Die evangelikale Welt ist für manche Überraschungen gut. Früher stand der Begriff „evangelikal“ für eine unverbrüchliche Treue zum Wort Gottes. Längst duldete man aber in manchen Ausbildungsstätten – stillschweigend, damit man keine Spender verliert – eine gemäßigte Kritik an der Heiligen Schrift. Heute nun – das ist die Überraschung – pflegen sich einige ihrer Vertreter bei gleicher Haltung zur Schrift sogar als „bibeltreu“ zu bezeichnen. Manche brüsten sich gleichzeitig damit, „in Bibeltreue nicht überholbar“ zu sein. Hat die Inflation der Worte und Werte nun auch schon diesen Begriff erreicht? Gilt eine (gemäßigte) Bibelkritik inzwischen als bibeltreu?
Nun ist es nicht leicht, zu definieren, was Bibeltreue positiv beinhaltet. Auf jeden Fall ist in diesem Zusammenhang über Fragen von Inspiration und Unfehlbarkeit der Bibel, vor allem aber ihrer Auslegung (Hermeneutik) nachzudenken. Bibeltreue ist aber auch eine vom Vertrauen auf das Wort Gottes bestimmte Haltung, die Auswirkung auf den Alltag des Glaubens und alle Aktivitäten der Gemeinde hat, wie unser letzter Kongress zeigte. Wir überlegen deshalb, dem Thema selbst einen nächsten Kongress zu widmen.
In einem kritischen Leserbrief an IDEA versucht Dr. Lothar Gassman von der anderen Seite her zu zeigen, wo Bibelkritik beginnt.1
„Bibelkritik beginnt … nicht erst da, wo Fundamente des christlichen Glaubens (z. B. Jungfrauengeburt, Gottessohnschaft, Sühnetod und Auferstehung Jesu Christi) geleugnet, umgedeutet oder relativiert werden oder wo man Homosexualität und Religionsvermischung als mit der Bibel vereinbar hinstellt. Bibelkritik beginnt bereits da,
- wo biblische Schriften gegen ihren Selbstanspruch in verschiedene „Quellen“ aufgeteilt werden,
- wo ihre Entstehung in eine andere Zeit datiert wird, als es die biblischen Schriften selber bezeugen;
- wo ihre Entstehung anderen Verfassern zugeschrieben wird als denen, die in den jeweiligen Schriften genannt sind;
- wo behauptet wird, dass die von Jesus Christus in den Evangelien überlieferten Worte nicht alle von ihm stammen;
- wo die Erfüllung von Prophezeiungen in den biblischen Schriften in andere Zeiträume verlegt wird, als es an den betreffenden Stellen ausdrücklich vermerkt ist,
- wo behauptet wird, die Bibel sei in naturwissenschaftlicher, geographischer und historischer Hinsicht nicht irrtumslos.“
Zum Artikel „In ‚Bibeltreue‘ nicht überholbar“ in IDEA-Spektrum Nr. 14/2000, der uns vom Verfasser im vollständigen Wortlaut übergeben wurde. ↩