ThemenWort- und Themenstudien

Gedanken zum Segnen

Segnungsgottesdienste werden überall abgehalten, und Segen wird für alles Mögliche gespendet. Doch was steckt eigentlich hinter einem „Segen“?

Segnungsgottesdienste, vor einigen Jahrzehnten noch unbekannt, werden immer häufiger und immer selbstverständlicher angeboten. Inzwischen finden sie auch in Gemeinden und Kreisen statt, die früher solche Praktiken ablehnten. Dabei wird es als selbstverständlich betrachtet, zum Segnen die Hände aufzulegen. Ich bin versucht zu sagen, dass bei dem Begriff Segnen die meisten Christen heute an Handauflegung denken.

Der biblische Befund

Kann man aber gemäß den Lehren des Neuen Testaments tatsächlich durch Handauflegung segnen? Das Thema soll nicht mit Einsegnung bzw. Ordination, wie in Apg 6 oder 13 und anderen Stellen erwähnt, verwechselt werden. So wollen wir die wenigen Bibelstellen betrachten, wo uns befohlen ist zu segnen.

„Segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen“ (Mt 5,44).1
„Segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen“ (Lk 6,28).
„Segnet, die euch verfolgen; segnet, und flucht nicht“ (Rö 12,14).

So haben wir insgesamt drei bzw. nur zwei Bibelstellen, wo das Segnen befohlen wird. Die anderen Schriftstellen lauten ähnlich, auch wenn sich hier nicht die Befehlsform findet.

„Man schmäht uns, so segnen wir; man verfolgt uns, so dulden wir’s“ (1Kor 4,12).
„Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, dass ihr den Segen ererbt. Denn wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der hüte seine Zunge, dass sie nichts Böses rede, und seine Lippen, dass sie nicht betrügen. Er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes; er suche Frieden und jage ihm nach“ (1Pt 3,9–11).

Es ist uns also befohlen, die zu segnen, die sich gegen uns stellen, uns hassen, fluchen und verfolgen. Dass hier ein körperlicher Kontakt zur Übermittlung des „Segens“ nicht gut möglich ist, bedarf keiner weiteren Erklärung. Fluchern oder Verfolgern kann ich nicht die Hände auflegen, wohl aber für sie beten. Der Schwerpunkt liegt ganz offensichtlich auf dem Gebet. Der Christ wird, je mehr er betet, umso mehr zum Segen. Dies ist auch das Zeugnis der Kirchengeschichte. Als Beispiel sei an Georg Müller, den Waisenhausvater von Bristol, erinnert, der Tausenden zum Segen wurde. Es ist nicht bekannt, dass Georg Müller an einem „Segnungsgottesdienst“ teilgenommen oder irgend etwas dieser Art veranstaltet hätte.

Gerade die Verse aus dem 1. Petrusbrief zeigen, wie wir zum Segen werden: Der geistliche Wandel, dem Schimpfen oder gar Betrügen fremd ist, soll den Wohlgeruch Christi verbreiten. Von Handauflegung findet sich nichts in diesem Abschnitt.

Segnen und Handauflegung steht tatsächlich nur einmal in direkter Verbindung miteinander, nämlich in Mk. 10,16:

„Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie“ (V. 15–16).

Hier finden wir auch eine gute Definition von dem, was Segen bedeutet, nämlich von Jesus angerührt zu werden. Nach Eph 1,3 haben wir allen geistlichen Segen im unsichtbaren Bereich. Vielleicht ist deswegen eine sichtbare Segnungshandlung im Neuen Testament nicht bekannt?

In der Bibel wird nie erwähnt, dass Frauen Hände aufgelegt haben

Nach Hebr 6,2 gehört Handauflegung zu den Grundlehren des Neuen Testaments. Dann sollte nach heutiger Vorstellung aber wenigstens einmal geschrieben stehen: „Segnet durch Handauflegung!“ Doch so eine Bibelstelle sucht man vergeblich. Dieses Denken entspricht eher dem magischen Gefälle unserer Tage.

Doch selbst das Alte Testament kennt nicht die freie Verfügbarkeit über den Segen Gottes. Man denke nur an Esaus Bitte, sein Vater Issak möge ihn doch auch segnen:

„Esau sprach zu seinem Vater: Hast du denn nur einen Segen, mein Vater? Segne mich auch, mein Vater! Und er erhob seine Stimme und weinte“ (1Mo 27,38).

Es war aber bekannt, dass durch Berührung eine Verunreinigung geschehen konnte:

„So spricht der HERR Zebaoth: Frage die Priester nach dem Gesetz und sprich: Wenn jemand heiliges Fleisch trüge im Zipfel seines Kleides und berührte danach mit seinem Zipfel Brot, Gekochtes, Wein, Öl oder was es für Speise wäre, würde es auch heilig? Und die Priester antworteten und sprachen: Nein. Haggai sprach: Wenn aber jemand durch Berührung eines Toten unrein wäre und eins davon anrührte, würde es auch unrein? Die Priester antworteten und sprachen: Es würde unrein“ (Hag 2,11–13).

Heiligkeit lässt sich also nicht durch Berührung übertragen, wohl aber die Unreinheit. Der angebliche Segen kann also genau das Gegenteil bewirken:

„Ja, verfluchen werde ich euren Segen, weil ihr’s nicht wollt zu Herzen nehmen“ (Mal 2,2).

In der Bibel wird auch nie erwähnt, dass Frauen Hände aufgelegt haben. Eine Erklärung dafür könnte Hebr 7,7 sein:

„Nun ist aber unwidersprochen, dass das Geringere vom Höheren gesegnet wird.“

Das ist ein biblische Grundgesetz. So segnen z. B. die Eltern die (kleinen) Kinder, nicht umgekehrt, wie gerade die Geschichte von Isaak und seinen Söhnen eindrücklich zeigt. Segnet eine Frau in dieser Weise, stellt sie sich über den Mann, was dem biblischen Rollenverständnis widerspricht. Man denke in diesem Zusammenhang auch an Phil 2,3:

„Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut, achte einer den andern höher als sich selbst.“

Beispiele zu heutiger Segnungsvorstellung

1. Segnungshandlungen

In der idea-Nummer zum Kirchentag konnte man lesen:

Bei einem Gemeinschaftsstand „Charismatische Erneuerung“ waren die Freikirchen durch den Arbeitskreis Geistliche Gemeindeerneuerung in der Evangelisch-methodistischen Kirche vertreten. Besonders die Möglichkeit, sich in einem kleinen Raum segnen zu lassen, erfreute sich nach den Worten von Pastor Reiner Dauner einer regen Nachfrage.

Jakob Zopfi, ehemals Präses der SPM (Schweizerischen Pfingstmission), schreibt in derselben Nummer unter Enthusiastisches Christentum.

Der Lobpreis soll stark sein, den Teilnehmern soll gedient werden mit Segnung durch Handauflegung, das Gebet für Heilung oder Ausrüstung zum Dienst der Evangelisation und das Erwarten der „mitfolgenden Zeichen“

Handauflegung zum Segnen ist eine alte pfingstlerische Praxis

Handauflegung zum Segnen ist eine alte pfingstlerische Praxis. Dadurch sind offenbar zahllose Menschen unter einen Bann gebracht worden sind. So warnte schon Elias Schrenk auf der Gnadauer Pfingstkonferenz von 1910:

Mehr als je brauchen wir heute eine keusche Stel1ung in der ganzen Schriftwahrheit. Sie bewahrt uns vor Sensationellem, vor gefährlichem, gewagtem Streben nach Geistesausrüstung. Sie wirkt jene geistliche Keuschheit, die sich fürchtet vor kalifornischer, norwegischer, eng1ischer und holländischer Handauflegung. Ich kannte verschiedene Menschen, die durch Handauflegung bleibend unter böse Geister kamen. Eine keusche Stellung in der Schrift bewahrt uns ferner vor Zeichen- und Wundersucht. Wir wollen keine vermehrte Geistesausrüstung, um große Leute zu werden, das wäre unser Verderben. Wir wollen nicht einmal in erster Linie Geistesausrüstung für unsern Dienst, sondern für unsere Gemeinschaft mit Gott und dadurch für unseren Dienst. Gehen wir den umgekehrten Weg, so kommen wir ins Fleisch und unter feindlichen Einf1uss, erreichen also das Gegenteil.

Vom Schlussgottesdienst des ersten ökumenischen Kirchetages in Berlin berichtete idea:

Nach der Predigt wurden Wasserschälchen durch die Reihen gegeben; mit dem Wasser benetzten die Teilnehmer die Stirn ihres Nachbarn und sprachen die Worte ‚Du sollst ein Segen sein!‘ – das Motto des Christentreffens.

Man wird an die Feststellung Georg Huntemanns erinnert „Diese Generation kann einen nüchternen Glaubenswandel nicht mehr ertragen. Sie braucht eine religiöse Sinnlichkeit bzw. sinnliche Religiosität“. Gerade dies aber wird ihr heute überreichlich angeboten.

2. Segnungsgottesdienste

Gedacht ist dabei an Gottesdienste, in denen zusätzlich zur Wortverkündigung eine Segnung durch körperliche Berührung, besonders Handauflegung, vermittelt werden soll. Hier kann leicht die Auffassung entstehen, Segen bzw. Segnung seien frei verfügbar. Für Segnungsgottesdienste in dieser Form gibt es kein Vorbild im Neuen Testament und letztlich auch nicht in der Kirchengeschichte.

In dem Bericht von idea über die Pfingsteuropakonferenz heißt es im Zusammenhang mit Reinhard Bonnke:

„Segensgottesdienste“ führen leicht zu der Auffassung, Segen sei verfügbar

An einer anderen Stelle liegt ein junger Mann mit dem Gesicht auf dem Boden. Er schreit fast ununterbrochen mit unmenschlich greller Stimme. Immer mehr Menschen drängen zu ihm, berühren ihn, segnen und beten.

Ein weiteres Beispiel ist Benny Hinn. Über seinen Auftritt in Berlin im August dieses Jahres (2003) schreibt Benjamin Lassiwe:

Ihre Pastoren (der Gemeinden, die einluden, Anm.) sitzen auf der Bühne. Zu Beginn der Veranstaltung geht Hinn zu ihnen und streckt den rechten Arm aus, um sie für ihren Dienst zu segnen. Einer nach dem anderen wird „vom Heiligen Geist ergriffen“ und sinkt zu Boden.

Bei kaum einem der gegenwärtigen „Wunderheiler“ ist die Verbindung zwischen Spiritismus und „Kraftausrüstung“ so offensichtlich wie bei Benny Hinn, gerade auch, wenn er „Segen“ vermitteln will. Er hat selber zugegeben, wie er eine besondere Salbung der „Kraft Gottes“ am Grabe von Amerikas berühmtester Pfingstevangelistin Aimee Semple McPherson erhalten hat.

Ich fühlte eine unglaubliche Salbung … Ich zitterte am ganzen Leib … zitterte unter der Kraft Gottes … ‚Oh Gott‘ sagte ich, ich fühle die Salbung … Ich glaube, die Salbung schwebte über Aimees Körper.

Er erinnert an den Zauberer Simon, der durch Handauflegung über den Heiligen Geist verfügen wollte (Apg 8,19).

In der Zeitschrift Charisma wird ein liturgischer Heilungsgottesdienst mit Francis MacNutt geschildert, bei dem auch die Eucharistie zur persönlichen Reinigung von Schuld ausgeteilt wird. Francis MacNutt erfuhr seine ersten Impulse zum Thema Heilung, ähnlich wie Larry Christenson, durch Agnes Sanford . Er war einer der ersten Katholiken, der 1967 durch das Wirken dieser Frau mit dem Gebet für Kranke vertraut gemacht wurde. Vertieft wurde sein Dienst durch Kathryn Kuhlman und Oral Roberts. Man kann Agnes Sanford als die Schlüsselgestalt der modernen Heilungsbewegung bezeichnen. In ihrem Bestseller Heilendes Licht schreibt sie ganz offen, wie die Geister der Verstorbenen durch sie wirken, man dadurch auch besondere Kräfte zur Heilung Kranker empfangen könne. Auch erklärte sie unumwunden, wie sie beim Zungenreden mit dem Bewusstsein von Menschen Verbindung hat, die schon gestorben sind, aber auch mit Menschen, die derzeit leben und selbst mit Personen, die angeblich noch geboren werden sollen.

Zurück zu dem Charisma-Artikel über den liturgischen Heilungsgottesdienst: Zum Schluss ist jeder eingeladen, zu einer Segnung unter Handauflegung nach vorne zu kommen. Eine Aufforderung, die 1Tim 5,22 ganz eindeutig widerspricht.

Solche Beispiele könnten endlos fortgeführt werden. Es erinnert mich jedenfalls an eine private Bemerkung von John Stott: „Yes, its true, the Charismatics have a magic concept of God“. (Ja, es stimmt, die Charismatiker haben eine magische Vorstellung von Gott).

In 1Tim 5,22 findet sich der einzige Imperativ im Neuen Testament im Zusammenhang mit Handauflegung. Dies ist aber keine Ermutigung zu dieser Praxis, sondern eine Warnung, die Hände niemand schnell oder gar plötzlich aufzulegen. Heute kann man immer mehr das genaue Gegenteil beobachten. Nun versucht man diesem Befehl dadurch auszuweichen, dass man erklärt, es handle sich hier um die Einsetzung von Ältesten, und hier soll man nicht zu schnell handeln. Es ginge hier nicht um eine Handauflegung zum Segnen. Nun spricht Paulus tatsächlich vorher über Älteste und ihr Verhalten. Doch erkennt man hier auch eine allgemeine Grundaussage und Ermahnung für den Jünger Jesu, und zwar gerade auch in Hinblick auf die Gefahr der geistlichen Verunreinigung. „Die Hände lege niemandem zu bald auf; habe nicht teil an fremden Sünden! Halte dich selber rein!“ Man denke in diesem Zusammenhang nur an die obige Warnung von Elias Schrenk.

Manchmal wird auch das Gebet für Kranke in Jakobus 5 erwähnt, um eine Handauflegung zu belegen. Es sollte jedoch beachtet werden, dass Jak 5,14 von den Ältesten der betreffenden Gemeinde redet. Älteste einer anderen Gemeinde haben kein Recht zur Handauflegung. Weil die Handauflegung im Judentum als Identifikation verstanden wurde, sollte sie mit größter Zurückhaltung praktiziert werden. Außerdem ist nicht sicher, ob „über ihm beten“ tatsächlich Handauflegung meint.

Wir befinden uns mit dieser Art von Gottesdiensten auf charismatischem, nicht auf biblischem Boden

Anlässlich des 40jährigen Jubiläums der charismatischen Bewegung trafen sich die Gründerväter dieser Strömung in Schloss Craheim. In ideaSpektrum, wo über dieses Ereignis bericht wird, sind die besagten Schlüsselleute Friedrich Aschoff, Arnold Bittlinger und Larry Christenson, die zum Teil schlimmste Irrlehren vertreten, friedlich lächelnd nebeneinander abgebildet. In dem Bericht heißt es nun:

Lobpreis- und Segnungsgottesdienste sind nach Aschoffs Beobachtung heute weit verbreitet. „Als wir damit angefangen haben, war das exotisch“.

Diese Aussage ist sehr aufschlussreich. Wir befinden uns mit dieser Art von Gottesdiensten auf charismatischem, nicht auf biblischem Boden. Wir sollten dankbar sein, dass hier so offen gesagt worden ist, woher solche Eingebungen kommen. Über die Gefühlsschiene und oft genug über das Liedgut aus diesen Bewegungen hat dieser Geist jedenfalls fast alle Denominationen unterwandert.

Ähnlich ist die Entwicklung auf dem Gebiet der Moral verlaufen. Was damals exotisch war, ist heute anerkannt. Was früher pervers war, ist heute normal. Vielleicht sollte man Spurgeons berühmtes Zitat neu beherzigen: Es gibt nichts Neues in der Theologie, außer dem, was falsch ist.

Wie haben die Apostel gesegnet?

Wir leben auch in einer Zeit, wo alles schnell und sofort geschehen soll. Ein Machbarkeitsdenken hat sich nicht nur in der Welt bemerkbar gemacht. Frucht und Wachstum im kreatürlichen wie auch im geistlichen Bereich sind aber vielmehr mit Zeit und gar nicht mit „Schnellschüssen“ verbunden.

Frucht und Wachstum ist auch im geistlichen Leben mit viel Zeit verbunden

Wie haben nun die Apostel gesegnet? Das vielleicht berühmteste Beispiel ist die Abschiedsrede von Paulus an die Ältesten von Ephesus:

„Darum bezeuge ich euch am heutigen Tage, dass ich rein bin vom Blut aller; denn ich habe nicht unterlassen, euch den ganzen Ratschluss Gottes zu verkündigen … Auch aus eurer Mitte werden Männer aufstehen, die Verkehrtes lehren, um die Jünger an sich zu ziehen. Darum seid wachsam und denkt daran, dass ich drei Jahre lang Tag und Nacht nicht abgelassen habe, einen jeden unter Tränen zu ermahnen. Und nun befehle ich euch Gott und dem Wort seiner Gnade, der da mächtig ist, euch zu erbauen und euch das Erbe zu geben mit allen, die geheiligt sind“ (Apg 20,26–32).

Hier ist nun nichts von einer Schnellmethode zu erkennen. Eine intensive, jahrelange Gründung auf das Wort Gottes, verbunden mit geistlicher Ermahnung, setzen die Schwerpunkte. Auch legt der Apostel bei dem anschließenden sehr bewegten Gebet keine Hände auf. Das Wort der Schrift und der Gehorsam gegenüber dem lebendigen Gott reichen zur Erbauung, zur Bewahrung und zum Segen aus.


  1. Dieser Versteil fehlt allerdings in den ältesten Textzeugen. Er wurde wohl später zugefügt.