ThemenArchäologie und Bibel

Baruch, der Schreiber

Ein genauerer Blick auf eine archäologisches Erinnerungsstück an Baruch, den Sekretär des Propheten Jeremia.

„So spricht der Herr von dir, Baruch: Und du, du trachtest nach großen Dingen für dich? Trachte nicht danach! Denn ich bringe Unglück über alle Menschen, spricht der Herr, aber ich gebe dir deine Seele zur Beute an allen Orten, wohin du ziehen wirst“. (Jer 45,2.5)

Da stand er nun, Baruch, der Schreiber und persönliche Sekretär des Propheten Jeremia und wäre nirgends so gerne gewesen wie in den vertrauten Gassen seines heimatlichen Jerusalem. Stattdessen war er in Tachpanches, im fernen Ägypten. Wider seinen Willen hatte man ihn dahin geschleppt (Jer 43,5-7), und da musste er nun bleiben, auf fremder Erde!

Wir können es den Menschen des Altertums nur schwerlich nachfühlen, was es für ihn bedeuten musste, fern der Heimat zu leben und – was noch schlimmer war – dort zu sterben. Unsere Sprache hat dem früher selbstverständlichen Empfinden ein Denkmal gesetzt: Das Wort „elend“, das die Alten gebrauchten, wenn sie sagen wollten, jemand sei über die Maßen zu bedauern; denn niemand war so bemitleidenswert wie der „E-lende“, wörtlich der „außer Landes Seiende“. In die Fremde ging tatsächlich nur, wen die nackte Not dazu trieb, wie etwa Jakob und seine Söhne, oder Jahrhunderte später Elimelech und Naomi, denen als einziger und letzter Ausweg vor dem drohenden Hungertod das ägyptische und moabitische Exil blieb. Und wen hätten nicht die ergreifenden Worte aus Psalm 137 schon bewegt, jenes Klagelied der Juden im garstigen babylonischen Exil: „An den Flüssen Babels, da saßen wir und weinten gar, sooft wir an Zion dachten. Unsere Lauten hängten wir an die Weiden“; denn:

„Wie sollten wir ein Lied des Herrn singen auf fremder Erde?“

Ans Singen dachte auch Baruch nicht. Er hatte schließlich Jerusalem in schwelenden Trümmern hinter sich gelassen. Jerusalem, die Stadt, die einem jüdischen Herzen so teuer ist, als wärs ein Stück von ihm, wurde von babylonischen, ja, von heidnischen Heeren zertreten! Und auch seine geliebte Schreibstube mit dem Pult, den Schreibrohren, den Tintenfässern und Pergamenten, das heißt, seine ganze Welt, hatte er in Rauch aufgehen sehen. Er hatte alles verloren, wirklich alles – doch hatte er eigentlich nichts verloren, seit er etwas besaß, das ihm nichts und niemand mehr rauben konnte: seine Seele, sein Leben, das wahre Leben. Das hatte er gewonnen.

„Ich gebe dir deine Seele zur Beute an allen Orten, wohin du ziehen wirst.“

Das hatte Gott vor vielen Jahren einem zutiefst aufgewühlten Baruch gesagt (siehe 45,3); und wie damals so war auch jetzt dieses Wort kühlender Balsam für die wunde Seele.

Alles hatte an jenem denkwürdigen Tag während des vierten Regierungsjahres Jojakims (Jer 36,1) begonnen: Der Prophet Jeremia hatte von Gott den Auftrag bekommen, alle Worte, die Gott zu ihm redete, in eine Buchrolle zu schreiben. Da rief Jeremia Baruch Ben-Nerija (= Sohn des Nerija) zu sich und bat ihn, diesen Schreiberdienst zu tun; denn Baruch war, wie Jer 36,26 ausdrücklich betont, von Beruf Schreiber. Als solcher war er gewohnt, eher harmlose Texte wie Kaufbriefe und ähnliches zu schreiben (wie in Kap 33,12). Jetzt aber wurde Baruch gerufen, Aussprüche Gottes auf das Diktat Jeremias hin niederzuschreiben. Hätte er geahnt, in welche Schwierigkeiten er sich damit stürzte, wer weiß, ob er Jeremia zur Verfügung gestanden hätte? Nach getaner Arbeit bat Jeremia den Schreiber nämlich, die ganze Botschaft „im Haus des Herrn am Tag des Fastens“ laut vorzulesen (36,6). Baruchs Mut ist bewundernswert, denn „Baruch, der Sohn Nerijas, tat nach allem, was der Prophet Jeremia ihm geboten hatte, indem er aus dem Buch die Worte des Herrn im Hause des Herrn vorlas“ (36,8). Es brauchte tatsächlich Mut, die schonungslos alle Sünden des Volkes aufdeckenden Strafpredigten Jeremias in der Öffentlichkeit zu rezitieren. Das erste Mal schien alles reibungslos abgelaufen zu sein, denn wir lesen, dass Baruch die gleichen Worte ein Jahr später, nämlich „im fünften Jahre Jojakims“ (36,9) vorlas. Wie hatte er nur den Mut dazu aufgebracht?

Das Geheimnis war wohl seine inzwischen geschehene entscheidende Begegnung mit dem Herrn. Im „vierten Jahre Jojakims“ (45,1) nämlich redete Gott zu Baruchs Gewissen und gab seinem Leben eine ganz neue Richtung und damit einen ganz neuen Inhalt: Er begriff, dass hoch hinaus wollen nicht alles war, dass es höhere, aber bleibende Werte gab, denn:

„Die Welt vergeht und ihre Lust, wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit“ (1Joh 2,17).

So war er bereit, Jeremias Strafpredigt erneut zu lesen. Diesmal kam die Botschaft auch König Jojakim zu Ohren (Jer 36,10-21). In beispielloser Arroganz verschloss sich der Monarch wie gehabt der Botschaft Gottes und ließ die ganze Buchrolle Abschnitt für Abschnitt, nachdem sie vorgelesen worden war, in seiner Zimmerheizung verbrennen (36,22-24). Seine ungezügelte Willkür kannte jetzt keine Grenzen mehr: Er erließ gegen Jeremia und seinen Schreiber Baruch einen Haftbefehl, der nur das Schlimmste bedeuten konnte. Doch Gott wusste seine unerschrockenen Zeugen zu bewahren:

„Der Herr hatte sie verborgen“ (V. 26).

Hier erlebte Baruch wahrscheinlich zum ersten Mal, dass es in einer Welt des Unglaubens, der Willkür und der Arroganz nicht leicht ist, gegen den Strom zu schwimmen, aber auch, dass Gott zu seinem Wort steht. Wie verheißen entzog er ihn dem Zugriff der Menschen, um ihm das Leben zu erhalten.

Etliche Jahre später – Jojakim war inzwischen gestorben (2Kö 24,6) und Zedekia, der letzte König der Juden, schmachtete schon in Babylons Kerkern (Jer 39,1-14) – warnte Jeremia seine Zeitgenossen im Namen des Herrn davor, nach Ägypten auszuwandern. Abermals schlug er mit seiner Predigt seinen Zuhörern und dem herrschenden Zeitgeist direkt ins Gesicht. Inzwischen hatte sich Baruch schon so unmissverständlich mit Jeremia und seiner Botschaft identifiziert, dass das unwillige Volk seinen Unmut an ihm ausließ:

„Baruch, der Sohn des Nerija, hetzt dich wider uns auf, um uns in die Hand der Babylonier zu liefern, damit sie uns töten und uns nach Babel wegführen“ (43,3).

Das waren bösartige Angriffe auf seine Person, denn es tut nichts so weh, als missverstanden und verleumdet zu werden. Aber Baruch blieb bei seiner Überzeugung, auch wenn er damit allein auf weiter Flur stand. In den Jahren seit seiner Wende hatte er gelernt, dass in dieser Welt nichts so wichtig ist, wie Gott und sein Wort ernst zu nehmen. Er hatte einst, wie seine Altersgenossen, auch an Karriere gedacht. Vielleicht wäre er gerne Vorsteher der Jerusalemer Schreiberzunft geworden, bis sein Gewissen von Gottes Wort getroffen wurde:

„Trachtest du nach großen Dingen für dich? Trachte nicht danach!“

Und jetzt stand er in Tachpanches und hatte alles, hatte seine Welt verloren; dafür hatte er aber seine Seele, das wahre Leben, gewonnen. Ja, „was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber seine Seele verliert?“, mag Baruch schon damals gedacht haben; und etwa 600 Jahre später hat ihm der Sohn Gottes Recht gegeben (Matth 16,24).

Damit nun niemand auf den Gedanken kommt, einen Mann solchen Zuschnitts habe es nie gegeben, darf ich auf eine kleine Entdeckung aufmerksam machen, welche jüdische Archäologen im Jahre 1978 machten, als sie mit Ausgrabungen in Jerusalem beschäftigt waren: Sie fanden einen Abdruck des persönlichen Siegels eines gewissen Berachja Ben-Nerija.

Baruch_der_SchreiberDie vollständige Inschrift lautet:

lbrkjhw
bnnrjh
hspr

Das sind, entsprechend althebräischer Schreibweise, nur die Konsonanten. Zu lesen wäre etwa:

li barakjahu = dem Berachja
ben nerijahu = Sohn des Nerija
hasofer = dem Schreiber (gehörig)

Baruch ist nichts anderes als die Kurzform des Namens Berachja. Wir haben also tatsächlich das persönliche Namenssiegel unseres Baruch, des Schreibers Jeremias vor uns. Wörtlich den gleichen Text, also Name, Vatername (die Historiker nennen das Patronym) und Berufsbezeichnung, finden wir auch in Jer 36,32:

„Und Jeremia nahm eine andere Rolle und gab sie Baruch Ben-Nerija, dem Schreiber.“

Um jegliche Gedanken an einen Zufall auszuräumen sei noch erwähnt, dass am gleichen Ort das persönliche Siegel Serajas, des Bruders Baruchs – der in Jer 51,59 erwähnt ist – gefunden wurde. Die Inschrift lautet folgendermaßen:

lsrjhw nrjhw vokalisiert muss das etwa so gelesen werden: lisarjahu = dem Seraja nerijahu = (dem Sohn des) Nerija (gehörig)

Um das Maß voll zu machen, fand sich in der gleichen archäologischen Schicht (die auf die Zerstörung Jerusalems unter dem babylonischen König Nebukadnezar zurückgeht) der Siegelabdruck eines dritten Mannes, der im Buch Jeremia erwähnt wird, nämlich Jerachme`els, des Prinzen, der von Jojakim, zusammen mit anderen den Befehl erhielt, Jeremia und Baruch zu greifen (36,22):

ljrhm`l bnhmlk

Das müssen wir wie folgt lesen:

lirachme`el = dem Jerachme`el ben hammäläk = Sohn des Königs (gehörig)

Als Baruch seiner Schreibstube für immer den Rücken zukehren musste, wusste er, dass alles früher oder später in Flammen und Trümmern versinken würde. Was er nicht ahnen konnte, war, dass gerade diese Flammen, die alle Pergamente schonungslos und ohne Unterschied auffraßen, wenigstens diesen einen, in weichen Lehm gepressten Abdruck seines Siegels steinhart backen und so der Nachwelt erhalten würden.