ThemenWort- und Themenstudien

Gewalt in der Bibel

Kann man bei den vielen Gewaltdarstellungen in der Bibel noch an eine „Gott der Liebe“ glauben?

Die Bibel ist ein geniales Buch. Doch sie enthält auch eine ganze Menge Stolpersteine, die Bibellesern Mühe machen können. Ich denke dabei an die Texte, die von einem kriegerischen und die Menschen vernichtenden Gott sprechen. Ist das wirklich der uns vom Neuen Testament her bekannte „Gott der Liebe“, von dem Mose nach dem Durchzug durchs Rote Meer singt:

„Gott ist ein Krieger, Jahwe ist sein Name. Pharaos Wagen und seine Streitmacht warf er ins Meer, seine besten Kämpfer versanken im Schilfmeer. Fluten deckten sie zu. Sie sanken in die Tiefe wie Steine … Deine Rechte, Gott, zerschmettert den Feind. In deiner erhabenen Größe wirfst du die Gegner zu Boden. Du sendest deinen Zorn; er frisst sie wie Stoppeln.“ (2Mo 15,3–7)?

Der Theologe Raymund Schwager gibt an, er habe 600 Stellen in der Bibel gefunden, die von der Gewalt unter Menschen sprechen und er sei auf ca. 1000 Texte gestoßen, die von göttlicher Gewalt berichten. Durch die Sintflut vernichtete Gott unzählige Menschen und Tiere. Auf Sodom und Gomorra ließ er Schwefel und Feuer herabregnen. Die Ägypter ließ er im Roten Meer ertrinken. Und die in Palästina lebenden Kanaaniter sollte Israel bei ihrem Einzug ins gelobte Land gnadenlos vernichten:

„Der Herr, euer Gott, wird euch in das Land bringen, das ihr in Besitz nehmen sollt. Dort wird er mächtige Völker vertreiben und euch ihr Land geben: die Hetiter, Girgaschiter, Amoriter, Kanaaniter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter – sieben Völker, die größer und stärker sind als ihr. Der Herr, euer Gott, wird sie euch ausliefern. Ihr sollt sein Urteil an ihnen vollstrecken und sie töten. Verbündet euch nicht mit ihnen, und erzeigt ihnen keine Gnade!“ (5Mo 7,1–2)

Im Namen Gottes sollten ganze Völker ermordet werden? Erinnert das nicht an den Völkermord (Genozid) Hitlers oder an sogenannte „ethnischen Säuberungen“ in Ex-Jugoslawien? Ist Gott ein kriegerischer Gott im AT und ein Gott der Liebe im NT?

Wie ist das Verhältnis der Bibel zur Gewalt?

1. Das Paradies

Nachdem Gott das erste Menschenpaar geschaffen hatte, war noch alles „sehr gut“ (1Mo 1,31). Der Garten Eden (das Paradies) war ein Ort voller Frieden und Harmonie. Adam und Eva hatten keinen Streit miteinander, nicht einmal gegen Tiere waren sie gewalttätig. Denn ursprünglich waren Menschen und Tiere Vegetarier (1Mo 1,29.30; vgl. mit 9,3.4!), das Töten und der Tod waren in Gottes perfekter Welt nicht vorgesehen. Und Gott musste niemals über die nach seinem Bild geschaffenen Menschen zornig sein.

Ganz anders sah es dann nach dem Sündenfall aus. Adam und Eva gingen zumindest verbal aufeinander los, indem sie die Schuld abschoben. Gott musste Tiere töten, um sie mit Fellen zu bekleiden. Und es kam immer schlimmer!

2. Kain und Abel

Schon im vierten Kapitel der Bibel lesen wir von dem Brudermord Kains und danach von dem Doppelmörder Lamech (1Mo 4,23).

Gewalt, Mord und Blutrache sind also schon kurz nach dem Sündenfall beständige Begleiter des rebellischen und von Gott abgefallenen Menschen geworden. Gott kann dafür nicht verantwortlich gemacht werden. Der Mensch war es, der lieber unter der Herrschaft des „Mörders von Anfang an“ (Joh 8,44) als unter der liebevollen Herrschaft Gottes leben wollte.

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3. Die Sintflut

Zu Beginn des Sintflutberichts heißt es in 1Mo 6,5:

„Der Herr sah, dass auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war“.

Mit anderen Worten: Die Menschen waren durch und durch „faul“ geworden. Mit ihrer „Fäulnis“ steckten sie einander an. Sie waren unheilbar verdorben. Darum beschloss Gott, diese verdorbene Generation zu vernichten und mit Noah und seiner Familie einen neuen Anfang zu wagen.

Wer in der Schule abschreibt, wird bestraft; wer im Fußball eine Tätlichkeit begeht, bekommt die rote Karte gezeigt. Wer zu schnell fährt, muss bezahlen oder sogar den Führerschein abgeben. Wer schwere Verbrechen begeht, muss sie ihm Gefängnis abbüssen. Und der Mensch soll gegen seinen Schöpfer sündigen können, ohne dafür bestraft zu werden? Er hat sich gegen seinen Wohltäter aufgelehnt und gemeinsame Sache mit seinem Widersacher gemacht. Er ist schuldig und hat die Strafe wirklich verdient.

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4. Israels Kriege

Mit der Berufung Abrahams erwählte Gott ein Volk zu seinem Eigentum. Dieses Volk musste jedoch in der kriegerischen Antike um seinen Lebensraum kämpfen, um überleben zu können. Das 6. Gebot: „Du sollst nicht töten!“ (wörtlich: totschlagen, morden) verbot nämlich das Führen von Kriegen nicht. Wir unterscheiden dabei zwei Arten von Krieg: Kriege des HERRN und Verteidigungskriege.

4.1 Gott führte Krieg gegen die Feinde Israels

(beim Auszug aus Ägypten, der Landnahme und später im gelobten Land)

Israels Kriege waren keine Glaubenskriege. Ein Krieg, allein aus dem Grund, um andere zum Glauben an den Gott Israels zu bewegen, kennt das AT nicht. Keine Nation, die einen „heiligen Krieg“, Jihad oder Kreuzzug unternahm, kann sich zu Recht auf die Bibel berufen. Denn Gott gab in einer damals einmaligen Situation Israel den Auftrag, sein Gericht an Seinen Feinden zu vollstrecken. Diese Gotteskriege waren zugleich Machtdemonstrationen der Überlegenheit des lebendigen Gottes über alle Götter und Götzen der Heiden.

Am Anfang der Kriege Gottes steht das Aufgebot zum Krieg. Die Kriegsmänner stehen im Status von Geweihten – sie üben sexuelle Askese, legen Gelübde ab, unterliegen dem Gebot ritueller Reinheit; geweiht sind auch die Waffen. Es folgen Opfer und eine Gottesbefragung; ein Gottesbescheid verkündet, dass Gott die Feinde in Israels Hand gegeben hat. Der Krieg wird bezeichnet als Krieg Gottes. Wo der „Herr der Heerscharen“ (Jahwe Zebaoth) für sein Volk streitet, hängt nichts von der Stärke der Streitmacht Israels ab. Denn Gott verheißt den Sieg und zieht selbst vor dem Heer her (manchmal war die mitgeführte Bundeslade ein Zeichen für Gottes Gegenwart im Krieg). Israel muss sich daher nicht fürchten, die Feinde dagegen müssen den Mut sinken lassen, noch ehe die Kampfhandlungen begonnen haben. Der eigentliche Kampf wird durch das Kriegsgeschrei eröffnet; die Feinde überfällt ein Gottesschrecken, nicht selten greift Gott selbst mit übernatürlichen Mitteln in den Kampf ein, am bekanntesten ist vielleicht, wie Gott die ägyptische Armee, die das aus Ägypten ziehenden Israel verfolgt, im Schilfmeer untergehen lässt, aber Gott kann auch die Sonne still stehen lassen (Jos 10,13) oder Steine vom Himmel werfen (Jos 10,11). Die Beute verfällt dem Bann, d. h. sie wird Gott übereignet: Menschen und Tiere werden getötet, Gold und anderes wertvolles Material dem Tempelschatz einverleibt. Ist der Sieg errungen, der Bann vollzogen, wird das Heer entlassen: „Zurück zu deinen Zelten, Israel!“

Alle diese Elemente kommen in den ersten acht Büchern der Bibel vor. Sie werden aber nie alle zusammen aufgeführt. Das Entscheidende dabei ist:

Nicht Menschen suchten den Krieg: Gott befahl und führte selbst den Krieg gegen seine Feinde. Der Erfolg war dabei garantiert. Daher erhielt er die ganze Ehre für den Sieg und bestimmte, was mit den besiegten Menschen, ihren Tieren und ihrem Besitz geschehen sollte. Das so Gebannte („Gott Geweihte“) sollte als Gegenstand seines Zorns meist völlig vernichtet werden.

Das folgende Diagramm hilft uns zu verstehen, warum Gott z. B. Krieg gegen die in Palästina ansässigen Kanaaniter führte.

Ein Vergleich kann helfen, die Kriege Gottes zu verstehen. Wenn man faule Früchte nicht von den gesunden Früchten trennt, werden diese auch sehr schnell selber faul. Die Kanaaniter wurden von Gott als völlig entartete, götzendienerische Menschen bezeichnet. In seiner Heiligkeit, Allwissenheit und Gerechtigkeit entschied Gott, sie zu richten und zu vertilgen. So konnten sie die umliegenden Völker und Gottes heiliges Volk Israel nicht mehr zum Abfall von Gott (Götzendienst) verleiten und mit ihrer „Faulheit“ anstecken.

Gleichzeitig waren die Israeliten gewarnt, dass Gott und sein Wort ernst zu nehmen seien.

Denn wenn sie selber „faul“ würden, würde Gott auch sie dem Gericht und Bann („Fluch“; 5Mo 28) ausliefern. Gott ist und bleibt gerecht! Und es ist seine unbegreifliche Gnade und Liebe, dass Er nicht alle gottlosen Menschen wie in der Sintflut oder in Kanaan sofort richtet und von der Erde vertilgt.

Doch eines Tages muss sich jeder Mensch einmal vor Gottes Gericht verantworten. Dann wird auch sichtbar werden, wie gnädig und barmherzig, aber auch wie heilig und gerecht Gott schon immer handelte.

4.2 Verteidigungskriege

Die Israeliten waren unvergleichlich viel friedliebender als etwa die Ägypter, die Römer oder die Germanen und haben sich in den meisten Kriegen nur verteidigt. Sie hatten sie zum Beispiel in 5. Mose 20 ein zum Schutz von Mensch und Natur erlassenes Kriegsgesetz von Gott erhalten. Die umliegenden Völker waren viel grausamer als Israel (Folter der Gefangenen) und ließen es nicht in Frieden leben. Immer wieder musste es sich militärisch zur Wehr setzen, um zu überleben. Aufgrund seiner zentralen Lage an den Heeresstrassen zwischen Norden und Süden wurde es auch häufig zum Spielball der großen Mächte in Mesopotamien oder Ägypten. Es ist ein Wunder Gottes, dass dieses kleine Volk in all diesen Auseinandersetzungen nicht aufgerieben und für alle Zeiten vernichtet wurde. Gott half seinem Volk immer wieder. Er wollte es ja auch zur Errettung der Welt gebrauchen, denn der Messias (Jesus Christus) sollte aus diesem Volk kommen.

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5. Gottes Kriege gegen Israel

„Krieg kann in der Bibel immer nur als Verteidigung des wahren Friedens verstanden werden. Krieg ist immer eine vorübergehende Notwendigkeit (die Not wendend) auf dem Weg zum endgültigen Frieden.“

Gott führte Krieg gegen Israel.

(5Mo 28,7.25; Jos 7, 1Sam 4–6; Zerstörung Jerusalems)

Gottes Volk verstrickte sich immer mehr in Götzendienst und Sünde. Jahrhunderte lang rief Gott es durch seine Propheten zur Umkehr auf, ohne anhaltenden Erfolg. Schließlich war zuerst das Nordreich Israel und danach auch das Südreich Juda völlig „faul“ geworden. Gott blieb nichts anderes übrig, als Krieg gegen sein eigenes Volk zu führen, damit wenigstens ein Überrest von ihm gereinigt und wieder zum Glauben zurückgeführt würde. Gott benutzte dabei die Heere der Assyrer (722 v.Chr.) und Babylonier (587 v.Chr.) als Gerichtswerkzeuge, um sein Volk heimzusuchen.

6. Jesus

Zum Schluss betrachten wir noch kurz, was das Neue Testament zur Gewaltanwendung sagt.

  1. Jesus lehrte seine Jünger keine Gewalt (Bergpredigt, Gesetz des Gottesreichs). Er ließ sich selber Unrecht geschehen und Gewalt antun, um uns durch seinen Kreuzestod zu erlösen (1Petr 2,19–24).
  2. Er entwaffnete jedoch die römischen Hauptleute nicht (Gesetze des Weltreichs), noch forderte er sie auf, den Militärdienst zu verlassen (Mt 8,13; 27,54; vgl. Luk 3,14).
  3. Gewalt bleibt für Gott ein Mittel, um seine zukünftigen Ziele zu erreichen (Mt 22,7; Luk 11,21.22; 14, 31.32; 19,27). Jesus wird einmal als siegender Kriegsheld wiederkommen (Offb 19,11–21).
  4. Außerdem kämpfte Jesus nicht gegen Menschen, sondern gegen dämonische Mächte (Mt 3,7–12; 11,4–6; 8,28–34; Kol 2,13–15; Eph 4,8). Dabei besiegte Jesus diese Mächte jedoch nicht mit dem Schwert (Mt 26,52-54), sondern durch seinen Tod am Kreuz.

7. Die Zeit der Gemeinde

Jeder Christ steht auch in diesem geistlichen Kampf (Eph 6,10–18; 2Kor 10,3–5). In der Zeit der Gemeinde (dem Zeitalter der Heiden) gibt es jedoch keine „Kriege Gottes“ mehr. Die Missionierung der Welt durfte auch nicht mit dem Schwert, sondern nur gewaltlos (Mt 5,5) geschehen.

Trotzdem gilt im Blick auf das „Reich dieser Welt“:

  1. Paulus lehrte, dass der Staat ein Schwert trägt, um damit die Bösen zu bestrafen (Röm 13,4). Er darf also Polizei und Militär einsetzen, um das Recht durchzusetzen.
  2. Krieg bleibt in einer gefallenen Welt eine Realität (1Kor 9,7; 14,8; 2Tim 2,4; Jak 4,1–2).
  3. Militärdienst ist eine Untertanenpflicht (Tit 3,1). Bei einem Gewissenskonflikt muss der Christ jedoch „Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29).

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8. Die Zukunft (Offenbarung)

Wir sind von der Frage ausgegangen: Ist Gott ein kriegerischer Gott im AT und ein Gott der Liebe im NT?

Gott ist im Alten wie im Neuen Testament ein heiliger, gerechter, richtender und in seinem Zorn strafender Herr, aber auch ein liebender, barmherziger und gnädiger Vater. Wir dürfen diese beiden Wesenszüge Gottes nicht gegeneinander ausspielen. Der Gott des Alten Testaments ist kein anderer als der Gott, dem wir im Neuen Testament begegnen. Noch hat Gott je seinen Sinn geändert (Jak 1,17). Auch das Neue Testament spricht deutlich von Gottes Gericht über die verdorbenen Sünder und von deren zukünftiger Verdammnis.

Und Jesus Christus wird auf die Erde als Gewalt anwendender Kriegsheld wiederkommen (Dan 7,13; Mk 13,26; Offb 1,7, 16,12–16; 17,13–14 und v. a. 19,11–21). Sein Kommen wird die Erfüllung vieler alttestamentlicher Prophezeiungen sein (Luk 24,44).

„Das Neue Testament ist im Alten verborgen, das Alte wird im Neuen aufgedeckt“ (Augustin). Erst nachdem ich in der Offenbarung (Apokalypse) gelesen habe, wie die großen Konflikte zwischen Gott und Satan und zwischen dem Gottesvolk und ihren sichtbaren und unsichtbaren Feinden ausgehen werden, kann ich den Sinn der Gotteskriege im Alten Testament begreifen.

Ausgehend von 1Mo 3,15 findet auf dem Hintergrund der Menschheitsgeschichte ein kosmischer Kampf zwischen Gott und Satan statt. Die Kanaaniter waren in der Frühgeschichte Israels Objekte des Zornes Gottes, später dann die die Verbreitung des Evangeliums hindernden dämonischen Mächte. Am Kreuz von Golgatha besiegte Jesus diese geistigen Gewalten, und bei seiner Wiederkunft wird er alle antichristlichen menschlichen und dämonischen Kräfte besiegen und bestrafen. Zuletzt siegt Jesus – und mit Ihm Seine Gemeinde! Dann wird ein wunderbarer Gottesfrieden auf der Erde herrschen.