ergebnis dieses Studiums niedergelegt ist. Damals wurde alles noch mündlich überliefert. ↩
Strack-Billerbeck [43] III 627. ↩
Strack-Billerbeck [43] IV. 584 ↩
Strack-Billerbeck [43] I 199. Die Schechina meint die herrliche Gegenwart Gottes, wie sie Israel während seiner Wüstenwanderung in Form der Wolken- und Feuersäule erfuhr. ↩
Strack-Billerbeck [43] I 357. Es erinnert natürlich an die sogenannte „goldene Regel“ unseres Herrn in Mt 7,12: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut ihr ihnen auch! Denn darin besteht das Gesetz und die Propheten“, ist demgegenüber aber sehr verkürzt, denn es enthält nur die Negativseite. ↩
Strack-Billerbeck [43] I 421. ↩
Strack-Billerbeck [43] I 565. ↩
Strack-Billerbeck [43] III 333. ↩
Das sind die Bücher des AT, welche die Juden zum dritten Teil des AT rechneten, also Psalmen, Sprüche, Hoheslied, Klagelieder, Prediger, Ruth, Ester, Daniel, Esra, Nehemia, Chronik. ↩
Strack-Billerbeck [43] I 128. ↩
Ein besonderer Ehrentitel, der nur wenigen verliehen wurde. ↩
D.h. im Nikanortor ↩
Strack-Billerbeck [43] II 630. ↩
Strack-Billerbeck [43] I 911. 913; II 461. ↩
Strack-Billerbeck [43] II 594. ↩
Siehe 3Mo 18,6ff. Strack-Billerbeck [43] I 911. ↩
Strack-Billerbeck [43] I 913. ↩
„Schon von Mutterleib an war er heilig. Wein und geistige Getränke nahm er nicht zu sich, auch aß er kein Fleisch. Eine Schere berührte nie sein Haupt, noch salbte er sich mit Öl oder nahm er ein Bad.“ Zitiert bei Eusebius [17] 142. Die gewollte Parallele zu Johannes dem Täufer ist unübersehbar – Lk 1,15. ↩
Mt 13,56: „Und seine Schwestern, sind sie nicht alle bei uns?“ Parallele: Mk 6,3. ↩
1Kor 9,5: „Haben wir etwa kein Recht, eine Schwester als Frau mitzunehmen wie die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und Kephas?“ Jakobus wird hier zwar nicht direkt namentlich erwähnt, er gehörte aber wie Josef, Simon und Judas zu den (Halb-)Brüdern des Herrn. ↩
Lk 3,23: Und er selbst, Jesus, war ungefähr dreißig Jahre alt, als er auftrat. ↩
Maier [34] 82. ↩
Mt 8,5; 11,23; 17,24; Mk 1,21; 2,1; 9,33; Lk 4,23.31; 7,1; 10,15; Joh 2,12; 4,46; 6,17.24.59. ↩
Denn es ist nicht anzunehmen, dass die Familie am See Urlaub machen wollte. Sonst aber gibt die Erwähnung der Reise keinen Sinn. ↩
Josephus [27] IV,8,15. ↩
Walvoord [63] 52 ↩
Krimmer [29] 336. Siehe auch Walter [62] S. 279. ↩
Lerle [31] 120. ↩
Joh 1,42: „Du bist Simon, der Sohn des Johannes. Du sollst Kephas heißen.“ (Kephas ist das hebräische Wort für Petrus und bedeutet „Fels“.) Mt 16,18: „Aber auch ich sage dir, dass du bist Petrus, und auf diesem Felsen werde ich meine Gemeinde bauen.“ ↩
Vergleiche auch 2Sam 23,24 und 39. Dort wird eine Gruppe der „Dreißig“ aufgezählt, die doch 37 Mann umfasste. ↩
Krimmer [29] S. 337f. ↩
„Jakobus hatte nämlich geschworen, er werde kein Brot mehr essen von jener Stunde an, in der er den Kelch des Herrn getrunken hatte, bis er ihn von den Entschlafenen auferstanden sähe. Und kurz darauf sagte der Herr: „Bringt einen Tisch und Brot“. Und sogleich wird hinzugefügt: Er nahm das Brot, segnete es und brach es und gab es Jakobus dem Gerechten und sprach zu ihm: ‚Mein Bruder, iss dein Brot, denn der Menschensohn ist von den Entschlafenen auferstanden.’“ Zitiert nach Barcley [5] 141. ↩
Heim [22] 218. ↩
Sueton sagte: „In der Zeit des Augustus gab es eine enorme Anzahl von Senatoren … die meisten von ihnen waren dieser Ehre unwürdig … aber Gunst und Bestechung trafen die Auswahl. Das Volk bezeichnete sie sprichwörtlich als Abortiv (Früh- bzw. Missgeburten).“ Zitiert nach Hunter [25] 232. ↩
Eine Menge Belege finden sich dafür in „Bibel im Test“ [38]. ↩
Siehe z.B. in „Das Leben Jesu“ [68], den Versuch einer Osterharmonie [12], den Aufsatz in „Bibel und Gemeinde“ Nr. 4/96 [40]. ↩
Mk 16,1: „Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria, die des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben.“ ↩
Joh 19,39-40: „Es kam aber auch Nikodemus, der zuerst bei Nacht zu Jesus gekommen war, und brachte eine Mischung von Myrrhe und Aloe, ungefähr hundert Pfund. Sie nahmen nun den Leib Jesu und wickelten ihn in Leintücher mit den wohlriechenden Ölen, wie es bei den Juden zu bestatten Sitte ist.“ ↩
Lk 8,3: „Johanna, die Frau des Chuza, des Verwalters Herodes‘, und Susanna und viele andere, die ihnen mit ihrer Habe dienten.“ Lk 24,10: „Es waren aber die Maria Magdalena und Johanna und Maria, des Jakobus Mutter, und die übrigen mit ihnen, die dies zu den Aposteln sagten.“ ↩
Mk 16,3: „Und sie sprachen zueinander: Wer wird uns den Stein von der Tür der Gruft wegwälzen?“ ↩
Lk 24,1: „An dem ersten Wochentag aber, ganz in der Frühe, kamen sie zu der Gruft und brachten die wohlriechenden Öle, die sie bereitet hatten.“ ↩
Offenbar um für die Frauen nicht schon von fern sichtbar zu sein und sie so wie die Soldaten zu erschrecken. ↩
Mk 16,2: „Und sie kommen sehr früh am ersten Wochentag zu der Gruft, als die Sonne aufgegangen war.“ ↩
Mk 16,4: „Doch als sie jetzt davorstanden, sahen sie, dass der Stein – ein großer, schwerer Stein – bereits weggerollt war.“ (ebenso Lk 24,2; Joh 20,1 ↩
Joh 20,2: „Sie haben den Herrn aus der Gruft weggenommen, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“ ↩
Lk 24,3: „Und als sie hineingingen, fanden sie den Leib des Herrn Jesus nicht.“ ↩
Mt 28,6; Mk 16,6: „Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus, den Nazarener, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hingelegt hatten.“ ↩
Mt 28,5-7; Mk 16,5-7; Lk 24,4-7. ↩
Mt 28,8: „Und sie gingen schnell von der Gruft weg mit Furcht und großer Freude und liefen, es seinen Jüngern zu verkünden.“ Mk 16,8: „Und sie gingen hinaus und flohen von der Gruft. Denn Zittern und Bestürzung hatte sie ergriffen, und sie sagten niemand etwas, denn sie fürchteten sich.“ ↩
Lk 24,11: „Und ihre Reden schienen ihnen wie leeres Gerede, und sie glaubten ihnen nicht.“ ↩
Joh 20,3-9. Man vergleiche dazu besonders Joh 20,8: „Da ging nun auch der andere Jünger hinein, der zuerst zu der Gruft kam, und er sah und glaubte.“ Und Lk 24,12: „Petrus aber stand auf und lief zur Gruft; und als er sich hineinbeugt, sieht er nur die leinenen Tücher liegen. Und er ging nach Hause und wunderte sich über das, was geschehen war.“ ↩
Mk 16,9: „Als er aber früh am ersten Wochentag auferstanden war, erschien er zuerst der Maria Magdalena, von der er sieben Dämonen ausgetrieben hatte.“ Dabei ist vorausgesetzt, dass der Markus-Schluss authentisch ist. ↩
Mk 16,10-11; Joh 20,18. ↩
Mt 28,9-10. Wir müssen annehmen, dass zwischen Mt 28,8 und 9 eine gewisse Zeit verging, in welche die Ereignisse einzuordnen sind, die in den anderen Evangelien berichtet werden. Gewiss hätten die Emmaus-Jünger dieses wichtige Ereignis sonst nicht verschwiegen, als sie mit Jesus sprachen (Lk 24,22-24). ↩
Lk 24,34: „Der Herr ist wirklich auferweckt worden und dem Simon erschienen.“ 1Kor 15,5: „… und dass er Kephas erschienen ist, dann den Zwölfen.“ ↩
Lk 24,13-33; Mk 16,12: „Danach aber offenbarte er sich Zweien von ihnen in anderer Gestalt unterwegs, als sie aufs Land gingen.“ ↩
Mk 16,13: „Und jene gingen hin und verkündeten es den übrigen; auch jenen glaubten sie nicht.“ ↩
Mk 16,14: „Nachher offenbarte er sich den Elfen selbst, als sie zu Tisch lagen, und schalt ihren Unglauben und ihre Herzenshärtigkeit, dass sie denen, die ihn auferweckt gesehen, nicht geglaubt hatten.“ ↩
Mt 28,9: „Da kam Jesus ihnen entgegen und sprach: Seid gegrüßt! Sie aber traten zu ihm, umfassten seine Füße und warfen sich vor ihm nieder.“ ↩
Mt 28,10: „Fürchtet euch nicht! Geht hin, verkündet meinen Brüdern, dass sie hingehen nach Galiläa, und dort werden sie mich sehen.“ – Es gibt eine Theorie, die behauptet, dass „Galiläa“ hier einen Ortsteil im Gebiet von Jerusalem bezeichnen würde und dass der Berg dann der Ölberg wäre. Der Gebrauch des Wortes bei Matthäus, der 16 Mal von Galiläa spricht, macht das aber unwahrscheinlich. Matthäus meint mit Galiläa immer die Landschaft im Norden Israels zwischen See Genezareth und Mittelmeer. ↩
So nach einer alten Überlieferung, die schon Origenes bekannt war. [13] II, 794. Vergleiche auch das Kapitel: Die Irrlehre der Ebioniten und die Spaltung der Gemeinde. ↩
Das Fest des Passah wurde auch „Fest der ungesäuerten Brote“ genannt (Lk 22,1). Beide Bezeichnungen kommen für das ganze Fest vor, das sieben Tage dauerte. Der erste Name wurde dem ersten Tag, der zweite den folgenden sechs Tagen beigelegt, obwohl schon am ersten Tag ungesäuertes Brot gegessen wurde (vgl. [39] S. 643). ↩
Joh 20,26. Nach acht Tagen. Da die Juden gewöhnlich den ersten Tag mitzählten, wird es wohl wieder der Sonntag gewesen sein. ↩
Vergleiche die Fußnote 45 zu Galiläa in „Bibel und Gemeinde“ 2001-1, S. 13. ↩
Joh 21,2: „Simon Petrus und Thomas, genannt Zwilling, und Nathanael, der von Kana in Galiläa war, und die des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern waren zusammen.“ ↩
Mt 28,18ff NGÜ. Auch die Überlieferung des Markus (15,15ff.) bezieht sich wohl auf die Begebenheit in Galiläa, als an die 500 Brüder anwesend waren. ↩
Jak 1,1: „Jakobus, Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus.“ ↩
1Kor 15, 7: „Danach erschien er Jakobus, dann den Aposteln allen“. ↩
1Kor 15,8: „Zuletzt aber von allen, gleichsam der unzeitigen Geburt, erschien er auch mir.“ ↩
C.S. Lewis zit. bei McDowell [38]. ↩
Das waren natürlich keine esoterischen Geheimlehren, wie es später aufgrund von Joh 16,12 und dieser Stelle von Gnostikern behauptet wurde. ↩
Das wäre vom Tempel aus gesehen der kürzeste Weg zum Ölberg. Viele Christen glauben, dass der Herr, wenn er wiederkommt, durch dieses Tor, das heute zugemauert ist, die Stadt betreten und in den (wiederaufgebauten ?) Tempel einziehen wird. Ein biblischer Hinweis darauf wäre Hes 44,1-3. ↩
Kroll [30] S. 418f ↩
Der Sabbatweg beträgt 2000 Ellen. Die Rabbiner nahmen das Maß von der Größe des Lagers von Israel in der Wüste. Schlatter [55] zu Apg 1,12. ↩
Apg 1,11 und Lk 24,52 NGÜ ↩
Prof. Avi-Yona [2]. ↩
So auch Apg 20,8: „ Es waren aber viele Lampen in dem Obersaal, wo wir versammelt waren.“ ↩
Matthäus und Markus nennen ihn „Kananäus“, das ist die griechische Form des hebräischen Wortes für „Eiferer“. Lukas nennt ihn „den Zeloten“. Die Zeloten waren eine militante nationalistische Partei, die das Land von der römischen Oberherrschaft befreien wollte. ↩
Bruce [9]. ↩
Apg 4,11f.: „Das ist der Stein, der von euch, den Bauleuten, verschmäht wurde, der zum Eckstein geworden ist. Und es ist in keinem andern das Heil; denn es ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, in welchem wir sollen gerettet werden!“ (SCHL). ↩
2,20. Der Eckstein war der wichtigste Stein des Bauwerks, der ganz besonders sorgfältig eingesetzt wurde, und nach dem sich das ganze Fundament und alle Aufbauten ausrichteten. ↩
Allein über den Sprachgebrauch sind verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen angestellt und Dissertationen verfasst worden. ↩
MacDonald [33]. Eine ausführliche Diskussion zu dieser Frage siehe bei D.A. Carson in Gaebelein [18] VIII 367. ↩
Siehe das Kapitel über die Verwandtschaft in „Bibel und Gemeinde“ 2000-4 S. 254ff ↩
Joh 1,36: „Da ging Jesus vorüber. Johannes blickte ihn an und sagte: ‚Seht, dieser ist das Opferlamm Gottes!‘ Als die beiden Jünger das hörten, folgten sie Jesus. Jesus wandte sich um und sah, dass sie ihm folgten. ‚Was sucht ihr?‘ fragte er. ‚Rabbi‘, erwiderten sie, ‚wo wohnst du?‘ (Rabbi bedeutet ‚Meister‘.) Jesus antwortete: ‚Kommt mit, dann werdet ihr es sehen.‘ Da gingen die beiden mit ihm; es war etwa vier Uhr nachmittags. (NGÜ). ↩
Vgl. Lk 5,10. Offenbar waren die beiden Familien in einer Fischereigenossenschaft zusammengeschlossen. S. Maier [36] S. 209. ↩
Mk 1,20: „Und sie ließen ihren Vater Zebedäus mit den Tagelöhnern im Boot und gingen weg, ihm nach.“ ↩
Lk 9,54: „Als aber seine Jünger Jakobus und Johannes das sahen, sprachen sie: Herr, willst du, dass wir sagen, dass Feuer vom Himmel herabfallen und sie verzehren soll?“ ↩
Mt 20,20-23. Indiz dafür ist, dass die Mutter zwar fragt, aber Jesus den Söhnen antwortet und mit ihnen spricht (V. 22). ↩
Mk 13,3-5: Und als er auf dem Ölberg dem Tempel gegenüber saß, fragten ihn Petrus und Jakobus und Johannes und Andreas für sich allein: Sage uns, wann wird das sein, und was ist das Zeichen, wann dies alles vollendet werden soll? Jesus aber begann zu ihnen zu sprechen: Seht zu, dass euch niemand verführe!“ ↩
Denn auch sie wollten nicht glauben, dass der Auferstandene vor ihnen stand. Lk 24,38f.: „Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr bestürzt, und warum steigen Gedanken auf in euren Herzen? Seht meine Hände und meine Füße, dass ich es selbst bin; betastet mich und seht! Denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr seht, dass ich habe.“ ↩
Joh 11,16: „Da sprach Thomas, der [auch] Zwilling genannt ist, zu den Mitjüngern: Lasst auch uns gehen, dass wir mit ihm sterben.“ ↩
Joh 20,28: „Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!“ ↩
Lk 6,16; Mk 3,18; Mt 10,3 (in einigen Handschriften ↩
Lk 8,1-3; Lk 23,49; Lk 23,55; Lk 24,10. ↩
de Boor [15]. ↩
MacDonald [33]. ↩
Im griechischen Text hat Gebet den bestimmten Artikel. Das könnte darauf hindeuten, dass es um das Anliegen von V. 4-5 ging. ↩
Neuerdings wird die These vertreten, dass Judas sich irgendwo innerhalb der Stadt erhängt habe. Nun durfte ein Leichnam aber nicht länger als 6 Stunden in der Stadt bleiben, um die Stadt wegen der Festtage nicht kultisch zu verunreinigen. Da nachts aber die Stadttore verschlossen waren, musste man den Leichnam in Richtung des Hinnomtals über die Stadtmauer stürzen.Auch das würde das Heraustreten der Eingeweide gut erklären. ↩
Vgl. dazu Gooding, David. True to the faith. A fresh approach to the Acts of the Apostles. Hodder&Staughton: London, Sydney, Auckland, Toronto 1990 S. 44ff. ↩
Vgl. dazu H.N. Ridderbos: Die Reden des Petrus in der Apostelgeschichte S. 74. ↩
Mt 19,28. Diese Verheißung bezieht sich so deutlich auf Israel, dass es nicht möglich ist, Paulus als den Apostel der Nationen als den Zwölften zu zählen. ↩
Strack-Billerbeck II 596 ↩
Vgl. Spr 16,33: „Im Gewandbausch schüttelt man das Los, aber all seine Entscheidung kommt vom Herrn.“ ↩
Das Losverfahren gehört zur alttestamentlichen Weise, den Willen des Herrn zu erfragen. Von daher ist zumindest zweifelhaft, ob heutige Gläubige es benutzen sollten. ↩
Gleich im nächsten Kapitel berichtet Lukas, wie zwei Apostel zur Stunde des Gebets in den Tempel gingen (Apg 3,1 – vgl. auch 2,46). ↩
Darauf deutet das Imperfekt der Verben. ↩
Es wird aber auch eine Größe von bis zu 200.000 Einwohnern vertreten. Dabei sind dann allerdings die Vororte einbezogen. ↩
Josephus, Jüdische Altertümer 17,2,4 und 18,1,5. ↩
Joh 11,48: Wenn wir ihn so lassen, werden alle an ihn glauben, und die Römer werden kommen und unsere Stadt wie auch unsere Nation wegnehmen. ↩
Josephus, Jüdische Altertümer, 18,1,4. ↩
Josephus, Geschichte des jüdischen Krieges, 2,8,14. ↩
Apg 23,6 Da aber Paulus wusste, dass der eine Teil von den Sadduzäern, der andere aber von den Pharisäern war, rief er in dem Hohen Rat: Ihr Brüder, ich bin ein Pharisäer, ein Sohn von Pharisäern; wegen der Hoffnung und Auferstehung der Toten werde ich gerichtet. ↩
Pixner Pixner/Riesner, Wege des Messias und Stätten der Urkirche, Gießen 1996. S. 340f. ↩
Schon Josephus erwähnt ein „Tor der Essener“ in Jerusalem. Der englische Archäologe F. J Bliss vermutete bereits 1894, dieses Tor bei einer Ausgrabung wiedergefunden zu haben. Das wurde durch den österreichischen Forscher Bargil Pixner bei einer neuen Ausgrabung 1977 bestätigt. Er fand in der Nähe Ritualbäder, wie sie für die Essener typisch sind und durch einen Kanal mit koscherem Wasser gespeist wurden. Pixner, a.a.O., S. 205ff. ↩
Aus diesem Grund gehörte Zacharias, der Vater von Johannes dem Täufer, nicht zur Familie des Abija – denn die war in Babylon geblieben – sondern zur Abteilung des Abija, wie Lukas korrekt wiedergibt (Lk 1,5). ↩
In Mk 15,42 wird er mit dem entsprechenden Titel bezeichnet. ↩
Edersheim , Der Tempel, Wuppertal 1997, S. 73. ↩
Apg 2,46. Apg 3,1: „Petrus aber und Johannes gingen um die Stunde des Gebets, die neunte, zusammen hinauf in den Tempel.“ Apg 22,17: „Es geschah mir aber, als ich nach Jerusalem zurückgekehrt war und im Tempel betete, dass ich in Verzückung geriet.“ Paulus war sogar bereit, ein Opfer im Tempel zu bringen – Apg 21,26. ↩
Apg 5,12: …und sie waren alle einmütig in der Säulenhalle Salomos. Apg 5,42: und sie hörten nicht auf, jeden Tag im Tempel und in den Häusern zu lehren und Jesus als den Christus zu verkündigen. ↩
Apg 2,46: Täglich verharrten sie einmütig im Tempel und brachen zu Hause das Brot, nahmen Speise mit Jubel und Schlichtheit des Herzens. ↩
Das geht aus Apg 24,5 hervor:
„Denn wir haben diesen Mann als eine Pest befunden und als einen, der unter allen Juden, die auf dem Erdkreis sind, Aufruhr erregt, und als einen Anführer der Sekte der Nazoräer.“
Später im Ausland nannte man sie „die des Weges sind“, vgl. Apg 9,2; 19,9.23; 24,14.22. ↩
Regierte von 37-41 n.Chr. Kaiser Claudius, er regierte von 41-54 n.Chr., übergab ihm zusätzlich die Gebiete Judäa und Samaria. ↩
„hypo“ mit Genitiv weist im Griechischen auf den Ursprung oder den Urheber einer Sache. ↩
Dass Lukas hier bewusst einen weiteren Versammlungsort der Jerusalemer Gemeinde einführt, zeigt nicht nur die relativ genaue Beschreibung des Äußeren, ein Haus mit eigenem Torgebäude (pylo:n) sondern auch die ausdrückliche Nennung der Besitzerin, Maria, der Mutter des Johannes Markus. ↩
Es ist unwahrscheinlich, dass damit die Brüder des Herrn gemeint wären, wie Pixner. ↩
Apg 20,7-9.20; 28,30f; Kol 4,15, Phim 1,2; Röm 16,3-5. ↩
Siehe Jak 1,2. Es kann aber auch sein, dass die Christen größere Räume in Privathäusern einfach Synagogen genannt haben, denn das heißt ja weiter nichts als Versammlung(sraum). ↩
Kirche kommt aus dem Griechischen kyriake, was wörtlich „dem Herrn gehörig“ bedeutet oder einfach „Haus des Herrn“. ↩
Die meisten Ausleger sind allerdings der Meinung, dass der Hauskreis der Nympha nach Laodicea gehörte Kol 4,15: „Grüßt die Brüder in Laodizea und Nympha und die Gemeinde in ihrem Haus!“ Dann wäre aber auch merkwürdig, dass die Brüder neben der Gemeinde erwähnt werden. Aus dem Grund nehmen einige an, dass es sich bei der Gemeinde in Nymphas (oder eines Nymphos – die Textüberlieferung ist an dieser Stelle nicht eindeutig) Haus um eine Gemeinde in einer dritten Stadt in der Nähe gehandelt habe, vielleicht in Hierapolis. ↩
Das kann natürlich auch schon vorher, vor Petrus, gewesen sein. ↩
Apg 6,3: So seht euch nun um, Brüder, nach sieben Männern unter euch, von Zeugnis, voll Geist und Weisheit, die wir über diese Aufgabe setzen wollen. ↩
Apg 6,6: Diese stellten sie vor die Apostel; und als sie gebetet hatten, legten sie ihnen die Hände auf. ↩
Das Salben mit Öl sollte man sich nicht im Sinn einer „letzten Ölung“ oder einer Gesundbeterei vorstellen. Die griechischen Begriffe, die Jakobus verwendet, weisen eher darauf hin, dass es sich um eine Art erste medizinische Hilfe handelte (aleifô = salben, einreiben – nicht chriô; elaion = das medizinische Öl wie beim barmherzigen Samariter Lk 10,34 also nicht das chrisma, wovon auch Christus abgeleitet ist), und der Zusammenhang zeigt, dass es sich eher um ein geistlich-seelsorgerliches Anliegen handelte, als um eine Weihe zum Dienst. Die Krankheit wurde so eine Chance, das Leben vor dem Herrn neu zu ordnen. ↩
Jak 5,14. Jakobus hat den Brief wahrscheinlich zwischen 45 und 49 n.Chr. geschrieben. ↩
Lukas berichtet davon hauptsächlich aus den ersten drei Jahren der Gemeinde in den Kapiteln 4+5. Nur in Kapitel 9 werden noch zwei Wunder von Petrus berichtet, die wohl in die Zeit nach der ersten Verfolgung einzuordnen sind. ↩
In manchen Gemeinden wird die Ansicht vertreten, dass Älteste nicht benannt werden dürften. Das hängt mit zwei Ansichten Darbys zusammen, der einerseits glaubte, dass nur Apostel Älteste einsetzen konnten. Weil es heute keine Apostel mehr gibt, könnte es demnach kein Ältesten mehr geben, nur noch „Ältestendienste“, die irgend jemand im Verborgenen tut. Andererseits meinte Darby, dass bereits die Gemeinden zur Zeit des Paulus in Verfall gerieten. Deshalb hätte Gott es nicht zugelassen, dass irgend eine äußere Struktur der Gemeinde beibehalten werden konnte. Man nennt diese Ansicht „Verfallstheorie“. Doch diese Theorie hat im Neuen Testament selbst keine Anhaltspunkte. Man könnte sie allenfalls aus historischen Aussagen der Bibel folgern. Doch diese Ableitung ist durchaus nicht zwingend. Überall im Neuen Testament wird vorausgesetzt, dass man die Ältesten kennt, z.B. Apg 11,30; 14,23; 20,17; 21,18; 1Tim 5,17 und natürlich Jak 5,14. Und weil Paulus die Anweisungen über die Ältesten gegen Ende seines Lebens schreibt, sollte man eher annehmen, dass ihm daran gelegen war, dass die Gemeinden immer bekannte und benannte Älteste haben sollten, die allerdings die nötige geistlich-moralische Qualifikation aufweisen müssen. ↩
Dass Älteste über ihre örtliche Gemeinde hinaus Autorität besitzen, ist nicht die Regel und entspricht auch nicht ihrem normalen Auftrag. Denkbar ist es aber, wenn Einzelpersonen große persönliche Autorität besitzen (2Jo 1; 3Jo 1), die dann auch von Auswärtigen anerkannt wird. Im Fall von Jerusalem besaß entweder die ganze Ältestenschaft diese Autorität oder die Ältesten waren nur deshalb angerufen worden, weil das Problem in ihrer Gemeinde seinen Ursprung hatte und die Ältesten die Sache deshalb klären mussten. Trotzdem ist auffällig, welch großes Vertrauen die Gläubigen in Antiochien dann in die Jerusalemer Ältesten setzten, denn sie konnten ja nicht wissen, ob die Gesetzeslehrer nicht doch von ihnen geschickt worden waren. Und diese Lehrer hatten ja behaupteten, sie kämen von Jakobus. ↩
Auch Schwestern konnten diesen Dienst ausüben, vgl. Apg 21,9. ↩
Das geht aus Apg 4,14 hervor. ↩
Es ist schwierig, sich vorzustellen, dass „die Stätte, wo sie versammelt waren“ (V. 31) in diesem Zusammenhang einen Teil des Tempels meint (obwohl auch der Tempel so bezeichnet werden kann). Wahrscheinlich waren die Gläubigen in einem Haus wie auch in Apg 2,2 und 12,12. ↩
Wie etwa in Offenbarung 11,15, wo man durchaus an ein Sprechen im Chor denken kann. ↩
Siehe 4Mo 18,20.24, vgl. aber Jer 1,1; 32,6-15. Höchstwahrscheinlich wurden diese Einschränkungen für die Leviten später nicht mehr befolgt. ↩
Es kann sich hier nicht um die Säulenhalle Salomos handeln, denn das vorausgesetzte Gebäude hat eine Tür (Apg 5,9). ↩
Die drei Stunden können sich auf den Tod des Ananias oder das danach erfolgte Begräbnis beziehen. ↩
W. de Boor, Apg, S. 113. ↩
W. de Boor Apg S. 110. ↩
Dass Petrus Gott und den Heiligen Geist in V. 3+4 synonym verwendet, ist ein deutliches Indiz für die Göttlichkeit des Heiligen Geistes. ↩
Jos 7. Vergleiche auch 4Mo 15,32-36; 16,1-35. ↩
Das griechische Wort ze:los bedeutet Eifer (auch in der Verfolgung) oder Eifersucht bzw. Neid, was dann durch das starke Wachstum der Gemeinde hervorgerufen worden wäre – wie in Apg 13,45. ↩
Apg 4,18: Und als sie sie gerufen hatten, geboten sie ihnen, sich überhaupt nicht in dem Namen Jesu zu äußern noch zu lehren. 4,21: Sie aber bedrohten sie noch mehr und entließen sie. ↩