So muss man es wohl verstehen und daraus folgt dann die Frage: Warum hat Elihu recht geredet, aber Eliphas, Bildad und Zophar nicht?
Zuerst einmal: Alle – einschließlich Hiob – sind sich in der Überzeugung einig, dass Gott Gerechtigkeit belohnt und Sünde bestraft. Dieser Sachverhalt wird im Hiobbuch nicht in Frage gestellt, sondern auf das Ergehen des Hiob angewendet. Dabei ergeben sich verschiedene Schlußfolgerungen. Eliphas, Bildad und Zophar sind jeder auf seine Weise überzeugt, dass sich aus dem Unglück Hiobs nur die eine Schlußfolgerung ableiten läßt: Hiob habe vor dem Unglück gesündigt und werde nun bestraft. Dass er es abstreitet, mache die Sache nur noch schlimmer, weil es so augenfällig sei. Wer derartiges erleide, könne nur für Sünde gestraft werden.
Wie ist so ein Reden für den Fall zu beurteilen, dass Hiob nicht gesündigt hat? Einen anderen in derart massiver Weise der Sünde zu bezichtigen, das gehört mindestens unter das Falsch-Zeugnis-Reden. Hiob beurteilt die Sache aber noch viel strenger (19,28f): „Wenn ihr sagt: Wie wollen wir ihm nachjagen! – und dass die Wurzel der Sache in mir zu finden sei, so fürchtet euch selbst vor dem Schwert! Denn das Schwert ist der Grimm, der über die Sünden kommt, damit ihr erkennt: Es gibt einen Richter.”
Hiob ist für sich der Überzeugung, nicht gesündigt zu haben (10,13-17; 27,2-7;31). Weil er aber die gleiche Meinung über Lohn und Strafe vertritt, kommt er zum Ergebnis, dass Gott ungerecht sein muss (19,6; 30,16-31). Wenn es einen Richter über Gott gäbe, würde Hiob sogar Gott vor diesen Richter ziehen. Da er aber keine Hilfe erwarten kann, außer von dem Gott, der ihn so ungerecht behandelt, hofft er, Gott werde seine Gerechtigkeit noch erweisen (19,25-27).
Elihu – bei gleicher Ansicht über Lohn und Strafe – erkennt zwar keine Schuld bei Hiob, die Gottes Handeln im Vorhinein motiviert hätte. Dann aber hat das Leid Selbstgerechtigkeit bei Hiob offenbart. Hiob hat es gewagt, Gottes Gerechtigkeit in Frage zu stellen. Das stehe ihm nicht zu (Kap 33+34). Gott werde schließlich – auch wenn die Menschen lange darauf warten – Bosheit bestrafen und Gerechtigkeit belohnen (Kap 35). Darüber hinaus könne Leiden aber auch der Warnung oder der Reinigung des Leidenden dienen (Kap 36+37).
Damit bereitet Elihus Reden Gottes „Antworten” vor. Gott beantwortet genau genommen nicht eine einzige Frage Hiobs. Er erklärt ihm nicht, warum er leiden mußte. Er bestätigt nicht Hiobs anfängliche Unschuld. Gott begegnet Hiob, um ihm Seine Größe und Herrlichkeit zu verdeutlichen. Dabei zeigt Gott das Unvermögen des Menschen, Gottes Ratschlüsse zu durchschauen und zu kritisieren. Gottes Macht ist und bleibt unangreifbar. Hiob hat durch die – durch Leiden vorbereitete – Gottesbegegnung seinen Gott erst richtig kennen gelernt. Hiob bekennt (42,5-6):
„Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen. Darum spreche ich mich schuldig und tue Buße in Staub und Asche.”
Damit hat sich – wie Elihu es gesehen hatte – der Fokus von der Frage, ob das aktuelle Leid Strafe für Schuld ist, dahin bewegt, dass durch unbegreifliches Leiden der Mensch seine Stellung vor Gott erkennen lernt. Das ist ein Weg, sich selbst und seinen Gott richtig kennenzulernen.
Leider ist die Bedeutung des Leidens nach meiner Beobachtung für viele Christen fast aus dem Blickfeld geraten. Es ist schwer, durchzubuchstabieren, was es heißen soll: Jesus wird im Leiden am Kreuz verherrlicht. Im tiefsten Leiden wird der größte Sieg errungen. Nicht Verliebtheit in Leiden, aber die Bereitschaft, es freiwillig auf sich zu nehmen, diese Haltung fordert Christus von uns. Jakobus ermahnt, es für die reine Freude zu halten, wenn wir in verschiedenste Anfechtungen geraten, weil dies dem Glauben gut tut (Jak 1,2-4). Paulus rühmt sich der Leiden um Christi willen (Röm 5,3-5), weil er weiß, dass der Heilige Geist es möglich macht, dass wir den Gott lieben, der uns in Leiden geraten läßt. Und auch Petrus hält Leiden für einen Weg den Glauben zu reinigen (1Pet 1,6-7) und das Leiden für Christus und um des Guten willen für eine Gnade (1Pet 2,19-23).
Der Christ begreift sein Leiden also nicht als Strafe Gottes für seine Sünden, sondern als Weg der Glaubensstärkung. Auch wenn er weiß, dass der Zusammenhang von Sünde und Strafe nicht aufgehoben ist, liegt die Strafe doch auf Christus, damit wir Frieden haben. So bekommt für den Glaubenden das Leiden eine neue Bedeutung. Das ist worauf Elihu aufmerksam macht und dafür wird er nicht getadelt.