In 2Mo 21,4 scheint das Besitzrecht über dem Eherecht zu stehen. Wie paßt diese „Ordnung” zur biblischen Ethik? Steht nicht sonst der Mensch und die menschliche Beziehungen über einem Besitzanspruch?
Antwort:
Die angesprochene Regelung wird besser verständlich, wenn man versucht die Situation nachzuvollziehen, der 2Mo 21,1-6 zugrunde liegt.
Es geht nicht um eine Konkurrenz zwischen Besitzrecht und Eherecht. Die Rechtsordnung ist eine Regelung für einen Hebräer, der sich aufgrund finanzieller Not in die Abhängigkeit als Sklave bei einem anderen Hebräer begeben mußte (3Mo 25,39). Durch das Gesetz wird geregelt, dass diese Abhängigkeit nicht länger als 6 Jahre dauern darf. Danach kann der Sklave frei gehen, ohne den Kaufpreis, den er etwa zur Tilgung seiner Schulden gebraucht hatte, zurückzahlen zu müssen. Das hat er schon mit seiner Arbeitskraft getan. Wenn man diese Verse mit den Ordnungen aus 5Mo 15,13-15 ergänzt, dann bekam der Sklave bei seiner Freilassung sogar einen Lohn, sozusagen ein Startkapital, mit dem er wieder auf eigenen Füßen stehen konnte.
Nun geht es bei der Frage, um den Sklaven, der innerhalb der 6 Jahre Dienstverpflichtung geheiratet hat. Weil er mittellos und in Abhängigkeit stand, konnte er sich nicht selbst eine Frau suchen, sondern sein Herr gab ihm eine Frau.
Dazu konnte der Herr nicht auf seinen „Bestand” an Sklavinnen zurückgreifen und ihm eine unverheiratete geben. Denn wenn er ein unverheiratetes Mädchen als Sklavin gekauft hatte, dann ging man davon aus, dass er auch mit ihr sexuellen Umgang hat (oder haben könnte) und sie erhielt Rechte der Ehefrau (7-11). Das bedeutete also, dass der Herr innerhalb der 6 Dienstjahre für seinen Sklaven eine Frau suchte und ihm die Eheschließung ermöglichte.
Die angefragte Stelle bedeutet für den Sklaven, der diese Großzügigkeit annimmt, dass er damit im Prinzip zustimmt, sein ganzes Leben als Sklave seines Herrn zu verbringen. Sonst müßte er die Jahre bis zu seiner Freilassung warten und dann heiraten. Trotzdem bekommt er am Ende der 6 Jahre die Möglichkeit frei zu werden, wenn er seinen Herrn, seine Frau und seine eventuell geborenen Kinder nicht liebt.
Wenn er auf dieses Recht verzichtet, dann bleibt er endgültig in der Abhängigkeit seines Herrn, was durch das zeichenhafte Annageln verdeutlicht wird: ein spitzer Holzspan wird durch das Ohrläppchen in den Tür- oder Zeltpfosten getrieben. Aber auch dann geht es ihm in dieser Sklaverei nicht so schlecht, wie man es aus den Geschichten aus der amerikanischen Sklaverei vor Augen hat. Zahlreiche Regelungen stellten den Sklaven auf die Stufe eines Lohnarbeiters (3Mo 25,6.39.43.53; 5Mo 12,18; 16,11).
Anders als es auf den ersten Blick scheint, ermöglicht das Gesetz also nicht einem herzlosen Sklavenbesitzer seinen Sklaven zum lebenslangen Dienst zu erpressen oder alternativ eine Ehe und Familie zu zerstören.
Anders als es auf den ersten Blick scheint, ermöglicht das Gesetz also nicht einem herzlosen Sklavenbesitzer seinen Sklaven zum lebenslangen Dienst zu erpressen oder alternativ eine Ehe und Familie zu zerstören. Es gilt grundsätzlich die Freilassung mit der Familie (2Mo 21,3; 3Mo 25,54). Dem Sklavenbesitzer gab die Regelung aber die Chance, weibliche Sklaven zu haben, denen er selbst keine Eherechte zugestehen musste, weil sie mit einem Sklaven verheiratet wurden. Vor allem aber sorgte die göttliche Ordnung dafür, dass der Sklave die großzügigen Bestimmungen des hebräischen Sklavenrechts nicht gedankenlos ausnutzte, sondern sich vor einer Eheschließung während seiner 6 Dienstjahre überlegte, ob er sich in die lebenslange Abhängigkeit begeben will.
Im Blick auf das Neue Testament bildet dieser Abschnitt wichtige Elemente des göttlichen Sklavenrechtes ab. Wenn Paulus sich als Sklave des Christus bezeichnet (Röm 1,1; Gal 1,10 u.ö.) dann denkt er an eine Seite der Beziehung des Christen zu seinem Herrn Jesus Christus. Christus erhebt einen lebenslänglichen Besitzanspruch, den er mit dem Siegel des Heiligen Geistes fest macht (1Kor 3,16 + 6,19). Seine Sklaven behandelt Christus aber wie Freunde, auch wenn er ihren Dienst will (Joh 15,13-15) und sie sein Eigentum sind.
Wer ein Christ werden will, der erhält Gottes großzügige Liebe und gehört zur Braut Christi. Er nimmt damit das Kreuz auf sich und trägt das Zeichen des Christus. So macht er deutlich, dass er aus Liebe zu seinem Herrn lebenslang sein Sklave sein will.