Gegenwärtig läuft eine lebhafte Diskussion über die Frage, wie man den postmodernen Menschen mit dem Evangelium erreichen und Gemeinde bauen kann und soll. Christen wollen etwas tun, sei es für den Bau der Kirche, für ihren Einfluss in der Öffentlichkeit, oder für die geistliche Entwicklung der Christen. Auch so mancher von Ihnen wird sich die Frage gestellt haben: Was kann ich tun, um den Herrn zu dienen, welchen Beitrag kann ich in meiner Gemeinde, meinem Hauskreis oder auch in meiner beruflichen Umgebung leisten, um Christus zu dienen und seine Sache zu fördern und meinem Nächsten zu dienen? Um eine Antwort zu finden, stellt man die Frage: Was kann ich? Was kann ich einbringen? Oder auch: Wie kann ich mich einbringen? Wer etwas hat, der wird auch fragen: Was kann ich geben, um die Sache des Herrn zu fördern?
1. Das Problem: Wie können wir Gottes Sache voran bringen?
Diese Fragen mögen unter einer bestimmten Perspektive berechtigt sein, aber sie kreisen vor allem um den Menschen, so als hinge der Fortgang der Sache Gottes am menschlichen Vermögen und am menschlichen Tun. Formal-äußerlich mag das richtig sein, und ich will diese Fragen nicht verbieten. Aber sie sollten erst an zweiter Stelle gestellt werden.
An erster Stelle steht nämlich die aus der Bibel sich ergebende Einsicht, dass Gottes Sache vorangeht, indem er selbst mit seinem Wort wirkt. Gott selbst baut die Gemeinde, wie wir in Mt 16,18 lesen. Er tut Menschen zu ihr hinzu. Er gibt es ihnen, Christus zu erkennen, er lässt den Samen des Wortes aufgehen und Frucht bringen. Ich möchte Ihr Augenmerk darauf richten, dass Gott der eigentliche Missionar und Gemeindebauer ist.
Dass er dabei Menschen in seinen Dienst stellt, ist eigentlich ein Wunder, denn die Menschen, deren er sich bedient, sind in aller Regel nicht so, dass man ihnen Staat machen könnte. Sie sind Sünder. Ihr Wesen ist fleischlich, wie Röm 7,14 sagt. Sie tragen den Keim der Widerstandes gegen Gott, den Keim des Unglaubens und der Sünde, ständig in sich. Wenn sie nicht unter der Zucht des Heiligen Geistes stehen, sind sie genauso schlecht wie alle anderen auch. Sie können also nicht hergehen und fragen: Was habe ich bei oder in mir an geistlichem Potential, das ich aktivieren kann? Ein solches Denken kann nur aus einem katholisierenden Verständnis von Rechtfertigung und Heil kommen. Da wird der sogenannte neue Mensch angesprochen, der seine ihm innewohnenden Fähigkeiten aktivieren muss. Aber nach reformatorischer Sicht ist das nicht möglich.
Der Christ ist Christ, weil er dem Evangelium glaubt und im Glauben lebt, aber nicht, weil er in sich wesenhaft ein neuer Mensch wäre. Darum kann er auch nicht bei sich selbst herum suchen, ob er sich oder etwas von sich „einbringen“ kann, um Gottes Sache voran zu bringen.
Ein Theologe des 20. Jahrhunderts hat einmal die Frage gestellt, ob der Pfarrer das Wort Gottes so predigt wie ein Hafenarbeiter den Sack trägt oder wie ein Baum die Frucht bringt. Wir sind wohl geneigt zu sagen: Wie der Baum die Frucht, und auch der betreffende Theologe sah das so. Aber damit wäre gemeint: Die Predigt des Evangeliums fließt aus dem religiösen Leben des Predigers. Der Prediger stellt in der Predigt sich selbst, sein religiöses Selbstbewusstsein dar.
Doch das ist nicht die biblische Perspektive. Paulus sagt ausdrücklich: Wir verkündigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus, den Herrn (2Kor 4,5).
Also bleiben wir bei der anderen Alternative: Er predigt so, wie ein Hafenarbeiter den Sack trägt. Der Sack und sein Inhalt ist ihm von einem anderen, seinem Arbeitgeber, aufgeladen worden. Logischerweise muss der Hafenarbeiter in der Lage sein, den Sack zu tragen, will sagen: der Prediger muss das Evangelium kennen und kommunizieren können. Aber das Evangelium ist nicht von ihm, sondern von seinem Herrn.
2. Das biblische Gebot: Predigt das Evangelium!
Schauen wir in die Heilige Schrift. Was haben die Männer Gottes getan? Ich möchte in diesem Teil meines Vortrags zeigen, wie die Apostel ihre Tätigkeit verstanden haben und Gründe dafür angeben.
2.1 Die Apostel haben Gottes Wort gepredigt
Paulus schreibt in 1Kor 1, 4–7: „Ich danke meinem Gott allezeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christus Jesus, dass ihr durch ihn in allen Stücken reich gemacht seid, in aller Lehre und in aller Erkenntnis. Denn die Predigt von Christus ist in euch kräftig geworden, so dass ihr keinen Mangel habt an irgendeiner Gabe und wartet nur auf die Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus.“
Und in 1Kor 1,23–24: „… wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.“
Fließt die Predigt des Evangeliums aus dem religiösen Leben des Predigers?
Hier sehen Sie, welche Einstellung der Apostel hat: Er predigt von Jesus, dem Gekreuzigten. Sein Interesse klebt daran, von ihm zu sprechen, so dass Menschen mit ihm bekannt werden, seine Person und sein Werk verstehen und an ihn glauben können. Dass sie aber glauben können, ist Gottes Werk, das er durch die Predigt tut. Ausdrücklich schreibt er der Predigt die Kraft zu, wenn er sagt: „Die Predigt von Christus ist in euch kräftig geworden.“ Wir sehen also, worauf Paulus zurückgreift, wenn er missioniert: auf Gottes Wort.
Petrus denkt nicht anders. In 1Petr 1,23–25 lesen wir: „Denn ihr seid wiedergeboren nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, nämlich aus dem lebendigen Wort Gottes, das da bleibt. Denn „alles Fleisch ist wie Gras und alle seine Herrlichkeit wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorrt und die Blume abgefallen; aber des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit“ (Jesaja 40,6–8). Das ist aber das Wort, welches unter euch verkündigt ist.“
Offensichtlich hat auch er nichts anderes getan als Gottes Wort verkündigt. Er ging davon aus, dass eben das Wort, das er verkündigte, Gottes Wort war, und als solches der lebendige Same, der einen Menschen zu Glauben führen kann.
Ganz offensichtlich waren beide Apostel davon überzeugt, dass Gottes Wort die Kraft hat, einen Menschen zur Umkehr und zum Glauben zu führen. Sie griffen nicht auf sich selbst und ihre vermeintliche Geistlichkeit zurück, sie vertrauten nicht auf ihre Überzeugungskraft, auf ihre natürlichen Fähigkeiten zu anschaulicher Rede, sondern einfach auf Gottes Wort. Damit bin ich beim Thema meines Vortrags. Lassen Sie mich einige Aspekte nennen, die hierzu von Bedeutung sind.
2.2 Das Evangelium ist Gottes Kraft
– zur Rettung
„Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen.“ (Röm 1,16). „Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist’s eine Gotteskraft.“ (1Kor 1,18)
Wenn wir Menschen zum Heil führen wollen, dann müssen wir auf das Evangelium zurückgreifen und es predigen
Hier sagt die Bibel, dass für die Rettung eines Menschen das Evangelium verantwortlich ist. Es ist die Kraft Gottes. Es ist die dynamis, die notwendig ist, um den in seiner Sünde gefangenen, ungläubigen Menschen zu erwecken und ihn zum Glauben zu führen. Normalerweise denkt und lebt der Mensch in Selbstbezug. Er nimmt alles, was ihn betrifft, wahr unter der Frage: Was geht mich das an? und: Wie kann ich darauf Einfluss nehmen? Selbst in der Begegnung mit dem Evangelium stellt er diese Fragen. Was muss ich tun, damit ich gerettet werde? – so fragt er. Er möchte bei seinem Tun angesprochen werden, er möchte leisten, beitragen und sich einbringen. Diesen Selbstbezug – Luther sprach hier von der Verkrümmtheit des Menschen in sich selbst (incurvatio in se) – kann kein Mensch aufbrechen. Aber er wird unter dem Wirken des Heiligen Geistes bei der Verkündigung des Evangeliums aufgebrochen. Dem Menschen wird eine andere Grundlage vorgestellt, auf die er bauen kann, als auf sein Vermögen. Ihm wird Christus vor Augen geführt. Es wird ihm gezeigt, was er in Christus hat. Er erkennt, dass er in ihm gerechtfertigt ist, dass er in Christus von Gott angenommen ist, dass ihm seine Sünden vergeben sind und sie ihn nicht mehr von Gott trennen. Er vertraut schließlich auf diese Botschaft.
Wenn wir also Menschen zum Heil führen wollen, dann müssen wir auf das Evangelium zurückgreifen und es predigen. Das ist der rechte, biblische Weg.
– zum christlichen Leben.
„Diese Botschaft vertraue ich dir an, mein Sohn Timotheus, nach den Weissagungen, die früher über dich ergangen sind, damit du in ihrer Kraft einen guten Kampf kämpfst und den Glauben und ein gutes Gewissen hast.“ (1Tim 1,18–19a.)
Ausdrücklich spricht Paulus hier von der Kraft der früher ergangenen Weissagungen. Das waren Botschaften, die er eventuell vom Apostel Paulus oder anderen Propheten erhalten hatte. Sie sollen bei Timotheus die rechten Überzeugungen schaffen, dass er den Kampf, in dem er steht, recht führt. Beachten Sie, dass Paulus hier nicht einfach die Kraft des Heiligen Geistes reklamiert, um Timotheus zum Kampf zu ermuntern, sondern ausdrücklich Weissagungen: Botschaften. Damit verbindet sich die Perspektive, dass es Überzeugungen sind, die ein Mensch teilt, die sein Herz fest machen, und ihm sowohl die Freiheit geben als auch den Mut zum Widerstand, um diesen Überzeugungen gemäß zu handeln.
Wenn die Bibel überdies sagt: „Wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen“ (2Kor 5,7), dann heißt das, dass der Glaube, das, was man glaubt, einen trägt, motiviert und hoffnungsvoll sein lässt.
– zum Aufbau der Gemeinde
„… er halte sich an das Wort der Lehre, das gewiss ist, damit er die Kraft habe, zu ermahnen mit der heilsamen Lehre und zurechtzuweisen, die widersprechen.“ (Tit 1,9)
Sehr signifikant ist das, was Paulus hier an Titus schreibt. Bischöfe, Pastoren oder Älteste sollen sich an das gewisse apostolische und prophetische Wort halten, und zwar mit dem Ziel, Kraft zu haben, mit heilsamer Lehre zu ermahnen und die Widerspenstigen zurechtzuweisen. Indem sie Gottes Wort kennen und kommunizieren, wird die Gemeinde aufgebaut. Aus der Kenntnis des Wortes Gottes kommt die Kraft – die geistige Kraft, die Klarheit der Gedanken und Vorstellungen, die andere überzeugen kann. Mit dem Wort Gottes begegnen sie auch den Aufmüpfigen, den Besserwissern und Bösen in der Gemeinde. Entweder werden sie mit dem Wort gewonnen, oder das Wort macht offenbar, dass jene dem Wort Gottes widerstehen und außerhalb der Gemeinde stehen. Die Zugehörigkeit zur Gemeinde ist dann ebenso Gottes Werk wie der Ausschluss.
2.3 Das Wort wirkt nach Gottes gnädigem Ratschluss
Muss nicht erst die Kraft des Heiligen Geistes hinzukommen, um die toten Buchstaben aufzuwecken und zur Wirkung zu bringen?
Nun möchte man einwenden: Wie oft wird das Evangelium verkündigt, ohne dass jemand sich bekehrt! Wie oft wird Gottes Wort recht weitergegeben, ohne dass der Hörer es versteht! Zeigt sich da nicht, dass das bloße Wort kraftlos ist? Muss nicht erst die Kraft des Heiligen Geistes hinzukommen, um die toten Buchstaben aufzuwecken und zur Wirkung zu bringen? Ist es nicht gerade die Aufgabe des Predigers, das alte, verstaubte biblische Wort lebensnah, packend, mitreißend zu predigen? Muss nicht der Prediger das Wort dadurch, dass er es selbst konsequent auslebt, mit Leben und Kraft erfüllen? Ist nicht eine Predigt erst dann lebendig, wenn der Prediger auch noch sein Leben selbst in die Waagschale wirft. Diese Art der Argumentation ist nicht neu. Damit wir uns nicht missverstehen: Natürlich wird ein Prediger dann, wenn er Wasser predigt und Wein trinkt, seine Predigt mit seinem Leben durchstreichen. Man nimmt ihn nicht mehr ernst. Aber darum geht es hier nicht. Es geht darum: Immer wieder hat man das bloße äußere Wort als unzulänglich empfunden und mehr haben wollen, vor allem mehr an Geist und Kraft. Aber die obigen Schriftaussagen sind doch sehr eindeutig im Blick auf die Kraft des Wortes. Deshalb müssen wir den Grund für die scheinbare Wirkungslosigkeit des Wortes Gottes woanders suchen.
Der eigentliche Grund für die scheinbare Wirkungslosigkeit des Wortes bei vielen Menschen ist Gottes Freiheit gegenüber den Menschen. Die Erweckung und der Glaube finden nur bei den Menschen statt, denen Gott es nach seinem gnädigen Ratschluss gibt. Die anderen überlässt er sich selbst. In Jes 50,5 heißt es: „Gott der Herr hat mir das Ohr geöffnet.“ Und von Lydia in Philippi lesen wir: „Ihr tat der Herr das Herz auf, so dass sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde“ (Apg 16,14). Daran wird deutlich, dass Gott selbst das Hörvermögen gibt. Er selbst schafft sich mit dem Wort den Hörer.
Dass nicht alle Menschen zum Glauben kommen, liegt an Gottes Erwählungsratschluss
Dass nicht alle Menschen zum Glauben kommen, liegt also nicht an einem Defizit im Wort, nicht an einem Mangel an Geist im Wort, sondern an Gottes Erwählungsratschluss. Diesem aber kann kein Mensch vorgreifen. Selbst der vollmächtigste Prediger kann keinen Menschen zum Glauben führen, wenn Gott es nicht gibt. Seine Verantwortung beschränkt sich darauf, das Wort recht und ohne menschliche Beimischungen zu verkündigen – wie der Hafenarbeiter den Sack.
2.4 Durch das Wort schafft Gott den Glauben
Röm 10,17: „So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.“
Ausdrücklich wird hier die Predigt als Quelle des Glaubens ausgewiesen. Man darf das nicht formal verstehen, als müsste immer eine Predigt dem Glauben vorausgehen. Es kann auch sein, dass ein Mensch direkt beim Lesen der Heiligen Schrift oder eines guten evangelistischen Buches zum Glauben kommt. Nach Joh 17,20 („Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden.“) kommen Menschen durch das Wort der Apostel zum Glauben. Auf welchem Wege das Wort der Apostel zu ihnen kommt, ist inhaltlich gesehen nicht so wichtig – abgesehen davon, dass der Herr geboten hat, es zu predigen. Wichtig ist aber, dass die Inhalte, also das, was die Apostel sagen, bekanntgemacht werden.
Nun handelt Gott mit seinem Wort: Er schafft den Hörer, den Christen und die Kirche: Menschen, die an Christus glauben. Das ist das Grundkonzept für den Gemeindebau. Durch den Glauben ist ein Christ Christ und ist die Kirche Kirche. Wo kein Glaube ist, wird vielleicht ein religiöser Zirkel oder eine Sekte gebaut. Aber rechte, authentische Kirche ist dort, wo Gottes Wort rein gepredigt wird und Menschen an Jesus Christus glauben.
Wer dagegen den Ruf zum Glauben zur Seite setzt und die Bibel in erster Linie als Aufforderung zum Handeln sieht, wird sie schnell missverstehen, und zwar dann, wenn er jener Selbstverkrümmung zum Unglauben unterliegt. Natürlich spricht die Bibel auch vom Handeln, von Gottes Gesetz und vom Leben des Christen. Es ist aber ein Unterschied, ob das Leben des Christen aus dem Glauben kommt oder nicht, ob der Glaube dem Tun vorausgeht oder nicht. Häufig ist es so, dass Menschen – auch Christen – aufgrund ihrer Selbstverkrümmung – sich gleich auf den Imperativ stürzen, auf die Gebote und die Paränesen im Neuen Testament, aber auch auf Anweisungen aus der christlichen Tradition. Sie wollen einen christlichen Lebenswandel erreichen und sich äußerlich als „Christen“ präsentieren.
Wenn ein Prediger das Evangelium recht verkündigt, wird er den Hörer nicht unter Druck setzen, eine religiöse Handlung zu vollziehen
Wenn ein Prediger das Evangelium recht verkündigt, wird er den Hörer nicht unter Druck setzen, eine religiöse Handlung zu vollziehen oder ihn mit psychologischen Mitteln manipulieren, sondern er wird es Gott überlassen, ihn zur Umkehr zu führen. Er glaubt, dass Gott selbst nach seinem Willen den ausgestreuten Samen aufgehen und Frucht bringen lässt. Indem er dieses tut, empfängt er im Glauben Gottes Handeln in seiner Arbeit. Er weiß: Gott braucht keine Manipulation. Er übt keinen psychischen Druck aus, er zwingt niemand gegen seinen Willen, sondern er handelt so, dass der Mensch wirklich auch bei sich zu rechter Einsicht kommt und an Christus glauben will. Das will auch heißen: Gott schafft das Wollen und das Vollbringen.
3. Welche Bedeutung hat das für die aktuelle Diskussion
Die gegenwärtige evangelikale Szene ist von mancherlei Versuchen gekennzeichnet, dem scheinbar unwirksamen biblischen Wort Kraft zuzuführen.
Die einen verpacken das Wort so, dass es dem Geschmack des postmodernen Menschen entspricht: Sie sprechen wenig vom Verlorensein des Menschen, sondern verstehen es als Angebot zur Lebensgestaltung. Die anderen suchen neue Formen, um es an den Mann zu bringen, etwa indem sie das Wort in eine szenische Darstellung packen, es mit der Pantomime zum Schweigen bringen oder es mit modernen Rhythmen verknüpfen, die dem techno-, pop- und rockgewohnten Zeitgenossen bekannter sind als andere Klänge.
Wieder andere meinen, erst der vom Wort berührte Mensch sei das Anschauungsmaterial, um einen anderen Menschen wirklich anzusprechen und zum Glauben zu führen. Also suchen sie nach einem geeigneten Menschen. Meistens ist es ein Künstler oder Sportler, der sich als Christ bekennt. Er soll dann seine Fähigkeiten auf dem Motorrad, beim Tischtennis oder beim Toreschießen vorführen. Besonders gerne schmückt man das Evangelium mit prominenten Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben, die man um ein Interview oder der ein Grußwort bittet. Dass diese nicht alle im Glauben stehen, kümmert die Veranstalter offenbar wenig. Vielmehr sollen alle diese Dinge signalisieren: Leute, schaut her, das Evangelium ist überhaupt nicht langweilig. Es ist so, wie ihr es gerne habt – unterhaltsam, nützlich und von bedeutenden Leuten gutgeheißen.
Wer meint, auf diese Weise Menschen für Christus gewinnen zu können, wird vielleicht mehr Leute in seiner Kirche sitzen haben als ein anderer. Aber sein Problem ist, dass er kein Vertrauen in die Kraft der Botschaft hat. Er relativiert die Botschaft durch allerlei interessante Dinge, die die Botschaft selbst in ihrem Ernst und ihrer Eindeutigkeit hinter den Showelementen zurücktreten lassen. Interessant werden die Menschen nämlich nach wie vor die Showelemente oder den prominenten Gast finden. Das Evangelium werden sie vielleicht nicht bekämpfen. Sie werden es aber in ihrer Selbstverkrümmung verkennen oder es verfremden und aufnehmen, etwa als Anregung zur Lebensgestaltung. Ich bezweifle, ob sie dabei wirklich zur Einsicht in ihre Verlorenheit und zum Glauben an Christus kommen.
Er relativiert die Botschaft durch allerlei interessante Dinge, die die Botschaft selbst in ihrem Ernst und ihrer Eindeutigkeit hinter den Showelementen zurücktreten lassen
Sehr populär ist es, das biblische Wort mit psychotherapeutischen Maßnahmen verbinden. In der Tat: viele Menschen haben seelische Probleme. Die Frage ist aber, ob ihnen der Prediger wie ein Arzt oder Therapeut helfen muss. Von Gott jedenfalls hat er diesen Auftrag nicht. Er soll ihnen Gesetz und Evangelium predigen und sie zum Glauben an Christus rufen. Wenn in Folge dessen ihre seelischen Probleme gelöst werden, dann ist dagegen nichts einzuwenden. Wenn aber der Prediger das Wort Gottes als unzureichend empfindet, und bei psychotherapeutischen Methoden Anleihe macht, um zu erreichen, was er durch eine schriftgemäße Predigt und Seelsorge nicht erreicht, dann überschreitet er sein Mandat.
Gegenüber diesen Versuchen möchte ich deutlich machen: Vertrauen Sie doch wieder auf die Kraft des Evangeliums! Lassen Sie es Ihre Sorge sein, es wirklich recht, im biblischen Sinne, und frei von allen schriftwidrigen, humanistischen Klischees zu verstehen und zu verkündigen. Evangelisieren Sie, indem Sie auf die Menschen zugehen und Ihnen Gottes Wort sagen. Bauen Sie Gemeinde, indem Ihr erstes Interesse dem gilt, was die Menschen wirklich brauchen, nicht dem, was sie wie hören oder sehen wollen. Üben Sie Seelsorge, indem Sie in aller Freiheit sagen, was in einer konkreten Situation von Gottes Wort her zu sagen ist.
Ich werbe damit für eine unprätentiöse und der Schlichtheit des biblischen Wortes angemessene Art der Predigt. Ich lade Sie ein: Vertrauen Sie, dass Gott selbst sein Wort zur Geltung bringt, wann und wo immer er es will. So handeln Sie im Glauben, und Ihre Arbeit in der Gemeinde ist Frucht des Glaubens – oder besser: Frucht des Wortes Gottes und damit Gottes Werk. So wirkt Gott durch sie, und so empfangen Sie Gottes Wirken in Ihrem Dienst, „… denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert …“ (Hebr 4,12).