ThemenKultur und Gesellschaft

Informationsgesellschaft – Rettung aus der Krise?

Was verändert sich auf dem Weg in die „Informationsgesellschaft“ – eine Prognose aus den 90er Jahren.

Das Thema „Informationsgesellschaft“ hat sich zu einem Top-Thema der 90er Jahre entwickelt. Stichworte wie „Multimedia“ und „Telematik“, „digitale Revolution“ oder „Cyberspace“ sind in aller Munde. Dahinter steckt mehr als nur Mode und Marketing. Es geht um harte Fakten – wirtschaftlich und technologisch, gesellschaftlich und auch politisch. Sie werden unsere Welt prägen und verändern. Bei aller Vorsicht im Umgang mit Prognosen läßt sich nach heutigem Wissensstand doch sagen: Die Gesellschaft der Zukunft wird ganz wesentlich eine „Informationsgesellschaft“ sein.

Grund genug für Christen, sich für dieses Thema zu interessieren. Im folgenden sollen in knapper Form Begriffe geklärt, Voraussetzungen erläutert und einige praktische Anwendungen vorgestellt werden. Danach geht es um gesellschaftliche Folgewirkungen und schließlich um eine vorsichtige Einschätzung aus christlicher Sicht. Letzteres ist das eigentliche Anliegen. Um ihm entsprechen zu können, ist es allerdings notwendig, die Fakten zu kennen.1

1. Was heißt „Informationsgesellschaft“?

Eine Informationsgesellschaft gibt es bisher nirgendwo auf der Welt. Sie ist ein Szenario. Allmählich und stückweise wird daraus Realität. Gesicherte Erkenntnisse über das, was da in seiner Gesamtheit entsteht, liegen bisher nicht vor. Vieles von dem, was an Einzelmerkmalen der Informationsgesellschaft nachfolgend beschrieben wird, kennen wir aber bereits. Anderes ist Weiterentwicklung von Bekanntem. Neu und typisch ist vor allem die Verknüpfung von Dingen, die wir bisher nur getrennt voneinander kennen.

Am Anfang des Nachdenkens über die Informationsgesellschaft steht die Beobachtung technologischer und wirtschaftlicher Entwicklungen. Sie geben Anlaß zu der Vermutung, daß neue oder neuartig verknüpfte Formen von Information und Kommunikation die Gesellschaft der Zukunft – in Wirtschaft und Arbeit, in Kultur und Alltagsleben – entscheidend bestimmen werden. In diesem Sinne definiert der von der deutschen Bundesregierung berufene Rat für Forschung, Technologie und Innovation die Informationsgesellschaft als „eine Wirtschafts- und Gesellschaftsform, in der die Gewinnung, Speicherung, Verarbeitung, Vermittlung, Verbreitung und Nutzung von Informationen und Wissen einschließlich wachsender technischer Möglichkeiten der interaktiven Kommunikation eine entscheidende Rolle spielen“.

Aufgrund dieser Prägung, so die inzwischen weit verbreitete Annahme, entwickelt sich aus unserer heutigen Industriegesellschaft eine neue Form von Gesellschaft: die Informationsgesellschaft. Zentrales Merkmal dieser neuen Gesellschaft sind vernetzte kommunikationstechnologische Systeme. Sie betreffen (im Prinzip) alle Lebensbereiche. Räumliche und zeitliche Distanzen spielen keine Rolle mehr. Grenzen und kulturelle Barrieren spielen keine Rolle mehr. Informationsmengen spielen keine Rolle mehr. Die Bürger der Informationsgesellschaft kommunizieren permanent und global miteinander.

Drei Merkmale sind es vor allem, die das Wesen der zukünftigen Informationsgesellschaft ausmachen sollen, die „drei großen I“:

  • Information: Sie ist in jeder Beziehung die Basis erfolgreichen Lebens in der neuen Gesellschaft. Vor allem: Nicht mehr Kapital, Rohstoffe oder körperliche Arbeit, sondern Informationen, Ideen und Wissen sind die entscheidenden Faktoren zukünftigen Wirtschaftens. Man spricht bereits von „Ideenökonomie“. Tragende Schicht der neuen Gesellschaft werden die „Wissensarbeiter“ sein.
  • Integration: Unterschiedliche technologische Welten wachsen durch die gemeinsame digitale Technik zusammen. Unterschiedliche Kommunikations-Infrastrukturen integrieren sich weltweit zu großen Netzwerken. Dies hat weitgehende Folgen: Massen- und Individualkommunikation wachsen zusammen; bisher getrennte Märkte vereinigen sich; Branchen wachsen zusammen; nationale und kulturelle Trennlinien verlieren an Bedeutung; eine Vielzahl neuer Optionen in Technik und Ökonomie, Bildung und Kultur, Staat und Gesellschaft werden vorstellbar.
  • Interaktion: Die Bürger der Informationsgesellschaft sind Empfänger und Anbieter von Informationen zugleich. Sie wählen Informationen bewußt aus, steuern sie und reagieren darauf. Die bisherige Unterscheidung zwischen Anbietern und Nutzern wird zugunsten eines gleichberechtigten Verhältnisses aufgelöst.

Hauptmerkmal der neuen Gesellschaft: vernetzte Systeme zur Kommunikation

Das sind natürlich ideale Zielvorstellungen. Wie die Informationsgesellschaft im einzelnen wirklich aussehen wird, wieviel vor allem von dem umgesetzt werden kann, was heute vorstellbar erscheint, das weiß bislang niemand. Entsprechend viel wird spekuliert. Große Hoffnungen, aber auch Fragen und Befürchtungen stehen im Raum.

Nicholas Negroponte, Professor am berühmten Massachusetts Institute of Technology und ein Prophet des neuen Zeitalters, malt sich die Zukunft beispielsweise so aus:

Schulen werden sich zu einer Kombination aus Museum und Spielplatz entwickeln

„Zu Beginn des nächsten Jahrtausends werden unsere linken und rechten Armbänder oder Ohrringe auf dem Umweg über erdnahe Satelliten miteinander kommunizieren… Ein Telefon wird nicht mehr aufdringlich klingeln, sondern wie ein gut ausgebildeter englischer Butler Anrufe entgegennehmen, sortieren und gegebenenfalls auch beantworten. Neuartige Systeme zur Übertragung und zum Empfang individueller Informationen und Unterhaltungsprogramme werden die Massenmedien völlig umkrempeln. Schulen werden sich zu einer Kombination aus Museum und Spielplatz entwickeln, in der Kinder sich treffen, um ihre Ideen zu sammeln und mit anderen Kindern auf der Welt in Kontakt zu treten. … Wir werden uns in digitalen Nachbarschaften zusammenfinden, in denen der physikalische Raum keine Rolle mehr spielt und in denen Zeit eine ganz neue Bedeutung bekommen hat. Wenn Sie in zwanzig Jahren aus dem Fenster schauen, werden Sie dort vielleicht etwas sehen, was fünftausend Kilometer und sechs Zeitzonen weit entfernt ist. … Wenn Sie einen Text über Patagonien lesen, gehört dazu dann auch die sinnliche Erfahrung einer Reise in dieses Land. Ein Buch von William Buckley könnte die Form einer Konversation mit dem Autor annehmen.“

Was ist die sachliche Basis für solche Erwartungen?

2. Voraussetzungen für die Informationsgesellschaft

2.1 Wirtschaftliche Trends

Die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre ist, sehr vergröbert, von folgenden Merkmalen gekennzeichnet:

  • Die westlichen Industriestaaten, insbesondere die europäischen, befinden sich in einer Krise. Technologische Spitzenpositionen gehen verloren, die Wirtschaft wächst nicht im erforderlichen Maße, Arbeitslosigkeit verfestigt sich auf hohem Niveau. Konzepte, um aus dieser Krise herauszukommen, sind Mangelware.
  • Es formieren sich internationale Konzern-, Kooperations- und Wettbewerbsstrukturen. Man spricht von der Globalisierung der Wirtschaft.
  • Innerhalb der Industriestaaten verlagert sich der volkswirtschaftliche Wertschöpfungsprozeß seit langem auf den Bereich der Dienstleistungen, den sogenannten tertiären Sektor.
  • Innerhalb des tertiären Sektors gewinnt der Bereich „Informationswirtschaft“ zunehmend an Bedeutung. Wer viel Geld verdienen möchte, engagiert sich heute auf dem Gebiet der Telekommunikation, in der Unterhaltungselektronik, in der Medienbranche, bei Diensten und Inhalten für Computernetze und in den zugehörigen Service-Bereichen. Seit Jahren finden hier regelrechte „Wirtschaftskrimis“ statt. Der weltweite Umsatz von entsprechenden Produkten und Dienstleistungen wird auf ca. 3,5 Billionen DM geschätzt, bei weiterhin dynamischem Wachstum. In einzelnen Marktsegmenten wird eine Verdopplung der Potentiale binnen vier bis fünf Jahren erwartet.
  • Für Deutschland wird das Umsatzvolumen der Informationswirtschaft gegenwärtig auf ca. 400 Mrd. DM geschätzt, das sind etwas mehr als 10% des Bruttoinlandsprodukts. Noch wichtiger ist, daß heute bereits mehr als die Hälfte aller Erwerbstätigen in Deutschland schwerpunktmäßig mit „Informationstätigkeiten“ beschäftigt sind.
  • Als Katalysator dieser Entwicklungen wirkt die weltweite Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes. Auch in Deutschland gelten seit 1. Januar 1998 auf dem Gebiet der allgemeinen Sprachkommunikation die Regeln des Marktes. Die Telekommunikationsbranche ist zum entscheidenden Medium und Motor von Globalisierung und Informationalisierung der Wirtschaft geworden. Sie organisiert die weltweite Vernetzung und liefert damit die Basis für ein immer stärkeres Zusammenwirken wirtschaftlicher Prozesse.

2.2 Technologische Trends

Erfolg und Bedeutung der Informationswirtschaft basieren maßgeblich auf einer rasanten technologischen Entwicklung. Die entscheidenden Stichworte lauten: Digitalisierung, Datenkompression und Vernetzung.

  • Digitalisierung meint die „Übersetzung“ von Informationen in binäre elektronische Zeichenfolgen (0 oder 1, Nicht-Signal oder Signal, Aus oder An). Die kleinste digitale Einheit ist 1 Bit.
  • Die Vorteile der digitalen Übertragung von Informationen sind Schnelligkeit, geringe Störanfälligkeit und eine hohe Übertragungsqualität.
  • Es ist möglich, die verschiedensten Informationen zu digitalisieren und mit Hilfe gleichartiger Codes zu übertragen. Den Bits ist es sozusagen „egal“, ob sie sich in Text, in Ton, in Bilder oder andere Formen von Information „zurückübersetzen“ lassen. Zum Teil wird erst der Empfänger der Daten an seinem Endgerät entscheiden, in welcher Form er welche Daten empfängt.
  • Wer viel Geld verdienen möchte, engagiert sich heute auf dem Gebiet der „Informationswirtschaft“.
  • Geräte, die mit digitalen Signalen gesteuert werden, „verstehen einander“ in der gleichen „Sprache“. Sie sind kompatibel. Deshalb besteht die Möglichkeit, daß Daten „gemischt“, auf verschiedene Geräte verteilt, aber auch wieder neu geordnet werden.
  • Es ist auch möglich, Bits so zu klassifizieren, daß ein einzelnes Bit eine Information über die Zuordnung vieler anderer Bits enthält. Dies ermöglich Markierungen, schon heute etwa für den Beginn eines neuen Musikstücks auf einer Musik-CD, zukünftig für den Beginn eines Films, die Auswahl eines Fernsehkanals oder die Auslösung einer Teleshopping-Aktivität. In naher Zukunft wird es möglich sein, bestimmte Angebote aus dem täglichen Fernsehprogramm nach vorher festgelegten Kriterien (etwa Nachrichten, Kultur, Religion) zu markieren. Ein Multimedia-Endgerät wird sie selbständig zusammenstellen und zum gewünschten Zeitpunkt (nach Feierabend, am Wochenende) für den Nutzer bereitstellen.
  • Digitale Übertragung benötigt allerdings enorme Datenmengen, insbesondere im Audio-und Videobereich. Um die daraus resultierenden Kapazitätsprobleme zu lösen, werden immer leistungsfähigere Datenkompressionsverfahren entwickelt. Die Daten werden auf einen Bruchteil ihres Speicherplatzbedarfes reduziert. Die Übertragung wird dadurch kürzer und billiger.
  • Auch die Übertragungs-netze werden digitalisiert und auf dieser Basis zu immer größeren Einheiten verbunden. Aus isolierten Computer-Endgeräten oder lokalen Netzen entstehen Netzwerke. Das Internet, eine weltweite, relativ unstrukturierte Zusammenschaltung von besonders leistungsfähigen Computernetzen, ist dafür gegenwärtig das eindrucksvollste Beispiel. Aber auch andere Kommunikations-Infrastrukturen (terrestrische Rundfunkübertragung, Kabelnetze, Telefonfestnetze, Satellitenübertragung, Mobilfunk) werden integriert. Sie werden dadurch sehr viel umfassender nutzbar sein, als bisher bekannt. In Zukunft werden, zumindest in den großen Ballungsräumen, fehlende Infrastrukturvoraussetzungen für den Kunden kein Hindernis mehr sein, all die Inhalte abrufen zu können, die er empfangen möchte.
  • Um wirklich interaktiv zu sein, benötigt der Nutzer zusätzlich einen elektronischen „Rückkanal“, mit dem er reagieren und letztlich selbst zum Sender werden kann. Die technischen Voraussetzungen dafür sind heute gegeben.

Alles wird integriert: Rundfunk, Kabelnetze, Telefonfestnetze, Satellitenübertragung, Mobilfunk

Überblickt man die technologische Entwicklung im ganzen, so sind sehr wohl noch Verbesserungen erforderlich, um die neuen Möglichkeiten nach Qualität und Kosten für den Normalverbraucher attraktiv zu machen. Die Richtung ist aber vorgezeichnet: Mit Hilfe von Digitalisierung, Datenkompression und Vernetzung werden Informationen immer schneller, in immer größerer Menge und vermutlich auch immer billiger weltweit ausgetauscht. Bislang getrennte technologische Welten – die Welt des Rundfunks und der Unterhaltungselektronik, die Welt der Telekommunikation und die Welt der Daten (Computer und Software) – verschmelzen zu einer einzigen. In Zukunft kommt und geht „alles durch eine Dose“. Binäre Codes entwickeln sich zur einzig gültigen Währung für Information und Kommunikation, zu einer Art „digitalem Euro“. Sie werden durch ein einziges weltweites System von Netzen ausgetauscht, finden den Weg zum Kunden durch ein einziges Kabel, werden möglicherweise durch ein einziges Decodersystem entschlüsselt und erreichen schließlich ein einziges Multimedia-Endgerät, das die Funktionen des Computers, des Fernsehers und vieles mehr miteinander verbindet.

2.3 Politische Steuerung

Seit einigen Jahren erkennt die Politik die beschriebenen Trends und versucht sich an ihrer Steuerung. Die entscheidenden Impulse gehen von den USA aus. Die Regierung Clinton/Gore hat Anfang der 90er Jahre die Vision eines „Information Superhighway“ entwickelt und daraus seit 1993 die „National Information Infrastructure“-Initiative geformt. Ziel von NII ist der Aufbau eines flächendeckenden digitalen Netzwerks, mit dem bis zum Jahr 2000 alle öffentlichen Einrichtungen, Schulen, Hochschulen, Krankenhäuser, Verwaltungen und Museen in den USA miteinander kommunizieren können.

Die G 7-Staaten haben diese Impulse aufgegriffen und sich 1995 auf eine GII (Global Information Infrastructure) -Initiative verständigt. Weitere Staaten, insbesondere in Südostasien, unternehmen große Anstrengungen in dieser Richtung. Als Musterland gilt Singapur, das bis zum Jahr 2007 eine „intelligente Insel“ mit umfassender digitaler Vernetzung sein möchte. Die Volksrepublik China strebt den direkten Sprung in die Informationsgesellschaft an. Bis 2010 sollen alle Kommunen des riesigen Landes über ihre öffentlichen Bibliotheken direkt an das Internet angeschlossen sein.

Innerhalb der Europäischen Union ist die Europäische Kommission die treibende Kraft. Seit 1994 setzt sie mit großen Förderprogrammen auf die Durchsetzung moderner Informationstechnologien. Fast ein Drittel der EU-Mittel für Forschung und Entwicklung fließen inzwischen in diese Richtung.

Binäre Codes entwickeln sich zur einzig gültigen Währung für Information und Kommunikation

Deutschland gehört zwar infrastrukturell zu den bestversorgten Regionen der Welt, hat aber ansonsten Nachholbedarf. 1994 hat die Bundesregierung eine „Initiative Informationsgesellschaft Deutschland“ gestartet und 1996 einen Aktionsplan „Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“ aufgelegt, aus dem insbesondere die Initiative „Schulen ans Netz“ bekanntgeworden ist. Einzelne Bundesländer, vor allem Bayern und Nordrhein-Westfalen, haben eigene Programme gestartet. In jüngster Zeit sind in Deutschland umfangreiche Gesetzeswerke in Kraft getreten (ein dritter Rundfunkänderungsstaatsvertrag zum 1. Januar 1997, das Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz des Bundes und der Mediendienste-Staatsvertrag der Länder zum 1. August 1997, das Telekommunikationsgesetz des Bundes zum 1. Januar 1998; ein weiterer Rundfunkänderungsstaatsvertrag ist in Vorbereitung), die den Regulierungsrahmen für die weitere Entwicklung bilden sollen. Im Oktober 1997 haben die Ministerpräsidenten der Länder, in Anlehnung an einen Beschluß der US-Regierung, einen Zeitraum von zehn Jahren als zeitlichen Rahmen vorgegeben, in dem sie mit allen Beteiligten auf eine Durchsetzung von digitalem Hörfunk und Fernsehen in Deutschland hinwirken wollen.

3. Erwartungen an die Informationsgesellschaft

Man mag die Bedeutung politischer Initiativen unterschiedlich bewerten, die entscheidenden Impulse gehen sicherlich von der Wirtschaft selbst aus. An den genannten Initiativen wird allerdings deutlich, daß das Ziel, der Informationsgesellschaft zum Durchbruch zu verhelfen, weltweit auf den höchsten politischen Ebenen aktiv und einvernehmlich angestrebt wird.

Immer mehr Politiker, aber auch namhafte Unternehmer und Wissenschaftler in aller Welt sehen in den Möglichkeiten der Informationsgesellschaft die entscheidende, vielleicht auch die letzte Chance, um die Krise der industrialisierten Staaten zu überwinden. Die Entdeckung der Kommunikation als Produktionsfaktor, so prognostizieren sie, garantiert wieder eine Verstetigung des wirtschaftlichen Wachstums. Sie durchbricht die Dynamik von Ressourcenvernichtung und Umweltzerstörung. Und vor allem beseitigt sie das wichtigste gesellschaftliche Problem unserer Zeit, die Massenarbeitslosigkeit.

Auf den höchsten politischen Ebenen wird weltweit versucht, der Informationsgesellschaft zum Durchbruch zu verhelfen

Wer die politischen Erklärungen zur Informationsgesellschaft, insbesondere auf europäischer und internationaler Ebene, liest, der nimmt erstaunt zur Kenntnis, welche enormen Hoffnungen – gerade auch gesellschaftlicher Art – in die Informationsgesellschaft gesetzt werden:

  • EU-Kommissionspräsident Santer erwartet einen „Quantensprung in der Lebensqualität“.
  • Die „Gruppe hochrangiger Experten“, die die EU-Kommission berufen hat, um die gesellschaftlichen und kulturellen Folgen der Informationsgesellschaft auszuloten, sieht einen neuen, globalen Sinn für Gemeinschaft entstehen und hofft auf „eine denkbare neue Kultur der Kompetenz und des Sachverstandes“.
  • Die Europäische Ministerkonferenz im Juli 1997 hat in einer „Bonner Erklärung“ unter anderem festgestellt: „Die Minister sind der Auffassung, daß die Entstehung globaler Informationsnetze eine äußerst positive Entwicklung darstellt, die für die Zukunft Europas von ausschlaggebender Bedeutung und eine Chance für alle ist … Die Minister anerkennen, daß Fortschritte bei globalen Informationsnetzen die Gesellschaft in allen Bereichen beeinflussen können – vom Handel bis zum Gesundheitsschutz, von der Bildung bis zur Freizeit, von der Ausübung der Regierungsgewalt bis zur Wahrnehmung demokratischer Rechte.“
  • Im Aktionsplan der US-Regierung zur NII-Initiative heißt es: „Die Entwicklung der nationalen Informationsinfrastruktur kann dazu beitragen, eine Informationsrevolution in Gang zu setzen, die das Leben und die Arbeit der Menschen sowie ihre Beziehungen untereinander ein für allemal verändern wird.“

Dabei knüpfen die optimistischsten Erwartungen an dem Merkmal der Interaktion an. Kommunikative, medienkompetente Bürger der Informationsgesellschaft, so die Erwartung, werden auf ganz neue Weise in einen internationalen Dialog eintre-ten. Wo weltweit der Meinungsaustausch gepflegt wird, wie heute schon ansatzweise in den Newsgroups des Internet, kommen sich Kulturen näher und werden Konflikte vermieden. Neue Impulse für das gesellschaftliche Miteinander und die politische Partizipation sind denkbar. Im Freizeitverhalten werden mehr Selbstbestimmung und Individualität möglich sein, etwa bei der Auswahl des Spiel- und Fernsehangebots. Die Aufnahme von Informationen aller Art ist stärker auf den persönlichen Bedarf zugeschnitten. Interaktives Lernen wird in Tempo und Inhalten besser auf persönliche Schwerpunkte ausgerichtet sein. Dazu noch einmal Negroponte:

„Während sich die Politiker mit der Altlast der Geschichte abmühen, entsteht aus der digitalen Landschaft eine neue Generation, die frei von alten Vorurteilen ist und sich von den Beschränkungen geographischer Nähe als einziger Basis für Freundschaft, Zusammenarbeit, Spiel und Nachbarschaft gelöst hat. Die digitale Technologie kann wie eine Naturgewalt wirken, die die Menschen zu größerer Weltharmonie bewegt.“

Es ist erstaunlich, welche enormen Hoffnungen in die Informations-gesellschaft gesetzt werden

 Natürlich gibt es auch viele kritische Stimmen. Im politischen Bereich setzt sich die Einsicht durch, daß man in der drängendsten Frage, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Erwartungen nicht zu hoch schrauben darf. Wenn neue Arbeitsplätze in der Informationswirtschaft den weiteren Abbau in traditionellen Branchen kompensieren, so gilt dies inzwischen als ein gutes Ergebnis. Im ganzen hat sich allerdings – durchaus mit guten Gründen – die Ansicht durchgesetzt, daß hier eine Art neuer industrieller Revolution im Gange ist und daß alle, die daran nicht teilnehmen, den Anschluß an die Zukunft verpassen.

4. Praktische Anwendungen

Viele Anwendungen, die die Informationsgesellschaft prägen sollen, haben sich in den letzten Jahren bereits durchgesetzt oder beginnen sich durchzusetzen. Typische Anwendungen im privaten Bereich sind Online-Dienste, Computerspiele, CD-ROM-Angebote und digitales Fernsehen. Der Schwerpunkt liegt in der Unterhaltung. Wichtige geschäftliche Anwendungen sind Videokonferenzen, Lern- und Schulungsangebote, Datenbankdienste, Teleworking und Informationskioske. An Verfeinerungen und Verknüpfungen, die auch zu völlig neuen Nutzungsformen führen werden, wird gearbeitet.

Internet und Intranets gehören heute in Wirtschaft und Wissenschaft zum Standard. Gegenwärtig können weltweit etwa 40 Mio. Menschen über das Internet miteinander kommunizieren. 3% der deutschen Haushalte haben eine Internet-Adresse, 7% nutzen die Möglichkeit von Online-Diensten. Neuartige Tele- und Mediendienste entstehen. Telebanking wird zunehmend von den Kunden angenommen. An der Entwicklung einer interna-tional gültigen elektronischen Währung wird gearbeitet. Ein erster Teleshopping-Fernsehkanal ist in mehreren deutschen Ländern zugelassen. Telemedizin ermöglicht Ferndiagnosen bis hin zur ferngesteuerten Operation. Im Verkehrswesen etablieren sich neuartige Leitsysteme.

Telekooperation ist Zusammenarbeit über räumliche und zeitliche Distanzen hinweg mit Hilfe moderner Kommunikationstechniken, zunehmend auch über das Internet. Unternehmen, deren Arbeitseinheiten räumlich auseinanderliegen oder die mit anderen Unternehmen kooperieren, arbeiten auf diese Weise schnell, effizient und kostengünstig zusammen. Internationale Konzerne gehen dazu über, ihre Produkte unter Ausnutzung der Zeitzonen arbeitsteilig rund um die Welt entwickeln zu lassen.

Im ganzen vollzieht sich eine allmähliche Entkoppelung zwischen Unternehmen und Arbeitsplatz, bis hin zur Entstehung virtueller Unternehmen. Der erwartete große Durchbruch bei der Telearbeit steht allerdings noch aus. Bei weiter Auslegung des Begriffs schätzt man in Deutschland zur Zeit etwa 800.000 Personen, die ganz oder teilweise am Telearbeitsplatz beschäftigt sind. In den USA sind es bereits 20 Millionen.

An der Entwicklung einer international gültigen elektronischen Währung wird gearbeitet

Multimediale Lernangebote gewinnen an Bedeutung. Schulbücher per CD-ROM, schuleigene Netze, Fortentwicklungen des Fernuniversitäten-Konzepts bis hin zum bereits existierenden virtuellen Campus, aber auch Aus- und Fortbildungsangebote für Unternehmen und Verbände – der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Ergänzend wird im Wissenschaftsbereich immer mehr (und teilweise bereits ausschließlich) elektronisch publiziert und stehen elektronische Bibliotheken, Museen, Galerien, Archive und anderes mehr zur Verfügung.

Die Übergänge zu virtuellen Realitäten aller Art sind fließend: Fahr- und Flugsimulation in den entsprechenden Ausbildungsgängen, virtuelle Animationen in Film- und Fernsehproduktionen, der Nachbau verfallener Städte mit Hilfe der Computervisualistik und vieles mehr. Hinzu kommen Video- und Computerspiele, die sich zu Spielen im Netz entwickeln. Allein in Deutschland werden auf dem Spielemarkt jährlich 2 Mrd. DM umgesetzt.

Beim digitalen Fernsehen und Radio hat international und auch in Deutschland die Phase der Markterschließung begonnen. 1998 wird dabei ein wichtiges Jahr sein. Durch die Möglichkeiten der digitalen Technik entfallen beim Fernsehen die bisherigen Kapazitätsengpässe. Dadurch stehen in Zukunft viel mehr Kanäle zur Verfügung, in Deutschland in einem ersten Schritt demnächst 150. Soweit es den rundfunkrechtlichen Vorgaben entspricht, vor allem aber: soweit es sich rechnet, wird potentiell in Zukunft jeder das senden und empfangen können, was er möchte.

Soweit es sich rechnet, wird in Zukunft jeder das senden und empfangen können, was er möchte

Weil sich neue Angebote finanzieren müssen, wird auch in Deutschland neben den bisherigen Angeboten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (gebühren- und werbefinanziert) und des privaten Rundfunks (ausschließlich werbefinanziert) ein dritter Bereich entstehen, bei dem gezielt nach Nutzung bezahlt und anschließend empfangen werden kann (pay-TV). Aus dem bisherigen dualen wird auf diese Weise ein triales System. Noch ist nicht sicher, in welchem Ausmaß sich pay-TV in Deutschland wird etablieren können, ob es vielleicht sogar zu einer existentiellen Bedrohung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird. Auch ist nicht sicher, was diese Entwicklung für Qualität, Meinungs-, Angebots- und Anbietervielfalt bedeuten wird.

Das Fernsehen der Zukunft wird sich in neuen Formen präsentieren

Das Fernsehen der Zukunft wird sich in neuen Formen präsentieren, die sich bereits abzeichnen:

  • Spartenprogramme werden auf ganz spezielle Zielgruppen zugeschnitten sein (Kultur, Frauen, Kinder, Information, Sport, einzelne Sportarten, etc.).
  • Vernetzte Programmplattformen werden dem Zuschauer den Weg weisen, um innerhalb der Angebote eines Senders oder einer Senderfamilie die Auswahl des persönlichen Bedarfs zusammenzustellen.
  • Der Zuschauer wird vermehrt für die Nutzung eines Kanals (pay per channel) oder für die Wahl einer Sendung (pay per view) begrenzt abrechnen können.
  • Nach Art einer elektronischen Videothek wird der Zuschauer außerdem sein Programm zunehmend zu der von ihm gewünschten Zeit empfangen können (Video on demand, Near Video on demand).
  • Interaktives Fernsehen in dem Sinne, daß der Zuschauer auf anspruchsvollere Weise auf Inhalte und Gestaltung eines Programms Einfluß nehmen kann, ist allerdings noch Zukunftsmusik.
  • Hinzu kommt das Zusammenwachsen, die Konvergenz der Medien. Schon heute ist, bei minderer Qualität, Rundfunkempfang über Internet-PCs möglich.

5. Gesellschaftliche Folgewirkungen

Überblickt man die vorgestellten Anwendungen – es handelt sich nur um eine kleine Auswahl –, so stehen sinnvolle und problematische Aspekte nahe beieinander, zum Teil gehen sie ineinander über. Denkt man sie weiter und im Zusammenhang, so wird das folgende Alltagsszenario aus einer Studie von Booz, Allen & Hamilton vorstellbar:

„Zeitungen werden nur noch in digitaler Form zum Frühstück per Multimedia-Home-Terminal heruntergeladen. Selbstverständlich sind zu den aktuellen Schlagzeilen auch Filmberichte abrufbar. Nach dem Frühstück, das ich am Abend zuvor noch schnell über den Datenhighway geordert habe, wähle ich mich über dasselbe Multimedia-Terminal in das Netz meines Arbeitgebers ein, der in Südamerika sitzt. Zunächst findet wie jeden Montag per Videokonferenz die wöchentliche Teambesprechung statt. Arbeitsunterlagen werden per Mausclick rund um den Globus verteilt und Teamergebnisse am Abend … zusammengefaßt. Der abendliche Kinobesuch gehört schon längst der Vergangenheit an. Aktuelle Kinofilme lade ich ebenso selbstverständlich vom Server ins Wohnzimmer wie die letzte Lektion des Fremdsprachenkurses …“

Welche gesellschaftlichen Chancen und Risiken sich aus einem solchen Szenario vor allem auch für uns als Christen ergeben, lesen Sie bitte im zweiten Teil des Aufsatzes in der nächsten Nummer von „Bibel und Gemeinde“.

Die größte Chance liegt sicherlich in einer allgemeinen Steigerung des Wissens. Informationen aller Art können umfassend erfaßt, für die Allgemeinheit verfügbar gemacht sowie gezielt vermittelt und ausgetauscht werden. Voraussetzung ist, daß möglichst viele mit diesen Möglichkeiten angemessen umgehen können, indem sie über „Medienkompetenz“ verfügen. Das große Risiko liegt darin, daß die Fülle an Informationen keine Unterscheidung mehr erlaubt, was möglicherweise falsch, ungenau, unsortiert, manipuliert oder trivial ist. Informationsüberflutung kann zur Desinformation führen. Problematisch erscheint außerdem die Möglichkeit einer neuen gesellschaftlichen Spaltung entlang der Trennlinie „wissend“ und „unwissend“.

Informationsüberflutung kann zur Desinformation führen.

Die Informationsgesellschaft wird den kulturellen Wandel, wie wir ihn heute bereits in allen Industrienationen erleben, weiter verstärken. Aus der uns bekannten Lesekultur wird eine „Nutzerkultur“. Unterhaltung und Wissen erreichen uns zunehmend auf visuellem Wege. Das muß nicht nur etwas Negatives sein. Die Arbeit an der Bibel mit Hilfe von Dateien und Netzen ist beispielsweise für viele Christen bereits zu einer Selbstverständlichkeit geworden.

Die Informationsgesellschaft wird das Arbeitsleben tiefgreifend verändern. Neue Berufsbilder, Beschäftigungsverhältnisse, Arbeitszeit- und Hierarchiemodelle werden sich etablieren. Arbeitsabläufe werden in einem bisher nicht gekanntem Ausmaß flexibel gestaltet. Ob daraus mehr Beschäftigung erwächst, ist unsicher. Auf jeden Fall wird derjenige, der sich diesen flexibleren Verhältnissen anpaßt, bessere Beschäftigungschancen haben. Man kann also nur all denjenigen, die heute in Ausbildung und Beschäftigung stehen, den Rat geben, sich frühzeitig aktiv auf solche Veränderungen einzustellen.

Natürlich wird die Informationsgesellschaft eine High-tech-Gesellschaft sein, mit allen Bequemlichkeiten und Abhängigkeiten, die wir auch heute bereits kennen. Mit Hilfe modernster Technik werden vor allem die Möglichkeiten jedes einzelnen, einen persönlichen Lebensstil zu pflegen, noch weiter zunehmen. Die ganz individuelle Gestaltung von immer mehr Lebensbereichen (Beruf, Bildung, Alltag, Gesundheit, Reisen, Unterhaltung, Information, Konsum, etc.) wird von vielen als Chance der neuen Gesellschaft gepriesen. Wenn die Tageszeitung als „Daily Me“ erscheint und der Fernseher den „Ich-Kanal“ anbietet, so entspricht das in hohem Maße der Bedürfnisorientierung unserer „Erlebnis-“ und „Multioptionsgesellschaft“. Auf der anderen Seite stehen der Abbau von Gemeinsamkeiten, Desintegration und Vereinzelung vieler Menschen. Auch sie werden vermutlich weiter zunehmen.

Man kann sich in diesem Zusammenhang im übrigen auch gut die Gemeinde der Zukunft als virtuelle „Ego-Church“ ausmalen. Der Kirchenbesucher im heimischen Studio clickt sich je nach Geschmack und Bedarf in ein Angebot seiner Wahl ein. Mal liebt er es traditionell, mal etwas charismatisch. Ist ihm die Predigt zu streng oder das Liedgut zu konservativ, so wird er zu einem Kanal wechseln, auf dem es lockerer zugeht. Versteht er etwas nicht, hält er die Übertragung an und holt sich Zusatzinformationen. Das ist natürlich überzeichnet, aber von der Tendenz her vorstellbar. Eine „ChurchCard“ zur Abrechnung kirchlicher Serviceleistungen ist bereits erprobt.

Eine „Church-Card“ zur Abrechnung kirchlicher Serviceleistungen ist bereits erprobt.

Die Informationsgesellschaft wird durchgängig von virtuellen Realitäten geprägt sein. Vorstellungen von Wirklichkeit werden „wirkliche Wirklichkeit“ in immer mehr Lebensbereichen ablösen. Das hat unbestreitbare Vorteile: schnelle und konkrete Erbringung von Dienstleistungen, weniger Unfälle und Streß, Schonung der Umwelt, mehr persönliche Gestaltungsfreiheit und Unabhängigkeit. Das Risiko einer solchen Entwicklung liegt darin, daß herkömmliche Lebensorientierungen verloren gehen, für die kein hinreichender Ersatz geboten wird. Außerdem wächst die Gefahr der Manipulation. Schon heute sind immer mehr Menschen durch Medienwelten geprägt. Hemmschwellen sinken, die Gewaltbereitschaft steigt. Statt freier und kreativer werden viele Menschen unselbständiger. Das gilt nicht nur für die Jugend, wie häufig dargestellt, sondern in noch stärkerem Maße für die ältere Generation.

Die Informationsgesellschaft wird das Arbeitsleben tiefgreifend verändern

Häufig wird hervorgehoben, daß die Informationsgesellschaft die Entstehung einer einheitlichen Weltkultur, der kommerzialisierten McWorld, weiter befördert. Das ist richtig, ist aber nur die eine Seite der Medaille. Ein genauer Blick zeigt, daß sich in unserer Gesellschaft in nie gekanntem Ausmaß Gemeinsamkeiten auflösen. Die Informationsgesellschaft wird auch diese Entwicklung verstärken und zu einer größeren Fragmentierung beitragen. Der Bewohner des „globalen Dorfes“ hat vielleicht seinen Arbeitsplatz in Südamerika, er spielt Skat im Internet mit australischen Freunden, shoppt in virtuellen italienischen Boutiquen, besucht regelmäßig einen Fernsehgottesdienst, nutzt hin und wieder Angebote des CyberSex und hat somit im Grunde keine Verbindung mehr zu den Menschen, die real um ihn leben. Auch das ist natürlich ein überzeichnetes Bild. Die Beobachtung, daß der Mensch der Zukunft in vielen verschiedenen und sich permanent verändernden Netzwerken, in „fluid networks“, zu Hause ist, statt wie früher in festen und regional vergleichbaren Verhältnissen, läßt sich aber nicht von der Hand weisen.

Überblickt man die gesellschaftlichen Folgewirkungen im ganzen, so steht einem Mehr an Möglichkeiten zur individuellen, kreativen, selbstbestimmten Lebensgestaltung ein Mehr an Gefahren gegenüber. Eine Abwägung, welche Seite überwiegt, fällt schwer. Problematisch ist, daß über der allgemeinen ökonomischen und technologischen Begeisterung die kritische Diskussion über Inhalte zu kurz kommt. Schnelle Netze sind ja heute garnicht mehr das Thema, sie sind einfach da. Entscheidend ist, was mit und auf diesen Netzen passiert.

Die Praxis zeigt, daß vielfach gerade die interaktiven Elemente auf der Strecke bleiben, obwohl sie technisch möglich sind und obwohl sich so viele Hoffnungen darauf gründen. Rückkanäle sind eben teuer und amortisieren sich weniger. Kommerzielle Anbieter wollen aber keine Dialoge führen, sondern „Kommunikationsprodukte“ verkaufen. Die Konzentration der marktbeherrschenden Unternehmen wirkt sich dabei besonders ungünstig aus. Statt der erwünschten Vielfalt in den Netzen sieht es gegenwärtig eher danach aus, als ob wenige multinationale Konzerne die Schaltstellen der Informationsgesellschaft besetzen.

6. Anmerkungen aus christlicher Sicht

Als Christen, die wir in der Welt leben und doch nicht von der Welt sind (Joh 17, 11 und 14), haben wir den unschätzbaren Vorteil, Entwicklungen um uns her aus einer gewissen Distanz betrachten zu können. Es ist eine Distanz der Freiheit. Unser Schicksal entscheidet sich letztlich nicht an dem, was in der Welt geschieht.

Es ist zwar richtig, wenn wir davon ausgehen, daß die Gesellschaft der Zukunft wesentliche Merkmale einer Informationsgesellschaft – oder wie immer man sie zukünftig nennen mag – aufweisen wird. Die Informationsgesellschaft wird also auch unsere Gesellschaft werden, zumindest die unserer Kinder. Sie wird ein Stück jener Welt sein, in der wir zu leben, uns zu bewähren und unseren Weg zu finden haben. Dennoch ist sie nicht unsere letzte Zukunft. Und schon garnicht ist sie das Ziel unserer Hoffnung. Das Ziel unserer Hoffnung ist das unvergängliche, unbefleckte und unverwelkliche Erbteil, das in den Himmeln für uns aufbewahrt ist (1. Petr. 1, 3 und 4). Einen Himmel auf Erden erwarten wir nicht.

Man muß darüber staunen, welche Hoffnungen in ein Szenario gesetzt werden, von dem man eigentlich noch keine klare Vorstellung hat

Eigentlich muß man darüber staunen, welche Hoffnungen von ernstzunehmenden Zeitgenossen in ein Szenario gesetzt werden, von dem sie eigentlich noch keine klare Vorstellung haben. Niemand kann heute sagen, ob die Vorteile der Informationsgesellschaft tatsächlich so groß sein können, daß sie die Risiken überwiegen, ob das wirklich wünschenswert ist, was viele mit ganzer Kraft zu erreichen suchen. Ist es nicht letztlich eine Hoffnung, die auf Sand gebaut ist? Sand ist der Rohstoff der Glasfaserleitungen. Haben wir als Christen demgegenüber nicht allen Grund, von der Hoffnung, die in uns ist, noch viel selbstbewußter Rechenschaft abzulegen (1. Petr. 3, 15)?

Die Informationsgesellschaft ist nicht das Ziel unserer Hoffnung, aber auch nicht die Projektion unserer Ängste

Die Informationsgesellschaft ist also nicht das Ziel unserer Hoffnung. Sie ist aber auch nicht die Projektion unserer Ängste. Sie ist kein Anlaß, um sich in falscher Weise faszinieren zu lassen. Als evangelikale Christen neigen wir ein wenig dazu, die Welt in Schwarz und Weiß einzuteilen. Wir lieben den klaren Standpunkt, die deutliche Unterscheidung. Unter den Bedingungen der Informationsgesellschaft kann das auch ein Hindernis sein, um als Christ glaubwürdig zu leben.

Unsere feste Glaubensposition sollte uns nicht dazu verführen, in der Betrachtung des Hier und Jetzt bei einer kulturpessimistischen Einschätzung stehenzubleiben, frei nach dem Motto: „Die Welt ist schlecht, und es wird immer schlimmer.“ So sehr das nämlich im Prinzip richtig ist, so schwierig ist es doch, daraus Handlungsmuster für den Alltag abzuleiten. Die Bibel gibt uns keine Auskunft, ob Telebanking eine gute Sache, Teleshopping aber etwas Schlimmes ist. Sie läßt uns auch nicht klar erkennen, ob wir free-TV einschalten, beim pay-TV aber halt machen müssen.

Die Sache wird praktisch, wenn es um das entscheidende Kriterium für Erfolg oder Mißerfolg in der zukünftigen Gesellschaft geht, um die Aneignung von Medienkompetenz. Wir alle müssen lernen, aktiv, kompetent, selektiv mit Medien umzugehen. Wie können wir das lernen? Gesucht wird ein nüchterner Mittelweg zwischen Euphorie und Verweigerung. Dazu sollte es mehr und bessere Angebote für Christen geben.

Mit den technologischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten sind alle Voraussetzungen gegeben, um die biblischen Voraussagen über die Endzeit Wirklichkeit werden zu lassen

Natürlich beschäftigt uns als Christen auch die Frage, wie die Merkmale der Informationsgesellschaft in den Trend der Zeit und zu den Kennzeichen der Endzeit passen. Die Antwort ist eindeutig: Mit den technologischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der heraufziehenden Informationsgesellschaft sind alle Voraussetzungen gegeben, um die biblischen Voraussagen über die Endzeit Wirklichkeit werden zu lassen. Die weltweiten Verbindungen sind geknüpft. Die geistige und geistliche Gleichschaltung aller Menschen ist möglich. Das „neue Zeitalter“ kann jederzeit beginnen.

Außerdem passen die geistigen Trends der Informationsgesellschaft exakt zu den Zeitgeistströmungen der 90er Jahre. Eine deutlichere Übereinstimmung zwischen Technik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Religion und Philosophie wie in diesem Zusammenhang ist kaum vorstellbar. Ich nenne nur als besonders problematische Stichworte: Vernetzung und ganzheitliches Denken, Individualismus, Visualisierung und Reizüberflutung, Virtualität, Passivität und Manipulation, Kommerzialisierung, Egoismus, Zerstreuungssucht, Erlebnisorientierung, Vielfalt der Möglichkeiten und Desorientierung durch Vielfalt.

Das globale Gehirn beginnt zu arbeiten

Dazu paßt auch, daß es im Internet von New-Age-Phantasien nur so wimmelt. Ein zauberhaftes „Digitalien“, das Reich des elektronischen Weltgeistes, ein „planetarisches Erwachen“ wird erwartet.

Nach Meinung des amerikanischen Cyber-Denkers Peter Russel „gehen wir in die nächste Phase über, in der der Geist von Milliarden von Menschen zu einem einzigen integrierten Netzwerk zusammenwächst. Je komplexer unsere Telekommunikationskapazitäten werden, desto mehr gleicht die menschliche Gesellschaft einem planetaren Nervensystem. Das globale Gehirn beginnt zu arbeiten. Wir werden uns nicht mehr als isolierte Individuen wahrnehmen, sondern wissen, daß wir Teile eines schnell zusammenwachsenden Netzes sind, die Nervenzellen des erwachenden globalen Gehirns.“

Solche Stimmen werden von vielen gehört und ernstgenommen. Uwe Jean Heuser macht deutlich, worin solche übertriebenen Hoffnungen letztlich gründen:

„Es bleibt merkwürdig, daß diese Gruppierungen die Lösung ihres grundlegenden Problems, der Krise des gesellschaftlichen Miteinanders nämlich, in einer Welt suchen, die aus Siliconchips, Kathodenstrahlröhren und Glasfaserleitungen gemacht ist. Und es bleibt auch merkwürdig, die Lösung gerade in dem Medium zu suchen, das an der Entstehung des Problems maßgeblichen Anteil hat. Dazu gehört schon ein gutes Stück Verzweiflung.“

Das Evangelium von der Liebe Gottes und der Zusammenhalt in der Gemeinde Jesu sind eine echte Alternative

Die kalte, flüchtige Wirklichkeit der fluid networks wird nicht ausreichen, um die Sehnsucht vieler Menschen nach Erlösung und echter Gemeinschaft zu stillen. Als Christen sind wir gerade angesichts der beschriebenen Trends aufgefordert, unsere Alternative glaubwürdig vorzuleben. Es mag schwieriger werden, die Bürger der Informationsgesellschaft in ihren persönlichen Lebenszusammenhängen anzusprechen. Auch besteht verstärkt die Gefahr, daß die christliche Botschaft einfach nur als eine weitere Option zur persönlichen Auswahl mißverstanden wird. Hier müssen wir unsere Evangelisationspraxis kritisch überprüfen. Im Grundsatz bleibt es aber dabei: Das Evangelium von der Liebe Gottes und der Zusammenhalt in der Gemeinde Jesu sind eine echte Alternative. Wir haben allen Grund, dazu auch in Zukunft zu stehen.


  1. Ich habe versucht, die Zusammenhänge so verständlich wie möglich darzustellen. Im Sinne eines lesbaren, gerafften Überblicks ist manches sehr vereinfacht beschrieben. Auf zahlreiche wissenswerte Details und auch auf Anmerkungen habe ich verzichtet. Für Ergänzungen, Rückfragen, Belege, Literaturhinweise stehe ich gerne zur Verfügung.